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4732 Nichtamtlicher Theil.. ^ 239, 13. October. Einen anderen bedeutenden Reliquienschatz besaß die Stephans kirche zu Wien. Er wurde im Jahre 1502 von den« dortigen Buch drucker Johann Winterburger veröffentlicht.*) Die Holz schnitte sind denen des Nürnberger Buches ähnlich, aber bei weitem besser. Der erste zeigt die St. Stephanskirche, in welcher das Heiligthum bewahrt wurde. Dann sieht man den sogenannten Heiligthumsstuhl, aus dessen Fenstern heraus die Heiligthümer ge zeigt werden. Unten zu beiden Seiten sitzt das Volk und schaut neugierig hinauf. Daraus folgt die Darstellung der einzelnen Heiligthümer, zum Schluß der Schutzpatron der Kirche, St. Stepha nus, wie er von den Juden gesteinigt wird. Das dritte Heiligthumsbüchlcin ist das Bamberger, das bei Johann Pseyl imJahre 1509 erschien** ***) ) und ans dem Titel die Erbauer des Bamberger Domes, Kaiser Heinrich und seine Ge mahlin Kunigunde, in den übrigen Holzschnitten die einzelnen Heiligthümer vorführt. Sind die Holzschnitte dieser Werke von verhältnißmäßig ge ringem künstlerischen Werth, so treten uns dagegen in zwei anderen Heiligthumsbüchern des sechszehntenJahrhunderts wirkliche künstle rische Meisterwerke entgegen. Es war sonderbarerweise der spätere Beschützer der Refor mation, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, der sich im Beginne des sechszehnten Jahrhunderts die bedeutendste Reliquien sammlung anlegte.*'*) Schon von den Zeiten Herzog Rudolph's des Zweiten an waren in der uralten Wittenberger Schloßkapelle werthvolle Heiligthümer bewahrt worden. Diese suchte Friedrich der Weise unausgesetzt zu vermehren, um auf diese Weise seine Residenz zum Sammelpunkt zahlreicher Wallfahrer zu machen. Daß er iin Jahre 1493 eine Reise nach dem heiligen Lande unternahm, geschah hauptsächlich, um dort neue Reliquien zu erwerben, und noch lange Jahre hindurch hat er keine Kosten gescheut, wenn es galt neue Ankäufe zu machen. Um den Reliquien, deren Zahl sich allmählich bis auf sllnf- tausendundsüns vermehrt hatte, eine würdige Behausung zu schaffen, begann er schon im Jahre 1490 den Neubau der Wittenberger Schloßkirche. Die größten Künstler Deutschlands hatten sie aus- zuschmückcn. Zwei Bilder, von denen das eine die Anbetung der Dreieinigkeit, das andere Maria und Elisabeth darstelltc, hatte Cr an ach zu malen. Dürer lieferte die Anbetung der Könige, die jetzt in den Uffizien in Florenz prangt und die „Marter der 10,000 unter König Sapor II.", die jetzt im Wiener Belvedere be wahrt werden. Bier Teppiche, welche die Passion darstellen und welche Friedrich für viertausend Gulden gekauft hatte, vollendeten den reichen Wandschmuck der Kirche. In diesem prunkvoll aus- gestattetcn Raum waren die Reliquien ausgestellt, die in kostbaren Schreinen verwahrt wurden, und deren jede bei gläubiger Ver ehrung einen hunderttägigen Ablaß versprach. Alljährlich am Montage nach dlisorieorckins Domini waren sie zur allgemeinen Verehrung ausgestellt, und um die Bedeutung des Reliquienschatzes auch Auswärtigen klar zu machen, ließ Friedrich das Wittenberger Heiligthumsbüchlein verfassen. Lukas Cranach wurde beauftragt die Abbildungen der Heiligthümer anzufertigen; diese wurden in Holz geschnitten, und der Witten berger Buchdrucker Johann Grünenberg lieferte im Jahre 1509 den Druck. Die Einleitung der Schrift, die in manchen Exemplaren auf Pergament, für eine größere Verbreitung aus Papier gedruckt wurde, enthält eine kurze Geschichte der Kirche und ihrer Aus *) Muther, deutsche Bücherillustration Nr. 767. **) Muther, deutsche Bücheiillustration Nr. 670. ***) Vgl. Muther, Sachsens Kunstleben im sechszehnten Jahrhundert, in de» „Grcnzboten" vom September 1884. stattung