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17 Die Starken und die Schwachen. Roman von Herbert Rivulet. (Freifrau G. v. Schlippenbach.) (Nachdruck verboten.) Erschreckt schmiegten sich beide Kinder an sie und fingen laut zu weinen an. Mitten in diesem Konzert klingelte es an der Eingangstür. „Ich bin nicht zu Hause!" rief Frau von Stöffel dem Burschen zu. „Aber Mama, das ist doch gelogen," sagte Trudchen ernsthaft, während Wanda zur Tür lief und einen Jubel ruf ausftietz. „Tante Klara, liebe Tante Klara, komm nur, Mama weint und Trudchen weint und ich auch." Tas Kind umarmte die Tante und küßte sie stürmisch. „Die gute Fee," so nannten die Mägdelein die junge Freifrau. „Diese beiden kleinen Herzen habe ich gewonnen," dachte Klara erfreut, als Gertrud jetzt auf sie zugelaufen kam und von der Tante emporgehoben und geherzt wurde. Wilma, die sich zur Heirat ihres Bruders feindlich gestellt hatte, mußte sich eingestehen, daß die Herzens güte und Freundlichkeit Klaras nicht ohne Eindruck auf sie blieben. Karl Detlefs und seine Frau waren oft in Breslau, und jedesmal gewann die unerwünschte bür gerliche Schwägerin mehr Terrain bei den Verwandten. Es war auch wirklich schwer, der sonnigen Heiterkeit, dem liebevollen Entgegenkommen Klaras zu widerstehen, und — sie kam nie mit leeren Händen. Sie brachte Obst und Beeren, Wild und sonst noch allerlei aus Rechlinghausen, stets eine erwünschte Zugabe zu der städtischen Wirtschaft ihrer Schwägerin. Heute hörte Frau von Rechlinghau sen geduldig die lange Litanei der Klagen Wilmas an, die einen Trost darin fand. „Sie müssen nach Rechlinghausen kommen," sagte Klara, denn das traute Du herrschte nicht zwischen den Schwägerinnen, „eigentlich wollte ich Sie und die Kin der gleich mitnehmen." Wilmas Gesicht glänzte. Nach Rechlinghausen! Einige Wochen wieder das frühere Wohlleben genießen, sich nicht um jeden Pfennig plagen, frei sein von den zahllosen häuslichen Placke reien, welche verlockende Aussicht! Sie vergaß, daß sie nicht mehr nach dem Vaterhause zurückkehren wollte, seit ihr Bruder dieses bürgerliche Mädchen geheiratet hatte, sie vergaß, daß die Gerbers möglicherweise hinkommen könnten, sie sehnte sich heiß nach dem Aufenthalte in dem geliebten Heim ihrer glücklichen Kindheit. „Ich weiß nicht, ob Stöffel," begann Wilma zögernd. „O! ich sah ihn soeben in einem Laden, er erlaubt es!" rief Klara, dann fügte sie leiser hinzu, „ich weiß, wie ungern mich alle Verwandten meines Mannes in die Familie treten sahen, aber ich hoffe, ihre Vorurteile mit der Zeit zu besiegen, ich möchte es gern." Die weiche Stimme zitterte, und Klara neigte sich über die kleine Truüe und liebkoste das blonde Köpfchen des Kindes. „Wollt Ihr mit mir spazieren fahren, Ihr lieben, kleinen Mäuse?" fragte die junge Tante, „der Wägen wartet unten. Wir wollen auch zum Konditor, Mama wird es erlauben, wenn wir recht schön bitten, nicht wahr?" Die Kinder jubelten. Wilma sah verlegen aus üud sagte: „Wanda hat eben ihr Kleid zerrissen, — ich — ich habe keins, die anderen sind alle ausgewaschen und schad haft und Trudes Jäckchen ist so verfleckt. Es geht nicht, daß sie mit Ihnen ausfahren, sie stechen allzusehr gegen die feine Tante ab." In diesen Worten lag etwas unangenehm Spitzes, etwas wie Neid. Klara überhörte es und lachte fröhlich: sie lief ins Vorzimmer und brachte ein großes Paket, das sie geschäf tig öffnete. Neugierig standen beide Kinder dabei. Zwei allerliebste Kleidchen und Mäntel kamen zum Vor schein. „Bitte, nehmen Sie die Kleinigkeiten von mir an," sagte Klara, „seien Sie mir nicht böse, es — macht nur so viel Freude." Wilma wußte zuerst nicht, was sie sagen sollte, die reizende Art und Weise, mit der ihre Schwägerin das Geschenk darbot, rührten das Mutterherz. „lind hier ist noch für jede von Euch eine Puppe,' fuhr Klara fort und legte den kleinen Mädchen ein wah res Prachtexemplar in den Arm. Sie kniete vor ihnen und hatte beide Kinder umschlungen, sie hörte nicht, daß es abermals klingelte und jemand eingetreten war. Erst, als ihr Mann seine Schwester begrüßte, blickte sie auf. Dunkle Röte überflammte das Gesicht Frau oon Rcch- linghausens. Durch die stürmischen Umarmungen ihrer Nichten hatte sich der dicke Knoten in ihrem Nacken ge löst, in dunkler, lockiger Fülle umwallte sie ihr wunder volles Haar. Verlegen erhob sie sich und stand nun in holder Verwirrung da. Karl Detlefs aber schien es mcht sehen zu wollen, er sprach mit seiner Schwester. Sein Gesicht trug einen müden Ausdruck, der ihn um Jahre älter erscheinen ließ. Klara befestigte mit den Naoeln ihre Früur, dann wusch und kämmte sie die Kinder und zog ihnen Sie neuen Kleidchen an. Wilma kam dazu un:> dankte der Schwä gerin. „Ich kann so wenig für Sie tun," sagte Klara be scheiden, „und Sie — Sie so viel für mich." „Wie meinen Sie das?" fragte Frau von Stöffel erstaunt, „ich bin arm und Sie — Sie sind reich." M. K1. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 30. April 1912, Seite 6. Mais Linquantine alter M, do. neuer 200—205 M Rundmais, gelb, M, do. neuer 189—192 M, am. MiXed-Mais 191-193 M, La Plata, gelber M. Erbsen Saat und Futter 195—205 M. Wicken 230-240 M. Buchwehen, inl. 215—225 M, do. fremder 215-225 M. Leinsaat, feine 360-370 M, mittlere 340—350 M, Laplata, — M, Bombay 360-380 M. »übsl, raffiniertes 71 M. Rapskuchen (Dresdner Marken) lange 13,00 M, runde — M. Leinkuchen (Dresdner Marken) I 21,50 M, II 21,00 M. Mal?, 35,00-37,00 M. Westenmehle (Dresdner Marken): Kaiserauszug 37,50—38,00 Grießlerauszug 36,50—37,00 M, Semmelmehl 35,50—36,60 Bäckermundmehl 34,00—34,50 M, Grießlermundmehl 26,00 bis 27,00 M, Pohlmehl 21,50—22,50 M. Roggenmehle (Dresdner Marken) Nr. 0 29,00—29,50 M, Nr. 0/1 28,00-28,50 M, Nr. 1 27,00—27,50 M, Nr. 2 24,50 bis 25,50 M, Nr. 3 22,00—23,00 M, Futtermehl 15,60 bis 16,20 M. Westenkleie (Dresdn. Mark) grob 14,60—15,00 fein 14,20—14,60 Roggenkleie (Dresdner Marken)- 14,60—15,20 M. verUnsr Sstreids verickt vom 29. April 1912. Die anhaltende Trockenheit und die feste Tendenz an den nordamerikanischen Plätzen-hat hier anfänglich befestigend auf die Getreidebörse eingewirkt, und machte sich speziell für spätere Roggentermine größere Kauflust bemerkbar. Weiterhin fanden Reat'.sationen statt und ging ein Teil der Befestigung wieder verloren. Weizen vernachlässigt, Rüböl fester, speziell der Okto bertermin bevorzugt. Wettervorhersage der K. S. Landeswetterwarle zn Dresden. Mittwoch, den 1. Mai: Nordostwinde, teils heiter, kühl, trocken. Magdeburger Wettervorhersage. Mittwoch, den 1. Mai: Ziemlich heiter, trocken, Nacht sehr kühl, Reif, Tag etwas wär mer als Dienstag. 1) Der verhaftete Trödler Gauzy wird von der Volksmenge mißhandelt. 2) Ionin, der ermordete Vizechef der Pariser Polizei. 