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Rr. 18. Pul-nitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 13. Februar 1912. Seite 6. Or. Paa He r-r. « p a y n " (natwnalliberal) (Zentrum) (Soz,aldenwkra ) II. Vizepräsident. Präsident. >- Vizepräsident. Tas Präsidium des Teutschen Reichstages. Nachdem vr. Spahn (Ztr.) zum Präsidenten der Reichstags?gewählt worden war, schritt der Reichs tag zur Wahl seiner beiden Vizepräsidenten. Diese hatte folgendes Ergebnis: 1. Vizepräsident Abg. Philipp Scheidemann (Soz.) mit 188 Stimmen; auf den Abg. Dietrich (lons.) fielen 174 Stimmzettel, auf den Abg. vr. Paasche (natl.) 3; ungültig waren 21 Stimmzettel. Philipp Scheidemann ist am 26. Juli 1865 in Kas- sei geboren. Vom Setzer, Korrektor und Faktor schwang er sich 1895 zum Leiter der Mitteldeutschen Sonn- tagSzeitung in Gießen aus, war dann Chefredakteur mehrerer sozialdemokratischer Blätter, wurde 1911 in den sozialdemokratischen Parteivorstand gewählt und siedelte deshalb nach Berlin über. Mitglied deS Reichstages ist er seit 1903. Er vertritt den Wahlkreis Solingen. 2. Vizepräsident Abg. Hermann Paasche (natl.) mit 274 von 385; ungültig waren 95 Stimmen, der Rest zersplittert. Abg. Paasche erklärt ebenso wie vorher Abg. Scheidemann, die Wahl anzunehmen. Geheimer Regierungsrat Hermann Paasche hat bereits früher im Reichstage die Würde eines Vizepräsidenten bekleidet. Er ist am 24. Februar 1851 zu Burg bei Magdeburg geboren und vertritt im Reichstage den Wahlkreis Kreuznach-Simmern. Die GefiiMeter-Sekte in Lachsen. 8. Dresden. Die „Christian Science" Gesundbe- tersekte, deren Wiege Nordamerika ist und die begrün det ist von einer MrS. Eddy, sucht neuerdings wieder in Sachsen, speziell in Dresden, festen Fuß zu fasten und Anhänger zu gewinnen, nachdem der sächsische Landtag in der vorhergehenden Session eine Beschwerde eingabe der Sekte, wonach dieselbe als staatlich aner- kannte ReligionSgesellschaft erklärt zu werden begehrte, in ablehnenden Sinne erledigt hatte. Zur Kennzeich nung der Grund, und Lebensanschauungen der Sekte veröffentlicht der bekannte Dresdner Arzt Dr. Haend folgende interessante Einzelheiten: Die Grundlage der neuen Hilfslehre erscheint höchst einfach: Gott das Prinzip der Welt, ist gut und Gott ist Geist, da Gott alle- ist, kann das Schlechte, das Uebel nicht existieren, ebensowenig kann ein körperlicher Stoff existieren, wenn alles Geist ist. Also ist Krankheit und Uebel und Ma- terie nichts als rin Irrtum. Macht man sich dies klar, dann ist alles in Ordnung: Schmerzen Krankheit, Tod sind nur Irrtümer, wer dies erkennt, hat sich schon von jenem befreit. — GS ist klar, welch ungeheuere Macht einer solchen logischen Taschenspielerei für die Zwecke der Sugestivheilung von Krankheiten innewohnt. Wenn du noch Schmerzen hast, dir noch einredest krank zu sein, so ist das deine eigene Schuld, du mußt nur noch intensiver glauben, dann wirst du deinen Irr glauben überwinden. Aber weiter die Grundsätze der neuen Lehre. Mein Irrglaube geht nicht nur mich an, sondern beeinflußt auch den Glauben, also die Gesund heit einet anderen, und umgekehrt ist der Glaube eines anderen, der sich darauf konzentriert, daß mein Schmerz nicht existiert, imstande, mir