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Sie verlangte ungefaßte Brillanten zu sehen, die zur Vervollständigung eines alten, werthvollen Familienschmuckes dienen sollten, der durch einen diebischen Eingriff seiner schönsten Steine beraubt worden sei. Man legte ihr eine ganze Kollection prachtvoller Dia- manten vor. Sie wählte daraus acht Steine, die zusammen dreißigtausend Gulden werth waren. Man legte dieselben in ein Etui, daß man der Dame übergab. Nun bat diesele, daß einer der Herren sie nach dem Hotel begleiten möge, in welchem sie wohne, damit sie ihm das Geld einhändige, da sie so bedeutende Summen nicht bei sich zu tragen pflege. Dabei nannte sie ihren Namen, der einer der glänzesten Adelsfamilien des Landes war. „Mein Kompagnon selbst," sagte der Juwelier mit einer Verbeugung, „wird die Ehre haben, die gnädige Frau in das Hotel zu begleiten." Er trat in das Komptoir, wo sein Kompagnon saß und beauftragte ihn mit dieser Mission. Aber die Nachricht von dem frechen Diebstahl, am Tage zuvor bildete das allgemeine Gespräch in der Residenz und war natürlich auch allen Juwelieren bekannt. „Seien Sie auf Ihrer Huth," flüsterte dcßhalb der Chef seinem Abgesandten zu, „und wenn die Dame in ein anderes Zimmer tritt, so überzeugen Sie sich erst, ob sich auch keine zweite Thür in demselben befindet: nur in diesem Falle warten Sie im ersten Zimmer, sonst weichen Sie keinen Augenblick von der Seite der Dame." Der Kompagnon nickte mit dem Kopfe. „Seien Sie unbesorgt," entgegnete er; „ich bringe das Geld oder den Schmuck." Er verließ mit der Dame, welcher er ehrerbietig die Thür, sowie später den Wagenschlag öffnete, das Gewölbe. Die Dame forderte ihn auf, einzusteigen, und in kurzer Zeit hielt der Wagen vor dem Hotel, in welchem sie wohnte. An dem ehrerbietigen grüßenden Portier vorüber schritt sie stolzen Ganges, mit vornehmer Haltung die mit Teppichen belegte Treppe hinan. Respektvoll folgte der Juwelier. Die Frau trat in ein elegant möblirtes Zimmer des ersten Stockwerkes und ließ ihren Begleiter eintreten. „Ich bitte Sie, sich einen Augenblick zu gedulden, mein Herr," sagte sie; „ich hole nur das Geld aus meiner Reise schatulle." Damit schritt sie auf eine Thür zu, welche in ein zweites Zimmer führte, öffnete sie und trat in dasselbe ein. Aber noch bevor die Dame die Thür schließen konnte, warf der Juwelier einen raschen Blick durch das ganze Gemach. Aber derselbe genügte, um ihn zu überzeugen, daß dasselbe nur eine Thür habe, diejenige nämlich, durch welche seine Begleiterin soeben eingetreten war. Beruhigt zog er sich also in das Vorzimmer zurück. Er setzte sich in einen Fauteuil, um die Zurückkunft der Dame abzuwarten. Aber er wartete und sie kam nicht wieder. Neuerdings wurde das kaum beruhigt^ Mißtrauen in dem Harrenden wach. Er öffnete die Thür und fuhr ent setzt zurück. Ein Blick in das Zimmer belehrte ihn, daß auch er betröget! sei, die Dame — war verschwunden! „Allein, wohin kann sie gekommen sein?" Das waren die Worte, welche mühsam über seine Lippen drangen. Es befand sich nur eine einzige Thür im Zimmer, diejenige nämlich, auf deren Schwelle er selber stand. Durch die Fenster war eine Flucht nicht denkbar, denn, abgesehen davon, daß die erste Etage dieses Gebäudes un gewöhnlich hoch war, erwies sich das Entweichen einer Frau durch dasselbe, am Hellen Tage, in einer Straße, welche zu den belebtesten der Residenz zählte, als ein Ding der Un möglichkeit. Der Juwelier eilte also nach der Eingangsthür, öffnete dieselbe und rief die Dienerschaft zusammen. Man drang in das Zimmer, nachdem der Betrogene Alles erzählt hatte, was geschehen war und untersuchte alle Räume. Plötzlich stieß der Hotelbesitzer einen Schrei der Ueberraschung aus. Er hatte die Thür des großen Garderobenbehälters, welcher an der Wand des Gemaches stand, die dem Ein gänge gegenüberlag, geöffnet und war im nächsten Moments erstaunt zurückgewichen. Alle Anderen eilten auf seinen Ausruf des Erstaunens herbei! Sie fanden die Garderobe leer und die Rückwand war zerschnitten. Eine Oeffnung wurde sichtbar, durch dieselbe gewahrte man ein sehr großes Loch in der Wand. Man drängte sich durch dasselbe und stand in einem Zimmer des an das Hotel stoßenden Hauses. Die Thür des Gemaches, welche nach der Treppe führte, war nur angelehnt. Jetzt war das Räthsel gelös't. Die Diebin hatte mit Absicht diese beiden Zimmer gewählt, von denen sie wußte, daß sie unmittelbar an das Nachbar haus grenzten. Gleichzeitig miethete ein Helfershelfer jenes Zimmer im Nachbarhause, welches an dieses grenzte. So arbeiteten dann Beide an der Herstellung dieser Verbindungs thür, welche umsomehr unbemerkt hatte hergestellt werden können, als der Mann, welcher das Zimmer im Nachbar hause miethete, sich bei'm Beziehen der Wohnung ausbe dungen hatte, daß ihn Niemand in seinen Studien, denen er Tag und Nacht obliegen müsse, stören möge. Er wünsche ausdrücklich, in keiner Weise behelligt zu werden. (Fortsetzung folgt.) Leichenbegängniß. Mit wunderlicher Litanei Zieht feierlich ein Zug vorbei Von Mädchen und von Knaben: Sie fanden aus dem Tummelplatz Im Garten einen todten Spatz, Nun spielen die Kinder Begraben. Ein Mägdlein macht die Leichenfrau Und trägt ein trüb' Gesicht zur Schau, Als dächt' es an das Sterben, Ein Bübchen stellt den Pfarrer vor, Dem Würdigen folgt der Trauerchor Mit der Miene froher Erben. Sie scharren ihren Sperling ein Und setzen ihm den größten Stein, Den Ort und Glück geboten, Dann klagen sie erst in der That, Daß jedes Spiel sein Ende hat, Das Spiel auch mit den Todten. Wer mag, du räthselhafter Tod, Der allen unsern Freuden droht, Dich recht verstanden haben! Erschrocken blickt der Greis dich an, Der Jüngling trotzig, ernst der Mann — Und die Kinder spielen Begraben. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Paul Weber in Pulsnitz.