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die Stadt Zittau „freywillig und ungebethen an den Herrn Land-Voigt die zur Straffe dictirten 300 rhein. Gülden" zu bezahlen haben. Es ist nicht ohne Interesse, jenes Schriftstück, laut welchem sich die Ritterschaft und die Städte-Union verpflich ten, diesen Betrag von 300 Gulden nach Böhmen an den Landvogt abzuliesern, im Wortlaut kennenzulernen: „Wir die Ritterschafft und Mannschafft der Sechs Lande, Bürger-Meister und Ratmanne der Vier Städte Bu- dissin, Lauban, Löbau und Camentz, thnn kund allen denen, — die diesen Unsern Brief sehen, hören oder lesen; Dem nach der Aller Durchlauchtigste, Großmächtigste Fürst und Herr — Wladislaus, zu Hungarn — zu Böhmen, Dalma tien, Croatien usw. König — Marggraf zu Mähren, Herzog zu Lützenburg und in Schlesien, Marggraf zu Lausitz usw. Unser allergnädigster König und Herr, aus Anklage der von Görlitz — umb ein Rohm, so die von Zittau an ihnen, und ihren armen Leuten von wegen der Bierfuhre erhoben, denen von Görlitz denselben Rohm mit Dreihundert Gülden Rhei nisch wirderkehren, und abtragen sollen — haben wir ge- mcldte Ritterschafft, Mannnschaffr und Städte zu Gemüthe genommen; Nachdem die von Zittau solchen Rohm zu be zahlen geweigert, daß sich zwischen beyden genannten Städten Görlitz und Zittau um solchen Abtrag vielleicht großer Un wille in künfftigen Zeiten erboren, daran auch diesen gemei nen Landen und Städten, Schade und wenig Nutz erwachsen möchte; Derohalben umbs allerbesten willen, so als Wir sonderlichen zu Eintracht, Freundschaft und Liebe, gemeinen Landen zu Nutz und gut, allezeit geneiget. Uns aus eigenem Beweg bis wohl bedacht, ohne alles Ersuchen und Anregen der genannten von Zittau, noch jemanders anders von ihrent- wegen; Sondern allenthalben von Uns sechsten desselben Abtrags verstanden, und zu Execution Königlicher Majestät, unsers allergnädigsten Herrn, Sprüche, dem Edlen Wohlge- bohrnen Herrn, Herrn Siegemunden von Wartenberg, Herrn auf Tetzschen, des Königreichs zu Böhmen obersten Schencken, Unserm vollmächtigen Amtmann und gnädigen Herrn, berührte Summa 300 Gülden rheinisch überantwortt, laut seiner Gna den Bekänntniß, schriftlichen Uns darüber gegeben, damit genannte von Görlitz gestillet Ihres Klagens erstatt und ge- sättiget. Solches wir obgenannten Ritterschaffte, Mann schaffte, und Städte gemeiner Landen zu Eintracht — wie oben berühret, gethan, daß wir in Kraft dieses Unsers Briefes, hiermit öffentlichen bekennen, und zu Uhrkunde wir hernach geschriebene Lewlher von Schreibersdorff zu Holostow, Chri stoph v. Gerßdorff uf Barudt, Peter v. Gerßdorff zu Kri- schow gesessen — von wegen und im Nahmen gemeiner Mannschafft Unser Siegel, und Wir Bürgermeister und Rath- manne der Stadt Budissin, Unserer Stadt kleiner Secret, der Wir andern von bemeldtcn Ritterschafften, Mannschafften und Städten dißmahls hiermit gebrauchen, wissentlich hieran haben Hengen lassen, und geben auf gemeinem Land-Tage zu Bu dissin, nach Christi Geburt Vierzehen hundert und in den Neun und Neunzigsten Jahren, Sonnabends nach Jnnocentium." Es soll den Lesern erspart sein, den Wortlaut der Quittung, die in jenem mittelalterlichen Bierstreit über 300 Gulden vom Landvogl v. Wartenberg der Städte-Union der Oberlausitz, die der Stadt Zittau die Zahlung der Strafe abnahm, ausgestellt wurde, auch noch über sich ergehen lassen zu müssen. Es ist darin mit Genugtuung sestgestellt, daß die vier Städte, einschließlich der Ritterschaft, die Zahlung „aus eigener Bewegnis, ohne der von Zittau, noch sonst männig- liches von ihren wegen anregen und Ersuchung, weitern Un rath und Zwietracht zu vermeiden thun" — eine anerken nenswerte Eigenschaft der Oberlausitzer Städte, die mit den Jahren verlorengegangen sein dürfte. »E—Wüstenkönigin >« > » Der Lebensroman einer klugen, schönen Lothringerin Von Edward Brandt In dem kleinen lothringischen Städtchen Arc-en-Barrcis lebt eine achtzigjährige Frau. Die Geschichte ihrer bewegten Vergangenheit klingt wie