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Die Tante zuckte abermals sprachlos. Das Blut stieg ihr zusehends in die Stirn. Da drang ein viertes Klopfen vom Corridor zu Stetten's Ohren. „Wer ist da?" rief er. „Wir müssen fort!" Mit drei Schritten war er an der Thür und öffnete selbst. Ein jugendfrisches Mädchengesicht schaute ihn mit frohsinnigen Augen an, und aus dem kleinen, spitzen Munde klang es im Tone der Frage: „Sie sind Bri gittens Großneffe, mein Herr?" „Frau Brigitte hat mich dafür anerkannt," erwiderte er artig, indem er zurücktrat und das Mädchen durch eine Handbewegung einlud, ihm zu folgen. „Auch Sie noch Caton?" entfuhr es den Lippen der gar nicht freudig überraschten Brigitte. „Ja, was wollen denn Sie? Ich bin ja hier?" gab Corbeau dazu. „Eben weil Sie hier sind, komme ich nach!" erklärte das Mädchen und drehte sich seitwärts zu dem ver meintlichen Großneffen: „Ich sehe schon ich muß mich selber vorstellen; ich bin Fräulein Victorine d'Ampierrcs Milchschwester." Stetten war nahe daran, „das weiß ich" zu >agen, er unterdrückte die Lust jedoch und stattete nur eine stumme Reverenz ab, woraus die Milchschwester den Fluß ihrer Rede weiterrinnen ließ: „Wie Sie ge hört haben, heiß ich Caton, mein voller Name ist Caton Laval, aber für unser Haus bin ich nur Caton, und Sie werden mich verbinden, mein Herr, wenn auch Sie mich nicht Mademoiselle Laval, sondern einfach Caton rufen. Fräulein Victorine hat Ihnen unsern lieben, alten Corbeau geschickt —" „Daruin frage ich," schnitt ihr der Haushofmeister den Rest ab, „was Sw noch wollen?" Caton richtete ihre Antwort weniger an den Greis, als an den Repräsentanten männlicher Jugend: „Wir waren nicht ganz sicher, ob Corbeau die Bestellung ge hörig ausrichlen würde." „He? Was? Ich nicht ausrichten?" Der beleidigte Sendbote suchte sich in die Brust zu werfen, so gut es bei seiner Gebücktheit ging. „Er ist ein seelenguter Mann," lautete Caton's nähere Explikation, „und wir halten große Stücke auf ihn, aber seinem Gedüchtniß ist nicht mehr recht zu trauen, er verwechselt die Dinge häufig, sagt etwas Anders, als er sagen will — Gott, es wird uns ebenso gehen, wenn wir alt werden!" Stetten fühlte die Verpflichtung sich des Beschul digten anzunehmen, und that es: „Ich kann dem Wackern alten Herrn das Zeugniß ausstellen, daß er mich in der klarsten Form von der großen Güte des Fräuleins in Kenntniß gesetzt." „Da hören Sie's!" rief Corbeau befriedigt dem Mädchen zu und fuhr gegen Stetten fort: „Ich bin überzeugt, unser Fräulein hat mit keinem Gedanken an me.mm Gedächtniß gezweifelt. Wenn Jemand es thun konnte, war es nur unser Wildfang Caton, der zuweilen vergißt, daß die Jugend Leuten von gereifteren Jahren Respekt schuldig ist. Im klebrigen ist das Mädchen zu loben, und den besagten Fehler wird ihr hoffentlich ihr Bräutigam, Herr Barillot, in der Ehe abgewöhnen." „Ah, Sie sind Braut?" sagte Stetten freundlich. „Nehmen Sie meinen Glückwunsch!" „Ich danke, mein Herr!" kmxte Caton verbindlich. „Ich stehe auf Kohlen!" hob jetzt plötzlich Brigitte an, dw ihre stumme Rolle nicht länger ertrug. „Ei, so kommen Sie, das Fräulein wartet!" rief Caton mißverstehend. „Nicht doch, Canton, nicht doch!" verbesserte die Haushälterin. „Es widerstrebt meinem innersten Gefühl, Obdach für meinen Verwandten von unseren! Fräulein anzunehmen." „Ich aber," knüpfte Stetten schleunig an, „wäre der ungezogenste Mensch unter der Sonne, wenn ich nicht wenigstens dem Fräulein persönlich meinen Dank sür soviel Freundlichkeit zu Füßen legte. Den Wünschen meiner sieben Tante hoffe ich dadurch gerecht zu werden, daß ich nachher in's Hotel