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222, 23. September 1904. Nichtamtlicher Teil. 7995 Photographische Ausstellung im Deutschen Vuchgewerbehaus ;u Teiprig. (Vgl. Nr. 22V d. Bl.) II. Der in künstlerischer Hinsicht weitaus interessanteste Teil der Ausstellung ist der von Herrn Mathes-Masuren zusammengestellte »Internationale Salon«. In dieser Abteilung befinden sich die besten Leistungen der Kunst photographie. Hier macht sich erfreulicherweise die Jnter- nationalität der Ausstellung besonders bemerkbar. Erfreulich ist es ferner, daß sich neben den Liebhabern diesmal auch Fachphotographen in größerer Zahl als sonst beteiligt haben. Außer Deutschland, das naturgemäß am stärksten vertreten ist. haben sich auch Österreich. Frankreich. Italien. England, Amerika. Belgien und Rußland eingefunden. Angesichts der feinfühligen, köstlichen Bilder, die hier in Erscheinung treten, will es mir als müßige Frage er scheinen. ob heute die Bezeichnung -Kunstphotographie« ihre Berechtigung hat oder nicht. Denn wir haben heute wirk lich ebenso eine Kunst in der Photographie, wie wir sie im weiten Feld des Gewerbes und der Industrie bemerken, der wir die Sonderbezeichnung -Angewandte Kunst« gegeben haben. Wer eben nicht zu der Erkenntnis gekommen ist, daß unter Umständen ein Krug. Schreibzeug. Leuchter oder der gleichen mehr Kunstwert haben kann als ein Ölgemälde, mit dem ist überhaupt nicht zu rechten. Der wird auch die Kunst in der Photographie vergeblich suchen, die tatsächlich da ist und sogar recht deutlich sichtbar wird für den. der sehen will und kann. Der Zweifler wird fragen: ja woran soll ich sie denn erkennen, diese Kunst? Nun. an nichts mehr und nichts weniger als an dem persönlichen Ausdruck. Sämtliche Bilder, die wir hier vor uns sehen, sind mit Hilfe des Apparats entstanden, also in Wahrheit rein technische Produkte; trotzdem erscheinen sie keineswegs wie »über einen Leisten gemacht«, sondern eignes Em pfinden. eigne Auffassung, die mannigfaltigsten Arten der Behandlung, der Wiedergabe der malerischen Er scheinung in ihren Tonwerten gelangen zur Geltung. Ohne künstlerisches Empfinden und ohne künstlerische Auffassung ist es nicht möglich, so in sich abgeschlossene Bilder aus den gegebenen Naturmotiven heranszulösen. die Licht- und Schattenmassen so fein abzuwägen, solche momentane Stimmungen festzuhalten und vor allem mit Hilfe eines besondern Kopiervsrsahrens. des Gummidrucks, feingestimmte, echt malerische Wirkung zu erreichen. Das Gummidruck verfahren gestattet nicht allein eine außergewöhnliche Steige rung der malerischen Erscheinung, eine starke Leuchtkraft der Töne und eine vollendete Wiedergabe der zartesten Nüancen zu erlangen, sondern es ermöglicht auch ein selbständiges Eingreifen in die stoffliche Behandlung und malerische Wirkung. Welche Vollendung in der Gummidruck-Technik zu er reichen ist. das läßt die -Dame vor dem Spiegel« von Heinrich Kühn-Jnnsbruck erkennen, die. leicht nach vorn geneigt, mit graziöser Handbewegung der Linken das Haar ordnet, während die stützende Rechte fast im Halbdunkel ver schwimmt und aus dem Spiegel das anmutige Gesicht sich dem Beschauer zuwendet. Was mir an diesem Bilde so besonders schätzenswert erscheint, das ist die große und dabei schlichte Auffassung. Wer das We sen einer Persönlichkeit so treffend zu erfassen vermag und durch so natürliche und von jeder Pose freien Darstellung zu verkörpern vermag, das muß ein ganzer Künstler sein. Und nun vollends diese Beherrschung der