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der Armee nicht aufgehoben werden kann. Die 60- Millivnen-Forderung aber wird motivirt ungefähr wie folgt: „Bei der gegenwärtigen Sachlage ist die Möglich keit nicht ausgeschlossen, daß die gemeinsame Negierung gcnvthigt werden könnte, zur Wahrung der Interessen der Monarchie außerordentliche Maßregeln zu ergreifen In diesem Falle muß die gemeinsame Regierung in der Lage fein, sofort die entstehenden Kosten decken zu können und daher nm die Ermächtigung bitten, die dcsfallsigen Auslagen bis zur Höhe von 60 Millionen Gulden be streiten zu dürfen. Mit dieser Summe sollen nicht et waige Anschaffungen zur Kompletirung der Ausrüstung der Armee bewirkt werden, sondern es sollen hierdurch der gemeinschaftlichen Regierung die Mittel gewährt sein, damit sie auf ihre Verantwortung rechtzeitig solche Maßregeln treffen könne, die bei einer raschen Verwerthung der Vortheile, welche die Organisation der Armee bietet, allein geeignet sind, die Monarchie vor jeder Gefahr u. Neberraschung zu sichern." Es ist immer derselbe Brei von hohlen Redens arten, hinter denen sich nichts verbirgt, als der Mangel, einen kühnen Entschluß zu fassen. Bezüglich dieses 60- Millionen-Kredites bat das Delegationsmitglied Zsedeny den Grafen Andrassy um eine Erklärung über den Zweck des Kredites in öffentlicher Sitzung. Graf Andrassy er suchte, die Angelegenheit, da es sich nicht um eigene, sondern um europäische Interessen handle und da man jetzt am Vorabend des Kongresses -stehe nur in den Sub kommissionen zu verhandeln. Die.: Delegation beschloß demgemäß. Aus alledem erhellt aber, daß Graf An- drasty nach mancherlei Redensarten erhalten wird, was er verlangt. Im österreichischen Parlamente beantwortete Mi nisterpräsident Fürst Auersperg die bekannte Interpella tion des Abgeordneten Grocholski betreffs österreichisch- ungarischer Unterthanen (d. h. Polen Red.) in der Tür kei durch dis Ruffen, indem er konstatirte, daß die Re gierung sofort nach dem Bekanntwerden der bezüglichen Gerüchte die eingehendsten Erhebungen durch die Behörden angeordnet habe, daß indeß alle gemachten bezüglichen Angaben amtlich vollständig unbestätigt geblieben seien. Was sodann den 2. Theil der Grocholski'schen Inter pellation anbetreffe, ob die Regierung glaube, in die Lage zu kommen, auf dem Kongresse dahin wirken zu können, daß. auch das Loos der polnischen Unterthanen Ruhlands erwogen werde, so bezwecke der in Aussicht genommene europäische Kongreß nur die definitive Re gelung der orientalischen Angelegenheiten. In diesem Sinne sei von der Regierung die Einladung zu einem Kongresse erlassen worden, es bleibe daher jeder andere Gegenstand von der Erörterung durch die europäischen Mächte ausgeschloffen. London, 7. März. Oberhaus. Der Herzog von Argill lenkte die Aufmerksamkeit des Hauses auf die Verträge der Jahre 1856 und 1871 und beantragte, die Betreffs Griechenland geführte diplomatische Korre spondenz vorzulegen. Argyll erklärte, die Türkei sei die einzige der Signaturmächte, welche die Verträge ge brochen habe, dieselben seien daher als vollständig auf gehoben zu betrachten; Argyll sprach dann weiter seine Befürchtungen für die Unabhängigkeit 1er Türkei aus. Im Laufe der Debatte erklärte der Staatssekretair der Kolonieen, Carnarvon, die Türkei habe allerdings die Verpflichtungen des Pariser Vertrags von 1856 nicht ausgeführt, aber Rußland habe seine Verpflichtungen nicht beobachtet, es sei daher nöthig, daß jede Regelung sorgfältig geprüft werde, damit sie nicht nur praktisch, sondern auch von Dauer sei. Die Herrschaft der Tür kei könne nicht wieder hergestellt werden, die Ersetzung derselben sei in einer graduellen Besserung ihrer Unter thanen und der verschiedenen Racen zu suchen. Lord Derby gab hierauf eine geschichtliche Uebersicht über die Verträge