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Die Meisten hätten mich an Deiner Stelle als einen Feind betrachtet!" Während unseres langen, ernsten Gespräches theilte ich ihm meine bevorstehende Reise zu Deinem Vater mit; er nahm den regsten Antheil und rief sofort mit Lebhaftigkeit: „Wir haben Beide die gleiche Frau geliebt, mit einer Innigkeit, welche über das Grab hinausreicht — wir werden Beide nie mehr lieben! Du hast Deinen Pflegesohn, ich meine Tochter Alice; verloben wir unsere Kinder; wir be festigen damit nur unsere Freundschaft — vereinigen aber auch unser Vermögen, welches dann für das junge Paar ein unermeßlich großer Besitz wird," Reginald, ich wußte, daß dergleichen von den beider seitigen Familien beschlossene Verbindungen täglich vor kommen; ich überlegte damals nicht, ob Du — ob Alice damit einverstanden sein würde — obwohl ich seither schon oft meine Bedenken gehabt hab« über die Klugheit unserer Handlungsweise. Doch — ich willigte ein — ich gab mein Ehrenwort — und bin gebunden. „Ralph," sprach mein Freund, „noch um etwas möchte ich Dich bitten, wenn auch mein Ansuchen Dir höchst son derbar erscheinen wird. Wir erleben vielleicht Beide noch die Erfüllung unseres Wunsches, sollte dies aber nicht der Fall sein, so bleibt eines der Kinder gänzlich verwaist. Sterbe ich, bevor Alice erwachsen ist, so bestimme ich Dich zum Vormund, stirbst Du, so übernehme ich Reginald; ich bestehe aber darauf, daß der Ueberlebende von uns dafür Sorge trage, daß die offizielle Verlobung der Beiden statt finde, sobald es das Alter der beiden jungen Leut« erlaubt, und zwar auf dem Friedhöfe, über Deinem oder meinem Grabe; die kirchliche Trauung soll dieser feierlichen Verlob ung sofort folgen. Stirbst Du zuerst, so verpflichte ich mich mit einem heiligen Eide, bei dem Andenken an unsere theuere Verblichene, dieses Gelöbniß zu erfüllen; sterbe ich, so ist es mein ausdrücklicher Wille, daß meine Tochter über meinem Grabe dem Manne meiner Wahl ihre Hand reiche." Es war ein wahnwitziges Verlangen, Reginald, und ich gestehe, daß mir die Idee vom ersten Moment an nicht zusagte, doch Lord Montague war so von Schmerz erfüllt über den Tod seiner Gattin, daß ich es nicht über das Herz bringen konnte, ihm seine Bitte abzuschlagen und das Ge löbniß leistete. Ich glaube, wir überlegten damals Beide nicht, daß es eine beispiellose Grausamkeit sei, Euch zu binden. Ich habe Lord Montague seit jenem Tage nicht mehr gesehen. Du weißt, daß ich ruhelos umherreiste, doch ich habe mein Wort gegeben, Reginald, und von Dir hängt es ab, ob ich als Meineidiger sterben soll oder nicht!" Der Kranke sank erschöpft auf sein Lager zurück, ver folgte aber jede Bewegung des Neffen mit ruhelosem Blick. „Onkel, ich will Dir keine Vorwürfe machen, doch es ist ein herzloses Verfahren, menschliche Wesen schon in der Wiege zu verloben!" rief Reginald entrüstet. „Wenn nun Dein Vater Dich mit einem Mädchen verlobt haben würde, das Du nie gesehen, nicht geliebt, von dessen Charakter Du absolut nichts gemußt, wenn er gefordert haben würde, daß Du sein Versprechen erfüllen solltest, sobald Du erwachsen, würdest Du Dich nicht aufgelehnt haben gegen dieses Gebot, mit der Liebe zu Lady Alicens Mutter im Herzen?" Graf Ralph Rutherford zuckte zusammen, als habe ihn ein tödtlicher Schlag getroffen, sein Antlitz verzerrte sich in namenlosem Schmerze; offenbar lebte die alte Liebe noch in seinem Herzen und die Wahrheit in den Worten