58 ' Inzwischen hat Frankreich die Lösung des Problems unternommen: eine der Großtaten der Nation seit 1870, mag auch die Durchführung der Lösung niemandes Beifall verdienen. Frömmigkeit. Nichts ist schwerer, als über Familien leben und über Frömmigkeit einer fremden Nation urteilen. Das eine greift bis auf das unterste soziale Element, ist gleich sam der Versuch, die soziale Zelle anatomisch zu behandeln; das andere bedeutet ein Hinuntersteigen in den tiefsten Quell schacht alles höheren geistigen Lebens. Über amerikanisches Familienleben habe ich befragt, wessen ich habhaft werden konnte: Familienväter, Junggesellen, Geist liche, Ärzte; habe auch unablässig beobachtet. Aber ich wage kein Urteil. Würde ich es über die französische oder italienische Familie wagen, die ich doch besser zu kennen glaube? Eher darf man sich zur Frömmigkeit äußern. Sie hat eine öffentliche Seite, die kirchliche. Sie hat bei den abend ländischen wie bei den morgenländischen Völkern bestimmte Entwicklungsstufen gehabt und hat sie noch: Stufen, die der Historiker kennt: so daß er nicht ohne eingehende Analogie vorstellungen zu Worte kommt. — In Amerika gilt auch kirchlich der Satz: In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Freie Kirche im freien Staate: welche Wohltat. In Amerika war sie leichter zu erreichen, da keine oder fast keine alten Zusammenhänge zwischen Kirche und Staat, finanziellen, administrativen, herrschaftlichen Charakters, zu liquidieren waren. Welche Nation des alten Europas wird den Mut haben, zuerst auf diesem Gebiete gleich Amerika die Folge rungen eines im übrigen rezipierten Subjektivismus zu ziehen?' Es ist müßig, sich zu ftagen, wie viel Sekten es in den Vereinigten Staaten gibt. Lehrreich wäre es, den spezifisch amerikanischen Einschlag bei vielen festzustellen: im Spiritismus z. B. scheint sich alte Jndianerfrömmigkeit zu regen. Der Fremde sieht vor allem die abweichenden Formen des Kultus: und diese übertreffen an Zahl noch weit die Zahl der Sekten. In einer Stadt des südlichen Kaliforniens zog mich in