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70 4— „Wo sind Sie gewesen nnd warum ist noch nicht gedeckt?" herrschte ihn die Baronin an. „Ich war ein wenig im Park und habe frische Lust geschöpft I" antwortete der Bediente, ohne sich stören zu lassen. Diese Gleichgiltigkeit brachte die Baronin noch mehr auf und in drohendem Tone fuhr sie fort: „Ist das vielleicht eine Entschuldigung für Ihre unverantwortliche Pflichtversäumnis?" „Gnädige Frau, derartige Spaziergänge haben oft auch ihr Gutes, man bekommt da Dinge zu sehen, die —" antwortete er mit höhnischem Lächeln. „Schweigen Sie, Unverschämter," fuhr die Gräfin in höchstem Zorn aus, indem sie sich in drohender Haltung dem Sprechenden näherte, der sich aber keineswegs aus der Fassung bringen ließ. Jetzt trat Wintorf dazwischen. „Ereifere Dich nicht zu sehr, liebe Antonie," bat er seine Frau, und zu dem Bedienten gewendet, fuhr er fort: „Und Du, Jean, lasse Dir Deinen Gehalt ausbezahlen und bevor der Morgen wieder graut, verläffest Du mein Haus." Hatte der Baron auf seine Worte eine demütige oder niederge schlagene Haltung Jeans erwartet, so hatte er sich getäuscht. Der selbe verzog nämlich seinen Mund zu noch spöttischerem Lächeln und erwiderte: „Der gnädige Herr sollten dies doch nicht übereilen. Bei der jedenfalls in Bälde bevorstehenden Hochzeit des gnädigen Fräu leins wäre ein alter Bedienter, der im Hause Bescheid wüßte, doch von Nöten!" Sprachlos ob solcher Frechheit stand der Baron da. Seine Ge mahlin, die rm Begriff warsich zu entfernen, blieb, sich umwendend, stehen. „Unverschämter Bengel, was willst Du damit sagen? — Sprich oder ich schmettere Dick mit einem Schlage nieder!" — tobte der Baron, indem er den nicht aus der Fassung zu bringenden Jean am Arme faßte. „Nun, nun, nicht so heftig, Herr Baron, wenn sich zwei so lieb haben, wie ich es mit eigenen Augen gesehen habe, da wird wohl die Hochzeit nicht mehr lange auf sich warten laffen," antwortete er in spöttischem Tone. „Ueberlege Deine Worte, Mensch, Du sprichst von meiner Tochter; wehe Dir, wenn Du Unwahrheiten redest," rief der Baron in höchster Ausregung. „Fragt sie doch selbst, ob sie den jungen Mann, den ich gestern mit ihr im Walde gesehen habe, vielleicht nicht liebt, und daß sie ihn dann heiraten will, ist ein ganz natürlicher vernünftiger Gedanke, auch kann der junge gnädige Herr hierüber die beste Auskunft geben, er war ebenfalls zugegen und hat den Liebenden recht hübsch vor- gespielt!" „Nenne mir den Mann, den Du gesehen haben willst, oder bei meiner Ehre, es geht Dir nicht gut, wenn Du lügst I" stieß der Baron hervor. Sein Gesicht hatte sich mit der Röte des Zornes bedeckt, seine Augen blickten wild auf Jean. „Wenn mich meine Augen nicht im Stiche ließen, was ich kaum glaube, so war es — der Sohn des Oberförsters Gentner!" Bei den letzten Worten hatte Jean abwechselnd den Baron und seine Gattin mit triumphierender Miene angeschaut, und als kenne er zum Voraus die Wirkung seiner Worte, war er stolzen Schrittes im nächsten Augenblick durch die Thüre verschwunden. Wie von einem elektrischen Strom berührt, standen die Beiden bewegungslos im Speisesaal, als der Verräter verschwunden war. Der Baron erlangte zuerst wieder die Herrschaft über feine Sinne. „Er lügt, der Schuft," — stieß er hervor, indem er wie rasend im Zimmer auf und ab rannte. „Es kann ja nicht sein, meine Tochter wird mir das nicht anthun!" Bei der Nennung des Namens deS Oberförsters flog ein Schatten auch über das Gesicht der Baronin, auch sie stand wie angenagelt. Die gewandte Weltdame ließ jedoch ihrer Empörung nicht freien Lauf, sie wußte sich zu beherrschen. „Und warum soll der junge Mann nicht das Auge zu unserer Tochter erheben? Hat sein Vater nicht dasselbe schon einmal zu mir gethan?" wendete sie sich an ihren Gemahl. Ohne zu erröten, sprach sie diese Worte und war sie im stände, den Mann, den sie betrogen hatte, zu schmähen. „Ich will es ihm vertreiben, dem Burschen, niederschießen werde ich ihn. wo ich ihm begegne!" war die Antwort des Barons. „Aber auch sie soll es mir büßen, die Tochter, die meinen Namen trägt und die sich so weit vergessen konnte!" Hastig klingelte er. Unter der Thüre erschien das ewig lächelnde Gesicht Jeans. Als wäre nichts vorgefallen, fragte er in unbefan genem Tone: „Was befehlen der Herr Baron?" „Ich lasse meine Mnder bitten!" war die Antwort deS Letzteren. Ohne ein Wort zu reden, schritt der Baron in furchtbarer Auf regung im Speisesaal auf und ab, als sich die Thüre öffnete und Jean mit einer Verbeugung die Geschwister eintreten ließ. Auf dem lieblichen Gesicht Almas hatte sich tödliche Bläffe ge lagert. Sie hatte den schadenfrohen Blick deS Dieners wohl bemerkt, ihr ahnte, was kommen werde, die