zurückkehre!" „Sie hatten ja," bemerkte Corbeau, „vorhin schon zugesagt, bei uns zu wohnen?" „Da ich deutlich sehe, wie unangenehm dies der Tante wäre, verzichte ich darauf und werde vor dem Fräulein meine Weigerung begründen." „Seien Sie nur erst bei uns!" lächelte Caton. „Daß Sie nicht wieder sortkommen, dafür bürge ich." lind Mit zierlicher Wendung auf ihren hohen Stiefelchen näherte sie sich her Trägerin des verschobenen Huts: „Wissen Sie, liebste Brigitte, daß Sie Ihr Zartgefühl übertreiben? Sie werden Victorinen verstimmen, denn sie freut sich ungeheuchelt, Ihnen durch die Aufnahme Ihres Herrn Großneffen etwas Liebes zu erweisen. Bedenken Sie einmal, was ich Alles ohne Erröthen seit Kindesbeinen von ihr angenommen! Wenn ich mich nun weiger wollte, sie für mcme Ausstattung sorgen zu lassen? Mir sällt's nicht ein, nachzurechnen, wietnel eine Hausstands - Einrichtung lostet. Und Sie sperren sich gegen die Uebersiedelung des Herrn, da Victorine Ihnen doch nur den Verkehr mit chm erleichtern will! Werden Sie glauben," redete sie schnell wieder den Gast an, „daß Brigitte durch Ihr Billet in eine Verwirr ung gerathen, die uns Alle im Unklaren gelassen, ob Sie väterlicher oder mütterlicher Seits mit ihr verwandt find?" „Wir tragen denselben Familiennamen," versetzte Stetten, dadurch zugleich geschickt ausweichend. „Also Herr Roselivre?" „Zu dienen: Eugen Roselivre!" „Und Ihr Stand?" „Ingenieur." „Sie haben ohne Frage den Krieg mitgemacht? Doch Verzeihung, ich breche mein Wort: Victorine und ich sind übereingekommen, des häßlichen Kriegs nie mehr mit einein Hauch zu gedenken. Bitte, Herr Roselisre, lassen Sie uns gehen!" „Mit Vergnügen!" sprach Stetten überzeugungsvoll. „Tante Brigitte, Herr Corbeau, ist's gefällig?" „Nun, wie Gott will!" stöhnte die gute, alle Frau, sich schweren Herzens in das Unvermeidliche ergebend. Um so heitrer war dem Ingenieur, Herrn Eugen Ro selivre aus Marseille, zu Sinn. * -P 2. „Während die kleine Gesellschaft ihre Wanderung executirte, empfing die ihrer harrende Victorine einen Besuch, auf den sie nicht vorbereitet war. „Herr Ba rillot, wo kommen Sie her? Wir glauben Sie noch Gott weiß wo im Departement revidirend, und Sie sind schon zurück?"» ' , Der junge Mann küßte dem Fräulein die Hand: „Zu Befehl! Ich wußte, daß ich nur bis heut mit dem Präfecten ausbleiben würde, doch ließ ich den Termin unbestimmt» um meine kleine Caton zu überraschen." „So scheint heut ein Tag der Ueberraschung sür uns zu sein," entgegnete Victorine; „denn auch Brigitte hat schon eine gehabt: ein obscurer Neffe von ihr ist plötzlich in Dijon aufgetaucht, Caton ist soeben bei ihr im Bahnhofshotel, um den jungen Diann herzuholen." „Im Bahnhofshotel?" wiederholte der Hörer fragend. „Wollen Sie ihr nach? Bleiben Sie, Herr Barillot, Caton kann jede Secunde wieder dasein!" „Gewiß bleibe ich, wenn Sie es gestatten, Fräulein! Ihre Erwähnung des Bahnhofshotels interessirte mich nur, weil dort auch Jemand ein Zimmer bezogen, auf den ich ein Auge habe." „Wie das?" „Ich ward seiner bei Tagesanbruch aus einer kleinen Station gewahr. Er war mit unserm Nachtzuge ge fahren. Ich machte den Präfecten sofort aufmerksam, und jetzt sind bereits Maßregeln getroffen, die Schritte des Menschen in unsrer Stadt zu beobachten." „Eine gefährliche Person?" forschte das Fräulein. „Mindestens keine gleichgültige; denn obgleich er in Civil reist, ist der Soldat unverkennbar, und ich mühte mich unerhört täuschen, wenn es nicht derselbe deutsche Offizier wäre, der eine Zeit lang unter diesem Ihrem Dach, mein Fräulein, gehaust, während Sie sich mit Caton und Corbeau in Limoges befanden." „Ach, Sie