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ihnen ein Leichtes, zu jeder Zeit die Gelder flüssig zu machen. Sic könnten dem Verlangen nach baarer Zahl ung immer entsprechen, ohne daß sie ihrerseits veranlaßt oder gezwungen wären, dem Grossisten andere, strengere Bedingungen zu machen. Nach wie vor würden sic dem Grossisten ein 6- oder 9monatliches freies Ziel bewilligen und dann noch allerlei Wechsel und Papierchen auf Nebenplätze in Zahlung nehmen. Nicht aber der Fabri kant von mittlerer Bedeutung. Dieser, der mit beschränkten eigenen Mitteln arbeitet, muß gegenwärtig, bei dem langen Borgsystem an die Grossisten und Händler, dem er sich nicht entziehen kann, weil der großindustrielle Fabrikant es ihm zuvorthut, — dieser muß gegenwärtig feinen ganzen Banquierscredit anspannen, um im Fahr wasser zu bleiben. Würden die Nohstoffhändler aller Branchen strenge an 3 Monats-Tratte festhalten, dann wäre der Fabrikantenstand von mittlerer Bedeutung in einer bedauernswerthen Lage. Er könnte die ZahlungS- resorm nicht weiter tragen, denn der Grossist würde bei der großindustriellen Concurrenz mit dem langen Pump kaufen; durch billigere Preise könnte er es auch nicht erzwingen, auch hierin ist der Großindustrielle ihm über, wie Brüsig sagt. Der Banquierscredit, der in Deutsch land ost nach philisterschaftcn Ideen und immer nach der Schablone bemessen wird, ist eine Saite, die nicht zu stark und anhaltend angespannt werden darf, sonst platzt sie. Es ergiebt sich hieraus erstens, daß der mitt lere Fabrikantenstand in eine große Nothlage käme, in rineLage, die von großer Tragweite für zahllose Existenzen wäre, für Tausende von Fabrikanten, für Hunberttau- sende von Arbeitern. Wir müssen hier darauf Hinweisen, daß dieser mittlere Fabrikantenstand die Mitglieder zwischen Arm und Reich sind. Ost aus den Reihen der Arbeiter selbst hervorgegangen, ost durch der Väter Freundschaft mit ihnen verbunden, sind sie Freunde der Arbeiter geblieben, verkehren cordial mit ihnen, und nur diesem Mittelstände ist es zuzuschreiben, wenn die Social demokratie noch keine weiteren Fortschritte gemacht hat. Wie aber, wenn dieser natürlich aus dein Volk heraus- gewachsene Damm zerstört würde, — wenn der Fabrikant, der heute seine 20 oder 30 Arbeiter beschäftigt, die Fabrik schließt und den staunenden Arbeitern sagt: ich kann nicht weiter kämpfen, das Capital erdrückt mich, — würden nicht die Socialdemokraten allein die Früchte ernten? Würden ihre Reihen nicht vermehrt werden durch brave Arbeiter, die sich bis jetzt ferngehalten und andere ferngehalten haben? — Man muß mitten in der Bewegung stehen, um dafür ein Gefühl zu haben. Es eröffnet sich eine Perspective, die geradezu ungeheuerlich sein kann, es wäre kurios, wenn die unschuldige Idee der Reform des Creditwcsens solche Resultate im Gefolge hätte. Kleine Ursache, große Wirkungen! Ein passendes, zeitgemäßes Wort, und der verständige Leser wird über unsere Andeutung weiter nachdenken und dieselbe hoffent lich würdigen. Es ergiebt sich zweitens für jeden einleuchtend, daß die Zahlungsreform absolut stockte und gescheitert wäre. Und drittens ergiebt sich, — wir kommen zum Kern und zum Schlüsse, — daß eine Zahlungsreform nur dann weittragend und durchgreifend sein kann, wenn der Großindustrielle die Reform durchführt. Einen andern Weg giebt's nicht, und wenn alle Weltweiten Tag und Nacht unermüdlich, mit deutscher Gründlichkeit darüber studirrn. Wenn der Großindustrielle heute durch Rund schreiben den Grossisten erklärt: vom I. Juli d. I. ab verkaufen wir nur und ausschließlich gegen 3 — oder mag er sagen! 