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war in diese Stellung immer noch nicht definitiv eingetreten, weil er noch unter dem Eindrücke einer erst vor kurzem überstandenen schweren Krankheit zu leiden hatte. Drenker sah seinen Miether nur selten und nur bei seinem Einzuge hatte er einige Worte mit diesem gewechselt, weil er ge flissentlich jede Annäherung seiner Nachbarn zu vermeiden schien. Der geneigte Leser wird bereits ahnen, wer derjenige ist, welcher sich bei Drenker eingemiethet hatte. Es war Walther, der, als er nach Breslau gekommen, sich nach einer paffenden Wohnung umgesehen und ganz zufällig in das Haus Drenkers gerathen war. Walther ahnte nicht im Mindesten, in welchen Bezieh ungen sein Vermiether zu Wernheim gestanden und noch stand, hätte dieser den Namen Löhr geführt, so würde er vielleicht eher daran gedacht und es vermieden haben, dort hinzuziehen. Dagegen wußte Drenker sehr genau, wer sein Miether war, da ihm derselbe behufs Anmeldung bei der Polizei hatte Namen und Geburtsort angeben müssen. Drenker hatte auch zu öfteren Malen versucht, ein Gespräch mit seinem Miether anzuknüpfen, dem Walther jedoch stets he roisch auszuweichen wußte. Er war nach den ihm widerfahrenen Enttäuschungen fast menschenscheu geworden und sprach mit seiner nächsten Umgebung nur das Allernothwendigste. Fast an jedem Tag, wenn er von seinem Bureau zurückkehrte, verschloß er sich fast ängstlich hinter seinen Büchern und den Zeitungen, welche ihm gebracht waren und erst dann kam wieder etwas Leben in ihm, als er eines Tages, vertieft im Lesen der „Breslauer Morgenzeitung," mit großen Lettern den Ver kauf des Wernheim'schen Gutes angekündigt fand. Er sprang wie elektrisirt auf und schnell war der Entschluß in ihm gereift, dieses Gut an sich zu bringen. Er that es gewisser maßen aus Trotz gegen Wernheim, der ihn so zu sagen von dort vertrieben hatte und bald darauf war er zu einem Notar geeilt, der für ihn die Sache regeln mußte. Auch Drenker wußte von dem Eutsverkauf, denn Lina hatte ihm Alles geschrieben, auch die sonstigen Vorfälle, die sich dort abgespielt, hatte er aus den Briefen seiner Tochter erfahren. Daß Walther so reich war, dieses Gut selbst kaufen zu können, ahnte Drenker nicht. Und als letzterer eben, wie wir zu Anfang dieses Ab schnittes gehört haben, vor die Thür seines Geschäfts getreten war, kehrte Walther gerade von einem Ausgang zurück. Walther schien heute in einer etwas freudig erregten Stimmung zu sein, denn die bisher bleiche Farbe seiner Wangen hatte sich in ein leichtes Roth verwandelt und er schien sogar aufgelegter und gesprächiger als je, denn als er Drenkers ansichtig wurde, trat er gleich zu diesem heran und sagte: „Ich wollte eben zu Ihnen kommen, Herr Drenker, um den Miethzins für das laufende Vierteljahr zu entrichten!" „Damit hat es keine Eile, Herr Brandt," entgegnete Drenker. „O doch, denn ich beabsichtige, schon übermorgen abzu reisen und mindestens vierzehn Tage fern zu bleiben; und damit Sie mein Logis nicht einem anderen vermiethen, will ich die Angelegenheit gern vorher regeln." „Das hatten Sie nicht zu befürchten, ich hege kein Mißtrauen gegen Sie; aber darf man den Grund dieser Reise nicht erfahren?" Mein Anwalt hatte vor etwa 14 Tagen das Gut, welches in meiner Heimath dem Verkauf ausgesetzt war, für mich angekauft, und heute ist der Besitztitel auf mich über tragen worden." Und