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Nr. 301. Pulsnitzer Tageblatt. — Freitag, den 28 Dezember 1982. Seite 6 um ein Beweis dafür, wie stark die wirtschaftlichen Schwie rigkeiten zugenommen haben. Die bei der Post vorgenommenen Wechselproteste haben im Oktober gegenüber den Vormonaten keine wesentliche Ände rung erfahren. Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt haben zu einer wesentlichen Verschlechterung geführt. Die Zahl der Arbeits losen ist von 100 000 auf 122 500 gestiegen. Der Güterverkehr hat hinsichtlich der Wagenstellung eine Steigerung zu verzeichnen. Der Export weist, gemessen an der Ausfuhr nach den Ver einigten Staaten, abgesehen von der Kreishauptmannschaft Leipzig, einen Rückgang auf, der auf einen verminderten Ex port in Textil- und Lederwaren, künstlichen Blumen, Musik instrumenten, Papier- und Metallwaren, Glaswaren und Textilmaschinen zurückzuführen ist. Die Exportziffern für Maschinen und Fahrzeuge weisen eine leichte Erhöhung auf. Auch die Exportzifsern für die Kreishauptmannschaft Leipzig sind bedeutend zurückgegangen, was vor allen Dingen auf die starke! Abnahme des Rauchwarenexportes zurückzu führen ist. Der Auftragseingang gewährleistet für die Baumwoll spinnereien wieder für einige Zeit Beschäftigung. Gegenüber dem Vormonat Oktober hat sich die Gesamt lage der Baumwollwebereien im November verschlechtert. In der gesamten Strumpfindustrie ist der Geschäftsgang nach wie vor unbefriedigend. Die Trikotagenindustrie befindet sich in ähnlicher Lage, wenn auch die Berichte über Auftragsein gänge verschieden lauten. Die Lage der sächsischen Papier industrie hat sich gegenüber dem Vormonat nicht wesentlich verändert. Die sächsischen Papierfabriken berichten, daß sich die Be triebswasserverhältnisse zwar gegen Ende des Monats Novem ber gebessert haben, trotzdem sahen sich einzelne Firmen ge nötigt, infolge Wassermangels ihren Betrieb wesentlich einzu schränken. Aus der sächsischen Schuhindustrie wird berichtet, daß die Geschäftslage im Monat November ebenso schlecht gewesen ist wie in den Vormonaten. Oer Sprung durch die Fensterscheiben. In Leipzig spielte sich ein aufsehenerregender Vor gang in der Nikolaistraße ab. Ein Mann, der anscheinend seiner Sinne nicht ganz mächtig war, wurde der Polizei wache zugeführt. Auf dem Wege dorthin versuchte er wiederholt, sich loszureißen. Auch auf der Wache fühlte er den unwiderstehlichen Drang nach Freiheit in sich. Da ihm aber aus Vorsichtsgründen der Weg zur Tür verstellt war, nahm er plötzlich einen Anlauf und sprang, ohne daß er daran gehindert werden konnte, mit einem tollkühnen Satz durch das geschlossene Fenster auf die Straße. Der kühne Springer blieb unverletzt. Er wollte noch schnell davonlaufen, aber die ihn verfolgenden Polizeibeamten holten ihn bald ein und brachten ihn diesmal gleich m Nummer Sicher. Enttäuschte Wintersporiler. In Dresden gab es am ersten Weihnachtsfeiertage früh noch ein heftiges Schneetreiben, das sich im Osterz gebirge zum Schneesturm gestaltete. Bei Lauenstein, i Geising und Altenberg, wohin