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Nr. 71. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 18 Juni 1912, Seite 6. er ein Verdauungspulver, dar er stets bei sich trug, in einem Glase Wasser. Kaum sahen die Angestellten des Kasinos, daß ein Herr, der aus den Spielsälen kam, in ein GlaS Wasser ein weißes Pulver schüttete und dies auStrank, glaubten sie, daß er sich aut Ver- -weislung über Verluste vergiftet habe, und stürzten ihren Weisungen getreu auf ihn zu, schleppten ihn trotz seine» heftigen Sträubens in den SanitätSraum, wo der anwesende Arzt ihm sofort unter Anwendung von Gewalt den Magen autpumpte. Erst nachher klärte sich oaS Mißverständnis auf. ES hatte noch die eine komische Folge, daß ein Diener der Kasino» dem an geblichen Selbstmörder auf einem Tablett einen Scheck über 100 Franken überreichte, was so viel bedeutet, wie einen höflichen RauSwurf. Der „Gerettete" gab den Scheck der Bank mit Dank zurück, da er dafür keine Verwendung hatte. * (Zur wirksamen Bekämpfung derTu- berkulose) al- Volkrkrankheit gehört, wie man von ärztlicher Seite schreibt, die Forderung, die verschiede nen Wege aufzuspüren, aus denen die Verbreitung der Ansteckung gegeben und möglich ist. Eine Frage, die ein hohe» Interesse in Anspruch nimmt, ist die, ob durch die Benutzung der Telephons und im besonde- ren der Apparate in öffentlichen Fernsprechstellen eine Uebertragung der Tuberkulose möglich ist. Diese Frage muß verneint werden. Dr. Spitta in London unter- zog eine größere Anzahl von Telephonmundstücken in öffentlichen Fernsprechstellen der Prüfung auf da» Vor- handensein von Tuberkelbazillen. Die untersuchten Mundstücke waren im Laufe der Jahre keiner weite- ren'Reinigung unterzogen worden, al» der an dieser Stelle üblichen. Dat Ergebnis war ein ganz eindeu- tigeS; eS wurden keine Tuberkelbazillen gefunden. ES wurden dann weiterhin solche Fernsprecher untersucht, die nachweislich von tuberkulösen Personen benutzt worden waren; zu diesem Zwecke wurden in einem Sanatorium für Lungenkranke Fernsprecher aufgestellt und nur von LungArkranken benutzt. Die Mundstücke durften während der Dauer de» Experimente» nicht ge- reinigt werden. Die längere Zeit fortgesetzten Prüfun- gen haben nun auch in diesen Fällen ein vollkommen negative- Resultat ergeben. Der Londoner Arzt kommt zu dem Schluffe, daß die Uebertragung der Tuberku- lose mittels der Telephonmunkstücke praktisch unmög- lich ist. Eine an den öffentlichen Fecnsprechstellen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika angestellte bakteriologische Untersuchung Hot da» gleiche Resultat ergeben. Da» Mißtrauen, da» unter dem Publikum gerade gegenüber den öffentlichen Fernsprechstellen in dieser Hinsicht entstanden war, ist daher glücklicher- weise unbegründet. Die Redeleistungen in der ersten Session des neuen Reichstages stellt unsere graphische Darstel lung zusammen. Der Präsident Kaemvf, der von Amts wegen viel zu reden hat, steht an erster Stelle; dann aber folgt gleich der Zentrumsabgeordnete Erz berger, der im vorigen Reichs tag alle Rekorde geschlagen hat. Im ganzen haben bisher 268 Reichstagsabgeordnete im Ple num das Wort ergriffen. Die Reden der Sozialdemokraten um fassen in den amtlichen Reichs tagsstenogrammen insgesamt bis her 82 084 Zeilen, auf die Fort schrittliche Bolkspartei kommen 