Technik, die dies Bild aufweist, die das Stoffliche in geradezu frappanter Weise wiedergibt. Wie die leuchtenden Fleisch partien zu dem dunklen Kleid und die dezente Umgebung wieder zu der Figur stehen, das ist meisterhaft zusammen gestimmt und dabei von greifbarer Wirklichkeit. Ein andres Bild von Kühn, ein -Damenkopf, mit Hut in sonniger Beleuchtung, ein echtes Freilichtbild, findet sich in der in einer Loge aufgenommenen Privatsammlung vor. Bemerkenswert ist an diesem gleichfalls vorzüglichen Bild, daß es in einem neuen Verfahren hergestellt ist. das in einer Verbindung von Gummi- und Kohledruck besteht und in dem die malerische Wirkung mit einmaligem Kopieren erreicht ist. Indem wir zunächst die in dieser Sammlung enthalte nen Arbeiten weiter durchgehen, finden wir u. a. auch den charakteristischen Kopf eines »alten Tirolers«, der, ebenfalls von Kühn ausgeführt, als einer der ersten Gummidrucke anzusehen ist. Man sieht daraus, daß Kühn offenbar sehr bald mit dieser Technik vertraut geworden ist. In seltener Vornehmheit der Auffassung und wahrhaft feingeistiger Naturbeobachtung erscheinen die Arbeiten von Craig-Annan-London, der außer Bildnissen, unter denen sich auch ein Selbstbildnis befindet, noch mit Landschaften vertreten ist. Bewundernswert sind an diesen Bildern die mit unfehlbarer Sicherheit bis in ihre zartesten Abstufungen wiedergegebenen Tonwerte. Macht sich das Naturgefühl in seinen Bildnissen in einer durchgeistigten Charakteristik geltend, so tritt es in den Landschaften in einem aus gesprochenen Stimmungsgehalt hervor. Mit Vorliebe gibt Craig-Annan seine Landschaften als Gravüren wieder, die eine solche technische Vollendung aufweisen, daß sie selbst neben Öriginal-Radierungen sich zu behaupten imstande sind. Nach dieser Richtung hin dürfte Craig-Annan bislang un erreicht dastehen. Groß find für den Photographen die Schwierigkeiten, die wiederzugebende Persönlichkeit dahin zu bringen, daß sie einen bestimmten Ausdruck festhält. Und doch ist auch dieses Hindernis zu überwinden. Das bestätigen u. a. Gertrud Käsebier-NewUork durch ihr entzückendes Bild einer »Mutter mit Kindern«, Rudolf Eickemeyer-New Dork mit dem »Bildnis eines alten Herrn«. Hugo Erfurth- Dresden mit seiner »Dame in Weiß». Wilhelm Weimer- Darmstadt mit dem »Bildnis einer alten Dame«. I. Dewald-Amsterdam mit dem »Bildnis des Malers I. Israels«. Ferner seien aus dieser Privatsammluug noch hervor gehoben: das reizvolle «Interieur« mit der an einer Hand arbeit beschäftigten jungen Dame von Niels Fischer- Kopenhagen. ein -Weiblicher Studienkopf« von Karl Weiß- Dresden. das groteske Hochgebirgsbild »Die Fünffingerspitze» und ein »Stillleben« von Watzek-Wien, das stimmungsvolle Landschaftsbild »Die Brücke- von H. Henneberg-Wien, Landschaften von O. Ehrhardt-Dresden und R. Müller- Dresden und zum Schluß die köstliche »Kostümstudie« (Rückenanstcht einer Dame) von D. Hill-Perth (England) aus dem Jahre 1843. Ein Bild, das zu denken gibt! Denn es erinnert daran, daß es schon in der allerersten Zeit der Erfindung der Photographie Leute gab, die deren Ausübung auf hohe Stufe zu stellen wußten, daß wir demnach, trotz der verhältnismäßig kurzen Frist ihres Bestehens, doch schon einen Verfall erlebt haben und daß erst in neuerer Zeit sich wieder ein Streben zu ernstern Zielen bemerkbar macht. Dieses Streben hat freilich einen so kräftigen Aufschwung genommen, daß wir heute mit gutem Gewissen von einer »Kunst« in der Photographie reden dürfen. Ernst Kiesling. 10b,'