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Stachys W. Schacht So farbenfroh und blütenreich die Steingärten im Frühling sind, so arm sind sie in der Regel während der Sommermonate. Gewiß sind viele Gattungen und Arten auch nach der Blüte mit ihren mannigfaltigen Polstern, Büscheln und Ro setten reizvoll, aber eine wirkungsvoll blühende Pflanze wird doch zu jeder Zeit das Auge zu erst auf sich ziehen. Deshalb sind gerade die Sommer- blühet so ungemein wichtig für den Steingarten und für die Trockenmauer, daß wir unbedingt alles zusammentragen sollten, was erreichbar und ver wendungsfähig ist. Viele schöne, brauchbare Pflan zen sind immer noch so gut wie unbekannt. Eine von diesen ist Stächys lavandu lifolia Vahl. Es ist eine Staude der subalpinen Regionen Klein asiens und Persiens, wo sie trockene Felshänge be wohnt. Unsre Pflanzen stammen von dem be kannten, inzwischen verstorbenen Sammler W.Siehe, Mersina, und wurden von diesem 1902 im zilizischen Taurus gesammelt. Stächys lavandulifolia, der La vendelblättrige Ziest, ist eine der unverwüstlichsten Dauerpflanzen, die wir auf unsren Felsengärten besitzen. An prallsonnigen und auch halbschattigen Hängen überziehen alte Pflanzen mit ihren zu nächst niederliegenden, dann aufstrebenden dünnen Stengeln, die mit lineallanzettlichen, etwa 1 Zenti meter breiten und 3—6 Zentimeter langen grau grünen Blättern besetzt sind, quadratmetergroße Flächen, ohne etwa als gemeiner Wucherer lästig zu werden. Im Juni prangen diese dichten Teppiche im Schmucke zahlreicher quirliger Blütenstände, die sich bis etwa 15 Zentimeter hoch erheben. Die einzelne rosa Lippenblüte könnte man mit der Blüte von Tecrium chamaedrys vergleichen und wäre also an und für sich nichts besonders Auf fallendes, wenn nicht der ganze Blütenstand, ins besondere die langen, dünnen, spitzen, abge spreizten Kelchblätter mit glänzendsilberweißen seidenzottigen Haaren besetzt wären. Dieses Haar kleid gibt den zahlreichen walzenförmigen Blüten ständen einen wochenlang andauernden Schmuck von ungeahnter Wirkung. Besonders wenn die Morgensonne das seidig glänzende Blütendickicht, in dem sich Tauperlen verfangen haben, durch spielt, ist der Effekt ein ganz einzigartiger, der jeden Beschauer begeistert. Da die Pflanze völligwinterhart ist, ohne Schwie rigkeit gedeiht, sich durch Stecklinge und Teilung leicht vermehren läßt und — noch ein besonderer Vorteil — große Trockenheit verträgt, sollten sich die Staudenzüchter dieser schönen Steingarten pflanze annehmen und sie den Liebhaberkreisen zuführen. W. Schacht. Gartenflora’’ 64/1938