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Müischer Mit. Wien, 20. März. Im weitere» Verlaufe seiner Rede in der gestrigen Sitzung der ungarischen Dele gation präcisirte Graf Andrassy die augenblickliche Lage folgendermaßen: Der Friede besteht noch, die Erhaltung desselben ist die Politik der Regierung; daß er zu er halten sein wird, hofft die Regierung; bis jetzt ist kein Interesse der Monarchie preisgegeben. Bisher besteht die Hoffnung und der Glaube, daß die Vermittelung zwischen den geschaffenen Thatsachen, dem europäischen Rechtszustande und den Interessen anderer Staaten erreichbar ist; hätte die Regierung eine andere Politik befolgt, wie sie die Opposition wollte, so stünde die Bilanz heute anders; sicher wäre ein langwieriger Krieg mit dem großen Nachbarstaate und unversöhnlicher Haß der gesummten orientalischen Christenheit das Resultat einer solchen Politik gewesen. — Hierauf wurde der Beschlußantrag der Subcommissionen mit großer Ma jorität und auch der Credit einstimmig votirt. London, 18. März. Heute hat ein Cabinetsrath stattgefunden. — Das an der hiesigen und an aus wärtigen Börsen verbreitete Gerücht von dem Rücktritt Lord Derbh's entbehrt dem „Neuterschen Bureau" zu folge jeder Begründung. London, 20. März. Der Vertrag von San Stefano ging der englischen Negierung von Konstantinopel aus zu. Die Regierung hält an dem Verlangen fest, daß der ganze Vertrag durch Rußland vorgelegt und die Entscheidung darüber, in wie weit der Inhalt zu besprechen sein werde, nicht Rußland, sondern den Congreßmächten zngewiesen werde. Andererseits ist sie bereit, nachzugeben, daß der Vertrag den Mächten einzeln mitgetheilt werden darf. London, 20. März. Die „Times" erachtet die Erklärungen des Grasen Andrassy für höchst bedeutsam, insbesondere diejenigen, welche die Beziehungen Deutsch lands zu Oesterreich beireffen. Soweit dieselben dahin interpretirbar seien, Deutschlands Bedingungen zu mäß igen, böten sie vielleicht die beste Hoffnung einer fried lichen Lösung der Krisis. — Einer der „Times" aus Pera zugegangene» Meldung zufolge verzichteten die Ruffen ans den Marsch nach Bujuktere infolge des Ein wandes der Pforte, daß der Friedensverträg die Ein schiffung im Bosporus nicht stipulire. Petersburg, 18. März. Die „Ageuze Russe" schreibt: Nachdem von San Stefano den Mächten mitgetheilt worden ist und Rußland das Prinzip anerkannt hat, daß auf jedem Kongresse jede Macht in ihren Vorschlägen, Anträgen frei ist, scheint es, daß die von England ver langten Formalitätei» keine Berechtigung mehr haben. Wie wir von wohlunterrichteter Seite erfahren, wird der Wortlaut des russisch-türkischen Friedensvertrags Ende dieser Woche zur Kenntniß aller Mächte gelangt sein. In den hiesigen Botschaftshotels war man gestern" der Mein ung, daß der Kongreß spätestens am Ende der ersten Aprilwoche eröffnet werden wird. Von einer Vorkon ferenz verlautet nichts, vielmehr sollen die äußerlichen Vorbereitungen auf dem ordentlichen Kongreß zuvörderst zum Anträge gebracht werden. Der Kongreß tagt, schon mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Reichs kanzlers, in dessen neuem Palais, falls auch Fürst Bis marck bis dahin seine Wohnung noch nicht dorthin ver legt hätte. — Dem „Manchester Guardian" zufolge, wird in Berlin eine Präliminarkonferenz stattfinden, auf welcher fcstgestellt werden soll, welche Fragen dem Kon gresse vorzulegen seien. Fürst Gortschakoff trifft in Berlin am 28. März ein, die Konferenz beginnt am 31. März, der Kongreß in der zweiten Woche des April. Zeitereignisse. PulSnitz, 22. März. Anläßlich der Geburtstags feier Se. Majestät des Deutschen Kaisers fand heute morgen eine Neveille, ausgeführt vom hiesigen Stadt- musickchor, statt. Pulsnitz. Am 18. d. M. und folgende Tage fand eine abermalige Ausloosung Königlich Sächsischer Staatspapiere statt, von welcher die 3°/^ bleibe vom Jahre 1830, - 4"/ft - ' - - 