4 Monats-Tratte, dann richtet sich der Grossist heute schon darauf ein, und im Juli ist die Re form fertig, wenn der Großindustrielle ehrlich sein Pro gramm ausführt. Der kleine Fabrikant kann dies nicht aus eigener Kraft, wenn der Großindustrielle nicht den ersten Schritt thut. Schreiber dieses spricht pro clomo und aus langjähriger drüber Erfahrung. Wenn der Großindustrielle nicht die Jniative ergreift, wird aus der ganzen Reform nichts. Nur nutzlose Vergeudung von Druckerschwärze ist es, wenn darüber andere Pläne gemacht werden. Die Reform ist nöthig, sie muß in'S Leben treten, wenn dem deutschen Handel eine gesunde Unterlage ge geben werden soll. Blicken wir auf England und Frank reich, welch' andere Zahlungsbedingungen macht man uns dort! — Haben wir die Reform bei uns eingeführt, verkauft oer Fabrikant und Lieferant nur gegen 3 Mo nats-Tratte, dann haben wir unendlich gewonnen für den deutschen Handel. Denn der deutsche Fabrikant, wir können es nicht laut genug sagen, verdient nicht zu wenig, nein, er verliert nur zu viel. Durch die langen Credite sind eine Anzahl Scheinexistenzen geschaffen und werden täglich neue geboren, welche dem Fabrikanten durch ihr Sterben und Verderben klaffende Wunden schlagen, — und darum ist die Reform durchaus nöthig. Die Sache darf nicht einschlafen, aber man muß die Axt am Stiele, nicht am Eisen anfassen, wenn man Holz spalten will. llrolurt. M« heimliches Berhiiltniß. Humoreske von Otto Girndt. Fortsetzung. „Ich bin wirklich sehr erschöpft," klagte Wanda. „Durch Mama's Predigt auf der Promenade über die heilsame Staatseinrichtung des Ehestandes?" Die Gefragte ward ungeduldig: „Genug davon, ich bitte Dich, Leontine!" „Du mißverstehst mich," lautete die Erwiederung, „ich will nicht von Dir, sondern von mir reden. Weist Du, was Mama sich zusammengesetzt bat? Mein Vetter Max —" „Wird Dein Gemahl werden," erzählte die Andere. „So!' sprach Leontine ernst. „Entsinne Dich aber, ich sagte draußen im Grünen: es wird anders kommen!" „Daun wärst Du sehr thöricht," ließ Wanda ver nehmen. „Findest Du denn den guten Jungen so liebens würdig?" forschte seine Cousine. Statt geradeaus zu antworten, schalt das bayrische Fräulein: „Die Bezeichnung wählst Du mitunter selbst in Herrn von Hill's Gegenwart. Ich wundre mich nur, daß er sich noch nie gerügt." „Er ist seit grauen Jahren daran gewöhnt," warf Jene leicht hin, „und würde Etwas vermissen, wenn er plötzlich den guten Jungen nicht mehr hörte. Jndeß soll er erfahren, wer mir die Vertraulichkeit verwiesen." „Das ist nicht nöthig!" verbat Wanda'schnell. Leontine hatte ihre heimliche Absicht bei der.ganzen Unterhaltung. Mit unmcrklichcm Lächeln ging sie behut sam einen Schritt weiter. „Also Du rähst mir, wenn er feierlich um mich anhält, Ja zu sagen?" Wanda zuckte die Achsel: „L^mderliches Mädchen, wie kann ich oder irgendwer Dir dabei rathen?" „Sieh," versetzte die berechnende Freundin, „wie Du Dir wiedersprichst, mein Engel! Zuerst wäre ich sehr töricht, und nun ich dem Vorwurf entgehen will, ziehst Du Deine Meinung zurück." Wanda drückte die Hand an die Stirn „Mir schmerzt der Kopf, Leontine; Ihn' was Dir beliebt!" Und sie wandte sich zum Gehen. Leontine blieb stehen und sah ihr nach: „Wie sie ausweicht! Deutlicher könnt' ich's ihr doch kaum machen, daß ich ihriliebes Herz durchschaue. Es giebt Menschen, denen man ihr Glück aushängen muß." Mit dieser lei sen Reflexion wollte sie in die Thüre ihrer Mutter. Da fiel ihr Blick aus den Brief, den sie noch in der Hand hielt. „Ja so!" murmelte sie den Umschlag lösend. „Diese Zusendungen kenne ich schon auswendig: „„Er gebenste Geschäfts-Anzeige. Einem hochgeehrten Publi kum empfiehlt der Unterzeichnete sein reichhaltiges