seines Neffen hatten ihn schwer getroffen. „Ein Ehrenwort muß gehalten werden um jeden Preis! Wenn ich nur länge genug hätte leben können, um England noch zu erreichen, dann hättest Du die junge Dame gesehen und wenn Ihr Beide keine Neigung für einander empfun den haben würdet — dann hätten vielleicht Lord Montague und ich eine andere Vereinbarung treffen können. Doch es ist zu spät — zu spät! Ich kann mein Wort nicht brechen! Entweder Du heirathest Lady Alice Montague — oder mein Titel wie mein Vermögen fallen an den leichtsinnigen Sohn meiner Schwester — an Arthur Vincent. Du kennst ihn, wir trafen ihn in Baden-Baden und Du weißt, was er ist!" „Ja, Onkel!" „Du weißt auch, daß mir das Recht zusteht, meinen Erben zu wählen. Daß Lord Montague sein Wort zu halten gedenkt, kann ich Dir positiv versichern, denn ich er hielt vor Kurzem einen Brief von ihm, worin er mich fragt, ob es denn nicht an der Zeit sei, an die Erfüllung unseres Vertrages zu denken!" „Weshalb aber mir nicht Zeit lassen, Lady Alice kennen zu lernen? Vielleicht gelingt es mir, ihr zu gefallen, ich verspreche Dir, daß ich mein Möglichstes thun will." „Nein — nein — der Pakt muß dem Buchstaben nach erfüllt werden! Du bist achtundzwanzig, sie achtzehn Jahre alt; je schneller die Sache zum Abschluß kommt, desto besser! Gewinne ihre Liebe nach der Trauung. Reginald, sprich, wählst Du Reichthum, Ehre, Ansehen und ein schönes Weib und rettest dadurch meine Ehre? Es ist die letzte Bitte eines Sterbenden, ziehst Du Armuth all' diesem vor?" Eine lange Pause entstand. Die Sonne sandte ihre freundlichen Strahle» in das Sterbczimmer; dem jungen Manne aber, welcher bis jetzt das Leben nur von der Lichtseite gekannt hatte, erschien es mit einem Male, als wenn sein ganzes Dajein von düsteren Schattengebilden umnachtet sei. Er war erschreckt und ent rüstet zugleich über die Bekenntnisse, welche er hatte ver nehmen müssen; der Gedanke, sein junges Leben an eine Fremde binden zu müssen, war ihm qualvoll. „Reginald, entscheide Dich rasch," flüsterte der Kranke mit ersterbender Stimme; „die Minuten find gezählt." Tiefes Schweigen. Mit unerträglicher Schnelligkeit eilte der Zeiger der Uhr rastlos weiter. Endlich hob Reginald Rutherford das gesenkte Haupt, er strich das Haar von der Stirn und sprach mit fester Stimme: „Onkel — Dein Titel, Deine Reichthümer, sie sind nicht zu unterschützen — ich weiß es — doch sie allein würden mich nicht bestimmen, Deinem Wunsche zu willfahren; im Vergleiche zu dem Glück einer Menschenseele fallen sie nicht in die Waagschale; weil Du aber behauptest, Deine Ehre sei mit der Erfüllung Deines Wunsches verwoben, weil es Deine letzte Bitte ist — weil Du glaubst, Lord Montague fordere die Erfüllung Deines Schwures, so willige ich ein — unter einer Bedingung!" „Und die ist?" „Daß Lady Alice keine Einsprache erhebe!" „Sie wird es nicht wagen!" flüsterte der Sterbende. „Jedenfalls werde ich darauf bestehen, ihre Willens meinung zu erfahren. Wenn Ihr Herz nicht mehr frei — wenn diese Verbindung ihr Lebensglück untergräbt, dann willige ich niemals ein! Lieber will ich jedes Opfer bringen, als das Dasein eines jungen, unschuldsvollen Wesens zer stören. Onkel Ralph — ich weiß, daß Du mir mit treuer Liebe die Eltern ersetzt hast, daß ich Alles, was ich bin und jemals werde, Dir allein zu danken habe — ich liebe Dich inniger, als ich es Dir jemals zu beweisen im Stande war — und um dieser Liebe willen gebe ich Dir mein