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die die Nersöh««! Roman von Chr. Kimmich. I. die die Sonne ihre Strahlen auf dichtbelaubten Zweige der mächtigen Eichen, hoch oben in der Luft ihre knorrigen Aeste zu einem schattenspendenden Dache vereinigten. Keiner von den matten Sonnenstrahlen war mehr im Stande, das Letztere zu durchdringen. Zwischen den kerzengerade in die Höhe strebenden mächtigen Stämmen, die in einiger Entfernung wie eine Riesenmauer anzu sehen waren, herrschte angenehmes, dem Auge wohlthuendes Dunkel. Weder niederes Gesträuch noch saftige Waldpflanzen bedeckten den Boden, nur eine dichte Schichte zartes weiches Moos bildete einen natürlichen Teppich, der zum Ausruhen wie geschaffen schien. Der stummen verlockenden Einladung mußte wohl der junge Mann gefolgt sein, der unter einem der umfangreichsten Stämme lag. Die Hände unter den lockigen Kopf gelegt, schaute er träume risch in die von schwachem Lufthauch leicht bewegten Zweige. Rechts von ihm lag ein blankgeputztes doppelläufiges Jagdgewehr, während links der kleine, mit einigen glänzenden Federn geschmückte Jägerhut seinen Platz gefunden hatte. Ein niedliches Eichhörnchen belustigte sich ganz in seiner Nähe mit bewundernswürdig weiten Sprüngen, die es von Ast zu Äst gewandt ausführte. Einmal mußte es seiner Fertigkeit doch zu viel zugetraut haben, es verfehlte den rettenden Ast und fiel von beträcht licher Höhe auf die Erde nieder. Die samtweiche Unterlage machte den Fall unschädlich; im nächsten Moment war das gewandte Tier chen auch schon wieder in den Zweigen. Durch das entstandene Ge räusch aus seinem Träumen autgeweckt, richtete der junge Mann den Oberkörper in die Höhe und schaute nach der Uhr. .Schon sechs Uhr!" — murmelte er verwundert vor sich hin, — „also hätte ich hier zwei Stunden in allerdings süßem Träumen gelegen! — Wie rasch doch dem Glücklichen die Zeit verfließt!" — fuhr er fort, — „und glücklich bin ich, ach so glücklich, wie nur ein Sterbender unter der Sonne sein kann! Äber nun fort zu ihr, zu dem besten aller Engel, die uns Gott in Gestalt holder Jungfrauen auf die Erde gesandt hat!" Er raffte seinen Hut vom Boden aus, setzte ihn keck aus das lockige Haupt und richtete sich vollends von der Erde auf. Den lockeren Riemen seiner Büchse um die linke Schulter hängend, schaute er, wie um die Richtung, die er einzuschlagen hatte, festzustellen, nach dem Stand der Sonne. „Ach was! — Wozu denn!" — sprach er jedoch sofort zu stch selbst, indem er rasch nach einer bestimmten Richtung schritt, „ich glaube, ich käme auch an den richtigen Ort und wenn ich die ent gegengesetzte Richtung cinschlüge; da wo das Herz feig ist, muß doch der Körper auch mit!" Es war eine stattliche, männliche Erscheinung, der junge Mann, als er fast unhörbar zwischen den Bäumen dahinschrttt. Er trug die kleidsame Tracht eines Jägers. Als Kopfbedeckung trug er den kleinen, mit schmaler, herabgezwängter Krempe versehe nen, schon erwähnten Hut. DaS frische, von jugendlicher Gesundheit zeugende Gesicht war von edlen Linien. Die Oberlippe bedeckte ein starker, blonder Schnurrbart; von etwas dunklerer Farbe waren die Haupthaare, die in natürlichen Locken daS Gesicht umrahmten. Die dunkelblauen, großen Augen blickten mit einem Gemisch von Lebensfreude und Treuherzigkeit, denen ein schwärmerischer Zug beigesellt war, in die Welt und wollten kaum zu der männlich käst tigen Gestalt paffen. Der Oberkörper war in eine enganschließende, graue, mit grü nen Ausschlägen verzierte Joppe gekleidet. Die