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Blättern fielen weiter die starken Buckel ins Auge. Die Stengelblätter pflegten an kurzen Stielen zu sitzen. Besonders auffallend waren die Früchte, die, etwa halb so lang, aber ebenso dick wie die Mutterart, weniger zahlreiche, aber größere und schwerere Samen führten. Diese für die Riesennachtkerze bezeichnenden Merkmale sind charakteristisch für alle Gigas- Pflanzen geworden. Obgleich eine Schülerin von de Vries bald die Verdoppelung der Chromo somenzahl feststellte, war zunächst die Entwick lung der Zytologie und Genetik noch nicht fort geschritten genug, um die sich daraus ergebenden Gedankengänge in ihrer ganzen Tragweite ver folgen zu können. Es mußten zunächst Tatsachen aufgefunden werden, die sicherstellten, daß sich mehrere Genome in einer Geschlechts- zelle vorfinden können, die sich später bei der Reduktionsteilung in gebräuchlicher Weise mitein ander binden und dementsprechend miteinander mendeln können. Es stand nichts mehr im Wege, auch für die somatischen Zellkerne die Möglichkeit einer Genomhäufung anzunehmen. Die Folge rungen daraus ergaben sich sehr bald. Die Ver mehrung der Genome, also der Masse der ein zelnen katalytischen Genstoffe, wird besonders bei gewissen Eigenschaften zutage treten, und da mit konnten bei den Gfgas-Pflanzen jene Eigen tümlichkeiten erscheinen, die ihnen den Namen verschafft haben. Daß hierfür die Hoffnungen nicht in den Himmel steigen konnten, erwies sich bald. Es ist nicht so, daß sich Genom auf Genom türmen läßt. Das Optimum liegt bei den verschiedenen Pflanzen familien verschieden hoch, im allgemeinen viel leicht bei 6 bis 8 Genomen, doch kennen wir, z. B. bei den Chrysanthemen, sehr viel höhere Zahlen. Über das Optimum hinaus treten Ver zerrungen des Gleichgewichts auf, etwa so, daß sich die Wirkstoffe nicht mehr in gleichen aus gewogenen Verhältnissen gegenüberstehen und der Eingriff der einzelnen Wirkstoffe in den Ent wicklungsreigen zu früh oder zu spät erfolgt und damit unwirksam wird. Bei künstlich hergestellten Polyploiden kommt es aus diesem Grunde beson ders häufig zu einer Störung der Fortpflanzungs fähigkeit oder zu einer Verminderung der Le benskraft. Jedoch trotz aller dieser Bedenken blieb es un zweifelhaft, daß sich die Mehrzahl der Poly ploiden durch eine ganze Reihe von vorteilhaften Eigenschaften auszeichnen, die sie deutlich von ihren zweisätzigen Elternarten trennen. Bald wurden Tatsachen bekannt, die sich nicht auf die Verdoppelung gleicher, sondern verschiedener Artgenome innerhalb einer Pflanze bezogen. Die geschlechtliche Vereinigung zweier Individuen, die verschiedenen Arten angehören, ist meist nicht so schwierig, wie es zunächst den Anschein haben Genetik G. Haase-Bessell mag. Vereinigen sich auf diese Weise zwei Ge schlechtszellen, so trägt jeder Kern ein ausge glichenes Genom seiner Art. Zusammengebracht, können sie in vielen Fällen miteinander ma növrieren. Auch darüber braucht man nicht weiter erstaunt zu sein, denn das gehört in das bekannte Gebiet der Symbiosen, des Zu sammenlebens grundverschiedener Organismen zu gegenseitigem Nutzen. Das bekannteste Bei spiel dafür sind die Flechten, bei denen es sich um den gemeinsamen Haushalt eines Pilzes und einer Alge handelt mit dem Effekt einer neuen Formbildung, die nach dem Grad der Innigkeit der Verbindung recht verschieden sein kann. Bei der' Mehrzahl der Symbionten bleiben die Zellen und Zellkerne der verschiedenen Organismen streng getrennt. Das Zusammenspiel ist gleich sam an die Peripherie gelegt und dementsprechend mehr oder minder lose. Durch den gelungenen Geschlechtsakt zwischen zwei Pflanzen verschie dener Art ist die Symbiose in den Zellkern ver legt und muß sich wohl oder übel inniger ge stalten. Aber im Prinzip ist es dasselbe. In vielen Fällen können also solche Artbastarde eine ge meinsame Form- und Lebensfunktion aufbauen, nur daß das Zusammen- oder Gegenspiel der Gen wirkstoffe mehr auf gemeinsames Gedeih oder Verderb eingestellt ist als im Beispiel „Flechte“. Schon die primären Wirkstoffe müssen sich bei der Entwicklungsfolge des entstehenden Organis mus’ auseinandersetzen. Die Natur hält sich eben nicht an einen geheimnisvollen Bauplan, der eine geheimnisvolle Diktatur ausübt. Die Unstimmig keit der beiden fremd würdigen Genome zeigt sich erst bei der Bildung der Geschlechtszellen. Die Mechanik der Reduktionsteilungen versagt, und der Bastard ist nicht imstande, sich fortzupflanzen; wenn sich aber — ich komme darauf zurück — die Möglichkeit ergibt, auf irgendeine Weise beide Artgenome im Bastardkern zu verdoppeln, so sieht die Sadie gleich viel froher aus. Die Bindung der Chromosomen kann ordnungsgemäß vor sich gehen, da ja nun jeder Topf sein Deckelchen findet. Die Fortpflanzung ist gerettet, und man kann sogar die Beobachtung machen, daß solche „Allopolyploide" hinsichtlich der Fruchtbarkeit bessergestellt sind als „Autopolyploide“, d. h. Viel- sätzige mit gleichen Artgenomen. II. Man hat vor einiger Zeit — beeinflußt durch eine an ziehende Hypothese des russischen Forschers Vavelow — an genommen. daß sich die Artenentwicklung der Pflanzen familien hauptsächlich in den Hochgebirgen abgespielt hat. Nach neuesten Forschungen zweifelt man heute daran. Die Entwicklung der modernen Arten hat sich doch wohl haupt sächlich auf den Zugstraßen der Tiefe, wo nach eingetretenen Klimaänderungen eine Wanderung oder Neusiedlung der Pflanzen in Fluß kam, abgespielt. Großarten, die einen be sonders großen Reichtum an Genallelen (verschiedene Mutationen eines und desselben Gens) tragen, waren beson ders geeignet, außerordentlich verschieden charakterisierte Standorte zu unterwandern. Sie waren stark im Vorteil gegen über allelarmen Arien, die Änderungen von Außenbedingungen hilflos preisgegeben waren, sei es nun, daß solche Änderungen durch periodische Klimaschwankungen oder durch die Kultur des Menschen eint raten.