scherzen!" „Wahrhaftig nicht!" betheuerte Barillot. „Die Er scheinung setzt mich einigermaßen in Unruhe. Bestätigt sich meine Wahrnehmung, so ist das Individuum un zweifelhast mit einer geheimen Mission betraut, es hat früher Ortskcnntniß in Dijon gesammelt und soll nun irgend Etwas ausspioniren, woraus die Deutschen in unseren noch occupirten Landcstheilcn Nutzen ziehen wollen." „O, Ihr Beamtenseelen," spottete die junge Dame, ,die Ihr überall staatsgefährliche und staatsfeindliche Bestrebungen wittert!" Barillot zog die Braunen zusam.men: „Die Deut schen, verehrtes Fräulein, find jeder Schandthat fähig! Doch wir werden dem kecken Burschen das Handwerk legen, sobald es feststeht, daß er jener Offizier ist, den ich, als Dijon eingenommen war, freilich nur wenige Male, und zwar aus der Entfernung, hier in's Haus treten fah, da ich dasselbe während jener schrecklichen Periode grundsätzlich mied. Allein, wie gesagt, ich müßte mich ungeheuer betrügen, wenn unser heutiger Reisege fährte mit jenem Subject nicht identisch wäre." „Da dürfen Sie ja," entgegnete Victorine, „nur meine Brigitte als Beobachtungs - Corps aufstellen, so sind Sie ihrer Sache gleich gewiß." „Die Absicht, mich an Brigitten zu wenden, habe ich auch," sagte der Beamte. „Aber," wandte das Fräulein sich selbst ein, „es trifft sich ungünstig, daß Brigitte nun gerade einen Gast bekommen. Sie wird natürlich diesem ihre Muße widmen wollen." „Wenn es gilt der Republik einen Dienst zu leisten, muß jede andre Rücksicht schwinden! behauptete Barillot energisch. „So machen Sie's mit ihr ab," erlaubte die Herrin des Hauses, „ich mische mich nicht darein! Da kommt sie! Die Thür ging auf. Brigitte und Corbeau wurden von sausten, doch kräftigen Händen in das Gemach geschoben, wobei eine volltönende Stimme sprach: „Dem Alter die Ehre!" „Alle Teufel!" stieß Barillot, wie von einem elek trischen Schlage getroffen, heraus. „Was ficht Sie an?" fragte Victorine befremdet. Er kam nicht zur Antwort; denn Caton, die als Dritte hereintrippelte, flog jubelnd auf ihm zu: „Henri, mein Henri!" Unbefangen umschlang sie ihn, gab den Geliebten jedoch im Moment wieder frei und rief: „Du mußt warten! Victorine, da bringen wir Dir Herrn Eugen Noselivre, aber es hat Mühe gekostet, Brigitte widerstand bis zum letzten Augenblick! Nlcht wahr?" Die Frage galt dem Großneffen, der sich jetzt mit der feinsten Tcurnüre dem Fräulein näherte: „Liebens würdigere Gesandtschaften hat wohl selten ein Fürst empfangen, als ich in der verflossenen Stunde. Die Zeichen ihrer Gnade, die Fräulein d'Ampierre einem ver dienstlosen Fremden gegeben, sind ihm ein lieber, wohl- thuender Beweis der Ächtung, deren seine bejahrte Ver wandte bei ihrer jungen Herrschaft genießt." (Fortsetzung solgt.) Volks- und Landwirthschaftliches. Vertilgung der Schnecken in den Gärten. Welchen Schaden die Schnecken ost in Gärten und Gewächs häusern durch das Zernagen der jungen Sprhßlinge der perennirenden Pflanzen, sowie der Sämlinge anrichten, ist hinreichend bekannt. Das Ueberstreuen mit gepul vertem Kalk ist zwar ein bewährtes Diittel, hilft aber bei nasser Witterung nicht. Das „Bulletin d'Arboricul- ture" empfiehlt ein einfaches und dabei durchaus un schädliches Mittel, das sich gut bewährt haben soll, um die ungebetenen Gäste zu vertreiben. Dasselbe besteht in Folgendem: Man nehme Bretter von 20—40 Ctm. Länge und beliebiger Breite, lege unter dieselben 1—2 Kohl- und Rübenblätter, welche die Schnecken besonders lieben und sehe darauf, daß das Brettchen gegen Nord west auf der Erde ruhe, während an der entgegengesetz ten Seite eine Oeffnung von einigen