eine Romanze, die ein Freiligraht in klingenden Strophen gesperrt haben könnte. Aurelie Picard, wie sie einst mit ihrem Mädchennamen hieß. Aus der fernen Erinnerung erzählt uns Martha Bes- senno heute deren Lebenslauf. Gewandtheit, Energie und Geduld sind die Führerinnen auf dem Wege gewesen, der am Nordrand der Sahara sein Ziel fand. Aus diesem Grunde nennen die Franzosen Au relie Picard „la Princesse des Sables!" Und die Araber haben sie wie eine Göttin verehrt. Aurelie Picard ist aus sehr bescheidenen Verhältnissen hcrvorgegangen. Im Jahre 1871 nach dem deutschen Siege, als sich die Regierung der nationalen Verteidigung in Bor deaux befand, war Aurelie in dieser Stadl Gesellschafterin bei der Frau des Postdirektors Steenackers. Und hier lernte sie ihr Schicksal in Sid Ahmed kennen. Der war ein blutjunger Scheck, den die kriegerischen Ereig nisse in den Südwesten Frankreichs verschlagen hatten und der gerade drauf und dran war, seinem Vater in der Herr schaft über den muselmanischen Stamm der Tedjania zu folgen. Seine Stellung war der eines Geisels nicht ganz un ähnlich, haftete er doch mit seinem Aufenthalt in Frankreich sozusagen persönlich für die Loyalität seiner Volksgenossen, die den Süden der Kolonie Algier bewohnen. Und nun hebt Aurelie Picards Geschichte an. Der Scheck und absolute Herrscher der Tedjanias verliebte sich bis über die Ohren in die weiße Hanowa und bewarb sich um ihre Hand. Aurelie schenkte den Bitten ihres Asra Ge hör. Die bald feurigen, bald sanften Blicke aus den tief dunklen Augen des jungen Arabers waren ihr Beweis seiner Leidenschaft und Treue. Alles widerriet ihr diese Ehe, so gar der Gouverneur in Algier legte sich ins Mittel. Es fruchtete nichts. Aurelie Picard bestand auf ihrem Vor haben. Zusammen mit ihrem Scheck schiffte sie sich in Mar seille ein und erreichte Ain-Mahdi, die heilige Stadt, wo der Halbmond des Propheten über dem goldenen Thronsessel des Beherrschers der Tedjania stand. Vor seiner Abreise hatte Sid Ahmed seiner französischen Frau einen Eid ge leistet, daß sie d'e einzige wäre und baß er den Harem in feiner Residenz auflösen und entlassen würde. Und dieser Scheck hielt in der Tat seinen Schwur Aurelie Tedjania, wie sich die kleine Picard selbst nannte — die Araber titulierten sie Lalla Ianeeria — hat ihren Schritt nicht bereut. Sie wurde die rechte Hand, der weibliche Ministerpräsident ihres Gatten, und sie, die Katho likin, hat jahrelang durch ihre echt weibliche Güte alle An hänger Mahenets und alle Untertanen Sid Ahmeds restlos für sich gefangengenommen. Sie ging so weit, in Ain - Mahdi, der heiligen Stadt, eine koranische Gemeinschaft zu begründen, in der infolge ihrer diplomatischen Begabung ihr Einfluß ein grenzenloser war. Alle gouvernementalen Maßnahmen ihres Gatten wur den in letzter Instanz durch sie bestimmt. In dieser ungleichen Ehe feierten moderner und ara bischer Geist zum besten eines in rückständigen Verhältnissen lebenden Stammes wahre Triumphe. Lalla Aaneeria hat dem Stamme der Tedjania die Segnungen der abendländischen Kultur gebracht. Verbesse rung der Bodenkultur, Anlage von Verkehrsstraßen, Grün dung von Landgütern sind im Süden Algeriens auf ihre Initiative zurückzusühren. So war das Adoptivvaterland Aurelie Picards ihre eigentliche Heimat geworden. In ihm war die kleine Wüsten königin aus Frankreich souverän. Als weiser Mann hat Sid Ahmed alle ihre Ratschläge befolgt und die ihr beim Schließen der Ehe gegebenen Versprechungen treulich gehalten. Er starb im Jahre 1897, und Aurelie Picard zog sich in die Stadt Algier zurück. Sid-el-Badrir folgte seinem Bruder auf den Thron. Er war ein hilfloser Mann, und die Einflußreichen in Ain Mahdi drängten auf Lallas Rück kehr. Und das Wunder geschah. Ihrer Pflicht bewußt, erschien Aurelie Picard zum zweiten Male inmitten der Tedjanias, und zwar diesmal als Gattin des neuen Schecks. War ihre erste Ehe eine Liebes heirat gewesen, so kann man die zweite Ehe nur als das Werk der Staatskunst bezeichnen, denn Lalla hat