von 1856 und 1871 und hob sodann her vor der durch die Verträge von 1856 und 1871 beab sichtigt gewesene Umstand habe aufgehört, dennoch müsse es die englische Regierung es als bindend erachten, bis Europa ein neues System sanktionirt habe. Wenn man diese Verträge jetzt als Ausganspunkt nehme, so würde dies nur geschehen, um davon abzuweichen. Unter den allgemeinen Prinzipien, mit denen England zur Kon ferenz gehen würde, sei auch der Wunsch, daß die Lösung der orientalischen Frage in europäischem, nicht in exclusive russischem Sinne erfolge, daß, soweit die Umstände dies gestatten,' sie die Elemente der Stabilität und Dauerhaftigkeit besitze und daß, soweit es die Um stände zulassen, oie^ Ansprüche der verschiedenen Racen und Konfessionen ziemlich gleichmäßig abgewogen würden. Es seien bei dieser Frage so viele Interessen involvirt, und es beständen so viele Schwierigkeiten, daß die Unter händler keine leichte Aufgabe haben würden. Die Re gierung werde ihr Möglichstesfthun, um eine befriedigende Lösung herbeizuführen; allein es wäre unmöglich, vorher sagen zu wollen, welches Resultat dieselbe haben werde. Zeitereignisse. Pulsnitz. Wie uns mitgetheilt wird, ist einer der Herren in Sebnitz, welche — wie in Nr. 19 berichtet, in Taubenheim Schinken genossen und in Folge dessen an der Trichinose erkrankt waren, am Dienstag seinen Leiden erlegen. Der Verstorbene ist der Fabri kant Joh. Fr. May, ein Bruder des in Großröhrsdorf domicilirten Arztes Herrn I)r. May. Von dem anderen Erkrankten, einem Sohne des Herrn Fr. May, glaubt man, daß er wieder genesen wird. — Die Advocatenkammer des Appellatwnsgerichts- bezirks Bautzen hat sich in einer dieser Tage an den Reichstag abgegangenen Petition energisch gegen den dem Reichstag zugegangenen Entwurf einer Nechtsanwalts- ordnung erklärt. Auch die Berliner Rechtsanwälte haben sich gegen diesen Entwurf erklärt. — Die Stärkenverhültnisse der Parteien im Reichs tage sind folgende: Die nationallibcrale Fraction im Reichstage zählt 128 Mitglieder, die Gruppe Löwe 7, die deutsche Fortschrittspartei 35, die Centrumspartei 94, die deutsche Reichspartei oder die Freiconservativen 35, die deutschcc nservative Partei 35, die Fraction der Polen 13, die Socialdemokraten 11, die elsässische Autonomisten- partei 5, die elsässische Protestpartei 10. Die übrigen Abgeordneten gehören keiner Partei an. Im Ganzen giebt es im Reichstage 397 Sitze. — Sehr häusig kommt es vor, daß in Geldbriefe aus Correspondenzkarten ausgeschnittene 5-Pf.-Marken als Zahlungsmittel eingelegt werden. Cs scheint demnach Vielen selbst Kaufleuten, unbekannt zu sein, daß dergl. Marken, geichviel ob aus verschriebenen oder unbeschrie- Karten kommend, werthlos sind. Wien, 9. März. Der „Polit Corresp." wird aus Bukarest gemeldet, über die Ansprüche Rumäniens ver laute u. A., daß Rumänien die Dobrudscha, die Inseln an den Mündungen der Donau und Widdin sowie 250 Millionen Frcs. Kriegskosten-Entschädigung verlange. Allen anderen Versionen gegenüber werde von Seite der Regierung versichert, daß sie entschlossen sei, das rumä nische Gebiet, wie es durch den Panser Vertrag abge grenzt worden sei, weder zu vergrößern, noch verringern zu lassen. Wien, 8 März. Erzherzog Franz Carl, Vater des Kaisers, geb. 7. December 1802, ist heute Mittag gegen 1 Uhr gestorben. Paris, 7. März. Wie das „Journal officiel" meldet, sind durch zwei neue Decrete vom 4. März abermals 74 wegen Betheitigung am Commune-Aufstande Verurtheilten ihre Strafe erlassen, umgewandelt oder herabgesetzt worden. — Der „Gaulois" schreibt: „Im Verfolg der Note des „Journal ofsiciel" hat der Generalcommistar der Weltausstellung gestern dem Fürsten Hohenlohe die Pläne der Locale mitgetheilt, welche den Sendungen aus Deutsch land angewiesen sind. Wie wir hören, sollen sie einen sehr beträchtlichen Umfang haben." Triest, 