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In den letzten Monaten war dieses glänzende Herren haus vereinsamt gewesen. Mary, die Frau des Bankiers, hatte in dieser Zeit die längere Reise nach Europa unter nommen. Auch Tanner selbst hatte sich während mehrerer Monate wenig in seinem Hause aufgehalten. Wichtige Finanzoperationen hatten ihn wiederholt nach New-Jork geführt. Auch hatte er sonst noch Reisen nach seinen aus gedehnten Plantagen und Besitzungen gemacht. Seit einigen Tagen jedoch hatte sich das alte Leben und Treiben wieder in den luxuriös ausgestatteten Räumen des Tanner'schen Palastes entfaltet. Vor einem Monat war der Bankier nach Louisville zurückgekehrt und bald darauf auch Frau Tanner von ihrer Erholungsreise wieder in die früher von ihr innegehabten Räume eingezogen. In ihrer Begleitung befand sich Minnie. Als das junge Mädchen sich in der deutschen Residenz der reichen Dame als Gesellschafterin anschloß, bewog sie vor Allem der Umstand dazu, daß sie einen großen Theil der Welt durchreisen und sogar den Ozean durchschiffen sollte. Viel leicht gelang es ihr auf diese Weise, Robert wieder zu be gegnen; ein gütiges Geschick konnte ihn ihr in den Weg führen und vielleicht dann ja noch Alles gut werden. Die selbstlose Liebe, welche sie für ihn hegte, hatte sie längst erkennen lassen, daß seine geheime Flucht einzig der schönen Zirkuskönigin galt, deren Spur zu verfolgen, ihn vielleicht seine wahnsinnige Leidenschaft geheißen hatte. Sie hoffte ahnungsvoll, ihn in Amerika zu begegnen; auch die Zirkus königin konnte der Zufall ihr in den Weg führen. Und Minnie sehnte nichts mehr herbei, als ein Zusammentreffen mit der stolzen Thierbändigerin, die ihr das Herz des Mannes abspenstig gemacht hatte, den sie über Alles liebte. Offen wollte sie Nella entgegentreten und sie fragen, ob sie Robert's Liebe erwidere oder ob er nichts zu hoffen habe. Mit der Stellung, welche Minnie im Hause des Bankiers einnahm, konnte das junge Mädchen zufrieden sein. Frau Tanner war freilich eine kränkliche, launenhafte Dame. Aber Minnie gelang es bald, die Gunst derselben zu erwerben. Sie kam ihren Wünschen willig entgegen, bevor sie noch ausgesprochen waren, so daß Mary in kurzer Zeit eine herzliche Zuneigung zu Minnie gewann. Bei dem Eintritte in das Haus zu Louisville änderte sich dieses Ver- hältniß in etwas. Mary war eine reiche und elegante Weltdame; sie gab häufig Feste oder besuchte solche trotz ihrer Kränklichkeit. Da Frau Tanner außerdem auch häufig Besuche der reichen Damen bei sich im Palais erhielt und erwiderte, so war es natürlich, daß Minnie nicht mehr so oft mit ihrer Gebieterin verkehren konnte als auf der Reise, wo Mary ganz auf dieGesellschaft des jungen Mädchens angewiesen war. Dadurch kam es allerdings, daß sie demselben etwas entfremdet wurde; immer jedoch begegnete sie Minnie mit Güte und Zuneigung, wenn sie auch zuweilen nicht unter ließ, die reiche Herrin dem armen Mädchen gegenüber geltend zu machen. Aber ein anderes Ungewitter zog sich über dem Haupte Minnie'S zusammen, welche nicht ahnte, was sie bedrohte. Der Bankier Tanner hatte seine Frau lediglich ihrer großen Reichthümer und des Einflusses halber, den ihre hochgestellten Verwandten besaßen, geheirathet. Es war na türlich, daß die kränkliche, launenhafte Frau den noch in der Blüthe seiner Jahre stehenden Mann nicht zu sefseln vermochte und es ist daher sehr erklärlich, daß zwischen