1847, - 3«/ft - - - 1855 und - 4«/g sächsisch-schlesische Eisenbahn-Aktien- schuld betroffen wcroen. Die Inhaber von Papieren dieser Anleihen werden hierauf noch besonders mit dem Hin- zusügen aufmerksam gemacht, daß die Listen der ge zogenen Nummern in der Leipziger Zeitung, dem Dresd ner Jonrnal und dem Dresdner Anzeiger veröffentlicht, auch bei allen Vczirksstener-Einnahmen und Gemeinde vorständen des Landes zu Jedermanns Einsicht ausge legt werden. Mit diesen Listen werden zugleich die in früheren Terminen ausgeloosten, aber noch nicht abgehobenen Nnmmern wieder aufgerufen, deren große Zahl leider beweist, wie viele Interessenten zu ihrem Schaden die Ausloosungen übersehen. Es können dieselben nicht genug davor gewarnt werden, sich nicht dem Jrrthum hinzugcben, daß, so lange sie Coupons haben nnd' diese unbeanstandet eingelöst werden, ihr Kapital ungekündigt sei. Die Staatskaffen können eine Prüfung der ihnen zur Zahlung präsentirten Coupons nicht vornehmen und lösen jeden echten Coupon ein. Da nun aber eine Verzinsung ausgelooster Capitale über deren Fälligkeits termin hinaus in keinem Falle stattsindet, werden die von den Betheiligten in Folge Unkenntniß der Aus loosung zuviel erhobenen Coupons seiner Zeit am Ka pitale gekürzt, vor welchem oft emfindlichen Nachtheile sich die Inhaber von Staatspapieren nur durch regel mäßige Einsicht in die Ziehungslisten, (der gezogenen, wie der restircndcn Nummern,) schützen können. Kamenz, 19. Mürz. (K. W.) Der Besitzer der Ritter güter Räckelwitz und Jeßnitz nebst Zubehör, Herr Reichs graf Franz zu Stolberg-Stolberg, ist in der Nacht vom 9. zum 10. März zu El-Biar bei Algier in Afrika, in dessen mildem Klima er seine Gesundheit wieder zu er starken hoffte, etwas über 37 Jahr alt, plötzlich gestorben. Seine irdische Hülle kam gestern Abend per Eisenbahn hier an, wurde sofort nach Räckelwitz überführt und wird von dort aus morgen auf dem kath. Friedhöfe zu Crostwitz beigesetzt werden. Der sel. Herr Gras wird von den Armen und Kranken seiner Besitzungen und deren Umgegend schmerzlich vermißt werden, denn sein und seiner Gemahlin eifriges Bemühen war besonders da- auf gerichtet, „wohlzuthun und mitzutheilen." . Dresden, 19. März Trübe Nachrichten kommen aus dem Voigtlande. Die Handweber in der Oelsnitzer Gegend sind infolge der ausdauernden Geschäftsstockungen m bittere Noth gerathen. Bei Hunderten von Familien schaut, nach Schilderungen im „Vogtl. Anz.", nicht nur allein, wie bisher die blaffe Sorge, sondern ge radezu dex Hunger zum Fenster herein. Weder Arbeit noch Brod, weder Kleidung noch Feuerung besitzen die armen Menschen in ausreichender Menge schon seit Monaten, jetzt aber ist es nahezu bis zur Hungersnoth gekommen, und Hilfe, schnelle Hilfe ist Pflicht eines jeden fühlenden Menschen. Die Bezirksversammtung des Oelsnitzer amtshauptmannschafllichen Bezirks, die nach tz 21 des Gesetzes über die Bildung von Bezirks- Verbünden vom 21. April 1873 berechtigt ist, zur Ab wehr eines allgemeinen Nothstandis Aufwendungen aus dem Vermögen des Bezirks zu machen, hat am 17. d. M. den Betrag von 10,000 zur Beschaffung von Arbeit und von Gewährung von Unterstützungen be willigt und ein Comitee mit der Leitung des Untcr- stützungswerkes beauftragt. Man wird mit gedachter Summe nicht allzuweit kommen, nicht viel Familien unterstützen können und die Puvatwohlthütigkeit muß mit Hand anlegen, wenn den armen voigtländischen Webern die Unterstützung zu Theil werden soll', welcher sie bedürfen. — Der zeitherige Postinspector Eichler in Halle an der Saale ist zum Postinspector für den Bezirk der Kaiser!. Oberpostdirektion zu Dresden ernannt worden uno Se. Majestät der König von Sachsen hat auf Grund Art. 50 der Verfassung des deutschen Reiches zu dieser Ernennung die landesherrliche Bestätigung er- theilt. — Nachdem seit dem Jahre 1872 in Sachsen eine Vormusterung der Pferde zur Constatirung