58663, auf das Zentrum 43169, auf die Nationalliberalen 32872 und auf die Konservativen 20300 Zeilen. Auf die Reden der Deutschen Reichspartei entfallen 12923, der Wirtschaftlichen Ver einigung 10802, der Polen 6331, der Deutschen Reformpartei3966, der Elsaß - Lothringischen Zen- trumSpartei 2967 und der wel- fischen Deutsch - Hannoveraner 952 Zeilen. Die Reden der Regierungsvertreter machen in den Stenogrammen 27 997 Zeilen aus. Man ersieht aus diesen Zahlen, daß es bei allen Par teien große oder mindestens aus- führliche Redner gibt, daß aber die kleinen Parteien — im Ver hältnis zu ihrer Mandatszahl — beredter sind als die Großen. 'M//'/?? Looo /Az-) F/" ALFS ASN? <7/7 /X/7L- j 4-7/L / ^/6- //77 6us Sem SerlÄrtssaole. tz Leipzig, <6. Juni. (Freispruch im Leipziger Spio- nageprozeß.) Nach dreitägiger Verhandlung vor dem Reichs gericht wurde gestern nachmittag der Buchhändler Napoleon Bar bier von der Anklage des vollendeten Landesverrats freigesprochen. Der von der Anklagebehörde versuchte Beweis, daß der Angeklagte bei einer achttägigen Reise durch Dstpreußen im Auftrage einer fremden Macht das militärisch.wichtige Gelände um die masurischen Seen erkunden wollte, wurde von dem Gericht als unzureichend angesehen. tz Berlin, <6. Juni. (Das „Berliner Tageblatt" gegen den tandrat vr. Hegenscheidt.) Der tandrat Dr. Hegen- scheidt in Hoyerswerda, Reichstagsabgeordneter für Rothenburg- Hoyerswerda wurde gestern in der Berufungsinstanz vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Görlitz wegen Beleidigung des Chefredakteurs des „Berliner Tageblattes", Theodor lvolff, zu zoo M Geldstrafe verurteilt. Dem Beklagten wurden die Rosten auferlegt, dem Kläger wurde das publikationsrccht zugesprochen. Landrat Hegenscheidt hatte während des Wahlkampfes in einem Flugblatte gegen die fortschrittliche Volkspartei dem „Berliner Tageblatt" vaterlandslose Gesinnung nachgesagt. voraussichtliche Witterung anr jy. Juni: Magdeburger Wettervorhersage Zeitweise heiter, meist wolkig bis trübe, Regenfälle, vielfach Ge witter, Nacht kühl, Tag etwas wärmer. Wettervorhersage der K. S. Laudeswetterwarte zu Dresden West-Winde, wolkig, kühl, zeitweise Regen. Dresdner Produkten-Vörse, 17. Juni 1912. Wetter: Kühl. Stimmung : Fester. Um 2 Uhr wurde amtlich notiert: Westen, weißer , brauner 79 - 80 Kilo, 231—232 M, do. neuer 76 bis 78 Kilo 226—230 M, do russischer rot 241—248 M, do russischer weiß M, Kansas — — M, Argentinier alt, M, do neu 229 —237, Australier - M, Manitoba M. do. 4 232-234 M. Roggen, sächs 72—75 Kilo, 204-207 M, Sand do. do. 72—75 Kilo 206-209 M, posener 205- 209 M, russischer 204-206 M. Gerste, sächs. neue M, schlesische M, pose ner M, böhmische M, Futtergerste 178 bis 190 M. Hafer, sächsischer alter M, do. do. 207-210 M, schle- sischer alter — M, do. 207—210 M, russischer loco 204-207 M. Mais Cinquantine alt M, neu 191—194 M, Rund mais gelb M, do. neuer 170—174 M, am. Mired- Mais M, La Plata, gelber M, do. neu feucht M. Erbsen, Saat u Futter, 195-205 M, Wicken 220- 230 M. Buchweizen, inländischer 215—225 M, do. fremder 215—225 M. Gelsaaten, Winterraps, scharf trocken M do. trocken — — — M. do. feucht M. Leinsaat, feine 365-378 M, mittlere 345 -355 M, La Plata — M, Bombay 365 -385 M. Rüböl, raffiniertes 76 M. Rapskuchen, (Dresdner Marken), lange 13,50 M, runde — M. Leinkuchen, (Dresdner Marken) l 20.50 M, II 20.