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— Die Ankündigung, daß die deutsche Social demokratie nach Erlaß des Socialistengesetzes ihre Ope rationsbasis in ' das Ausland verlegen wolle, hat in Belgien unangenehm überrascht. Wenn Belgien, wie vorauszusehen, das Hauptquartier der sozialdemokratischen Propaganda in Deutschland werden sollte — was nach den bestehenden belgischen Gesetzen nicht zu verhindern ist — so würden allerdings Spannungen, wie sie an läßlich des Kulturkampfes zwischen den beiden Nachbar staaten entstanden sind, nicht wohl zu vermeiden sein. Im Uebrigen kann Deutschland der Auswanderung der socialdemokratischen Presse nach England, der Schweiz und Belgien ruhig entgegensehen; sie wird dort ebenso unschädlich sein, wie die Bewohner der aufgehobenen preußischen Klöster, die sich meist unmittelbar an der preußischen Grenze, in Holland, Belgien und Luxemburg angesiedelt haben. Berlin, 4. September. Die Zusammenkunft des Kultusministers Falk mit dem Reichskanzler in Gastein ist im gegenwärtigen Augenblick der schwebenden Ver handlungen mit der Kurie ein Ereigniß von höchstem Interesse. Die Besorgniß vor einem schwächlichen Rück zug des Staates knüpfte sich nicht zum wenigsten an die Thatsache, daß man ein Eingreifen des Kultusministers Falk, mit besten Namen eine ehrenvolle Lösung des Kon fliktes fast untrennbar verbunden ist, in jenen Verhand lungen nirgends bemerkte. Es schien fast, als würden sie gänzlich über seinen Kopf hinweggeführt und nichts ließ darauf schließen, daß man seinen Nath und seine Zustimmung einhole. Schon die bloße Thatsache, daß der Minister Falk sichtbar wieder persönlich in diese Ver handlungen eingreift, erhöht die Zuversicht, daß der Friede mit Rom nur auf gesunden Gründen geschlossen wird. Ob wir freilich über diese wichtigen Fragen sobald schon Aufklärung zu erwarten haben, ist höchst ungewiß. Jeden falls werden die Verständigungsversuche mit Rom auf unsere parlamentarischen Verhältnisse einstweilen noch keine Rückwirkung ausüben. An der Thatsache, daß die Regierung im Reichstag und im Landtag das Centrum vollständig in der alten schroffen Opposition sich gegen über sieht ist nicht zu zweifeln. Die Führer des Cen trums haben sich überhaupt theils so stark in den kleri kalen Fanatismus hineingeeifert, theils sind ihre kirch lichen Bestrebungen so eng mit den Interessen des politischen Partikularismus verbunden, daß eine Förderung der Friedensverhandlungen von dieser Seite schwerlich zu er warten ist. — Zwei wichtige Erungenschaften deutscher In dustrie sind dieser Tage beim Reichs-Patentamte zur Patentirung eingegangen, zwei Erfindungen, die von großartiger Bedeutung für das gesammte Bau- und Eisenbahnwesen si d und nicht blos in den betreffenden Fachkreisen, sondern überall im Publikum Aufsehen er regen werden. Was bisher von englischen und amerikani schen Ingenieuren vergebens erstrebt worden, daß ist einem deutschen Baumeister gelungen, nämlich die Er findung von Maschinen zur leichtesten Bearbeitung der edelsten Bausteine: der Granite und schönfarbigen Syenite. Der Luxus der Verwendung dieses unzerstörbaren Bau materials, den sich wegen der unendlich schwierigen Be arbeitung der Steine nur sehr reiche Leute gestatten konnten, soll jetzt allen Bauenden zugänglich sein, denn die Maschine verarbeitet die rohen Granitblöcke leicht zu allen nur denkbaren Baumaterialien, ja selbst zu Kanali sationsröhren. In einiger Zeit wird der Erfinder die erste seiner Maschinen in Berlin aufstellen und dem Publikum in Thätigkeit vorführen. — Eine andere Er findung desselben Erfinders ist ein Eisenbahn-Oberbau system für Normal- und für Straßenbahnen unter An wendung von maschinell bearbeiteter Granitschwellen nebst einer neuen Befestigungsmethode, welche jedes Locker werden unmöglich macht und ein Schleudern, Stoßen und Schlottern der Eisenbahnwagen vermeidet. Der Herr Handelsminister hat sich bereits umfaßenden Bericht über die neuen Erfindungen erstatten lassen und die Geh. Ober- und Bauräthe Schönfelder, Wiebe und Brennhausen haben sich an Ort und Stelle Informationen vom Erfinder geholt. — Ter Name