furchtbare Auflegung deS Vaters war ihr jetzt Gewißheit deS Verrats, den der Diener begangen hatte. Albert war anscheinend ruhig. „Wo seid Ihr gestern gewesen?" frug der Baron in aufge regtem Tone, als sich kaum die Thüre geschloffen hatte. — Von dieser Frage war Albert auch überrascht, auch er wußte jetzt, daß sie verraten waren, aber ruhig antwortete er: „Wir waren spazieren im Walde." „Und in wessen Gesellschaft wäret Ihr dort?" fragte der Baron weiter, seine Tochter mit einem vernichtenden Blicke anschauend. Die Beiden schwiegen. „Ich weiß Alles!" fuhr der Baron fort, seine Stimme so viel als möglich dämpfend, „weiß, daß Du ein Verhältnis mit dem Sohn des — des Oberförsters angeknüpft hast, wenn ich es nicht gewiß wüßte, so sagten es Eure bestürzten Gesichter. Daß Du, meine Tochter, Dich soweit vergessen konntest, und ein Liebesverhältnis mit einem bürgerlichen Menschen, der weit, weit unter Dir steht, an knüpfen konntest, das hätte ich nicht erwartet, und Du sollst mir da für büßen. Äon heute an verläffest Du das Schloß ohne meine Erlaubnis nicht mehr, auch auf keine Minute. „Und von Dir, ungeratener Sohn, der Du lieber den reisenden Musikanten Gesellschaft leisten würdest, der tagelang im Walde sitzt und lieber den Vögeln seine Weisen vorgeigt, als sich um sein väter liches Erbe bekümmert, von Dir freilich läßt sich nichts Besseres er warten. Dir sei gesagt, daß Deine Koufine, die gegenwärtig hier weilt, Dir zur Braut bestimmt ist und daß, um ähnlichen Verirrungen vorzubeugen, Du Dich innerhalb vierzehn Tagen auszusprechen hast, mit andern Worten, um ihre Hand bewirbst. Solltest Du Dich je doch weigern, diesen meinen Wunsch zu erfüllen, so sind wir für im mer geschieden!" Die Stimme des Barons hatte sich immer mehr erhoben und tönte laut mit einem Ausdruck unbeugsamer Entschlossen heit durch den Saal. Alma war womöglich noch blässer geworden und stützte sich aus einen Stuhl. In ihre schönen Augen traten Thränen. Mit einem Schlage alles vernichtet, jammerte es in ihrem In nern. Ihre seligste Hoffnung zerstört, ihr heiligstes süßes Geheim nis entweiht und in den Staub gezogen! — Am liebsten wäre sie auf der Stelle gestorben, sie hörte kaum noch was der Vater sprach. Die Züge Alberts zeigten eine Ruhe, die man nicht von ihm erwarten konnte. Keine Muskel seines Gesichts hatte sich bewegt. Als aber der Vater jetzt das Verlangen an ihn stellte, in solch kurzer Zeit sich mit einem Mädch-n zu verloben, daS er kaum kannte und das er seiner unweiblichen, immer zum Spott geneigten Lebens- und Handlungsweise nur verachten konnte, da bäumte sich aller Stolz, der tief in seinem Innern schlummerte, aus, seine Wangen übergoß eine heftige Röte und mit vor Auflegung zitternder Stimme sprach er: „Erspare Dir die Mühe, Vater! ich werde sie nie und nimmer heiraten!" Der Baron sprang von dem Stuhle auf, aus den er sich kaum gesetzt hatte und trat m drohendem Tone vor seinen Sohn hin. „Treibe mich nicht zum Aeußersten, ungeratener Sohn, und wider rufe Dein Wort, ich könnte sonst vergessen, daß Du mein Sohn bist!" „Ich bleibe bei meinem Wort, ich kann sie nicht zur Frau neh men, weil ich sie nicht liebe!" stieß jetzt Albert hervor. „So trage selbst die Folgen Deines Ungehorsams. Von heute an sage ich mich los von Dir, ich habe keinen Sohn mehr!" ries der Baron aus und sank erschöpft in einen Sessel. (Fortsetzung folgt.) Der Doppelgänger. Kriminalerzählung nach dem Französischen. Von E. Croll. (Schluß.) Rer Präsekt entsprach ihrem Verlangen. Das blutbefleckte Werk- zeug berührte sie nicht. „Haben Sie dieses Messer früher schon gesehen?" fragte er. Wiederum betrachtete sie es und zwar diesmal noch genauer. Dann fuhr sie erschreckt und schaudernd zurück mit dem Ausruf: „Mein Gott, mein Gott, es ist sein Messer!" „Wessen, wessen?" Der Bediente machte eine Bewegung nach der Thür zu, als ob er sich entfernen wollte. Ein Polizetbeamter trat ihm in den Weg. „Westen, wessen?" wiederholte der Präfekt. „Es ist das Stallmesser, welches ich oft in den Händen von Jaques Cherin, dem Kastellan des Schlosses Sonteau sah," erwiderte die Wirtin, ihre Augen immer noch auf den Bedienten gerichtet. „Aber Cherin war ja seit mehr als einem Monat nicht mehr hier," meinte der Wirt. „Und dennoch ist es Cherin's Messer. Die Anfangsbuchstaben seines Namens sind m den Griff geschnitten oder gekratzt — wischen Sie das Blut weg, dann werden Sie dieselben sehen — I. C. —" Der Präfekt folgte. Die Frau hatte Recht. Der Bediente, dessen Antlitz nun Leichenblässe bedeckte, sank in wildem Schrecken dem Präfekten zu Füßen und rief: „Retten Sie mich, Monsieur, ich konnte nichts dafür!" Nun leuchtete es in den Zügen der Frau auf. „Ah! Siehst Du, Mann, daß ich Recht hatte, als ich sagte, dieser