sich zahlreiche Winter- ' sportler begeben hatten, blieben mehrere Autos im Schnee < stecken. Am Abend trat plötzlich ein Witterungsumsturz ein. Heftiger Sturm brachte Tauwetter und am zweiten Feiertag regnete es fast ununterbrochen. Auch auf den Bergen des Erzgebirges fiel Regen und erschwerte den Wintersport. Kunstleben in Pulsnitz Lhrlftvefper in de« Stadtkirche z« St. Nicolai Sonntag, den 23. Dezember. Der Männergesangoerein »Ltederhain", gemischter Thor, der schon des öfteren in hiesiger Kirche unter Leitung seine« Dirigenten, Herrn Kantor Hoppe, den kirchlichen Festen die musikalische Weihe gegeben hat, gab am Sonntag eine recht wohlgelungene Thrift, vesper, mit der in feierlich harmonischer Weise die diesjährige Adventszeit ausklang. Werke, wie dir Konzertfantafie sür Orgel über das liebliche Weihnachtrlied: ,O du fröhliche" von Friedrich Lux, die Adventsmotette von Franziskus Nagler: »Hosianna, gelobt sei, der da kommt," über deren musikalische Quali täten die kritischen Akten längst geschlossen find, machten auch am Sonntag wieder, dank der außerordentlichen Fülle ihrer tiefen Gedanken, ihrer künstlerisch wahrhaft genialen Konzeption und der Schönheit ihrer melodischen Form, einen mäch tigen Eindruck aus das andächtig gestimmte Auditorium, das da« anheimelnde Gotteshaus bis aus einige Plätze im Schiff füllte. Man hatte im Liederhain wieder außerordentlich fleißig studiert. Daß die Chöre so trefflich geboten wurden, war in erster Linie der Ilmficht, Straffheit, Energie und dem musikalischen Feingefühl des Dirigenten zu danken. Auch als Komponist trat er in dieser Vesper hervor. Man sang von Arthur Hoppe zwei Adventschöre, »Der Herr kommt zu den Seinen" und »Singt dem Herrn ein neues Lted," Konzentration des immer klaren Aufbaues, farbenreiche Melodik, mitunter eigenartige, aus modernen Wegen gehende Har- «ooik, besonders im zweiten Werk, zeichnen die von tiefem, schöp ferischen Ernste erfüllten Werke aus. Die zwei grundverschiedenen Werke wurden in ihrer Eigenart stilgemäß auseinandergehalten und zeugten in ihrer sorgfältigen Wiedergabe aufs neue davon, daß sich der Thor schön zusammengesungen hatte. Mit wunderbar feinem Einfühlungsvermögen und suggestiver Innerlichkeit vermit telte die Harfenvirtuofin HaydLe Grünwald, Dresden, ihre Vorträge von Massenet, Kienzl und Karl Braun. Sie zeigte sich al« sein- finnige Künstlerin und hervorragende Meisterin in der Beherrschung ihres schwierigen Instrumentes. Sie zwang durch ihr technisch vollendete«, von grundmufikalischer Auffassung getragenes Spiel die andächtigen Hörer in ihren Bann. Ein hoher Kunstgenuß war da« seelenvolle Violinspiel des Kammervirtuosen Karl Braun, Drerden. Der Ton war weich und schön und bis in die höchsten Lagen edel. Gr spielte mit vollendet schönem Bogenstrich und kristallklarer Technik in seinem eigenen Werke »Andante religioso" für Harfe, Violine und Orgel. Welch eine Fülle reiner Schönheit ist in dieses Werk des genialen Autor« gebannt. In stilvoller Ausführung geboten bedeutete er einen Höhepunkt des Abend». Kantor