des letzteren ist Gottlieb Johannes Schmidt, Baumeister in O-er- Peilau bei Reichenbach in Schlesien, früher in Berlin thätig. — Zur Wilhelmspende gehen bei dem Central Aus schüsse noch immer gezeichnete Sammellisten ein, so daß wohl vor vierzehn Tagen an eine jdefintive Aufstellung des Gesammtertrages dieser Sammlung nicht wird ge schritten werden können. Bei einer vor einigen Tagen stattgehabten vorläufigen Feststellung ergab sich, daß sich im ganzen deutschen Reiche über 11,300,000 Personen, also mehr als der vierte Theil der Bevölkerung des Deutschen Reiches, an der Spende betheiligt haben und von diesen mehr als 1,800,000 gezeichnet worden sind. — Ueber die kürzlich gemeldete Vergiftung des Sultans von Marokko, Sidi Muley Hassan, sind dem „Correo Militär" in Madrid und den Blättern Gibraltars nähere Mittheilungen aus Tanger zugegangen. Den selben ist zu entnehmen, daß die Vergiftung das Werk mehrerer Großen des Reichs gewesen, welche den ihnen seiner liberalen Anschauungen und Bestrebungen wegen verhaßten Herrscher aus dem Weg zu räumen hofften. Als der Sultan jüngst in dem nahe bei seiner zweiten Hauptstadt Marokko zusammengezogenen Lager campirte, ward ihm eines Abends das marokkanische National gericht „Kuskus", mit Arsenik vermengt, gereicht, von welchem er auch reichlich aß. Sidi Muley Hassan liegt nun in Marokko im Sterben. (Nicht uninteressant dürste es sein, nebenher zu erfahren, daß jetzt drei deutsche Generalstabs-Osfiziere das Kaiserthum Marokko durch reisen, wenn man sich zugleich erinnert, daß der „Gaulois" vor einigen Wochen erst gemeldet, Deutsä'tand habe in Marokko einen Küstenstrich zur Anlegung eines Kriegs- Hafens erworben.) — Der Justizausschuß des Bundesrathcs ist no b da mit beschäftigt, die Motive zu dem Socialiftengesctzentwurf näher festzustellen. Demselben sollen ausführliche und quellenmäßige Darstellungen der Gesetzgebung des Aus landes gegen staatsgefährliche Umtriebe beigegeben werden, so namentlich die französische Gesetzgebung gegen die Internationale und die englischen Gesetze gegen die Um triebe der Fenier. — Eine sogenannte gute Partie ist der Prinz Hein rich der Niederlande. Er hat nicht nur große feuer feste Schränke voll guter holländischer und anderer Werthpapiere aus der besten Herren Länder und Silber minen in Amerika, sondern auch 99 Güter im Lande. Es hätte auch noch für das 100. gereicht, wenn nicht der König allein das Recht hätte, 100 Güter zu besitzen. Kein Wunder, daß er seiner Braut einen Schmuck zur Hochzeit schenken konnte, der eine Million Werth ist. Und sie hat ihm ihre Jugend zum Gegengeschenk gemacht; sie ist bekanntlich 22, er 58 Jahre alt. Uebrigens ist der Prinz Heinrich wegen seines trefflichen Characters ein hochangesehener Mann. — In Aachen ist kürzlich unter Zuziehung kompeten tester Leute die Anlage eiserner Röhren für die städtische Wasserleitung auf 1,080,000 Mark veranschlagt, bei der darauf erfolgten Submission aber die Lieferung für nur 500,000 übernommen worden, wodurch der Stadt 58d,000 Mark erspart worden sind. — Die von den Sokialdemocraten projektirte Todten- feier Lassalles wurde verboten. — Am 28. August tagte in Magdeburg eine Ver sammlung der freikonservativen Partei Behufs Gründ ung eines großen Provinzialblattes. Die sofortigen Zeich nungen zur Beschaffung des nothwendigen Betriebs-Ca- pitals ergaben die Summe von 66,000 die aä wiui- INNIN auf 100,000, aä inaxirnain auf 200,000 er gänzt werden soll. Voraussichtlich wird das neue Organ schon am 1. Oct. erscheinen. — Wie man der „K. Z." aus Mom meldet, sieht man im Vatican nicht ohne Besorgniß nach Belgien hin über, mit dessen Regierung er jeden Conflict vermeiden will. So ist denn der Brüsseler Nuntius beschieden worden, den belgischen Episcopat anzuweisen, daß er bei dem heiß entbrannten Kampfe der Parteien den päpst lichen Stuhl hübsch aus dem Spiele lasse und die Re gierung nicht zu Maßregeln reize, die zum Schaden des Clerus und der ganzen K'rche ausfallen könnten. — Das „Leipz. Tgbl." schreibt: In der Umgegend von Leipzig haben bekanntlich die Socialdemocraten eine Art Aussperrung ihrer politischen Gegner