damit diesen wegzuneh men, auch ohne? daß ich selbst etwas dazu tue. Das ist das Wesen der sogenannten Gesundbeterei. Die Kehrseite dieses Satzes ist natürlich die, baß man je manden auch krank beten kann, in ihm Irrglauben und damit Schmerzen erzeugen kann. Und in der Tat haben die Scientisten und auch ihre Gründerin MrS. Eddy, diesen Schluß gezogen und daraus es er- klärt, wenn sie Mißerfolge hatten. Stirbt ein Patient trotz seines, oder seines Heilbeters intensiven Glau- benS, so kann daran nichts anderes schuld sein als die böswilligen Gedanken einer fremden Person. Man sieht, wir stehen mit einem Schritte wieder im finste ren Aberglauben des Verhexens und des bösen Blicks. Die Gläubigen der Sctentistensekte rekrutieren sich in der weitüberwiegenden Mehrzahl aus Angehörigen des weiblichen Geschlechts. So waren z. B. von den 22 gewerbsmäßigen Heilern, „PraktitionärS", die der Her old, dar offizielle Organ der Gesundheitsbeter in Deutschland, 1908 für einen bestimmten Bezirk auf zählte, nicht weniger als 21 weiblichen Geschlecht-. Man darf wohl annehmen, daß auch die jetzigen Ver- suche dieser Sekte, sich in Sachsen festzusetzen, an dem gesunden Sinne der Bevölkerung scheitern werden. Hus aller Berlin, 10. Februar. (Marinenachrichten.) Angekommen: S. M. S. „Viktoria Luise" am 9 /2. in Villagarcia in der Arosabucht (Nordspanten). — S. M. S. „Wittelsbach" am 7./2. vor Helgoland, am 8./2. wie- der in See gegangen. Postregelung für S. M. S. „Albatroß" vom 11.—15/2. Borkum, dann wieder Cuxhaven. Lissabon, 11. Februar. (Sturm und Regen in Portugal.) Sturm und Regen bauern fort. Der Tago ist aus seinen Ufern getreten. Mehrere Jachten, die in Gefahr standen, mußten in Sicherheit gebracht werden. Die Dampfer waren gezwungen, die Abfahrt zu verschieben und ihre Anker zu verdoppeln. Die Eisenbahnverbindungen zwischen Lissabon und den Süd- und Nordprovinzen sind unterbrochen. Sämt liche Züge treffen mit Verspätungen ein. Auch auS Marokko wird über Unwetter berichtet, speziell im Schaujagebiet. Wie aus Casablanca berichtet wird, dauert der Regen an, sämtliche Flüsse sind aus den Usern getreten. Die Verproviantierung verschiedener entfernt liegender Posten ist sehr erschwert, doch besitzen dieselben vorläufig genügende Vorräte an Lebensmitteln. Rom, 10. Februar. (Der Gesechtswert der Aeroplane im Kriege.) Leutnant Rossi, der so- eben aus Tripolis zurückgekehrt ist, wo er während der letzten 3 Monate Kuudschafterflüge mit seinem Aero plan unternahm, gewährte dem Korrespondenten der „La Nazione" über den GefechtSwert der Aeroplane im Kriege ein Interview. Leutnant Rossi erklärte, er sei von der Nützlichkeit der Aeroplane in der Kriegs- sührung vollkommen überzeugt, doch seien die Flug zeuge von geringem Werte, wenn Bomben auf den Feind geschleudert werden sollen. Der Aeroplan müßte sich mindestens in einer Höhe von 1000 m befinden, um aus der Schußweite des Feindes zu sein. In einer solchen Höhe sei es aber ganz unmöglich, mittels Bombe ein bestimmt fixiertes Ziel zu treffen. Für Erku'di- gungsflüge sei dagegen der Flugapparat von außer- ordentlicher Bedeutung. Dresdner Produkten-Börse, 12. Februar 1912. Wetter: Mild. Stimmung: Ruhig. — Um 2 Uhr wurde amtlich