— M. Mals 35,00—37,00 M. Weizenmehle (Dresdner Marken), Kaiserauszug 37.00—37 50, Grietzlerauszug 36,-36,50 Semmelmehl 35.00 -35.50 M, Bäckermundmehl 33.50—34.00, Grießlermundmehl 25.50 bis 26.60, Pohlmehl 21 50-22.50. Roggennrehle (Dresdner Marken', Nr. 0 29.50—30, Nr. 0/l 28 50-29.00 Nr. 1 27.50-28, Nr. 2 25.00 26 00, Nr. 3, 22.50—23.50, Futtermehl 15.80- 16.40. Weisenkleie (Dresdner Marken', grobe 13.00 13.40, feine 1320—13.60. Roggenkleie, (Dresdner Marken), 15.20—15.60 M. verNner prouktenbürse. Nach unverändertcm Beginn ermattete Roggen, da Abgaben für russische Rechnung zur Ausführung kamen. Nachdem dieselben aber beendet waren, konnte sich der Kur» wieder auf sein Niveau vom Sonnabend stellen. Weizen war wenig belebt und kaum verän dert. Auch Rüböl blieb völlig umsatzlo». gen, wenn e» etwa» nutz», für dre Dau» einer Stunde kalt machen, so beneide ich ihn, — aber haben Lie M tleid mit mir mmen Verbannten und gönnen Lie mir zur Entschädi- gung die Gnade einiger Tänze." tut mir leid, Graf, bi» auf den letzte» Walzer ist alle» vergeben." .So muß dieser mich für all« entschädigen." Ein feu- riger, vielsagend» Blick, und durch and«, Tänzer verdrängt, trat de« schwarze Graf mit einer Liesen Verbeugung zurück. So verrauschte die Zeit auf den gehobenen Wogen der Festtagrlaune; e« wurde sehr lebhaft getanzt, — der Kam» mandrur liebte kein« Mauerblümchen, und die schöne Hau», krau ging alle« mit gutem Beispiel voran. „E« war rin Fest wie all« groß«» Feste, nur vielleicht etwa« flotter und elegant»", würde rin unbeteiligter Beobachter gesagt haben, dessen Auge nur di« sich drehend«« Paare, tufsen Ohr nur die tönende Musik d« RegimentSkapell« wahrgruommen hätte; — und dennoch war dieser Abend von weittragender Bede», tung für viel«. — Ja einer der abgeschiedenen Lauben de» Nebensaale« saßen Fr!»dorf und Isolde von Winningen in halblaute» Gesp äch vertieft. Seine Augen ruhten so traur g auf ihrem liebliche« Erficht: „Gnädiges Fräulrin, ich weiß nicht, ob Ihnen Ihr Herr Bruder schon «tählt hat, daß ich mich für Südwrst. Afrika gemeldet Habes' »Für Südwest.Asrikawiederholte fit erstaunt. .Sie, dir Sie so sehr mit jeder Faser an dem alten Deutschland hänge» — »Und dennoch, e« geht nicht ander», — ich muß so?», hi» gehr ich zugrunde; — drüben vielleicht auch, aber dort Ian» ich dem Vatnlande doch noch dabei nützen, — sehr« S« denn mcht, wie ich elend geworden bin, wie ich leid,?' Sie schüttelt« al« einzige Antwort da» blumengeschmLckte Köpfchen. »Alle, alle anderen bemerken r», selbst der Oberst, nur Sir wollt» t» nicht sehen', fuhr er erregter fort, — o wen» ich doch nur einmal reden dürft«, nur ein «inzigeimal Ihn«« olle» sagen — Isolde, darf ich sprechen?' — Durch seine Stimm« klang «ine große, tiefe Erregung, sein Atem ging schwer, di« Hand auf d«r Stuhllehne b«bte. Fast erschrocken wehrte J oto, ab. .Bitte, schweigen Sie, — behalten Sie e« für sich, — »sparen Sie und beiden «ine schmerzlich« Autsprachr." .Isolde", — B« herb«» Wch durchzuck e dies«« «in« Wort. — Isolde blick!