Bach, Großröhrsdorf, war wie immer ein anschmiegender Begleiter. Interessantes zeigte auch das Schlußwerk des Abends »Weihnachtrliturgie", Pastorale sür Orgel, Rezitativ, Chor und Orgel von Robert Handke, dem Musikdirektor der Oberschule zu Pirna. Die ergreifend schlichten Weihnachtsweisen erklangen in prächtiger Aussührung vom Chor, umrahmt von Rezitativen der Sopranisten, dem Erzähler am Lehrpult und den illustrierenden Orgelsätzchen. Das Konzert gab nicht nur quantitativ viel, sondern auch Schönes in Fülle und war so recht geeignet, der vornehmsten — der kirchlichen — Kunst alte Freunde zu erhalten und neue zu werben. bl. ktutscbsu. Börse und Handel Amtliche sächsische Aotierungeu vom 27. Dezember. Dresden. Die Börse verkehrte in ziemlich fester Haltung. Obwohl eine Anzahl von Papieren reger begehrt war, kamen nennenswerte Abschlüsse nur vereinzelt zustande. Kurs erhöhungen überwogen. Besonders begehrt waren Brauereien, von denen Berliner Kindl 7, Radeberger Export 6, Erste Kulm bacher und Stettiner Bergschloß je 3 Prozent gewannen. Ge bessert waren weiter Gebr. Unger um 3, Dresdener Strick maschinen, Kuhnert-Turbo, Dresdener Albumin-Genußscheine, Peniger Maschinen, Dr. Kurz-Genußscheine, Bautzener Tuch, Rosenthal, Glasfabrik Brockwitz und Residenz Baubank um je 2 Prozent. Verluste erlitten Sächsische Bank um 2,5, Reichs bank und Schubert u. Salzer um je 2 Prozent. Die übrigen Kursveränderungen hielten sich unter 2 Prozent. Leipzig. Die Börse verlief in ziemlich ruhiger Haltung. Das Geschäft zeigte keine wesentliche Belebung. Der Termin verkehr stockte fast gänzlich. Besonderem Interesse begegneten Polyphon, die 6 Prozent gewinnen konnten. Riquet waren 5 Prozent, Hapag und Sondermann u. Stier je 2F Prozent, Kraftwerk Sachsen-Thüringen 2 Prozent höher. Reichsbank verloren 2,5 Prozent, Kirchner 3 Prozent. Im Freiverkehr ge wannen Weißthaler Spinner 2 Prozent. Chemnitz. An der Börse herrschte ruhiges Geschäft. Die Abschlüsse hielten sich irr engsten Grenzen. Kursverschiebungen blieben vereinzelt. Eitle Ausnahme machte Radeberger Bier, die 9 Prozent gewannen. Außerdem waren höher Gersdorfer Steinkohlen um 5, Lielbermann und Sondermann u. Stier je 3 Prozent und Bachma nn u. Ladewig 2 Prozent. Köbke wur den Vergeblich 3 Prozent niedriger angeboten. leipziger Biehmaekt. Auftrieb: 478 Rinder, darunter 33 Ochsen, 206 Bullen, 189 Kühe, 50 Färsen, 571 Kälber, 278 Schafe, 4853 Schweine. Nächste r Markt am 2. Januar 1929. Verlauf: bei Rindern schlecht, bei Kälbern, Schafen und Schweinen mittel. Prerse: Ochsen a) 45—55, b) 40—44; Bullen a) 50—54, b) 42—49, c) 35—41; .Kühe a) 45—50, bi 40—44, c) 30—39, d) 20—29; Färsen a) 52—57, b) 38—51; Kälber a) —, b) 78 bis 82, c) 72—77, d) 65--71, c) 56—64; Schafe a) 57—62, b) 40 bis 52; Schweine a) 80. b) 78—79, c) 77—78, d) 74—76, e) 72 bis 73; Sauen 70—74. Chemnitzer Biehmarkt. Austrieb: 465 Rinder, 80 Ochsen, 424 Bullen, 250 Kühe, 8 Färsen, 3 Fresser, 183 Kälber, 59 Schafe, 1764 Schweine. Verlauf: bei Rindern und Schafen schlecht, bei Kälbern und Schweinen langsam. Preise: Ochsen a) —, b) 45—50, c) 42—46; Bullen a) 52—54, b) 48—50, c) 45 bis 47; Kühe a) —, b) 42-48, c) 32—40, d) 25—30: Bullen a) —, b) 80,75—84, c) 75—78, d) 68—73, e) 60—66; Schweine a) b) 78-80, c) 75—79, d) 74—78, e) 72—75; Sauen 60—72. Amtliche Notierung der Mittagsbörse ab Station. Mehl und Kleie brutto, einfchl. Sack frei Berlin. 