notiert: Westen, brauner neuer, 78—81 Kilo, 209—212 M, do. neuer 76 bis 77 Kilo, 206-208 M, russischer, rot, 243-247 M, Ar gentinier 247—250 M, Manitoba 246—249 M. Roggen, sächsischer, neuer 75—76 Kilo, 189—190 M, do. do. 72 bis 74 Kilo, 184—188 M, preußischer, neuer 192 bis 194 russischer 198-200 M. Gerste, sächsische, neue 215—217 M, schlesische 223—228 M, Pose- ner 223-228 M, böhm. 238-243 M, Futtergerste 180-183. Hafer, sächsischer, alter — M, do. do. neuer 209—213 schlesischer neuer 209—213 M, russischer loco 205 —208 M. Mais Cinquantine alter 197—200 M, do. neuer 190—195 M, Rundmais, gelb, 187—190 M, do. neuer 181—184 M. Erbsen Saat und Futter 195—205 M. Wicken 230—240 M. Buchweizen, inl. 210—220 M, do. fremder 210- 220 M. Leinsaat, feine 375—385 M, mittlere 355—365 M, Laplata 365—370 M, Bombay — M. Rüböl, raffiniertes 70 M. Rapskuchen (Dresdner Marken) lange 14,00 M, runde — M. Leinkuchen (Dresdner Marken) l 23,00 M, ii 22,50 M. Malz, 35,00-37,00 M. Weizenmehle (Dresdner Marken): Kaiserauszug 36,50—37,00 Grießlerauszug 35,50—36,00 M, Semmelmehl 34,50—35,00 Bäckermundmehl 33,00—33,50 M, Grietzlermundmehl 25,00 bis 26,00 M, Pohlmehl 20,00—21,00 M. Roggenmehle (Dresdner Marken) Nr. 0 28,50—29,00 M, Nr. 0/1 27,50-28,00 M, Nr. 1 26,50-27,00 M, Nr. 2 24,00 bis 25,00 Bi, Nr. 3 21,50-22,50 M, Futtermehl 16,40 bis 17,00 M. Westenkleie (Dresdn. Mark) grob 14,60—15,00 fein 14,40—14,60 Roggenkleie (Dresdner Marken): 15,08—15,40 M. verliner Selrswsbörfs. Der Markt war bet leichten Schwankungen lust- loS, da es an Unternehmungslust mangelte. Rüböl erholt. „Ist noch Niemand hier?" „Nein!" war die Antwort. „Aber ich werde gleich mal nachsehen, ob noch Niemand kommt." Ter Leichenwärter entfernte sich, während der Arzt die Instrumente prüfte. Es mochten kaum einige Minuten verflossen sein, da kam der Untersuchungsrichter Maran mit seinem Aktuar. Bald hernach war auch Kommissar Haller zugegen. Nachdem sich alle begrüßt hatten, wandte sich Maran an den Kommissar: „Nun? Sind Sie jetzt zu einem Resultat gekom men?" Auch der Landgerichtsrat hatte sich für den Fall in teressiert und er sagte: „Sie müssen mir alles berichten! Es ist Vies die sonderbarste Mordtat, die mir je dazwischen gekommen ist. Tie Wunden, es ist das ganze Schädeldach in sechs Teile zertrümmert, sind so eigenartig, daß sie mit einem Aufsatz oder Leuchter oder so ähnlichen Gegenstand beigebracht wurden. Der Mörder muß in momentaner Von hier aus mar er dann vermutlich über das Feld ge eilt und zwar nach der Uhlandstraße. Von dort aus stand ihm eine Entfernung mit der Elektrischen nach jeder Richtung hin offen." „Kann nicht trotzdem ein Raub geplant gewesen sein, der nur durch das Näherkommen eines Dritten in der Ausführung verhindert wurde?" warf Maran da zwischen. „Tiefe Möglichkeit ist sehr begreiflich," war die etwas zögernde Entgegnung Hallers. „Umso mehr, als dieser Georg Costa unmittelbar nach der Mordtat das Gemach betreten hatte." „Den ich immer noch nicht für völlig schuldlos halte," fügte Maran hinzu. „Ich habe diese Ella Gerlach be obachten lassen!" „Dadurch wird wenig erreicht werden! Aber —" „Heraus!" munterte ihn der Landgerichtsarzt auf. „Sie haben Verdacht gegen Frau Gerd Sandtner!" warf der