mit einem gewissen Gefühl der Ge- nugthuung fügte er hinzu: „Hätte der Verkäufer geahnt, wer der eigentliche Käufer des Gutes ist, er hätte mir ge wiß den Zuschlag nicht ertheilt" Warum nicht? Kann es ihm nicht gleich sein, wer das Gut zahlt?" Man sollte meinen, daß es ihm gleichgültig sein könne, aber ich zweifle daran. Jedoch ist dies eine Angelegenheit persönlicher Art, über die zu schweigen Sie mir gütigst ge statten wollen. Ich kann Ihnen nur soviel mittheilen, daß, da ich auf dem Gute erzogen wurde und mich viele theure Erinnerungen an den Ort fesseln, ich dasselbe nicht gern in den Händen fremder Leute gesehen hätte. Zum dauern den Aufenthalt werde ich jedoch den Ort nicht wählen, da ich meine Stellung nicht aufzugeben gedenke; ich beabsichtige vielmehr, einen Verwalter zu bestellen und meine Ferienzeit dort zuzubringen. Doch wollen Sie die Güte haben, und den Miethbetrag entgegennehmen?" Drenker nöthigte Walther zum Eintritt in den Laden um über den Empfang des Geldes quittiren zu können. Darauf fragte er: „Also übermorgen werden Sie reisen? Haben Sie sonst keine Aufträge für mich, die sich aus Ihre Abwesenheit beziehen? Wenn ich Ihnen gefällig sein kann?" „Ich danke für Ihr freundliches Entgegenkommen, je doch wüßte ich nicht, was sich während meiner Abwesenheit ereignen sollte, das für mich Interesse haben könnte, da ich keinerlei Verbindungen habe." Als sich Walther nach einigen Höflichkeitsformeln ent fernt hatte, murmelte Drenker: „Der Thor! Wenn er wüßte, daß er sein ihm rechtmäßig gehörendes Eigenthum gekauft hat! Doch woher mag er das Geld zum Ankauf des Gutes genommen haben? Sollte der alte Brandt so reich gewesen sein, daß er seinem Adoptivsohn ein solches Vermögen hinterlassen konnte?" In seinem Selbstgespräch wurde Drenker gestört durch den Eintritt des Postboten, der ihm neben anderen geschäft lichen Korrespondenzen einen sehr umfangreichen Brief mit dem Poststempel „Travemünde" überbrachte. Drenker betrachtete den Brief fast mißtrauisch, dieser war ihm gegen die sonst erhaltenen Mittheilungen zu um fangreich uno neugierig, den Inhalt kennen zu lernen, ent faltete er zuerst dieses Schreiben Gleich beim Oeffnen fiel ihm ein einzelnes Blatt in die Hände, welches wie folgt beschrieben war: „Herr Drenker! Im Namen Ihrer Tochter thcile ich Ihnen ergebenst mit, daß wir, d. h. Ihre Tochter und ich, sowie unser Kind die Reise in ein anderes Land angetreten haben. Wir waren dabei so frei, das von Herrn Wernheim vor 25 Jahren erschlichene Gut, wozu sie und der verstorbene Brandt Bei hilfe geleistet, mitzunehmen, und da Ihnen dadurch eine arge Täuschung erwachsen sein mag, insofern Sie mit Be stimmtheit auf die Verheirathung Ihrer Tochter mit Herrn Wernheim gerechnet haben mögen, so übersenden wir Ihnen als Ersatz ein Nachlaßschreiben des verstorbenen Brandt an seinen Sohn, welches Letzterer vielleicht nicht einmal ge lesen hat. Es enthält die Enthüllungen über das, was sich vor 25 Jahren zugetragen und wenn es auch gerade kein Geld ist, was wir Ihnen übersenden, so bietet es Ihnen doch die Bürgschaft, daß, da Sie es jetzt in Händen haben, das Dokument nicht mehr zum Zweck einer gerichtlichen Ver folgung gegen Sie verwendet werden kann. Herrn Wern heim, der höchstwahrscheinlich Nachforschungen nach uns bei Ihnen anstellen wird, können Sie diesen Brief zu lesen geben, damit er weiß, woran er ist. Meinhardt."