9. März. Der Loyddampfer „Sphinx", welcher mit 2500 (???) Tscherkeffen an Bord von Ca- valla kam, gerieth in Brand und ist bei dem Cap Elia gestrandet. Es sind dabei 500 Personen ums Leben ge kommen, die übrigen wurden gerettet. London, 6. März. In der Patronenfabrik zu Woolwich werden jetzt wöchentlich durchschnittlich zwei Millionen Gewehrpatronen verfertigt und damit die äußerste Leistungsfähigkeit der Anstalt in Anspruch ge- nommen. Auf der Werste daselbst werden 2500 Tonnen Preßheu, 700 Tonnen Hafer und große Mengen von Thee, Fleischextract, Wein, Branntwein, Arrow-root u. s. w. angesammelt. London, 7. März. In der heutigen Sitzung des Oberhauses lenkte Argyll die Aufmerksamkeit auf Ver träge von 1856 und 1871 und behaupet, daß die Tü kei die Verträge gebrochen habe und dieselben daher factisch aufgehoben seien. Carnarvon führte aus, die Türkei habe zwar ihre Verpflichtungen, die Verträge von 1856 auszuführen, verfehlt; aber Rußand habe ebenfalls die eingegangenen Verpflichtungen nicht beobachtet. Die tür kische Herrschaft könne nicht wieder hergestellt werden, deren Ersetzung sei in gradueller Besserung der unter- thänigen Racen zu suchen. — Lord Derby erklärte, die britische Negierung würde auf der Conferenz ihr Möglichstes thun, um eine befriedigende Lösung herbei- zusühren. London, 10. März. Einem Telegramm der „Times" aus San Stefano vom 10. d. M. zufolge ist dem von dem Sultan ratificirten Friedensvertrage'als letzte Clau- sel hinzugefügt, daß beide Kontrahenten sich bezüglich des Vertrages für solidarisch verbunden betrachten. Neous Pascha werde in Petersburg um eine Ermäßigung der Kriegsentschädigung um 300 Millionen Rubel nachsüchen. Petersburg, "6. März. Mit großer Sorgfalt ver meidet Rußland alles, was dem Verdachte Anlaß geben könnte, als wolle es in Bulgarien einen besonderen Ein fluß ausüben zum Nachtheil anderer Mächte. Es würde daher der russischen Regierung sehr erwünscht sein, wenn irgend eine andere Macht, mit alleiniger Ausnahme Englands, die Sorge des Schutzes in Bulgarien mit Rußland theilen wollte. — Leider haben die zahlreichen türkischen Gefangenen in den Städten, wo sie internirt werden, den Typhus, die Pocken und andere ansteckende Krankheiten eingeschleppt. Denselben sind nicht allein Tausende von Türken, sondern auch Tausende von den Einwohnern dieser Städte zum Opfer geworden. Schuld an dem Uebel ist namentlich die große Unreinlichkeit der Türken, welche von den russischen Behörden nur mit großer Energie beseitigt werden kann. Vor 14 Tagen Men 32 barmherzige Schwestern zur Donauarmee und jente wieder 17, auch von ihnen sind welche den Krank heiten erlegen. Alle wurden vorher von der Kaiserin empfangen und mit Segenswünschen entlasten. Petersburg, 10. März. Der „Russische Invalide' veröffentlicht ein kaiserl. Handschreiben an den Groß- ürsten-Throniolger, mit welchem demselben ein goldener mit Diamanten geschmückter Degen mit der Inschrift: „Für ausgezeichnete Befehligung des Nustschukcr Detache ments" verliehen. — Soweit auf Grund der bisher vorliegenden An gaben eine ungefähre Schätzung möglich ist, wird das neue Fürstenthum Bulgarien einen Flächenraum von un gefähr 3500 Quadratmeilen umfassen mit ca. 5 Milli onen Einwohnern. Petersburg, 8. März. Unmittelbar nach dem Ein treffen der Nachricht von der Unterzeichnung des Friedens gab Kaiser Alexander von diesem Ereigniß seinem Oheim, dem Kaiser Wilhelm telegraphisch Kenntniß. Es war dies die erste Mittheilung, die von hier aus über den Frieden sortging. — Als einer der Delegieren Rußlands, welche den Fürsten Gortschakoff zur Coferenz begleiten dürften, wird mehrfach der Fürst Alexis Lobanow, früher Gesandter in Konstantinopel, jetzt Gehilfe des Ministers des Innern, genannt. Dem Vernehmen nach hat die Pforte die Mächte in einer Note ersucht, eine Pression auf