Untersuchungsrichter dazwischen. „Erzählen Sie, was es eigentlich mit diesem Knopfe für eine Be- Wut den nächsten Gegenstand, der ihm unter die Hände geriet, gepackt und damit zugeschlagen haben wie mit einer Keule." „Mit einer Fruchtschale aus Bronze wurde die Tat begangen!" antwortete der Untersuchungsrichter. „Ich buchte es mir. Daher kommt es, daß die ein zelnen Knochenbrüche so verzweigt sind. Jedenfalls dürfte ein Rcmlinwiw kaum vorliegen!" „Ein Raubmord ist ausgeschlossen!" antwortete so fort Kommissar Haller. „Es sand sich nichts vor. Kein Fach >var erbrochen, nichts fehlte. Wie der wahrschein lick)« Täter in das Arbeitszimmer des Ermordeten ge langte und wer es ist, darüber weiß ich nichts! Gar nichts! Aber sofort nach der Tat ist er aus dem Fenster gesprungen, das Gras war niedergetreten. Ich ver folgte nun die Spur durch den ganzen rückwärtigen Garten, bis zur Hecke, über, welche der Mörder kletterte. wandtnis hatte." „Die Frau des Ermordeten?" entfuhr es überrascht den Lippen öes Arztes. „Allerdings!" nickte Haller; und er berichtete nun ausführlich, welche Beobachtung er gemacht hatte, wie diese schöne, verführerische Frau schier ängstlich im Zim mer zu suchen schien und dann blitzschnell einen Gegen stand mit dem Fuße verdeckte; er wiederholte dann noch mals das Gespräch mit der Frau und fügte eine Schil derung des aufgefundenen Knopfes hinzu. Als er geendet, meinte Maran nachdenklich: „Aber das ist gerade das Aergerliche, es klingt alles so wahrscheinlich!" „Eine Frau kann nie die Mörderin sein!" ergänzte der Landgerichtsarzt. „Aber Mitwisserin!" fügte Haller hinzu. „Der Knopf ist so geformt, daß er aufsallen mußte. Nun lau ¬ teten des Ermordeten letzte Worte: Schwarz — Kopf; ein weiteres brach der Tod ab. Kann Vas nicht Knopf gelautet haben? Konnte das in der Aufregung nicht falsch verstanden worden sein?" „Die Frau hatte aber den Knopf erkannt! Sie sagte doch, sie selbst hätte ihn verloren." „Sagte sie!" wiederholte Haller. „Aber ich begnügte mich damit nicht. Ich mußte mehr erfahren! Und ich habe auch mehr erfahren. In dem ganzen Hause kaunte Niemand einen solchen Knopf, rin von Frau Sandtner auf. habe alle Sachen dieser Frau dieser -war der Knopf fremd. Ich suchte die Schneive- Diese bestätigte mir, sie angefertigt. Und auch Das muß doch auffallen! Und wo ist dieses Zimmermädchen Sophie. Ich stellte Nachforschungen an. Und was war das Resultat?" „Sonderbar!" meinte kopfschüttelnd Maran. „Allerdings sonderbar!" war die ironische Antwort Hallers. „Sophie Strebt — das ist der Name des Zim mermädchens — ist spurlos verschwunden. Sie ist nicht aufzu finden!" „Merkwürdig! Wäre es wirklich möglich, daß eine solche Frau mitschuldig wäre an dem Morde ihres Gat ten?" „Ich will nicht behaupten, daß'sie mitschuldig ist! Aber sie kennt den Täter und schweigt darüber aus ir gend welchem Grunde!" „Diese Frau möchte ich doch auch sehen!" sagte der Landgerichtsarzt. „Ihr Wunsch kann sich leicht erfüllen! Frau Gerd Sandtner und die Nichte des Toten sind als Zeugen zur Sektion beigeladen!" „Das ist ja vortrefflich!" rief der Landgerichtsarzt. „Dann kann man eine kleine Probe machen, ob diese Frau von einem Schuldbewußtsein gequält wird." (Fortsetzung folgt.)