Volltext Seite (XML)
Sonntagsblatt zum Pulsnitzer, Königsbrücker rc. Amts- und Wochenblatt. Sonntag, 16. Ootodvr 1881. Aas Hrafenhaus von Jalconöerg. Roman aus dem Englischen von L. Schwarz. Einleitung. Wie einsam liegt das Grafenhaus von Falconberg! Kaum kann man es sich erklären, weßhalb ein Haus von solchem Umfange und so fester Bauart in einer so gänz lichen Abgeschiedenheit erbaut worden ist. Das kleine, nach dem Herrenhaus genannte Dörfchen liegt ungefähr zwei Stunden von demselben entfernt an einem nicht unbedeuten den Flusse; die unscheinbare, graue Kirche und die wenigen ärmlichen Hütten sind dicht zusammengedrängt und so nahe an den Rand des Wassers gebaut, daß Kirche, Häuser und die alterthümlichen Grabsteine des Begräbnißplatzes sich in den klaren Fluthen wiederspiegeln. Den Hintergrund der Landschaft bilden bewaldete Hügelreihen. Die meisten Bewohner des Dörfchens sind Fischer, die ein zwar ärmliches, doch verhältnißmäßig sorgenloses und zufriedenes Dasein fristen; denn die Fische dieses Flusses werden sehr gesucht und finden daher stromauf- und abwärts in den Städten stets einen schnellen Absatz. Ein schmaler Weg führte mich von dem Dorfe zu den im Hintergründe liegenden Hügeln hinauf bis dorthin, wo eine enge Schlucht dieselben durchschneidet. Ich verfolgte diesen Weg etwa eine halbe Stunde lang dicht an der Schlucht vorbei durch Gestrüpp und Gebüsch hindurch; bald senkte er sich, bald stieg er wieder höher; aber weder zur Rechten noch zur Linken zweigte sich ein Seitenpfad ab Der Wanderer, welcher zur Nachtzeit seinen einsamen Weg sucht, hört hier den scharfen, schauerlichen Ruf der Eulen, die auf den Baumwipfeln oder in den Felshöhlungen ihren Wohnsitz haben. Nach einer halben Stunde mündete die Schlucht auf einer Höhe, der Weg wurde eben und breiter. Kahle, un ansehnliche Tannen faßten ihn ein und zu beiden Seiten erblickte ich ein weitausgedehntes und unfruchtbares Hoch land, welches allem Anscheine nach eine Zeit lang bebaut worden ist und dadurch all' den Reiz der Wildniß ver loren hat. Ich gelangte an ein Thor, an welchem der Weg sich in zwei Pfade theilte, die zur Rechten und zur Linken weiterführten, der erstere über offenes Land und durch einen Wald hindurch bis zu dem Dorfe Chine-dandon, welches von dem Grasenhause von Falconberg einige Stunden ent fernt liegt. Ich wählte den nach links führenden Pfad, welcher mich bald zu einem unschönen, eingefriedigten und mit Steinen bedeckten, freien Platz brachte. Es waren Backsteine und man konnte leicht erkennen, daß hier einst eine Art Wohnung, vielleicht ein kleines Landhaus gestan den hat. Neben den Steinen lag ein eisernes Thor zwischen zwei zerbrochenen, niedergestürzten Säulen; ich kletterte über dieses Hinderniß hinweg und kam nun auf einen Weg, der dicht mit Gras bewachsen und nur durch tiefe Geleise an gedeutet war. Er führte rund um eine Seite des Hügels in ein Thal oder bester gesagt, ein grünes, tiefes Becken hinunter, welches einst das Bett eines Weihers gewesen sein mochte und auf allen Seiten von waldbekränzten Höhen eingeschlosten wird. Ein Bach rauschte durch dasselbe; Hasel nußbüsche, Erlen und Brombecrgcsträuche hingen über dem Master und Weißbart, die wolligen Saamenbüschel der Clematis hatte dieses grüne Dickicht wie mit einem silbergrauen Schimmer überkleidet. Mein Weg hielt sich eine Zeit lang dicht an dem Waldbache und mußte, wie ich glaubte, an das Ende des Thales führen; bald jedoch ließ er den Bach und das Thal zur Linken und führte, langsam höhersteigend, in einen Wald und durch diesen hindurch wieder vor ein altes Thor, ganz ähnlich demjenigen, an welchem ich vor einer halben Stunde vorbeigekommen war. Von hier aus stieg ich bergan ,u einem Engpässe, welcher durch ein Dickicht immergrüner Gebüsche, hauptsächlich Cypresten, irische und englische Eichen bäume und dunkelblättrige Lorbeersträuche fast ganz zuge- wachscn war. Dicht vor dem Ende dieses Engpasses sand ich wieder ein Thor; ich trat hindurch und in eine dunkle Fichtenallee; der breite Weg schien einst wohlgepflegt und ein ausgezeichneter Fahrweg gewesen zu sein. Die Luft war hier freier, frischer und trockener, durch die Zweige der Fichten schimmerte das allmälig verblassende Abendroth, welches die Spitzen des waldbedeckten Hügelkammes zur Linken in ein goldiges Licht tauchte. Dann kam eine Wendung der langen Allee und wieder ein Thor; ich lehnte mich über dasselbe und — vor mir lag das Grafenhaus von Falconberg. Seine Fenster, die nach Südwesten gingen, schimmerten im Glanze der letzten Abendstrahlen; aber nicht nur die Fenster, sondern die ganze Vorderseite des Hauses war von einem bleichem Silberschimmer übergossen, denn ähnlich wie das Glas der Fenster, so brachten auch die spiegelglatten, bleifarbenen Steine, aus denen das schloßartige Gebäude erbaut war, eine reflektirende Wirkung hervor. Als er an jenem Abend, von Silberglanz umflossen, fast geisterhaft auf mich niederstrahlte, stellte meine Ein bildungskraft sich vor, daß dieses Haus einem jener Zauber schlösser gleiche, die plötzlich von der Stelle verschwinden oder sich vor unsern Blicken in Dust und Nebel auflösen. Wenigstens schien solch' ein Schicksal diesem Geisterschlofse ähnlicher zu sehen, als ein von Jahr zu Jahr fortschreiten der, langsamer Verfall, der es schließlich in eine alte, moosbewachsene Ruine verwandelt hätte. Ich trat durch das Thor, näherte mich dem Hause und stieg die Stufen zu der Vorhalle hinan; vergeblich versuchte ich, die schwere, eichene Thür zu öffnen. Ich setzte mich daher auf eine draußenstehende, eichene Bank und war bald in Betrachtungen und Erinnerungen versunken. Eine weite Aussicht eröffnete sich von diesem Vor raume aus über die dunkler werdenden Thäler und Höhen. Kein Zeichen eines lebenden Wesens war hier zu hören, weder der Schrei eines Vogels, noch das Gebell eines Hundes ließen sich vernehmen. Nur, als es Nacht wurde, — denn ich saß noch da, nachdem die Dunkelheit herein gebrochen war, — vernahm ich Laute und Geräusch im Innern des Hauses. War es das Auftreten menschlicher Schritte? War es ein Schrei, ein unheimlicher Schrei aus einer menschlichen Brust?