Beiocn kein herzliches Verhältnis; bestand. Aber Mary, die es bitter empfand, daß ihr Gatte sie vernachlässigte, war eifersüchtig und sie hatte wohl Grund, es zu sein, wenn die Gerüchte, welche über Tanner's galante Abenteuer im Umlauf waren, auf Wahrheit beruhten. Minnie hatte von alledem natürlich keine Ahnung und so bemerkte sie auch nicht, wie die Blicke des Bankiers, so bald er sie nur sah, mit begehrendem Verlangen auf ihr ruhten. Gegen seine Frau aber war er nachsichtiger als je. Ja, als Mary ihn bald nach ihrer Ankunft befragt hatte, wie ihm ihre Gesellschafterin gefiele, hatte er wie theilnahmlos die Achseln gezuckt und einige gleichgültige Worte über dieselbe geäußert. So konnte Mary keinen Argwohn hegen. Aber etwas Anderes entging der scharf blickenden Frau doch nicht. Häufiger als sonst verweilte Bankier Tanner jetzt in seinem Hause und zwar mit Vorliebe dann, wenn seine Frau sich irgendwo zum Besuch befand. In solchen Stunden pflegte er gern mit Minnie im Salon zu verkehren und mit ihr eine Unterhaltung anzuknüpfen. Diese hatte anfangs keine Ahnung von seinen eigent lichen Absichten, allein einzelne Blicke, die sie zufällig auf fing, riefen eine peinliche Unruhe in ihr wach, über welche sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte. Bald jedoch sollte sie furchtbar aus ihrer Sorglosigkeit aufgeschreckt werden. — Es war an einem jener wunderbar schönen Abende, wie sie in Louisville häufig sind, an demselben Abend, an welchem sich das Drama auf dem Ned River abspielte. Frau Tanner hatte bei Sonnenuntergang das Haus verlassen, um sich in eine elegante Soirße zu begeben. Tanner hatte sie zu derselben begleiten sollen, aber heftiges Unwohlsein vorgeschützt und war deßhalb zu Hause geblieben. Er bat seine Frau, sich seinetwegen nicht in ihrem Vergnügen stören zu lassen und die Soiree schon deßhalb zu besuchen, um in der Gesellschaft den neuen Schmuck zu tragen, welchen er ihr aus Paris hatte kommen lassen. Und so geschah es denn auch. Minnie hatte ihrer Gebieterin bei'm Ankleiden geholfen und sich sodann, nach der Entfernung derselben, in ihr trauliches Zimmer zurückgezogen. Dasselbe war am Ende einer langen Gallerie belegen und die Fenster ließen in den Garten Hinausblicken, in welchen man gelangte, wenn man die Wendeltreppe benutzte, zu welcher eine Glasthür aus dem Zimmer führte. Seitdem Minnie jedoch das Zimmer bewohnte, war die Thür verschlossen geblieben. Das Zimmer selbst war einfach eingerichtet. Die eine ^Wand schmückte ein großes Oelbild, das, in einem dunklen Nahmen, den gefeierten Befreier Amerikas, Washington, in Lebensgröße darstellte. Als Minnie an diesem Abend ihr Zimmer erreichte, trat sie an das geöffnete Fenster und ließ ihren Blick über den Garten schweifen, der in abendlicher Dämmerung dalag. Große, farbenprächtige Dolden hauchten ihren würzigen Duft aus, die Vögel des Südens wiegten sich auf den Zweigen und stimmten ihr Abendlied an, unten am Weiher, dessen Fluthen Wasservögel durchzogen, ragten die dunklen, hohen Cypressen hervor und begrenzten die Aussicht. Lange stand Minnie sinnend am Fenster; sie dachte an ihre Heimath, an ihre Mutter, von der sie so weit entfernt war, die sie vielleicht nie wiedersehen sollte und tiefe Schwer mut!) überschattete ihre reine, klare Stirn. Von ihrer Mutter schweiften ihre Gedanken wie immer zu Robert. Wie sollte es auch anders sein? Sie mußte unaufhörlich an ihn denken, jeder Augenblick