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95 - Golgatha. (Mit G-dicht.» sich ja aufklären, Kurt stirbt uns sonst vor Kummer, er erträgt es nicht lange, abgeschlossen von aller Welt, unschuldig im Gefängnis. Es ist ein hartes, hartes Los," sprach der alte Mann, dessen Haare seit dem Unglückstag grau geworden waren und dessen Stirne von tiefen Furchen durchwühlt war. „Gebe es Gott," erwiderte das bleiche Mädchen an seiner Seite, „täglich bitte ich ihn darum." „Noch ist nicht Alles gewonnen, wenn dcr Kranke auch genesen ist. Kann nicht auch er den richtigen Thäier nicht erkannt haben und bleibt dann nicht der Verdacht auf Kurt?" fuhr der Oberförster fort, aus seinen Worten sprach Sorge und Kümmernis. „Hoffen wir das Beste, Vater!" tröstete das Mädchen, „aber höre einmal, was ist denn das? Die Hunde schlagen an, ich höre rasche und, ach Vater, es sind bekannte Schritte." Hoch errötend war daS schöne Mädchen aufgesprungen, ehe sie jedoch die Thüre erreichte, und Sohn jedoch bald ei nig, daß derHolzhackernicht die Wahrheit gesagt hatte. Sie hatten ja Beide den Schuß gesehen und eine der artige Verwundung konnte ihrer Ansicht nach nicht von einem Selbstentladen des Gewehres herrühren. In den nächsten Tagen bekam Kurt Gratulationen von Nah und Fern, darunter eine solche, die er allen an. deren weitaus vorzog. Sie kam von Alma. Die Ge liebte sprach darin über die Befreiung ihrehöchsteFreude aus und versicherte ihn un wandelbarer Treue. Das war der beste Ersatz für das ausgestandene Leid, alle Zweifel, die sich während der Zeit in das Herz des jungen Mannes eingewur zelt hatten, verschwanden mit einem Schlage. Kurt beschloß, den Winter über zu Hause zu bleiben und den Vater in seinem Beruf zu unterstützen, vor ausgesetzt, daß dies höheren Orts genehmigt wurde. Bald kam die Zustim mung von Oben, man er kannte dies gewissermaßen als eine Entschädigung für den jungen Mann an. Drei Wochen waren ver« flossen, als eines Morgens ein Brief an Kurt ankam. Kurt betrachtete denselben von allen Seiten, er hatte keine Ahnung, wer ihm von Hamburg schreiben könne. Wohl dachte er an Albert, aber das war seine Hand schrift nicht. Neugierig öff nete er den Brief und be gann zu lesen. Kaum hatte er damit begonnen, als sich seine Züge verfinsterten, krampfhaft ballte sich seine Faust. „Geehrter Herr Gentner!" hieß es. „Von hier aus möchte ich Ihnen die Mitteilung machen, daß es nicht meine Schuld ist, daß Sie unschuldig in Untersuchungshaft waren. Mein Geist war umnachtet und als ich wieder meiner Sinne mächtig war, mußte ich zn einer Lüge greifen. Ich fürchtete die Strafe, ich hatte an dem verhäng nisvollen Tage gewildert. Nicht mein Gewehr hat sich entladen, so wenig als Sie es gethan haben. — der Baron v. Wintorf hat auf mich geschossen, er war der Thäter, ich habe ihn genau erkannt. Rächen Sie sich an ihm, wenn es nötig ist, so lasse ich Ihnen ein amtlich beglaubigtes Schreiben aus Amerika zukommen, wohin ich im Begriffe bin, abzureisen. Gott möge Sie entschädigen für die meinetwegen ausgestandenen Leiden, ich kann es nicht. Achtungsvoll grüßt Sie und Ihre werte Familie Ihr: David Walter!" Mit fliegender Eile hatte Kurt die Zeilen gelesen, als er auf- auge auf. Eines gab ihr viel, sehr viel zu denken. Welchem Umstande sollte sie alle die gegen den Vater sprechenden Wahrnehmungen zu schreiben? Konnte sie daran glauben, daß er die That nicht begangen hatte, selbst wenn der Betreffende einer Unvorsichtigkeit mit dem Gewehr seine Verwundung zuschrieb? Sie konnte keine Klarheit in die Sache bringen, nur auf das eine hoffte sie, daß Alles, was sie gehört hatte, wahr sein möchte. Endlich nach langem, bangem Harren kam das Mädchen und brachte das Gewünschte. Mit fieberhafter Hast durchflog Alma die Zeilen, endlich ganz zuletzt kam das Ersehnte. Es war eine An zeige, daß der seiner Zeit verwundete David Walter von seiner geistigen Krankheit geheilt, die Anzeige gemacht habe, daß seine Ver wundung durch ein unglückliches Entladen seines Gewehres, das er, in dcr Meinung es sei un geladen, zur Reparatur nach der Stadt verbringen wollte, entstanden sei. Der verhaftete Sohn des Ober försters sei bereits auf freien Fuß gesetzt. Zwei, dreimal hatte sie es gelesen und immer las sie es wieder. Thränen rannten ihr aus den Augen, Thränen des Glücks. Was größter Schmerz und un sägliches Leid nicht mehr vermochten, das bewirkte die Freude. DieZeitung hoch erhoben eilte sie durch den Flur in das Zimmer des Vaters, der die Hand unter das müde Haupt gestützt im Lehnsessel saß. Glückstrah lend überreichte sie ihm die Freudenbotschaft. Der Baron las und je länger er las, je mehr rich tete er sich empor, je Wet ter dehnte sich seine Brust, wie von einem Alp befreit atmete er aus. Er breitete die Arme gegen sein Kind aus, in die Alma schluch zend sank. „Nun ist Alles gut, Du gibst mir das Leben wieder, Alma, ich werde es Dir ge denken !" sagte er sichtlich ge rührt. Aber noch schwebte ein drohendes Gewitter über seinem Haupt, das ihn zu v-rnichten drohte, noch war es nicht vorüber. Schweigend saßen der Oberförster und seine Toch ter beim Abendessen, trüoe wie die Lampe ihr Licht ver breitete, war es auch in den Herzen der Beiden. „Wollte Gott, es wäre, wie mir der Arzt versicherte, als ich vor acht Tagen das letztemal nachforschte, und derMaun wird geheilt, dann muß doch endlich Licht in die Sache kommen, sie muß flog dieselbe auf und mit dem Rufe: „Vater, Schwester!" drückte Kurt die Beiden an sich. Es war ein rührendes Bild des Wieder sehens. Wortlos lagen sich die drei guten Menschen in den Armen, sich innig umschlungen haltend. Als der erste Sturm des Wiedersehens vorüber war, bestürmte Röschen den Bruder mit Fragen. „Laß es gut sein," antwortete Kurt, „ich bin ja frei, das ist das Beste und gib mir zuerst etwas zu essen." Mit fliegender Eile sorgte Röschen für ein Abendessen, indessen sich der alte Diener und die Magd herzudrängten und Kurt unter Thränen die Hand drückten. Kurt ließ sich das Mahl trefflich munden, überglücklich schauten ! ihm Vater und Schwester zu. An Kurt war die Zeit seiner Gefangenschaft fast spurlos vor übergezogen, er wußte sich ja unschuldig und hoffte er doch zu fest auf den end lichen Sieg der Unschuld. Darüber waren Vater