ihrer Taug lichkeit für den Kriegsdienst nicht mehr stat'tgefunden hat, wird eine solche gegen Ende des heurigen Frühjahres stattsinden. — „Vorsicht bei Annahme von 20-Markstücken." Seit einigen Tagen sind in verschiedenen deutschen Städten niederländische 10-Guldenstücke in den Verkehr gelangt, welche genau die Größe der 20-Markstücke, nur Vz Gramm Mindergewicht haben, erst bei der genaueren Betrachtung von ihnen zu unterscheiden sind und blos 16 M. 80 Pf. gelten. Berlin. Wie wir von besonders gut insormirter Seite erfahren, hat der Kaiser bereits das Schreiben des Papstes Leo XIII. beantwortet. Dasselbe soll in durchaus freundlichem Tone gehalten sein, und wird für die Anzeige der Thronbesteigung diesem der Dank aus gesprochen. Was die politisch-kirchlichen Angelegenheiten betrifft, so enthält das kaiserliche Schreiben die Bemerk ung, daß der erste Schritt zur Anbahnung neuer Ver hältnisse seitens des Papstes erwartet wird. Es wird also an der Kurie sein, ihre Vorschläge der kaiserlichen Negierung zuerst zu unterbreiten. — Die Nachricht, daß das päpstliche Schreiben dem Kaiser dircct durch den König von Bayern zugegangen sei, wird für falsch ge halten; es soll diese Uebermittelung durch die hiesige bairische Gesandtschaft geschehen sein. — In der „Post" veröffentlicht der Freiherr v. Lütt witz auf Gorkau bei Zobten am Berge in Schlesien eine offene Bitte an die Vertreter des deutschen Volkes im Reichstag und Abgeordnetenhaus: auf irgend eine Weise erfolgreich zu sorgen, daß von jetzt ab in den Sitzungen der Reichs- und Landtage möglichst jene auf regenden oder in malitiöser Weise sich kundgcbcnden Nörgeleien vermieden, wenigstens nicht von einer und derselben Person wiederholt werden können, welche vor aussichtlich die ohnehin geschwächten Nerven des Staats kanzlers aufreiben müssen." Besagter Freiherr unter stützt diese seine „Offene Bitte" mit einer langen Reihe von Gründen, deren Wiedergabe uns sammt und sonders auf den einen Punkt hüiauslaufcn, daß Fürst Bismarck ein großer Mann und das deutsche Volk ihm diese Rücksicht schuldig sei. Der Vorschlag ist jeden falls gut gemeint. — Der „K .Z." meldete man unter dem 18. d. M. aus Berlin: „Es bestätigt sich, daß der Kaiser Wilhelm ein Schreiben vom Papst Leo XIII. erhalten hat, in welchem dieser nicht nur seinen Regierungsantritt anzeigt, sondern auch in freundlicher Weise den Wunsch nach einer besseren Gestaltung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche ausdrückt." — In unterrichteten Hoskreisen verlautet, daß der Kai ser über das ihm vom Papste LeoXIII. zugekommene Schreiben, betreffend die Notification seiner Thronbe steigung. aufs höchste erfreut gewesen ist und das päpst liche Schreiben sofort in derselben höflichen Form beant worten wird. Man will in dieser» Kreise wissen, daß trotz der Ableugung der klerikalen Blätter das päpstliche Schreiben nicht nur die obenerwähnte Notification, son dern auch einen Passus enthält, aus welchem unzwei deutig hcrvorgeht, daß seitens der Kurie ein mockus vi- vonäi mit der preußischen Staatsregierung angestrebt wird. — Gerüchtweise verlautet übrigens, daß Graf Stolberg gleichzeitig eine auf den „Kulturkampf" bezüg liche Mission von Wien aus übernommen haben soll. Es seien ihm in Wien seitens eines hohen katholischen Geistlichen Eröffnungen über die Eventualität einer Aus söhnung der Kurie mit den in Preußen durch die neue kircheupolitische Gesetzgebung geschaffenen Verhältnissen gemacht worden, die Graf Stolberg für so beachtens- werth gehalten habe, daß er durch eine geeignete An frage bei de» hiesigen maßgebenden Persönlichkeiten über oere» Stellung zu dieser Eve»tualitüt sich informire. Sollte diese Stellung eine den Wünschen des heiligen Stuhles, welche keineswegs eine Aufhebung der Maige setze, sondern nur die Gewährung bestimmter, den Zu sammenhang des deutschen Katholizismus mit dem Papst- thum anerkennender