als Frau Sid-el-Badrirs noch zwölf Jahre lang über dm Wüsten stamm geherrscht. Erst als der zweite Gatte einem Schlaganfall erlag, zog sich die Wüstenkönigin aus der glühenden Sonne des afrikanischen Nordens in die lothringische Heimat zurück . . . und nun leben Märchen und Romanze ihrer Jugendliebe, die sich mit der Geschichte eines Beduinenstammes verquicken sollten, nur noch als unwahrscheinliche Erinnerung in dem Kopfe einer Greisin auf. — ——° Auf Wiedersehn! Beim Abschiednehmrn will mich's leise grauen, denn der Gedanke mahnt: einmal im Leben wird man zum letzten Mal die Hand sich geben, zum letzten Mal sich in die Augen schaun! Ein lieber Blick läßt alles Graun vergehn! Das Mahnen scheucht der feste Druck der Hände: Gott sei gedankt! wir wissen nicht das Ende und sagen uns getrost: Auf Wiedersehn! Hans von Wolzogcn. Herbsttage im Tessin. Dou Walter Möller. Blüten und Trauben. — Aeberall Hochzeitspär^. — Bogelmord. — Benvahrloste Totenplätze. — Ein Stückchen Mussolinien. — Von ewiger Sehnsucht. Morcote, 10. Oktober 1928. Herbsttage? Im Lande der drei großen blauen Seen, des Como, Lago Maggiore und Luganer Sees, blickt man fast zweifelnd auf den Kalender, der tatsächlich anzeigt, daß die Tag- und Nachtgleiche überschritten ist. Ein Blick auf die weinbewachsenen Ufer des Lugano- sees läßt die Zweifel wohl berechtigt erscheinen. Kein welkes Blatt an den Bäumen, junge, hellgrüne Gemüse pflanzen in den Gärten, die noch Zeit genug vor Beginn des kurzen Winters haben, um voll auszuwachsen, zumal sich hier Herbst und Frühling fast die Hand reichen. Zwischen der bunten Blumenfülle deuten um die malerischen Bergkirchen dunkle, schlanke Zedern zum lachenden Himmel, den nur spät abends kurze Gewitter verdunkeln. Magnolien blühen, des Oelbaumes Mütter glänzen — mein Gefährte bezeichnet jeden derselben sowie seine artverwandten Genossen stereotyp mit „Gummibaum, das stimmt immer" —, Feigen und Kastanien fallen aufklatschend zur Erde, und über den Laubengängen hängen des Weines schwere, dunkle Trauben, deren feuriges Blut bald in den Gläsern der Osterien blinkt und die Zunge zu frohen Liedern löst. Ja, es ist doch Herbst, die Fülle der Früchte beweist es, auch wenn die Sonne tagsüber vom tiefblauen Himmel strahlt und auf goldenen Wolkenstufen, die über dunklen Bergsilhouetten stehen, am Abend herabsteigt. Doch der Herbst hier ist kein wehmütiges Abschiednehmen, während hinter der Tür bereits der lange Winter steht, sondern ein jauchzendes Ernten vor der kurzen Rcgenperiode, nach der sich die Bergriesen den Hermelinmantel leuchtenden Schnees um die Schultern hängen, während sich in den nach Süden liegenden Tälern bereits die Primeln und Veilchen wieder zum lenzkündenden Blühen rüsten. Frühlingsglaube lacht auch aus den Augen der vielen Hochzeitspärchcn, denen man auf der Strandpromenade eines der Weltbäder hier unten ebenso wie auf den weißen Dampfern, die die blauen Seen durchfurchen, und in den kleinen Weingärten der Osterien der Bergdörfer mindestens so verliebt und zahlreich begegnet wie in Blumenthals und Kadelburgs „Weißen Röß'l" des Salzkammerguts. Nur der Vogelsang fehlt in den Gärten. Außer wenigen schilpenden Spatzen und ein paar hoch im blauen Aether segelnden Schwalben kein übermütiges Stargeschwätz, kein tiefts Flöten der Amseln. Zu häufig knallt der scharfe Schuß der Schrotflinte, und wie viel unserer Zugvögel, die ermüdet vom Flug Uber die blauen Berge hier vertrauend rasten, mögen elend in Schlingen und Leimruten enden. Gegen diesen Voaelmord. der aus dem nahen Italien, dessen Grenzen immer wieder an die Seeufer, an die Täler und über Bergrücken herandrängen, scheinen noch so aut gemeinte Strafbestimmungen der Schweizer Eidgenossenschaft nichts zu fruchten. Trostlos — wenn auch malerisch mit ihren weißen Mauern und Grabsteinen in die grünen Berghänge über dem blauen Seespiegel gebettet — die Friedhöfe nahe den Kirchen. Keine liÄevoll gepflegten und mit lebenden Blumen geschmückte Hügel, sondern nur vielfach schiefe, häufig