1WH 27. 42. 21. 12. 100 kg 27. 12. 21. 12. Weiz. Mehl 70 »/. mark. 203.0-205.0 203.0-205.0 Weizen' 25.7-28.7 25.7-28.7 Dezbr. 221.5 220.0 22I.0 Roggen 25.8-28.6 25.6-28.5 März 229.0 228.5 229.7 Weizenkleie 14.5 14.2-14.4 Mai 238.0-237.7 238.5 Roggenkleie 14.1-14.2 14.0 Nogg. Weizenkleie- mrk?) 202.0 204.0 201.0 203.0 Melasse 15.0 154) Dezbr. Marz 212 5 Raps (1000 kg) — —- 227.5-226.7 226.0-226.5 Leinsaat (do.) —— — Mai 237.5 236.5 236.0-236.0 Erbsen, Viktoria 41.0-49.0 41.0-49.0 Gerste Brau Futt.-, Indust Mut. 218.0 235.0 218.0 235.0 Kl. Speiseerbsen Futtererbsen Peluschken 35.0 40.0 22.0-24.0 22.0-24.9 Ackerbohnen 21.0-23.0 21.0-23.0 192.0-200.0 >92.0-200.0 Wicken Lupinen, blau 27.0-29.5 14.5-15.0 27.0-29.5 14 0-14.5 Hafer 191.0-198 0 „ gelb 17.0-17.5 17.0-17.5 märk. 191.0 1S8.0 Seradella 37.0-40.0 35.0-39.0 Dezbr. 213 5-214.0 211.0-211.0 Rapskuchen 19.9-20.3 19 9 20.3 März 225.7 224.0-224.0 Leinkuchen 25.0 25.2 25.0 25.2 Mai 235.5 236.0 235.0 Trockenschnitzel 12.7-13.1 12.9-13.5 MakS Soya-Extrakt. Berlin 224.0 225.0 224.0-225.0 Schrot 21.6-22.0 >21.6-22.0 Kartoffelflocken 185 19.2 I 8.5-19.2 , ') HektoliberHvwicht 74^0 Kg. ') do. 69 K^. Pro duttenmartt. Nach viertägiger Börsenrube kam das Geschäft zunächst nur schwer in Gang. Das Ausland hatte inzwischen verschiedentlich Marktnotierungen gekabelt, die im ganzen kaum verändert lau teten. Abgebefreudige Haltung der La-Plata-Länder blieb nicht ganz ohne Eindruck. Lieferungspreise lagen daher für Weizen und Roggen für spätere Sichten nachgiebiger. Gerste und Mais wie auch Mehle still. Hafer in guter Ware vom Konsum begehrt und knapp angeboten. Mindere Sorten reich licher offeriert, aber wenig beachtet. Berliner Butterpreise. Amtliche Notierung im Verkehr zwischen Erzeuger und Großhandel, Fracht und Gebinde gehen zu Käufers Lasten: 1. Qualität 197, 2. Qualität 188, abfallende Sorten 172 Rm. Tendenz: Ruhig. Preisnotierungen für Eier. (Festgestellt von der amt lichen Berliner Eiernotierungskommission.) Preise in Pfg. je Stück ab Waggon oder Lager Berlin nach Berliner Usancen. Deutsche Eier: Trinkeier vollst, gest. über 60 Gramm 22,50—23, über 53 Gramm 19P0, über 48 Gramm 14; frische Eier über 53 Gramm 15,50—16, über 48 Gramm 13. Auslandseier: Dänen 18er 22,50—23, 17er 21,50—22; Schweden 18er 22,50; Estländer 17er 18, 15)4—16er 16—16,50, leichtere 15,50; Posener und Memelländer große 16—16,50, normale 13,50; Russen große 13^0—14,50, normale 12^0—13; abweichende 11,50—12,50; kleine, Mittel- und Schmutzeier 10—11^0. In- und ausländische Kühlhauseier: Extra große 13P0—14, große 12L0, normale 10 bis 11, kleine 9, Chinesen und ähnliche 8P0—12^0. Kalkeier: Normale —1V. Witterung: Naßkalt. Tendenz: Ruhig. Kirchen-Rachrichten Lichtenberg Sonntag «ach Weihnachten, den 80. Dezember, norm 9 Uhr Lesegottesdienst. — Montag, den 31. Dezember, nachm 5 Uhr Siloekergottesdienst; Sammlung. — Dienstag, den 1. Ja nuar 1929, Neujahrsfest, vorm. S Uhr Fcstgoitesdienst ; Sammlung. Vorm. Uhr Kindergottesdienst. — Donnerstag, den 3. Ja nuar, nachm. S Uhr Großmütterverein. Reichenbach Sonntag nach Weihnachten, norm. 9 Uhr Predigtgot tesdienst; Kollekte. — Montag, den 31. Dezember, Silvester, abends 8 Uhr Jahresschlußseier mit Beichte und hla. Abendmahl Kollekte sür den allgemeinen Kirchenfondr. — Neujahr, Dien»« tag, den 1. Januar 1929, vorm. 9 Uhr Predigtgottesdtrnst. Sein wahrer Name. Roman von Erich Ebenstein. Copyright by Äreincr L Eoinp. Berlin W 30. Nachdruck verboten. ; 31. Fortsetzung. - rs „Nun also! Aber dann begreife ich nicht —" „Sie können indessen nicht leugnen, daß Sie in der Zeit vom 15. April bis gegen Ende Mai nicht in Wien waren!" sagte Hempel hartnäckig. „Habe ich dies denn geleugnet? Ich befand mich zu dieser Zeit auf Reisen, das heißt, ich fuhr von einem Renn platz zum anderen. Wenn ich auch meine offizielle Stellung beim Rennklub im Frühjahr aufgab —" „Ah — Sie sind nicht mehr dort cmgestellt?" „Nein. Es gab Differenzen zwischen mir und dem Obmann. Außerdem ist meine Gesundheit angegriffen und ich beabsichtige, mich durch einen längeren Landauf enthalt einmal gründlich zu erholen, denn es ist nicht aus geschlossen, daß ich im Spätherbst heiraten werde. Alle diese Dinge braucht natürlich vorläufig niemand zu wissen —" „Und mir vertrauen Sie sie an?" „Gott ja —I Am Ende sind es keine Staatsgeheim nisse und ich darf ja doch wohl bei einem so offenen Ver trauen auf Ihre Diskretion rechnen? Ich kenne Sie nicht. Aber ich bin sehr empfindlich im Punkte Ehre — es wäre mir ein peinliches Gefühl, wenn irgend jemand auch nur in Gedanken meine Person mit der irgendeines Schwindlers oder Verbrechers in Verbindung brächte. Darum gebe ich Ihnen so bereitwillig jede gewünschte Auskunft über meine Person. Hoffentlich sind Sie nun befriedigt?" Hempel schwieg. Die unbefangene Sicherheit Lavandals verblüffte ihn in der Tat. Alle Angaben trugen den Stempel der Wahr haftigkeit und beriefen sich außerdem auf Zeugen. Es war kaum denkbar, daß Herr von Lavandal, wenn er wirklich mit Richter L>entisch war, die Stirn haben konnte, so aufzutreten. Und dennoch! — — So oft Silas ist die tiefliegenden Augen blickte, die, kalt und träumerisch zugleich, einen ganz merkwürdigen Anblick boten — anders^als alle Augen, die er je gesehen — überrieselte ihn ein Schauer. „Er ist es doch!" rief eine Stimme in ihm. „Ich werde befriedigt sein," antwortete er endlich aus Lavandals Frage, „wenn Sie die Güte haben wollten, mir genau anzugoben, wo Sie sich während der Zeit vom 15. April bis zum 25. Mai aufgehalten haben?" „Mit Vergnügen — obwohl ich konstatiere, daß Sie es im Unglauben ern wenig weit treiben, Herr Bruckner! Warten Sie, lassen Sie mich ein wenig nachdenken. Am 14. April reiste ich ab. Nach Mag zunächst. Ich stieg in Budapest im Hotel Deal ab und wohnte etwa vierzehn