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1452 Nichtamtlicher Theil. I? 10, 105. Mai. wiederum ein Anderer Vortheile genießt, die zu den von ihm aufgewende ten Mühen und Kosten außer allem Berhältniß stehen. Stellt man sich auf den volitischen und civilisatorischen Standpunkt, so steht die Frage so: ist es besser, daß eine große Menge kleiner Blätter existirt, die ihren Lesern keinen selbstproducirten Bildungsstoff, sondern nur den Abfall der größer» Blätter zuführen, oder ist es besser, daß eine kleinere Zahl selbständig redigirter und mit originalem Inhalt versehener Blätter in bedeulenderm Absatz über alle Theile des Landes sich ausbreitet und daß das Publicum durch diese seine politische Nahrung empfängt? Den» soviel ist gewiß: ohne systematischen Nachdruck könnten die vielen kleinen Blätter nicht bestehen; ohne das Vorhandensein dieser vielen kleinen Blätter aber würden Ausbreitung und Einfluß der größer» jeden falls bedeutend wachsen. Stach einer Berechnung, die der Verfasser des Aussatzes „Zur Frage über die Anwendbarkeit des gesetzlichen Schutzrechts gegen Nachdruck aus Erzeugnisse der Tagespreise" in der „Zeitschrift für Rechtspflege und Ver waltung" von llr. Theodor Tauchuty (Neue Folge, >4. Bd., 1856), der königlich sächsische Regicrungsrath v. Witzlcbcn, ausgestellt, hatten 1856 diejenigen paar größer» Blätter Sachsens, welche nicht vom Abdrucke aus andern Zeitungen lebten, sondern ihre Spalten überwiegend mit selbstän digen Beiträgen von eigenen Mitarbeiter» und Correspondenten füllten, etwa 9000 Abonnenten zusammen, dagegen die ungefähr 90 Nachdruck- blälter wohl 45000, also fünfmal soviel. England halte 1854 (nach einem Parlamentsberichte) bei etwa zwei Drittel soviel Einwohnern als Deutsch land, aber viel entwickelten» politischen Interesse, folglich auch viel stär kerer Leselust seiner Bevölkerung, im Ganzen nur 106 politische Blätter; Deutschland hal deren weil über 9000! Die Frage nach der Zulassung oder der Unterdrückung des systemati schen Nachdrucks in Zeitschriften stützt sich also für die politischen Zeitun gen wesentlich in die Frage zu: ist es besser, daß ein Land — also hier l>n concrcten Falle Deutschland — eine mäßige Anzahl großer, gut fun- dirtcr und gut redigirter Blätter mit einer möglichst starken Verbreitung, oder daß cs eine Menge kleiner Localblätter habe? Zu Gunsten der kleinern Blätter wird nun gewöhnlich angeführt <ward cs auch in der Versammlung des Deutschen Journalistentags zu Etsenach): sic seien die „Pionuierc" der größer»; sie feien wichtig für die politische Bildung und Belehrung des Volks; eine entwickelte Localpresse sei das beste Mittel, auch den großer» Zeitungen Eingang zu verschaffen; ohne sic würde ein großer Theil der Bevölkerung gar nichts Politisches lesen rc. Die in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen mögen verschiedene sein je nach den verschiedenen Landschaften Deutschlands. Wenn Referent nach den ihm zunächst liegenden und allein ausreichend bekannten Erfah rungen — in Sachsen — urtheilen darf, so kann er in jenes Lob der klei nen Blätter nur in sehr bedingter Weise cinstimmen. Allerdings gibt cs einige, aber nur sehr wenige, unter diesen, welche eine selbständige poli tische Anschauung und Gesinnung bekunden, wirklich politische Bildung und Belehrung in ihren Kreisen verbreiten. Gerade das sind aber auch solche, die nicht bloß Nachdrucken, sondern, wenn sie auch den Ihatsächliche» Theil ihres täglichen Inhalts ganz oder zum großen Theile aus andern Blättern entnehmen, wenigstens daneben in Leitartikeln und sonst eine eigene Meinung aussprcchcn und vertreten. Aber das ist, wie gesagt, nnr ein ganz kleiner Bruchlheil der ungeheuer» Masse von Lokalblättern (unter den gegenwärtig wohl .mehr als 100 Lokalblättern Sachsens sind es im b.sten Falle 8 —10); die übrigen haben entweder gar keine bestimmte Rich tung. sind ein bloße« Sammelsurium von Notizen, Anekdötchen rc., oder sie nehmen, was ihnen von Privaten oder Behörden zugemittell wird, ohne eigene selbständige Ucberzeugung auf. Es wäre der Mühe wcrth, an der Hand genauer örtlicher Ermittelun gen zu erörtern, ob nicht die noch immer hier und dort sich bemerkbar machende traurige Unklarheit, Unreife, Gedanken- und Gesinnungslosigkeit in denjenigen Kreisen des Volkes, die von den größern Mittelpunkten eistigcr und politischer Bildung fern leben, zu einem großen Theil auf technung der nach dieser Seite hin weit mehr nachthcilig als günstig wir kenden Lokalpresse zu schreiben sei. Jedenfalls ist das Umgekehrte constatirt, daß nämlich in Ländern mit kräftig entwickelter, freier und unabhängiger politischer Bildung und Ge sinnung der Bevölkerungen (z. B. England und Belgien) die Leitung der öffentlichen Meinung nicht von einer Unmasse von Localblättern, die selbst schlecht oder eigentlich gar nicht geleitet werden, sondern von einer ver- hältmßmäßig kleinen, aber über das ganze Land verbreiteten Anzahl großer, niit allen nothwendige» Mitteln politischer, volkswirthschaftlicher und sonsti- er Belehrung ausgerüsteter, an de» Brennpunkten deS öffentlichen Lebens, er politischen, wirthschaftlichen und socialen Bewegung erscheinender Zeitungeil ausgeht. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika gibt es allerdings auch eine Menge von Lokalblättern, allein diese sind selb ständig geleitet, beziehen ihre Nachrichten, selbst telegraphische Depeschen, für ihr Geld direct von den Burcaux in den großen Städten, werden auch vielfach von den Führern der politischen Parteien mit Artikeln ver sorgt und zur Ausübung von localen Einflüssen, besonders bei Wahlen, benutzt. Gegen eine derartige Localpresse würde nichts zu sagen, im Gegentheil wurde sie als Unterstützung der größern Blätter nur willkommen zu heißen sein. In einer früher» Zeit — als die politische Bildung unsers Volks noch in den Windeln lag, als ein großer Theil des Publikums überhaupt noch kaum gewohnt war, öffentliche Blätter zu lesen, wenigstens regelmäßig und mit wirklichem Jnieresse und Verständnitz zu lesen — damals mochte eine solche Localpresse, die zwar wenig bot, aber auch wenig Ansprüche machte, weder an den Geldbeutel, noch an die Zeit, noch an den Geist und Charakter des Lesers, vielleicht nützlich oder doch ein nolhwendiges Uebel sein, ungefähr so, wie es ihrer Zeit auch die sogenannten „populären" Schriften und Zeitschriften waren, in denen das Volk wie ein Kind behandelt ward, mit dem man eine ganz andere Sprache redete als mit Erwachsenen. Sind wir in letzterer Beziehung, Gott sei Dank!, dahin gelangt, daß auch der minder Gebildete dasselbe liest und versteyt, waö den Gebildeten an spricht, weil es in einer klaren, verständlichen, zugleich doch edel» Sprache geschrieben ist — es braucht hier nur an die ungeheuere Verbreitung von Zeitschriften wie die „Gartenlaube", das „Daheim" rc. erinnert zu werden -, so dürste auch in der politischen TageSliteralur der Zeitpunkt gekommen sein, wo das Vorurtheil schwinden muß und wirklich mehr und mehr schwindet, als ob eine für den politisch Gebildeten geschriebene Zeitung gerade um deswillen für die weitern Volkskreise, besonders für die Be völkerung des platten Landes und der kleinen Städte, unverständlich, un genießbar, „zu hoch gegeben" sei. Die Männer der Publicistik müssen dahin streben, daß dieser Zeitpunkt möglichst beschleunigt werde, jeder für sich dadurch, daß er für alle Volksschichten verständlich und überzeugend zu schreiben sucht, aber auch alle vereint dadurch, daß sie dem Ueberwuchern einer von keiner eigenen, selbständigen politischen Bildung getragenen, ge dankenlos bloß fremde Gedanken nachbetenden, fremde Arbeit ausnutzen den Tagespresse entgegenarbciten. Auch der Einwand erscheint nicht durchschlagend, als ob mit dem Ver schwinden dieser localen Nachdruckspresse, welche allerdings jetzt noch zum Theil die einzige politische Nahrung ganzer Volkskrcise ist, diese Kreise gar nichts Politisches mehr lesen, sich des politischen Tagcsintcresses ganz entwöhnen würden. So weit ist dieses Interesse doch schon erstarkt, daß es Befriedigung verlangt; wird ihm dann solche nicht mehr in der bis herigen mißbräuchlichen, freilich für Viele bequemsten Weise geboten, nun, so werden eben diese Kreise lernen, solche in besserer Weise, wenn auch mit etwas mehr Opfern an Zeit, Geld und selbständigem Nachdenken, zu suchen. Und das könnte dem Fortschritte unsrer politischen Gesammtbildung nur förderlich sei». Wenn diese Betrachtungen richtig sind, so würde daraus folgen, daß, soweit möglich, dem systematischen Nachdruck in Zeitungen — ich betone das Wort „systematisch" —möglichst entgegengearbeiet werden müsse, selbst wenn dabei ein Theil unserer kleinen Presse, eben der nur von diesem systematischen Nachdruck lebende, in seiner jetzigen bequemen Eristenz be einträchtigt und entweder zum Eingehen oder zur Betretung eines andern, für ihn selbst ehrenhafter», für das Publicum und die allgemeine Volks bildung jedenfalls ersprießlicher« Weges genöthigt würde. Das Referat wendet sich nun zu dem inzwischen erschienenen Entwürfe eines Gesetzes für den Norddeutschen Bund über diese Materie. Darüber nächstens in einem besonder» Artikel. (Dtsch. Allg. Ztg.) Miscellen. Ein Uebergriff des Verlagshandels. — In Nr. 89 d. Bl. befindet sich unter der Rubrik „Zurückverlangte Neuigkeiten" wieder einmal der Passus: „Nach dem 1. Juli nehmen wir davon nichts zurück." Wir haben im vorigen Jahre schon in Nr. 161 des Börsenblattes in einem längeren Artikel diesen Gegenstand erör tert und verweisen der Kürze halber heute einfach darauf. In dem selben wurde an derHand der vortrefflichen Schrift über die Usancen des deutschen Buchhandels von A. Schürmann nachgewiesen, daß der Verleger kein Recht hat, obige Bedingung zu stellen, der Sortimenter aber gewiß nicht verpflichtet ist, sie anzucrkennen. Möchte der Ver ein der deutschen Sortimcntsbuchhändler dieses folgenwichtige Thema einer Berathung unterziehen und deren Ergebniß in diesen Spalten veröffentlichen. Die Herren würden sicher im Interesse sämmtlicher Kollegen handeln und deren Dank sich erwerben. D. I-.