verwitterte Denkmäler und Marmorkreuze zwischen üppig wucherndem Unkraut. Da und dort ein Kranz aus bunten Derlen und künstlichen Blumen und verrostete „ewige" Lampen, deren Licht wohl nur am Allerseelentage angezündet wird. „Avanti", tönt es durch das Sprachrohr aus der Kapitänsbrücke des Dampfers in den Maschinenraum. Bald schaufeln die Räder das Schiff durch den See von einem Ufer zum andern, an den Landungsstegen der malerischen Weindörfer kurze Rast machend. Hinter dem Damm, auf dem die Gotthardbahn auf der Fahrt nach Mailand den Luganer See überquert, hart gegen- über dem gewaltigen Monte Generoso, der als König der Dergwelt des Tessins alle um ihn gelagerten Trabanten überragt, legt das Schiff in Campione an. Eine cheramische Fabrik schein die einzige Industrie dieses Ortes darzuftellen, sonst lebt man vom Weinbau und anderer Landwirtschaft. Dicht gedrängt die Häuser, schmal und dunkel, so daß Cäsars „wohlbeleibte Männer" kaum aneinander vorbeikommen, die Gassen, denn es ist wenig Raum auf dem in den See ge- rutschten Stückchen Erde. Hier liegt mitten in der trotz ihres typisch italienischen Charakters und der italienischen Sprache Schweizer Bergwelt ein Fleckchen Mussolinien. Die Zoll- beamten an Bord, die den hier Aussteigenden sehr genau revidieren, und die beiden Gendarmen mit dem breiten Bandolier und dem roten Generalstabsstreifen an der dunklen Hose, die sich auf der Landungsbrücke langweilen, beweisen es. Auf dem andern Ufer klettern die Häuser, Kapellen, Weingärten, Palmen und Zedern Morcotes zur Höhe empor. „Ist ein Land, es heißt Ltalia!" Nun sind sie alle, alle zu Hause, die Sommerreisenden und die Herbstreisenden, und nur die Leute oder vielmehr ein Teil von ihnen, die tüchtige Guthaben bei Banken haben, haben es so gut, den Winter im Süden zubringen zu können. Die Erholungsreise ist beinahe schon vergessen mit samt dem Flirt und dem anderen Pech, von denen sie begleitet wurde. Mian klagt nicht mehr über Hotels, in denen nichts klappte als die Türen, oder in denen die Rechnung noch höher war als das Zimmerchen, das man bewohnte. Man hat sich schon wieder eingewöhnt und ist eigentlich ganz zufrieden, daß man nicht „der Herr auf Nummer So undsoviel", sondern der ehrengeachtete Herr Soundso ist. Aber trotzdem, wenn die eigentliche Reiselust erst mit dem nächsten Frühling wiederkehrt, man beneidet doch die Leute, die in Hellen Anzügen Apfelsinen vom Baume pflücken können — was sie übrigens meistens nur tun, wenn sie auf Hochzeits reise sind — und unter Palmen wandeln. Man kann diesen Neid, da er aus einem poetischen Motiv entspringt, ruhig zugestehen und braucht nicht hinzuzusetzen, daß man auch an den trinkbaren und billigen Wein denkt, den es da unten gibt. „Ist ein Land, es heißt Italia", das für den Durch schnittsdeutschen den Süden darstellt, im allgemeinen aber für den Reisenden eine englisch-amerikanische Angelegenheit geworden ist. Für Amerikaner und Engländer erheben sich überall, wo cs besonders schön ist, die Majcstic- und Palace- Hotels, gibt es Teesalons und alles, was jene zum Leben unbedingt brauchen. Immerhin, wenn auch die Gärten der Luxuskarawansereien mit ihrer subtropischen Vegetation für ihre „olients" reserviert, wenn der davorliegende Streifen des Strandes am Meer oder See für sie abgesperrt ist, auch für den bescheidenen Deutschen bleibt doch genug und über genug des Schönen übrig. Vor allem die Sonne, die in gleicher Herrlichkeit über Gerechte und Ungerechte, Uber Deut sche und Lnßlisk people scheint und alles Pflanzenvolk, das durch sie gedeiht. Unsereinem tun es zunächst immer die Palmen an, halbverschollene Erinnerungen an die Robinson- lektüre aus der Kinderzeit werden wach, aber gerade ihr Zauber verblaßt am ehesten. Im strahlenden Lichte und gut entwickelt gefallen sie ja immer noch; wenn aber, was ja häufig genug, auch in Italien, vorkommt, der Himmel bezogen ist und Regen fällt, dann nimmt sich solch eine Palme aus wie ein Herr mit Frack und Zylinder im Familienbndc. L