Tage dort. Dann ging's über München, wo ich mich zwei Tage aufhielt — Hotel Krone, Brunnengasse — nach Paris. In Paris wohnte ich Hotel Autriche, Rue des Antines. Die letzte Zeit verbrachte ich in Aix-les-Bains, Hotel d Are. Ich habe mich überall ordnungsgemäß in die Melde zettel eingetragen — wenn Sie es also noch für notwendig halten, sich zu erkundigen, so wird man Ihnen meine An gaben bestätigen können. Am 26. Mai traf ich wieder hier ein, wie Ihnen der Portier bezeugen wird." Er hatte, während er sprach, die Namen der Orte und Hotels auf einen Zettel geschrieben, den er nun Hempel reichte. „Ich hoffe, Die haben nun keine Zweifel mehr," sagte er lächelnd, „übrigens behaupteten Sie vorhin, man habe die Leiche jenes Dr. Richter aus der Donau gezogen — ich aber lebe noch, gottlob! Schon das hätte Sie über zeugen können." Hempel antwortete nicht auf die letzte Bemerkung. Er war aufgestanden und griff nach seinem Hut. „Ich sehe ein, daß ich alle Ursache habe, Sie um Ent schuldigung zu bitten, Herr von Lavandal. Aber die Aehnlichkeit ist in der Tat groß — und mein Interesse an Dr. Richter so stark, daß —" „Aber ich bitte Sie! Wozu Entschuldigungen? Es freut mich, daß wir uns nun doch verständigt haben!" Er verabschiedete sich mit derselben wohlwollenden Höflichkeit von Hempel, mit der er ihn empfangen hatte. Knapp au der Tür wandte sich Hempel rasch noch ein mal um und machte eine Verbeugung. In Wahrheit hatte er dabei heimliche Hoffnung, durch die jähe Umdrehung irgend etwas in den jetzt unbewachten Zügen Lavandals z« lesen — eine Bestätigung seines innerlich noch immer gehegten Verdachtes. Aber zum dritten Male wurde er enttäuscht; der jung« Mann stand unbefangen am Tisch und blickte ihm ohne eine Spur von Triumph oder Erleichterung mit Völlig gleichgültiger Miene nach. Nie im Leben war Hempel innerlich verwirrter und unsicherer gewesen. Er ging, genau so klug, wie er gekommen war. Die Angaben Lavandals nachzuprüfen, hatte natürlich gar keinen Zweck. Entweder war er wirklich nur ganz harmlos Lavandal, dann stimmten sie selbstverständlich. Oder er war trotz alledem auch Dr. Richter, dann war er der geriebenste Schurke, den es je gegeben, und die Angaben waren dann ein künstlich kombinierter Alibibeweis, in dem man sicher keine Lücke finden würde. Schließlich — konnte während der „Richter-Epoche^ — nicht ein anderer als Lavandal all die angegebenen Hotels wirklich besucht haben? Aber wo war denn die aufgefischte Leiche? Man findet doch nicht a tempo irgendeinen jungen Mann, dessen oberflächliche Aehnlichkeit allein einen ver anlaßt, ihn zu ermorden und, mit fremden Visitenkarten versehen, ins Wasser zu werfen? Jeder Mensch hat doch Angehörige — Freunde — Bs- kannte, die nach ihm forschen würden. Es fiel Silas Hempel zum ersten Male als merkwürdig auf, daß kein Mensch sich als Angehöriger des Toten ge meldet hatte. Von den als „vermißt" angezeigten Personen hatte nach Aussage des Polizetbeamten keine einzige Personal beschreibung auch nur annähernd auf den Toten vom Praterspitz gestimmt. _ (Fortsetzung f^gt.)