Lager von —"" sie stockte und hob betroffen das entfaltete Blatt an das Gaslicht: „Wie? Was ist das? Verse? Geschriebene Verse? An mich? Geschwind las sie: „Mein gnädiges Fräulein! In einem Garten vor dem Thor Klang eine Stimme an mein Ohr Gar hell und süß, ich borchte hin, Obschon ich sonst kein Horcher bin. Doch bald verwandelt sich in Graus Der anfangs holde Ohrenschmaus. Ein Mann, mit dem ich eng liirt, Wird da entsetzlich kritisirt. Ich werde aber heut noch geh'n Und ihm berichten, was gescheh'n. Dann hüte sich Ihr schöner Mund Vor meinem Freund Reinhold und — Doch hieran ist es wohl genug, Der Mensch wird nub durch Schaden klug. Riesche Nummer Drei." Je weiter sie gelesen, desto mehr war sie in fliegende Hast geralhen. Beim letzten Wort aber sanken ihr die Arme nieder: „Barmherziger! Und,ich sah hinter dem Gebüsch nichts weiter, als ganz im Allgemeinen einen Mann!" Eilig verbarg sie den Brief in der Tasche ihres Kleides, lief an die Thür zum Vorzimmer und rief hinaus: „Johann!" Der Bediente ließ nicht auf sich warten: „Gnädiges Fräulein befehlen?" Während er in den Salon trat, erschien aus der Nebcnstube auch Frau von Busse wieder, ihr geschloffenes Billet an den Neffen in der Hand. Leontine ward die Mutter nicht gewahr bei dem Eifer, womit sie ihren Johann examinirte: „Wer hat den Brief abgegeben ?" „Ein alter Mann." „Wie sah er aus? Ich will eine genaue Beschreibung!" „Er war schlicht gekleidet und trug eine Mütze." Befremdet mischte sich jetzt Frau von Buffe ein: „Was hast Du, Leontine?" Erschrocken fuhr der Kopf des Mädchens herum: „O nichts, nichts, Mama! Ich frage nur, wer das Schreiben an mich gebracht." „Wer schreibt Dir, daß Du so aufgeregt bist?" wollte die Mutter wissen. Vor Verlegenheit halb stotternd, brachte die Tochter heraus: „Ein bedrängter Familienvater der um Unter stützung bittet." „Er wendet sich an Dich statt an mich?" wunderte sich die Hausherrin bekam aber keine weitere Auskunft, denn Leontine flog in das Seitenzimmer. „Das ist aus fallend," fuhr die Mutter zum Bedienten gewendet, fort. „Da will ich denn doch erst untersuchen, ob die Bedräng niß nicht erdichtet ist. Kommt der alte Mann morgen, inn sich Antwort auf sein Gesuch zu holen, so wird er an mich gewiesen." „Zu Befehl, gnädige Frau!" „Und dies Billet an Herrn von Hill in den Brief kasten, Johann!" „Sogleich!" Der Diener ging. Gleichzeitig kehrte Leontine zurück. Sie hatte sich im Umsehen ihres Hutes und Shawls entledigt. „Ich denke," begann die Mutter, „wir folgen Wanda's Beispiel, Leontine, und legen uns j nieder; die Frühlings Lust wirkt unbeschreiblich ermüdend." „Ich mit den Hühnern zu Bett? protestirte das Mädchen. „Das ist mir unmöglich!" Die Mama ließ mit sich handeln: „So bleibe Du auf, ich gehe! Aber greb mir das Bittgesuch Deines bedrängten Familienvaters!" „Das — das Papier, Mama, hab' ich vernichtet." „O Schade!" bedauerte Frau von Busse ironisch. „Ich kenne dergleichen Klagelieder und weiß am Ton die echten von den unechten zu unterscheiden. Doch so bald der Briefsteller sich wieder meldet, soll Johann ihn mir zuführen; ich bewahre Dich vielleicht vor falschem Mitleid." „Er sich wieder melden? Das passirt uns nicht!" flüsterte Leontine und ging schnell in lautes Lachen über: „Ja, ja, Mama, ich bin nicht vorsichtig genug! Schlaf' in guter Ruh'!" Sie umarmte die Mutter und küßte ihr den Mund. Frau von Buffe war schon im Begriff, sich zu ent fernen, als ihr einfiel: „Noch Eins! Was bedeutete heut Deine Anspielung auf Max?" „Frage ihn nur sellbst!" „Ich soll mich gefaßt machen, daß eine Hoffnung scheitert, die ich hege?" „Frage ihn selbst!" Dabei blieb das Mädchen! „Ich bin