Ctm. bleibt. Nach 2—3 Tagen sieht man wieder nach, zerdrückt die vor handenen Schnecken.mit der Fußsohle oder mit einem geeigneten Ltück Holz, wobei man sorgfältig die schlei migen Ueberreste auf dem Holze läßt, da diese die Ueber- lebenden begierig aufsaugen. Anstatt der Rübenblütter kann man die Innenseite des Holzes auch mit etwas in Wasser gekcchtem Mehl bestreichen, dessen Geruch die Schnecken im Umkreis von mehreren Metern anlockt. Bei Mangel an Brettchen bedient man sich des Schiefers, Dachziegel oder umgekehrter Blumentöpfe. Dasselbe Mittel kann man im Sommer zum Schutze der Erdbeerbeete u. dergl. vor den Schnecken anwenden. Vermischtes. In Leipzig wurden kürzlich, wie die Zeitschrift gegen Verfälschung der Lebensmittel meldet, 6 Fässer rothe und weiße Weine, welche aus einer Fabrik in Augsburg stammten, in die städtischen Schleusen entleert, während 7 Oxhoft und 5 Halbstückfässer durch Zusatz von concentrirtem Essigspritt ungenießbar gemacht wur den. ** Katscher, 9. Januar. Wie der „Oberschl. Anz." erzählt, ging am 3. d. M. dem hiesigen Kaplan Gotzmann durch die Post ein kleines Schächtelchen mit der Aufschrift „Nachtlichte" zu. Die Packetadresse war auf dem Postamte in Neisse abgestempelt und auf den Abschnitt als Absender der Name Sandmann aus Enders- dorf genannt. Als Vermerk stand noch: Um ein längst gefühltes Bedürfniß zu befriedigen, sende ich das Bei- gchende mit den besten Wünschen zum neuen Jahre. Obgleich dem Kaplan der Absender vollständig unbekannt war, öffnete er doch das Schächtelchen und fand darin eine noch kleinere Pappschachtel, deren Deckel mit dem unteren Theile durch einen Papierstreifen verklebt und außerdem an die Emballage angeklebt war. Bei leisem Schütteln hörte man ein Geräusch, wie von Sand oder Pulver herrührend, und hatte das Schächtelchen im Ver- hältniß zur Größe ein ziemlich bedeutendes Gewicht. Das Ganze, ziemlich verdächtig aussehend, wurde der Polize behörde zur weiteren Veranlassung übergeben, und, da Niemand dem Dinge traute, in der Apotheke, nach dem es einige Stunden gewässert hatte, unter Wasser durchschnitten. Dem Anscheine nach war der Inhalt eine NitrosGlycerin-Patrone, umgeben mit durch Salpsier- säure getränktem Sande. ** Ein interessanter Versuch kann bei der jetzigen Witterung zur Belehrung der Jugend angestellt werden. Man fülle eine Medizinflasche mit Rüböl, eine andere mit Spiritus und eine dritte mit Wasser, pfropfe jede Flasche fest zu und stelle sie in Kälte, z. B. über Nacht auf das Blumenbrett. Am nächsten Morgen sieht man drei verschiedene Wirkungen des Frostes: Der Spiritus ist klar und flüssig geblieben, hat sich aber durch Zu sammenziehung unter dem Flaschenhals zurückgezogen; das Oel ist gefroren und gleichfalls zusammengezogen; das Wasser ist gefroren hat aber die Flasche zersprengt und den Kork Hinausgetrieben. Die unwiderstehliche Ge walt des gefrierenden Wassers ist so stark, daß sie Bäume mit lautcm Krach zerreißt, eiserne Bomben sprengt und Felsen st alte!. Nicht weniger interessant ist jetzt auch die Beobachtung der kleinen in der Luit schwebenden Schneestäubchen, welche sechsstrahlige Krhftalle in den mannigfaltigsten Formen bilden. Marktpreise in Kamenz am 9. Januar 1879. höchster ^niedrigst. > Preis. Preis. so Kilo Korn Weizen Gerste Hafer Heidekorn Hirse Zufuhr. Gerste: 18 16 Sack. - Kartoffeln: M. Pf. 6 80 10 — 7 SO 6 20 6 80 11 40 Korn: Sack. Hirse 1 Sack. M. 6 9 7 6 6 10 157 10 Pf- 60 50 20 10 50 90 Sa Hai S Heu 50 Kilo Stroh 1200 Pfd. Butter 1 Kilo Erbsen 50 „ Kartoffeln 50 „ ck.— Weizen: 54 L er : 45 Sack. — He ack. — Erbsen: 12 S M. 2 18 1 10 2 ack. idekt ack. Pf. 80 70 20 50 >rn