Griechenland aus zuüben, damit dasselbe den Aufstand in Thessalien und Epirus und auf Kreta nicht ferner begünstige und nähre. Falls dieser Schritt wirkungslos bleiben sollte würde ein starkes türkisches Truppenkorps nach Thessalien gesendet und von dein Panzergeschwader unter Hobart Pascha unterstützt werden. Nach Kreta sind bereits Truppen abgegangen, zum Kommandanten von Kreta ist Rouri Pascha, zum Chef des Generalstabs Mehemed Ali Pascha ernannt. Bukarest, 7. März. Der Admiral Großfürst Con stantin hat die Verstärkung und Ausrüstung der Pontus- flotte angeordnet. Die Fregattencapitaine Selim und Mscbojkowski sind in das Hauptquartier entsandt worden, uni Betreffs eventueller See-Operationen Informationen zu empfangen. Scutari, 7. März. Die Nachrichten aus Albanien lauten recht betrübend. Die türkischen Truppen haben einen großen Theil der Ortschaften der Miriditen in Brand gelegt. In Orosch wurden etwa 80 Häuser zerstört, wo runter auch die Wohnung des Prenk Bib Doda. Ein ehemaliger Diener des Hauses Prenk wurde getödtet, nachdem ihm Nase und Ohren abgeschnitten worden Waren. Sämmtliche Consuln sind wegen dieser Grau samkeit bei dem Valy von Scutari vorstellig geworden. Ein heimliches BerhiittM. Humoreske von Otto Girndt. Fortsetzung. Spangenberg Vater war jetzt ganz und gar wieder der joviale Herr, der er sonst gewesen, und murmelte seitwärts: „Er will mir eine Neberraschung bereiten." Dann aber hob er seine Stimme wie ein Prediger: „Die Ehe 'ft Euch jungen Männern insgesammt jetzt patriotische Pflicht. Wer sein Vaterland liebt, der setzt den Goldschmied in Nahrung und bestellt Ringe." Reinhold drückte seine Anerkennung aus: „Der Ge danke ist mir neu. Nur läßt das Ding sich heutzutage nicht mehr so spielend ausführen wie in jenen Zeiten, von denen die Schrift erzählt: „„er ging hin, und nabm ein Weib."" Der Banquier legte seine Hand auf den Rücken, die andere steckte er in die Brusttasche: „Sollten sich Dir Schwierigkeiten entgegenstellen, so sag' es mir nur, mein Sohn, wir wollen sie schon beseitigen." „Du bist sehr freundlich, Papa," dankte Reinhold für das Anerbieten. „Wählst Du," fuhr der alte Herr mit Festigkeit fort, „zum Beispiel Deine Braut in den Cirkeln der Aristo kratie — und ich glaube fast, Dein feiner Geschmack wird Dich dahin führen —" Der Bräutigam in 8po ließ ihn nicht ausreden: „Was sein wird, gehört der Zukunft an. Einstweilen wüsten wir uns bequemen, unsere Suppe noch allein zu essen. Und vielleicht ist's am besten, es bleibt so; denn bis her haben wir einig und zufrieden gelebt, Du Deiner, ich meiner Arbeit froh, warum wünschest Du uns null einen kleinen Zankteufel in's Haus?" „Ach was, Zankteufel!" wies der Vater das Prä dicat seiner Schwiegertochter zurück. Reinhold jedoch bemerkte: ,Wie ein Mädchen sich als Frau geberdet, läßt sich nie voraussehen." „Das wäre schlimm!" ereiferte sich der Papa. „Ein wohlerzogenes Mädchen wird ein braves Weib." Und halb vorwurfsvoll, halb bittend schi ß er an: „Reinhold! Ich will Deine Frau sehr lieb haben, sehr lieb!" „Aber einziger Papa, ich kann mir doch keine her beizaubern?" „Warte, Spitzbube!" drohte der Banquier leise und flickte auf einmal ungewöhnlich listig, während er die Frage stellte: „Verzweifelst Du, weil Dein Zauberstäb chen gestern den Dienst versagt? Einmal kann sie schon ausbleiben, darum ist sie noch nicht untreu. Wie lange jast Du gesessen oder bist umhergelaufen in Erwartung der Ersehnten?" Reinhold stand perplex, der Sinn der Worte war ihm unfaßlich: „Papa, wie redest Du?" Da richtete dieser sich auf, so hoch er konnte: „Höre, ;etzt leugne nicht mehr! Ich hab's gelesen!" „Was gelesen?" „Es war Deine Hand darauf nehme ich Gift! Wo lst das bekannte Plätzchen, Bösewicht?" „Alle neun Musen!" fuhr der Verrathene auf. „Laß die Musen und sage: xator poocuvi!" verlangte der Banquier.