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Nichtamtlicher Teil. 7997 us? 222, 23 September 1904. die Quelle aller Erkenntnisse sprudelte. Aber nicht die Rich tung ändert er, sondern den Weg; er gibt nicht die Arbeit selbst auf, sondern ändert nur die Methode. Das aber allein ist ein Fortschritt und damit haben wir auch äußerlich die Verbindungsfäden hergestellt zwischen dem Bildungsgang nnsers Freundes und dem Preisausschreiben des Lehrlings ausschusses. Wenn auch sein ernstes Streben, sein Fleiß und seine Beharrlichkeit, sein herzhaftes Zugreifen und ziel bewußtes Durchführen von Vorsätzen dem Jungbuchhandel als gutes Beispiel vor die Seele gehalten werden kann, so wird sich doch mancher mit Recht sagen: ja aber, soll denn in Zukunft ein jeder Buchhändler vorübergehend so ein bischen akademische Luft atmen, ist das die Quintessenz deiner ganzen Weisheit? Wer so denken würde, hätte so unrecht nicht. Der Jungbuchhändler darf verlangen, daß ihm ein Ausbildungsplan vorgelegt werde, der nicht die Grenzen semes Standes überschreitet, den durchzumachen jedem möglich ist. Wer aufmerksani gelesen hat, wird übrigens aus dem bereits Gesagten auch das Gegenteil herausgelesen haben. Unser Freund ist längst zur gleichen Ansicht gelangt. Er hört jetzt keine Kollegien mehr über die Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter, sondern er holt sich jetzt seinen Vilmar^) her; in ihm findet er dasselbe und zwar noch mit dem Vorzug, daß er sich bei diesem Buch nicht durch den vielen gelehrten Kleinkram hindurch arbeiten muß. Dringt der protestantisch kirchliche Stand punkt des Verfassers manchmal auch sehr zutage, so ent schädigt dafür doch reich die glänzende lichtvolle Darstellung des Ganzen. Bei Seite läßt er ferner sein Kollegienheft über die Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert und nimmt sich dafür Hettiter ^) vor, em vor treffliches Buch, das nicht nur einmal durchgelescn, sondern in vielen Teilen wirklich durchgearbeitet sein will. Freilich wird sich leider mancher vor dem Umfang zurückschrecken lassen, sehr zu seinem Schaden allerdings. Nicht übergangen darf werden Scherers großes Lebenswerk, die -Geschichte der deutschen Literatur». 2") Sie gilt unter den Gesamtdarstel lungen in dem engen Rahmen eines Lehr- und Handbuches als die wissenschaftlich und schriftstellerisch am höchsten stehende Literaturgeschichte. Auch ein andres grundlegendes Werk sei hier genannt, das man sich wenigstens einmal ge nauer angesehen haben sollte; es ist die »Geschichte der deutschen Dichtung« von Gervinus^), ein Buch, das in der Buchhändlerwelt zweifellos mehr gelobt als gelesen wird, und doch sollte sich jeder, der etwas mehr in die Tiefe geht, einmal mit seiner (Gervinus') Literaturgeschichtsauffassung bekannt gemacht haben. An Stelle der gehörten Vorlesungen über Goethe nehmen wir uns die vortrefflichen Goethe-Biographien von Heine mann 22) und Bielschowskp 2») zur Lektüre vor, ebenso das früher als die beste Lebensbeschreibung Goethes gepriesene Buch von Lewes 2«), nicht zuletzt aber die knappe, meiner Ansicht nach beim großen Publikum viel zu wenig gekannte '"1 Vilmar, A. F. K., Geschichte der deutschen National- litcratur. 25. Auslage. Marburg 1900. '2) Hettner, H., Gesch. d. deutschen Literatur im 18. Jahr hundert. 4 Bände. 4. Aust, von O. Harnack. Braunschweig 2") Scherer, W., Geschichte der deutschen Literatur. 8. Aust. Berlin 1899. 2>> Gervinus, G., Geschichte der deutschen Dichtung, s. Aust., Hrsg, von K. Bartsch. 5 Bände. 1871—74. 22) Heinemann, Karl, Goethe. 3. Aust. Leipzig 1903. 22; Bielschorvsky, A., Goethes Leben. Band 1. II (Vd. I in 3. Aust.). München 1902/03. 22) Lewes, G. H-, Goethes Leben, übersetzt von I. Frese. 18. Aust. 2 Bde. Stuttgart 1900. Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 71. Jahrgang feine Darstellung des Leipziger Professors Witkowskj2°). Ferner nehmen wir, statt ein gelehrtes Kolleg über die Geschichte der deutschen Literatur von ihren Anfängen bis ins 11. und 12. Jahrhundert zu hören, die für den Nicht fachmann wohl etwas gelehrt geschriebene Darstellung von KoegeN«) zur Hand, ferner Scherers Geschichte der deutschen Dichtung im 11. und 12. Jahrhundert 22). Nicht unbe kannt sollte auch dem Buchhandlungsgehilfen bleiben die kürzeren Darstellungen von Koegel und Bruckner, Geschichte der althoch- und altniederdeutschen Literatur22), Vogt, Geschichte der mittelhochdeutschen Literatur 22) und Jellinghaus, Geschichte der mittelniederdeutschen Literatur °"). Wem auch diese noch zu weitschweifig sind und wer die Weisheit gern in der Westentasche mit sich herumtragen möchte, der greife zu der kleinen Auswahl von Th. Schausfler, Althochdeutsche Literatur 2 >) oder zu Hermann Jantzen^), wo er mit knappen Einleitungen und einem kleinen Wortindex Proben aus der mittelhochdeutschen Frühzeit findet. Zu den »Gotischen Sprachdenkmälern« desselben Herausgebers'), die ebenfalls Grammatik, Übersetzung und Erklärung geben, wird sich wohl selten ein Kollege auf schwingen. Schon eher wird sich der eine oder andere das Waltharilied') vornehmen, das in der gleichen Sammlung von H. Althoff im Versmaß der Urschrift übersetzt und er läutert erschienen ist, da es ihm von Scheffels Ekkehard her in schöner Erinnerung vorschwebt. Gern wird jeder auch einmal in den Auswahlbändchen: Hartmann von der Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg') lesen ganz gewiß aber Walther von der Vogelweide'), den begna deten Dichter aus jener ersten Blütezeit der deutschen Literatur. Auch das Nibelungenlied') sollte jeder einmal versuchen, in der Ursprache zu lesen. Hat man sich mit Hilfe der bei gegebenen grammatischen Erläuterungen und des Wörterbuchs einige Seiten hineingelesen, so wird man leicht inne werden, welch unvergleichlich höhern Genuß die Lektüre im mittel hochdeutschen Originaltext bietet. Das Gudrunlied') da neben wird sich mancher aus Zeitmangel wohl schenken wollen. Gut ist es aber, die kulturhistorischen Erläuterungen zu diesen beiden Dichtungen zu lesen, die das Bändchen »Deutsches Leben im 12. Jahrhundert')» von I. Dieffenbacher bringt. Man suche nichts dahinter, wenn im Vorstehenden eine Reihe Bändchen aus der Sammlung Göschen genannt sind. Es geschah einesteils ihrer kurzen und dabei meist recht übersichtlichen Stoffbehandlung wegen, die es selbst dem geplagtesten Buchhändler ermöglichen, sie durchzuar beiten, anderseits bewog mich dazu der niedrige Preis von SS H netto bar, ein Betrag, den selbst auch der schlecht ge stellteste Buchhandlungsgehilfe erschwingen kann. Und das ist ja schließlich der Zweck, daß jeder dazu imstande ist sich mit den Schätzen unserer deutschen Nationalliteratur ver- 2°) Witkowski, G-, Goethe. (Dichter und Darsteller No. 1.) Leipzig 1900. 2°) K 0 cgel, R., Geschichte der deutschen Literatur bis zum Aus gange des Mittelalters, l. Band: Bis zur Mitte des 11. Jhrhdts. 2 Tle. und Ergänzungsheft. Straßburg 1894—1897. 2») Scherer, W., Geschichte der deutschen Dichtung im XI. und XII. Jahrhundert. Stratzburg 1875. 2») Ist ein Sonderabdruck aus Pauls Grundriß der germa nischen Philologie. 2. Aust. Straßburg 1901. 2») — — do. Straßburg 1902. -°) do. Straßburg 1902. 22) Schausfler, Th-, Althochdeutsche Literatur. Mit Gram matik, Übersetzung und Erläuterungen. Leipzig. (Göschen'sche Sammlung. Nr. 28.) 22) Jantzen, Herrn., Dichtungen aus mhd. Frühzeit. In Auswahl mit Einleitung u. Wörterbuch herausgegeben. Leipzig 1901. (Göschen. Nr. 137.) *) Sind sämtlich ebenfalls in der Sammlung Göschen er schienen. 1053