insofern ver sucht, als sie die Namen solcher Restaurateure, Waaren- händler rc., welche bei der letzten Wahl sich für den reichstreuen Candidaten erklärt, öffentlich bekannt ge geben und daran die Aufforderung an die socialistischen Gesinnungsgenossen gerichtet haben, bei den Ersteren nichts mehr zu kaufen. Wir vernehmen, daß dieser Rache act in den meisten Fällen seinen Zweck ganz verfehlt hat, indem die betreffenden Kaufleute und Händler nicht spüren, daß ihr Absatz sich wesentlich verringert hat. Uebrigens haben mehrere derselben jene Bekanntmachung nicht ruhig hingenommen, sondern die socialistischen Blätter, welche jene Aufforderung gebracht, einfach wegen Geschäftsschäd igung verklagt. Berlin. Wie wir aus guter Quelle vernehmen, wird die feierliche Eröffnung des Reichstags am 9. Septbr. nicht durch den Kronprinzen, sondern durch den Stellver treter des Reichscanzler, den Grafen Stolberg erfolgen. Ferner hören wir, daß der Reichscanzler Fürst Bismarck zur Eröffnung des Reichstags noch nicht nach Berlin zu rückkehrt. Daß derselbe aber an den Verhandlungen über das Sozialistengesetz sich betheiligen wird, steht außer allem .Zweifel. Der Reichscanzler dürfte jedoch erst nach Berlin kommen, wenn das Sozialistengesetz aus der Kommission des Reichstags hcrausgekommen und im Plenum zur zweiten Berathung gestellt werden wird. In parlamenta rischen Kreisen wird angenommen, daß die Kommission 8—10 angestrengte Sitzungen zur Durchberathung des Socialistengesetzes gebrauchen wird. (B. B. Z.) — Der Reichstag wählt am Beginn jeder Session fünf ständige Kommissionen, die Petitions-, Geschäftsord- nungs-, Wahlprüfungs-, Budgets-, und Rechnungskom- mission. Bon der Wahl dieser beiden letzten Kommissionen wird in dieser Session Abstand genommen werden, weil weder der Reichshaushaltsetat noch Vorlagen von finanzieller Tragweite dem Reichstage zugehen werden. — Ob die Tabaks-Enquette-Kommission bereits am 15. Oktober zur Sichtung des eingelaufenen Materials hier wieder zusammentreten wird, ist jetzt etwas fraglich geworden. Die Beantwortung der Fragebogen, wie die Herbeischaffung des statistischen Materials, sowie dessen Sichtung durch das kaiserliche statistische Amt dürfte doch eine längere Zeit in Anspruch nehmen, so daß die Enquette- Kommission vor dem Monat December schwerlich wird ihre Arbeiten wieder aufnehmen können. — Der „Spettatoce" von Mailand meldet, die italie nische Regierung habe beunruhigt durch die Verhand lungen des h. Stuhles mit Deutschland, den Grafen Launay, den Gesandten Italiens in Berlin beauftragt, bei der deutschen Regierung darüber anzufragen, ob das kaiser liche Reichscanzleramt mit dem h. Stuhle als Macht zu verhandeln beabsichtige, oder ob cs sich einfach um eine Negotiation handele, Lie eine innere religiöse Frage lösen solle. Das deutsche Reichscanzleramt habe sich jedoch nicht für verpflichtet gehalten, hierüber Ausschluß zu geben. — Dasselbe Blatt meldet, das italienische Kabinct gebe sich große Mühe, um bessere Beziehungen zwischen Frank reich und Italien herbeizuführen. Mehrere Italiener, welche die Pariser Weltausstellung besuchten, sollen den Auftrag erhalten haben, im Verein mit dem italienischen Gesandten für ein wirkliches französisch-italienisches Bünd- niß thätig zu sein. Die „Defecense" dagegen will wissen, daß diese italienischen Bestrebungen seitens der französischen Regierung mit äußerster Reserve ausgenommen würden. Wien, 1. Sept. Eine Verordnung des Justiz ministeriums verfügt „wegen des ausgebrochenen Krieges" für Dalmatien die Ausdehnung der Militair-Gerichts barkeit auf Civilpersonen bei Verbrechen der Ausspäh ung und anderer Einverständnisse mit dem Feinde, der unbefugten Werbung, der Verleitung der Soldaten zur Verletzung ihrer Dienstpflicht und der Hilfeleistung zu militairischen Verbrechen. Auf sämmtlichen croatischen Eisenbahnen ist bis zum 9. September der Frachtverkehr vollständig eingestellt. Es sind dieselben bis dahin aus schließlich zur Beförderung der Truppennachschube für Bosnien in Anspruch genommen. Die österreichisch-tür kische Convention wird nicht unterzeichnet werden, wenn die Pforte