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^ 145, 26. Juni 1S0S. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buch Handel 7639 Nichtamtlicher Teil. Pariser Brief V. <Bgl. 1908 Rr. 144, 189, 268; 1909 Nr. 40 d. Bl.> iPoststreik. — Kommissionsgut. — Lancierung einer neuen Zeitung.) Es ist eine ganz eigene Sache um einen Poststrsik. und diejenigen, die seine Folgen nicht am eigenen Leibe erfahren haben, können sich von diesem Zustand jedenfalls keine rechte Vorstellung machen. Es erscheint uns als etwas so absolut Selbstverständliches, unsere Postsachen mehrmals täglich in Empfang zu nehmen und abzuschicken, daß wenigstens ich nie ernstlich daran gedacht habe, cs könnte auch einmal anders kommen. Und nun ist das Unwahrscheinliche und Unerwartete doch zur Tatsache geworden. Der erste Streik im März kam so plötzlich, daß niemand an irgendwelche Gegenmaßregeln denken konnte, und der Schaden, den Handel und Industrie dadurch erlitten haben, muß un berechenbar gewesen sein. Am besten wird das illustriert durch die Tatsache, daß in Paris allein täglich an die 100 vvv Telegramme anfgegeben werden; der reine Postverkehr, d. h. nur Karten und Briefe, also ohne Kreuzbänder, Warenmuster und Pakete, steigt sogar bis auf 3 Millionen Stück am Tage. Und alles dies staute sich nun auf den Postämtern oder im besten Falle auf den Bahnhöfen. Noch mehr als andere Berufsarten mag der Buchhandel unter diesem Zustand gelitten haben, denn dadurch, daß täg lich zahllose Bücher in einzelnen Exemplaren mittels der -Bücherzettel« bestellt werden, ist auch der Postverkehr im Buchhandel stärker als in andern Branchen. Von allen Stadien im Deutschen Reich soll Leipzig den relativ stärksten Postverkehr haben, und verdankt den Ruhm, hierin an erster Stelle zu stehen, jedenfalls nicht zuletzt seiner Eigenschaft als Zentrale des Weltbuchhandels. — In großen Pariser Verlags- Häusern sah es denn während des Streikes auch trostlos aus. In einem solchen, dessen täglicher Verkehr sich auf viele hundert Postsachen beläuft, kam am ersten Streik lage mit der ersten Post ein einziger Brief an, mit der zweiten und allen folgenden garuichts mehr. Tatenlos stand das zahlreiche Personal herum, denn auch die Boten der Kommissionsgeschäfte blieben aus, da dort natürlich ebensowenig Post eingegangen war wie anderswo. Es war, wie wenn im Kriege der böse Feind jeglichen Verkehr abgeschnitten hätte; denn die wenigen Postsachen, die von einzelnen Beamten, die auf ihrem Posten geblieben waren, befördert werden konnten, bildeten nur Ausnahmen, und es war ein ungewohnter Anblick, die wenigen noch sichtbaren Briefträger in Begleitung eines Soldaten in kriegsmäßiger Ausrüstung in den Straßen dahergehen zu sehen. Dieser Zustand dauerte sechs volle Tage, und war nicht nur in Paris, sondern auch an anderen Orten sühlbar. Wie mancher deutsche Sortimenter, der seinem Kunden das Eintreffen eines eilig gewünschten Buches mit Bestimmtheit in drei Tagen in Aussicht gestellt hat, hat nicht daran gedacht, daß auch er von dem Poststreik, von dem alle Zeitungen berichteten, ganz unmittelbar berührt wurde! Als die bösen sechs Tage durchlebt waren und der für unser heutiges Kulturleben unentbehrliche Postapparat wieder arbeitete, brachten die nunmehr haufenweise eintresfenden Briesschasten manche Überraschung. Da waren Reklamationen eiligst bestellter Werke, die früher eingetroffen waren als die Originalbestellung selbst, und oft genug waren die elfteren mit den im Buchhandel — leider! — nicht zu den Selten heiten gehörenden Randglossen geziert, wie -Wiederholt!!! Warum senden Sie nicht?» oder -Erwarten Sie vielleicht, daß ich Ihnen die 2 Frcs. 35 Cts. vorher einsende?