« nicht auf, sie sah auf di« frstverschlungenkn Hände in ihrem Schoß. ,H«rr von Fel«dort, ich bin arm, — ärmer al« Sie ahne» und denken, und solche Menschen haben kein Recht zu wünschen, zu hoffen und glücklich zu sein, da» gewöhnt man ihnen schon in der Wieg« ab, man erzieht sie sozusagen zur .wunschlos«» Refignajon." Fest legt« Felldorf seine Hand auf die ihre. .So kann ich Sie nicht sprechen hören, Isolde, wir alle habrn die gleich« Berechtigung, denselben Anspruch an da« Glück." .Die Berechtigung allein genügt mir nichtIsolde lä« chel!« halb wehmütig, halb bitter — .da« Glück »st ein Mag. mt, der sich nur vom Metall anziehrn läßt." .Da« ist ungerecht", «eifert- sich d« junge O fizirr, .da« Glück, welche« in den T es«n der H rzen seinen U sprung hat, ist unabhängig von allen äußeren Dingen im Leben, und wenn auch vielleicht noch Ihre, Auffassung da« Glück nicht unabhängig davon ist, dann find wir e« selbst. — O. dürste ich »« Ihnen beweise», daß man glücklich sei» kan» auch ohne Mittel, — ich würde meinen Brr»! ausgebep, ich würde ar beiten Tag und Nach», bi» ich «in« bescheidene Ersten, für un« beide gegründet Härte, — und dann soll» da« Glück dauernd »inziehen in unser gemeinsame« Heim." .St, find JdeaUst, Herr von Fel.dorf —" „Ich liebe, und jede groß« L «be macht un« zu Idealisten." Isolde senkte den Kopf ti-f herab, um ihr« Bewegung zu verbergen; dann reichte sie Frl«dorf di« Hand. .Ich dank« Ihnen für diese» Wor', dank« Ihnen für diese Stund«, fie wird mir al« tröstend« Rlick»inn«rung über viele« im Lebe» hinsorthelfen wüsi n, Seien Sie verfichrrl, daß e« auch mir schwer, sehr schwer wird, vernünftig zu blei ben, aber e« muß sein; ich würde nie die Verantwortung auf mich nehmen, Sie den B«u°, de» Sie lieben, für den Sie erzogen find, meinetwegen ausg ben zu sehen. Außerdem find wir beide an da» Pnleu gi-töM und würden dem Ham» Ackerboden der A bett nicht standhalten können. — Und welch« Arbeit sollt« e» sein?' — Da« ist «« jr eben, Fel«do f hatte de» Kopf in di« Hände gestützt und stöhn:« lrise. Unsereiner hat ja im Ka» drttenkorp« N'.H « weiter wie auf Leutnant gelernt — Du b.st arm, Du wirst Soldat und kommst in« Korp«, so Heß e« schon, al« ich kaum auf den Füße» stehe» konnte, — und dann wurde ich dem K nd«rarm«ko>p» zugeteilt. — Nemaud hat mich gefragt, und kein Mensch hat sich für mein, Wün sch« in Bezug auf meine sonstigen Fäh gleiten interessiert. Ich wurde zwar Soldat mit Lob und Seel«, «in begeistert«, Uatnlan meine« Kaiser», aber di« Uniform hat den Men- schen in mir doch vielmal «»deckt, wa« ich all»ding« wohl nicht so al« Mingel empfunden hätte, wenn Sie nicht in mein L ben getreten wären, Isolde, und d» Wunsch, Sie zu besitzen, olle» ander« in den Schatten stellte. — Versprechen Si, mir, mein Freund zu bleib«», bat Isolde. E« ist in uns«« schnellebenden, selbstsüchtigen Zeit so wert, voll, einen Mensche» zu w ff-n, auf dr» man sich verlaffen kann — Verlassen können Sie sich in jeder Stund« auf mich. — aber da» mit dem Freund, dozu kann ich mich nicht so schnell v-rstehen; wo man mit jeder Aber scine» Herzen« um da« Ganze ring', sich mit rinem Bruchteil zufrieden zu gebe» da» zu bin ich nicht der Mann. Und nur weil ich arm bi»! Wenn mir heut« j-mand 100 000 Mark gäbe, wär, olle« and«»; o, wa« ist der Mensch für «in schmachvolle», erbärmliche« Ge. schöpf. — Ec hatte di« Augen mit der Hand beschattet und seufä, schwer. Isolde schwieg, an ihren W mpern schimmer, ten Dänen, — zwei Mensche» begruben einen Jugendtraum — und von drüben klangen, wie zum Hohn, die Weisen der Dollar.Prinzesfi». Fortsetzung folgt!