Zusicherung bezwecken, entgegen kommende sein, so dürfte seitens des neuen Papstes der erste offizielle Schritt zu einem versöhnliche» Uebereinkom men erfolgen. — Der Typhus räumt unter der russischen Armee sowohl iir Bulgarien als in Armenien furchtbar auf. Nach einer Depesche aus Tiflis sind am 15. allein zwei russische Generäle am Typhus gestorben, und zwar Ge neralmajor Loris-Melikoff (ein Bruder des bekannten Armee-Lommandanten) und Generallieutenailt Solowirff, Com.mandant der kaukasischen Grenadier-Division (welcher zum'Siege am Aladscha-Dagh wesentlich beigetragen hatte.) Man versichert, daß die Nüssen seil Abschluß des Waffenstillstandes durch Krankheiten inchr Todte verloren haben, als in allen Schlachten des Krieges zusammenge- nommcn. An Stelle ds Generals Schelköwnikoff, welcher ebenfalls am Typhus starb ist General Ducho» koi (früher Generalstabschef der Kaukasus-Armee) zum Gouverneur des Erzerumer Kreises ernannt worden. München 19. März. Der Minister v. Pfretzschner ist heute früh von Berlin hierher zurückgekehrt. Derselbe erhielt vom Könige ein sehr schmeichelhaftes Signal, worin ihm für seine Thätigkeit bei de» jüngsten schwierigen Ver handlungen im Bundesrathe und im Reichstage die vollste allerhöchste Anerkennung ausgesprochen ist. Wien, 19. März. Heute halten die beklommenen Gemüther bei uns wieder friedliche Einkehr. Bezüglich einzunebmender Haltung Oesterreichs gegenüber den anglo- russischen Komplikationen verweisen heut die Offiziösen sogar auf die „rauflustige Stimmung der englischen Nation, welche bereit sei, die erste» Besten der ihr in den Weg laufenden niederzuschlagen" und sagen: es sei Vorsicht nothwendig, sich sowohl im Privatleben wie im öffent lichen Leben mit solchen Bundesgenossen zu weit einzulaffen, so lange auf friedlichem Wege eine Verständigung erreich bar erscheine. Bukarest, 18. März. Die Deputirtenkammer ver handelte in ihrer heutigen Sitzung über die Interpellation hinsichtlich der Schiffahrt auf der Donau. Ein Depu- tirter behauptete, daß die Russen in der Sulma-Münd- ung alle stromauf- und stromabwärts gehenden Schiffe aufhielte» und die Wiederschiffbarmachung der Donau verweigerten, um die während des Krieges unverkauften Vorräthe an Getreide und anderen Bodenprodukten ohne Concurrenz verwcrthe» zu können. — Die Dcputirten- knmmer beendete sodann die Berathung des Eümahmen- budgets und begann dann die Berathung des Ausgaben budgets mit dem Capitel über die öffentliche Staats schuld. Asien. Die russische Gefahr beschäftigt jetzt die Ge müther in Indien in hohem Grade, und sie ist es, welche den Zuständen an der Nordwestgrenze Indiens eine be sondere Wichtigkeit verleiht. Ein an die Redaction der „Bombay G." gerichtetes Schreiben enthält unter Anderem folgende bemerkenswerthe Stelle: „Die Periode des Ent scheidungskampfes (gegen Rußland) wird so gewiß ein treten, als die Nacht auf den Tag folgt, und obwohl es in unserer Macht steht, unter zwanzig Punkten zu wählen, wo wir Rußland mit Vortheil angreifen können, fo giebt es doch nur eine Stelle, eine einzige wo es Rußland möglich ist, uns anzugreifen, und das ist die Nordwest- grenze. Ich glaube an keine unübersteiglichen physischen Hindernisse in der modernen Kriegführung- Und wenn die Russen unbehindert geradezu in das Himalaya-Ge birge emdringcn und wahrscheinlich die Afgahnen mit sich bringen würde», und wenn man ihnen gestatte, jede vor theilhafte Stellung zu besetzen, während wir ruhig Zusehen, so frage ich im Namen des Himmels, wer sie wieder da raus zu vertreiben vermöchte? Sie wären in der Lage nach Belieben in die Ebene einzufallen und sich wieder mit Muße in ihre sicheren Stellungen zurückzuziehen. Sie könnten 60- bis 70000 berittene Schützen in die Thäler loslaffen und diese verwüsten, und mit welcher Macht könnten wir ihnen je den Weg abschneiden? Ist ihnen dies aber gelungen, so könnten wir die Zerstückelung