Beine steckten in dunkelblauen, ebenfalls eng anschließenden Hosen, denen sich kräftige, und doch zierlich gearbeitete hohe Stiefel änschlossen. Die Größe des jungen Mannes ging etwas über die gewöhn liche hinaus und stellte im Verein mit dem kräftigen Körperbau eine ebenmäßige echt männliche Erscheinung dar. Eine Viertelstunde mochte er in dem lauschigen Dunkel gegangen sein, als es plötzlich Heller zu werden begann. Noch einige Schritte und vor ihm lag ein beinahe kreisrunder, mit saftigem Gras bewachse ner freier Platz. Er war nicht groß, der von den Bäumen freige- laffene Raum, in den die Letzteren ihre Aeste lüft- und lichtsuchend hineinstreckten und er mochte ungefähr hundert Schritte im Durch messer haben. Am Saum des angrenzenden Waldes hatte sich niederes, dichtes Gebüsch festgesetzt, das gleich einer Hecke den Platz umrahmte und das die Aussicht auf denselben erst nach Zerteilung der Zweige ge stattete. Fast geräuschlos bog der junge Mann die Zweige auseinander und schaute auf dem Platze umher. „Noch Niemand hier!" — sprach er halblaut vor sich hin. In Mitte des Platzes tummelten sich ahnungslos der ihnen nahen Ge fahr rwei Hasen, von Zeit zu Zeit an den saftigen Kräutern naschend. Auf das in den Zweigen verursachte leichte Geräusch spitzten sie forschend die Ohren, fuhren aber gleich wieder in ihrer Beschäf tigung fort. Langsam hob der junge Mann sein Gewehr an die Backe und zielte. Gleich darauf setzte er jedoch wieder ab, sein Gesicht belebte ein gutmütiges Lächeln und leise murmesten seine Lippen: „Nein, — ich will euch das Leben schenken, bin ich doch nicht bieher gekommen, um zu töten, sondern um Glück und höchste Seligkeit zu empfangen, aber ein gelinder Schreck kann euch nichts schaden." Schalkhaft lächelnd zog er das Zündhütchen von dem geladenen Lauf und setzte es auf den andern ungeladenen. Noch einmal hob er zielend die Büchse und drückte ab. Ein bei der rings herrschenden Ruhe ziemlich lauter Knall ertönte und die beiden Brüder Lampe sprangen in mächtigen Sätzen in den Wald. .Euer Leben war diesmal in meiner Hand und nicht mehr so fröhlich hüpftet ihr über Feld und Wald, hätte ich das Zündhütchen auf dem verderbenbringenden Lauf gelassen!" sprach er lächelnd vor sich hin. " Er trat jetzt vollends zwischen den Zweigen hervor und schaute sich noch einmal auf dem Platze um. Als er wieder Niemand bemerkte, schritt er auf einen in der Nähe liegenden gefällten Stamm zu und setzte sich, die Büchse zur Seite stellend, nieder. Unverwandten Blickes schauten seine Augen aus eine kleine Lich tung des Gebüsches ihm gegenüber. „Wie mir das Herz vor Erwartung so heftig pocht, so oft ich hier sitze und sie erwarte, sie, die meines Lebens leuchtender Stern ist, der mich führen wird durchs ganze Leben!" — sprach er in weichem Tone zu sich. Auf seinen bewegten Zügen spiegelte sich die Empfindung seines Innern deutlich wieder Seine Augen glänzten in sehnsüchtiger Erwartung der Geliebten. Von der Seite, nach der der Sitzende so emsig spähte, konnte man jetzt das Nahen leichter Schritte vernehmen, einige Minuten später zeigte sich in der Oeff- nung der Büsche die Gestalt eines jungen hübschen Mädchens. Spähend schaute sie sich auf dem Platze um, bis ihr Blick an der Stelle, wo der junge Mann saß, haften blieb. Ein freudiger Zug des Erkennens flog über das schöne Gesicht und von den Flügeln der Liebe getragen, flog sie mehr als sie ging über den Raum, der sie von dem jungen Manne trennte und der ihr entgegeneilte. Mit dem Ausruf „Kurt!" und „Alma!" lagen