« Während der Franzose im allgemeinen mit einer großen Geduld gesegnet ist und sich viel bieten läßt, war dieser sechs tägige Poststreik in den schwer davon getroffenen Kreisen des Handels und der Industrie doch auch dem Langmütigsten zu viel, und da die Regierung sich machtlos erklärte ob-r wenigstens so erwies, so blieb nichts andcees übrig als Selbsthilfe. Von dieser hat die Pariser Handelskammer auch ergiebigen Gevranch gemacht und ist soso t an die Organi- satwn eines eigenen Postainlr» »-gangen, das immer dann in Aktion zu treten hat, wenn der reguläre P-stdienst ver sagt. Wenn dieses Privatpostamt, dessen Einrichtung b»i notdürftigster Schulung des Personals immerhin einige Tage in Anspruch nahm, beim ersten Streik auch keine großen Dienste mehr leisten konnte, so erwies sich die Einrichtung an und für sich doch als sehr wertvoll; denn als vor wenigen Wochen der zweite Poststreik ausbrach — der sich diesmal übrigens mit ziemlicher Sicherheit voraus sehen ließ —, konnte dieses Postamt der Handelskammer sofort in Funktion treten und hat während der Dauer des zweiten Streiks immerhin etwa 80 009 Briese täglich be fördert. Dieses Hilsspostamt und der Umstand, daß dies mal ein viel größerer Teil von Beamten aus seinem Posten blieb, ist auch der Grund dafür, daß dieser zweite Poststreik ziemlich gefahrlos verlies und mit einer völligen Niederlage der ausständigen Beamten endigte. Der O-rsls äs I» I-idrrriris ist an diesem Postamt der Handelskammer direkt beteiligt, und mehrere Pariser Verlagsfirmen hatten ihm für die Dauer des Streiks eineu Teil ihres Personals zum Sortieren und Stempeln der Briefe zur Verfügung gestellt. Diejenigen ausländischen Firmen, die mit Paris in starkem Verkehr stehen, dürften gut tun, sich folgende Adresse zu notieren, durch welche Briese nach Paris bei einem etwa nochmals ausbrechenden Streik, der für die nächste Zukunft übrigens kaum zu befürchten ist, vielleicht mit einiger Verspätung, aber sicher ankommen: die abzusendenden Briefe sind in zwei Briefumschläge zu legen, von denen der äußere die Adresse der >0l>»wbr« äs sominsros, Lines äs In llourss, ?nris« und (für den Buchhandel) die Bezeichnung »xour Is Osrsls äs In lübrniris - tragen muß; der innere und natür lich unfrankierte Briefumschlag muß dann die Adresse des Adressaten nennen. Zu beachten ist, daß die Handelskammer nur Geschäftsbriefe (in Briefumschlägen mit Firma) und nur gewöhnliche Briefe, keine eingeschriebenen, und auch keine Drucksachen oder Warenmuster hefördert Der Osrsls läßt zu gewissen Tageszeiten die eingcgangene Post von der Ob»mbr« äs oommsrcs abholen und sorgt sür die Verteilung unter seinen Mitgliedern, wenn diese es der Zeitersparnis halber nicht vorziehen, die für sie eingegangene Post selbst im Oerels abholen zu lassen. Beim Lesen des Artikels des Herrn H. Bousset über »Kommissionsgut» (vgl. Nr. 104 des Börsenblatts) mußte ich unwillkürlich daran denken, was wohl der franzö sische Verleger dazu sagen würde, wsnn ein Sorti menter die Absicht äußerte, abgesetztes Kommisstons gut nach Jahresfrist zum Barrabatt zu verrechnen. Im allgemeinen können wir ja sagen, daß der deutsche Buchhandel besser organisiert ist als der französische, daß die Franzosen darin also mehr von uns lernen können als wir von ihnen. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß alle unsere Einrichtungen auch tadellos sein müssen, und gerade in bezug auf die Abrechnung ist uns der Franzose ganz entschieden voraus. Diese wird hier nämlich mit einer solchen s»o-