Buchstaben eines grossen Geschichtsbuches, in welchem jeder Mensch etwas zu lesen wissen sollte. Verstehen wir dieses Wissen nicht falsch. In un serem Sinne ist die Natur weder eine gefüllte Vor ratskammer, aus der wir die Bedürfnisse unseres Lebens herholen, noch ein Studiersaal — das über lassen wir den gelehrten Naturforschern — noch auch nur eine blosse Bilderfibel, deren einzelne farbenprächtige Blätter wir gedankenlos Umschlä gen, uns im glücklichsten Falle einige ergötzliche Minuten einer unklaren, sentimentalen Stimmung, einer blitzschnell vorüberrauschenden Lust berei tend. Alle die tausend kleinen Freuden des auf merksam beobachtenden Naturfreundes stammen zunächst weniger aus einer genauen Kenntnis der ihn umblühenden Natur, als vielmehr aus dem ge heimnisvollen Gefühle eines tiefinnerlichen Verbun denseins mit ihr her, wodurch ihm jeder auch noch so unscheinbare Gegenstand — ein winziges Blüm chen, das bescheiden am Wegesrande duftet, eine einsame, grünumrankte Hütte auf dem Felde, eine verkrüppelte, malerische Weide am Bache — eine Veranlassung zu unterhaltender und selbstbelehren der Beobachtung zu bieten vermag. Ehe wir uns nicht zu einem solchen geistigen Naturgenusse vor bereiten, wird uns die Natur trotz aller, auch der vollständigsten Namen- und Sachkenntnis etwas Äusserliches und Fremdes sein. Weiter oben haben wir darauf hingewiesen, dass ein mangelhaftes Naturgefühl in letzter Linie auf einem mangelhaften Anschauungsvermögen be ruht. Die Anschauung, welche ein klares Bild der Aussenwelt vor das geistige Auge stellt, ist das erste und wichtigste Erfordernis eines geregelten, wahren und tiefen Naturgefühls. Licht wird erst Licht, Farbe, Lebenskraft dem sehenden Auge; nur das fühlende Ohr vernimmt den empfindsamen