sicher," hob die Mutter nochmals an, „er wird nach Wanda's Abreise mit einem bestimmten Ver langen hervortreten, und denke doch nicht an die Mög lichkeit, bei Dir auf Wiederstand zu stoßen." „Frage ihn!" Frau von Buffe schlug ihr auf die Schulter: „O geh, Du Unart!" that ein paar Schritte, drehte sich wieder um, als erwartete sie doch noch eine Offenbarung, aber Leontine warf ihr nur einen Kußfinger zu, und ihr blieb nichts übrig, als der jungen Verschwiegenheit durch eine stumme Geberde zu drohen, worauf sie mit ihrer uubesriedigten Wißbegier zu Bett ging. Leontine stand allein. Langsam zog sie den Brief aus der Tasche und sprach — erregt, wie sie war — vor sich hin: „Was verdiene ich, daß ich gelogen? Du lebst noch Brief! Ein alter Mann, schlicht gekleidet, mit einer Mütze, hat dich gebracht; wer soll daraus entziffern, woher du kommst?" Sie nahm mit zwei Fingern die Verse wieder aus der Umhüllung. „Zuerst erschrak ich, jetzt erscheint mir die Sache spaßhaft. Ein gewöhn licher Denunicant bereitet weder überhaupt sein Opfer vor, noch fabricirt er Verse." Sie setzte sich und blickte in das Blatt. „Klassisch ist die Poesie des großen Un bekannten nicht, sie steht ungefähr aus einer Stufe mit dem Struwwelpeter. Doch weht ein gewisser — wie soll ich sagen? — tröstlicher Humor hindurch. Ernste Unannehmlichkeiten kann mir der Gelegenheitsdichter nicht zuziehen wollen dazu ist seine Jntroduction zu ga lant." Sie las zum zweiten Mal. „In einem Garten vor dem Thor Klang eine Stimme an mein Ohr > Gar hell und süß ich horchte hin, Obschon ich sonst kein Horcher bin." Sie hielt inne und ward nachdenklich: „Dennoch kann man nicht wissen, was daraus entsteht, wenn er seinem Freund Reinhold meine Kriktik hinterbringt oder jetzt schon hinterbracht hat." Plötzlich sprang auf und horchtet „Himmel, wer spricht im Vorzimmer?" Der Brief wanderte schleunig aus's Neue in die Tasche hinab. „Wie mir das Gewissen schlägt! Ich fühle kaum den Muth, an die Thüre zu gehen." Da wurde diese schon durch den Diener geöffnet. „Wer ist da, Johann?" ries das Fräulein. „Werde ich noch angenömmen?" fragte draußen eine Stimme, die sofort alle Angst bannte. „Max!" athmete Leontine auf. „Gott sei Dank!" Johann schloß hinter dem eintretenden Rittmeister, der den Stoßseufzer seiner Cousine mit der Bemerkung beantwortete: „Das klingt, als ob hier ein Unglück geschehen." Was geschehen war, konnte sie ihm natürlich nicht sagen, also mußte wieder eine Nothlüge herhalten: „Ich war betroffen, weil ich Deine Stimme nicht erkannte und mutterseelenallein saß." „Euer Johann," erklärte Hill, „begegnet mir an der Ecke mit einem Billet der Tante. Darum wage ich's, mich noch zu zeigen/, „Armer Getreuer," bemitleidete sie ihn, „Du hast uns zweimal verfehlt! Aber setze Dich!" Sie ergriff selbst einen Sessel, der Offizier ließ sich neben ihr nieder. Seine Augen machten suchend die Runde: „Du bist allein, sagst Du? wo ist die Mama und Fräulein von Brüning?" „Tief in den Federn,", berichtete Leontine. „Die Frühlingslust, die Frühlingsluft! Ich weiß nicht, was die Menschen von der Frühlingsluft wollen. Mich regt sie au, als käme ganz neues Leben in mich." Hill verneigte sich kurz: „Du bist auch anders ge artet als andre Menschen/ Vetter?" Sie hob den Zeigefinger. „Nicht ironisch werden!" Er blieb ganz ernst: „Wie dürfte ich auf Deinem Revier jagen? Aber kein Wunder, daß die Damen sich abgespannt gefühlt; denn aus dem Kaffecgarten fnoch in den botanischen Garten zu pilgern —" Ueberrascht unterbrach sie ihn: „Woher weißt du das? Gelassen sagte er: „Ein Herr, den ich draußen traf, fagte mir's." Leontine zuckte balb in die Höbe: „Wer war der Herr?"