mit Reliquien, und fordert die Gläubigen zur Wallfahrt nach dem Heiligthum auf, wo sie reichen Ablaß erhallen könnten. Zu dieser Einleitung gehören die beiden ersten Illustrationen, ein Kupferstich und ein Holzschnitt. Der Kupferstich zeigt die beiden fürstlichen Brüder Friedrich und Johann, welchen die Stiftskirche ihren Neubau verdankte, unter einem Fensterbogen neben einander stehend, den einen in einem reichbesetzten Pelze, den andern mit einer schweren doppelten Halskette. Darauf folgt auf der Rückseite des Titels die neuerbaute Kirche in ihrem deutschen Spitzbogenstil, mit dem hohen runden Thurme und dem daneben liegenden Gottesacker Die Schrift selbst enthält das Verzcichniß der sünstausendundsünf Heiligthümer mit Abbildung ihrer zier lichen Behältnisse ans 44 Blättern. Sie sind nach acht Gängen geordnet, in welchen man sie dem gläubigen Volke zu zeigen Pflegte. Der erste Gang umfaßte die Reliquien der heiligen Jungfrauen, der zweite die der heiligen Wittwen, der dritte die der „Beichtiger", der vierte und fünfte die der Märtyrer, der sechste die der Apostel und Evangelisten, der siebente die der Patriarchen und Propheten, der achte die angeblich von Christus selbst stammenden. Es ist eine der interessantesten und schönsten Holzschnittfolgc», die Cranach in dem kleinen Werke geliefert hat. So bedeutend dieser Wittenberger Schatz war, so sollte er doch binnen kurzem durch eine viel größere Sammlung in dem benachbarten Halle noch weit übertroffen werden. Der bedeutendste Kirchensürst Deutschlands, Kardinal-Erzbischof Albrecht von Magdeburg und Mainz*) legte dieselbe an. Auch er hat noch weit weniger als Friedrich der Weise an die Wunderkraft der Re liquien geglaubt, er gründete die Sammlung nur, um Geld in seine leeren Taschen zu lenken. Schon sein Vorgänger im Erzstist Magdeburg, Ernst von Sachsen, hatte eine Menge Reliquien zusammengebracht und in der dazu errichteten Kapelle der heiligen Magdalena auf dem Hofe seiner Burg in Halle aufgestellt. Diesen Schatz vermehrte Albrecht unaufhörlich; in fremden Ländern erwarb er Beiträge durch Kauf, in den eigenen erpreßte, an den Fürstenhöfen erbat er sic. Bald hatte er eine großartige Sammlung zusammengebracht. Sie um faßte Hunderte von Meisterwerken der kirchlichen Kunst, von uralten elfenbeinernen Brodbüchsen an bis zu den feinsten Gebilden der eben ausblllhenden Renaissance In ganzen Reihen waren die uns so selten erhaltenen Pracht särge ausgestellt, von den zierlichsten aus lauterem Gold, von denen einer ein Stückchen von der Ruthe Mosis enthielt, bis zu den kolos salen, deren jeder mehrere Gerippe oder ganze Leiber von Heiligen bewahrte. Dazu kamen ganze Reihen prächtiger Monstranzen, Büchsen, welche Reliquien bargen, Heiligenbilder und Anderes. Alles war in neun Gängen aufgestellt, um die Pilgerschaaren be quem hindurchsühren zu können. Im ersten befanden sich die Reliquien aus dem heiligen Lande, im zweiten folgten die des Heilandes, im dritten die der „Königin Maria", im vierten die der Patriarchen, im fünften die der Apostel, im sechsten die der Mär tyrer, im siebenten die der Bekenner, im achten die der heiligen Jungfrauen, im neunten die der erwählten Frauen und Wittwen. Wie die Wittenberger, wurden auch die Hallischen Heilig thümer an einem bestimmten Tage des Jahres dem herbeigeström ten Volke gezeigt. Und damit sie der Reihe nach „gezeigt" oder „ausgerusen" werden konnten, ließ Albrecht dafür ein besonderes liturgisches Buch, eine Agende, anfertigen. Er beauftragte einen Maler, wahrscheinlich den von ihm öfter beschäftigten Simon von Aschafsenburg, auf großen Pergamentblättern die Abbildungen *) Vgl. Muther, Kardinal-Erzbischof Albrecht von Brandenburg als Kunstfreund, in den „Grenzboten" vom Juni 1884.