3) Verhaftung eines Komplicen des Bonnot. Zum neuen Attentat der Automobil-Banditen in Papis. Die Lrinordung des visechefs der pariser Poli; ei Jouin hat daS größte Aufsehen hervorge- rufen. Jouin wurde im Hause der Gebrüder Gauzy erschossen, zweier Trödler, bei denen der Häuptling der Automobilapachen, Bonnot, sich verborgen hielt. Jouin drang was. fenlos in das dunkle Versteck Bon nots und wurde von einer Kugel getroffen. In der Verwirrung ent- floh Bonnot, dagegen wurden Gauzy und ein gewisser Cardy festgenom- men. Die Verhafteten konnten kaum zur Polizei transportiert werden, denn die Menge auf den Straßen stürzte sich auf die Verbrecher und suchte sie zu lynchen. Die Polizei durchsuchte dann auch die Wohnung CardyS in Alsortville und verhas- tete dort einen Mann namens Co lin. Die Abführung dieses Kom plicen der mörderischen Automobil bande stellt eine unserer AbSildun- gen dar. Literatur. Von Fritzsches Kursbuch für Sachsen, das übrige Mittel- deutschland, Böhmen und Schlesien usw. usw. ist die Sommerausgabe vom 1. Mai 1912 erschienen. Das Buch hat abermals eine starke Ver- mehrung erfahren, die seinen Ab- nehmern manche willkommene Neue- rung bringen wird. Ohne das Ziel, das beste Spezial - Kursbuch für Sachsen zu sein, aus den Augen zu verlieren, hat eS sein Geltungs bereich unablässig in Schlesien, Norddeutschland, Süddeutschland und Böhmen erweitert. Eine neue, dem umfassenderen Bereiche deSKurS- bucheS entsprechende klare Karte wird sehr willkommen sein. Das Buch ist für 60 Pfg. zu haben. „Was ist Geld? Ich brauche Liebe, ich verhungere )hne sie!" so drängte es sich über Klaras Lippen, aber ie schwieg, sie sagte nur innig: „Räumen Sie mir die Rechte einer Schwester em. assen Sie mich nicht draußen stehen, schenken Sie mir vas, was ich Ihnen warm entgegenbringe, — liebe Wilma." „Ja, ich will es, Sie — nein, Tu bist gut, besser als ich!" Die Frauen umarmten sich herzlich. „Wir wollen uns duzen," bat Wilma, „so ist es richtig." „Mit tausend Freuden. Doch nun kleide Dich an, Karl Detlefs wartet ungern, wir entführen Euch, auch Dein Mann versprach uns, sich um 1 Uhr im Hotel einzu finden, damit Ihr dort unsere Gäste seid." Die kleinen Mädchen waren schon in den Salon ge laufen und hatten auf den Onkel Beschlag gelegt, als ra xintrat. „Wir lieben Tante Klärchen furchtbar," versicherte Trude, „sie ist unsere gute Fee. Liebst Du sie auch, Onkel?" „Natürlich, sie ist doch seine Frau," fiel Wanda alt klug ein, „ein Mann muß seine Frau lieben." Klara errötete heftig. Sie wagte nicht aufzusehen, sie fühlte den Blick ihres Mannes auf sich ruhen, immer tiefer beugte sie das Gesicht auf das Album, das sie aufge schlagen hielt. Wie peinlich war dieses unschuldige Ge plauder der Kinder, es berührte die Saite, die unhar nionisch widerhallte, die Saite in ihrem Leben, die keinen Meister fand, um sie zu stimmen. Nun waren sie und Karl Detlefs fast ein halbes Jahr verheiratet, aber noch ivar Vas erlösende Wort nicht gesprochen. Wie ein Nebel lag es zwischen ihnen, etivas Unklares, Quälendes zerrte an der Seele des Mannes, und er wollte es sich nicht einge stehen, was es war. Als er von der Hochzeitsreise heimkehrte, wußte er zweierlei, erstens, daß er Klara unterschätzt hatte, daß sie nicht unbegabt war, daß sie nur unter einer großen Be fangenheit litt, die sich ihn: gegenüber besonders äußerte. Sie konnte angeregt und unterhaltens plaudern und er faßte alles tiefer, als die meisten Frauen, die Karl Det lefs kennen gelernt. Zuerst hatte er die Gesellschaft des ungeliebten Weibes an seiner Seite wie eine Last em pfunden. Tie ruhige Gleichmäßigkeit ihres Wesens, das Nachgebende in ihrem Charakter und die sich bei jeder Ge legenheit erweisende Güte ihres Herzens nötigten Rech linghausen ein aus Bewunderung und Sympathie ge mischtes Gefühl ab. Er begann sich mit Klara zu beschäf tigen und grübelte über sie. Oft kielen ihre Worte ihm wieder ein: „Ja, ich liebe Sie. Warum sollte ich es leugnen? Es ist mein Stolz und mein Unglück zugleich." (Fortsetzung folgt.)