99 Also dafür hat Rosegger kein Gesühl, wo Christus in Pa rabeln spricht — jedes Kind fühlt den Unterschied, die Evangelisten sagen es jedesmal ausdrücklich — und wo das blutigernste „Wahrlich, wahrlich sage ich euch" be ginnt. Er liest neben dem Texte her, er hat sich seine eigene Frohbotschaft — dürfen wir auch einmal sagen „zusam- mcngeschneidert" ? Sehen wir einmal zu, wie er sich den Bringer derselben näher ausmalt, „wie er sich die Per sönlichkeit Jesu denkt". Losgelöst vom Opferbegriff, aus der ganzen Offenbarungsgeschichte herausgerissen, ja im Gegensatz zum Alten Testamente steht sein Heiland da, der nicht wissenschaftlich bewiesen werden kann und daher auch die Propheten nicht nötig hat. Die Armseligkeit der Roseggerschen Soteriologie haben wir schon dargelcgt; be trachten wir jetzt des näheren seinen Erlöser selbst. Zu nächst hören wir etwas von einem „himmlischen Bild dieses einzigen Menschensohnes, das seit dem Mittelalter bei uns vorherrscht, und das durch das Prisma des Dogmas die ursprüngliche, warmblütige Gestalt, in der wir den Herrn so recht kernig fassen nnd lieben könnten, völlig verloren hat". Unter Dogma, dem fahlen Schreckgespenst ungebun dener Köpfe, stellt sich Rosegger etwas vor, was geradezu gegen die Offenbarung von der Kirche und den Kirchen Zn ihren Sonderzwecken ausgestellt worden ist, um als Waffe gegen die ursprüngliche Anschauung im Kampfe der Geister, unterstützt vom Bannfluch einer mächtigen Partei, Verwendung zu finden. Bei dem „wer die Kirche nicht hört, der sei euch wie ein Heide und öffentlicher Sünder" scheint er momentan die Brille verlegt gehabt zu haben. Sei dem wie immer, das ist ihm wenigstens sicher, daß wir „heute zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nach