sich nicht entschließt, von ihren hier zurückge wiesenen Ansprüchen definitiv und bedingungslos abzu stehen. Graf Andrassy hat sein letztes Wort gesprochen und weitere Verhandlungen abgelehnt. — Die von gewisser Seite verbreiteten Gerüchte, daß Erzherzog Johann Salvador im Kampfe mit den Insurgenten gefallen und die Division Szapary voll ständig geschlagen und gesprengt sei, beruhen vollständig auf Erfindung. Ebenso erlogen war die frühere Nach richt, daß der Einnahme von Serajewo ein dreitägiges Bombardement voraufgegangen sei. — Die durch einen Brief des Trappist en-Pricrs Wendelin Pfänner vom Kloster Mariastein bei Banja- luka zuerst bekannt gewordene Nachricht der Plünderung des türkischen Stadttheils von Banjaluka durch öster reichische Soldaten, welcher sich dann auch die einheimischen Christen angeschlossen haben, machte auf die Bevölkerung Oesterreichs einen recht peinlichen Eindruck. MitBefremden hört man, daß der österreichische Kommandant eine zwei tägige Plünderung „zur Züchtigung" der Türken ge stattete, und vielfach wird laut gefordert, es solle amtlich erklärt werden, ob die Nachricht begründet sei oder nicht. Einen offiziellen Widerspruch gegen dieselbe würde man in Wien mit großer Befriedigung vernehmen. Nicht minder abfällig, als über das traurige Ereigniß selbst, sind die Urtbeile über den Trappisten-Prior, der mit augenscheinlicher Genugthuung davon spricht und die Tage Her Plünderung „die Zeit der Freude und Ver geltung" nennt. Die darin sich äußernde Gesinnung des katholischen Priors, der ein Deutscher ist, zeigt so recht deutlich wie furchtbar tief der Glaubens- und Ra- cenhaß in jenen unglücklichen Ländern ist. In den maß gebenden Kreisen Wiens würde man lieber gesehen haben, wenn der Herr Prior dem obersten Gesetze seines Ordens, das unverbrüchliche Schweigen betreffend, gewissenhafter gefolgt wäre. — Von der Drina, 28. August. Die kaum er warteten Erfolge, welche Dank der Minderzahl der Ok kupationstruppen, die Insurgenten haben, machten die selben tollkühn. Sie kündigten in förmlicher Weise allen von der Pforte eingesetzten Behörden den Gehorsam und erklärten, jetzt herrsche das „bosnische Volk". Der der größten Autorität sich erfreuende Hadschi Selam aus Tutzla verfügte, daß die Klöster der Franziskaner alles bewegliche Vermögen, welches sie besitzen, dem „Volke zum Zwecke der Fortführung des „Tschedad" (des heiligen Krieges) ausliesern mußten. In Gradacs hat sich ein Jnsurgentenchef das Vergnügen gemacht, ein halbes dutzend Christen aufhängen zu lassen, weil sie „ohnehin nur so viel Werth seien, als die Asche in der Pfeife". Es herrscht unter den ostbosnischen Christen die vielleicht ganz unbegründete Befürchtung, daß die Mohamedaner, namentlich wenn es ihnen in der nächsten Zeit schlecht gehen sollte, ein allgemeines Massakre veranstalten könnten. — Das in Belgrad erscheinende Blatt „Srbske Novine" bestreitet die Anschuldigungen österreichisch-unga rischer Journale in Betreff des den bosnischen Insurgen ten seitens Serbiens gewährten Beistandes und behauptet, daß, wenn serbisches Geld in Bosnien gesunden werde, dies vermittelst kommerzieller Beziehungen seinen Weg dorthin gefunden habe. Wenn ferner in jener Provinz zehn serbische Kanonen gesehen wurden, so seien dieselben im ersten Kriege von den Türken erbeutet und bosni schen Bataillonen zugetheilt worden; und schließlich, falls Stabsoffiziere von den Oesterreichern zu Gefangenen ge macht worden, daß dieselben nicht aus dem Fürstenthuine sein könnten, da dieses seinen ganzen Stab daheim habe. — Der „Jstok" veröffentlicht Uebersetzungen von Be glückwünschungsschreiben, die von Czechen aus Rußland an Serbien bezüglich seiner Unabhängigkeitserlangung gesandt wurden. — Die Albanesen beharren bei ihrer feindseligen Haltung. In einem jünsten Treffen im Di strikte Vranja sollen 40 Serben getödtet worden sein. — Aus Cettinje wird dem „Castern Budget" unter dem 20. August geschrieben: Während der letzten Woche war Montenegro in einem Zustande der Mobilistrung- Sämmtliche Sirdars haben den Befehl erhalten, die zwei ersten Aufgebote der Armee, welche die waffenfähige