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Pulsnitzer WckeMatt Dienstag, 7. November 1911. Beilage zu Nr. 133. 63. Jahrgang. OertUckes und Sücdsisckes. — (Das Wetter im dieSjährtgenNovem- b er.) Die Temperaturverhältnisse in dem eine Dämme rungserscheinung von nur 43 Minuten aufweisenden No vember sind schon recht rauhe. Unser Wetterprophet gibt un» für den diesjährigen November keine unerfreuliche Prognose. Nach ihm soll die erste Dekade des November» in den Nächten und vormittags zwar schon recht kalt sein. Die Nachmittage sollen indessen sonnig und ange- nehm sein. Mit Beginn der zweiten Dekade soll regne rische» Wetter sich einstellen, da» aber nur wenige Tage anhält. Nach dieser kurzen Regenperiode dann wieder frostiges Wetter, das aber in den Nachmittagsstunden wieder sonnigem weicht. Diese Witterung soll bis Ende November andauern. Größere Schneefälle soll un» erst der Dezember bringen. E» scheint also fast al» solle die alte Wetterregel, daß nach einem heißen Sommer früh ein kalter Winter einsetzt, sich nicht bewahrheiten in die- sem Jahre. — (ReichStag-wahl). Wenn auch erst in den letzten Tagen der Termin der Reichstagswahlen endgül tig bekannt geworden ist — der eigentliche Wahlkampf hat schon längst in aller Schärfe eingesetzt, vor allem aber auf dem heiß umkämpften Boden des Königreichs Sachsen, de» deutschen Industriezentrums. Denn in sämt- lichen 23 sächsischen Reichstagswahlkreisen sind schon die Kandidaten nominiert. Die meisten Kandidaturen sind von den Sozialdemokraten aufgestellt worden, die sich um sämtliche 23 Mandate bewerben. Ihnen folgen die Nationalliberalen mit 14 Kandidaten, die Fortschrittliche Volkspartei mit 11, die Konservativen und die Reformer mit je 7, die Reichspartei mit 2 und die Freikonservativrn mit 1 Bewerber. Bon den bisherigen 23 ReichStagSab- geordneten kandidieren 19 wieder. Im jetzigen Reichs tag ist Sachsen durch 9 Sozialdemokraten, 6 National- liberale, 3 Reformer, je 2 Fortschrittliche und Konseroa- tive und 1 Anhänger der Reichspartei vertreten. In 14 Wahlkreisen ist eS zu einem fortschrittlich-national- liberalen Bündnis gekommen. Interessant ist die Lage im 23. Wahlkreis (Plauen-OelSnitz), wo der BundeSkan- didatur Günther-Fortschr. Volkspartei die von der natio- nalliberalen Parteileitung nicht anerkannte national liberale Sonderkandidatur Graser gegenübersteht. In 8 Wahlkreisen wird die Kandidatenliste noch vervoll ständigt werden, da noch drei konservative Kandidaturen und 1 nationalliberale ausstehen, und in 1 Wahlkreis (19., Stollberg-Schneeberg) außer dem bisherigen sozial- demokratischen Mandatsinhaber noch kein weiterer Bewer- ber nominiert worden ist. — (Freimaurer-Institut, Dresden.) Wohl aller Eltern innigster Wunsch ist eS, ihre Knaben in richtiger Weise zu erziehen, ihnen außer einer für das Leben und den zukünftigen Beruf paffenden, gediegenen Schulung, die in der Zukunft so notwendige und außer- ordentlich wertvolle Gewöhnung an Ordnung, Pünktlich, keit, Sauberkeit und Gehorsam, eine wahre Charakter- bildung zu verschaffen. Sie alle werden bestrebt sein, ihren Sohn für den Kampf umS Dasein zu stählen, ihn zu befähigen, au» eigner Kraft sich eine Stellung im Leben zu erringen, den Kampf mit den Widerwärtigkeiten der Praxi» aafzunehmen und siegreich zu beenden. Dazu ist eine straffe Erziehung nötig, die durchaus der Liebe nicht entbehren darf, die nicht hart zu sein braucht; dazu hilft nicht eine Erziehung in Sentimentalität und HumanitätSduselei, wie Neuerer sie predigen. — Nicht immer ist das Elternhaus in der Lage, den Sohn bei sich zu behalten. Oft muß der Vater unablässig tätig sein, mancher Familie ist die Mutter entrissen worden, am Orte fehlt eine geeignete höhere Schule. Solche Um- stände veranlassen, den Knaben auswärts zur Schule und in eine Pension zu geben. Bekanntlich sind die Pensio nen nur in geringem Prozentsätze wirklich gute, meist werden die Knaben Händen übergeben, die weder be fähigt noch gewillt sind, die ganze große Verantwortung für das Seelenheil de» kostbarsten Gutes der Eltern zu übernehmen : sehr oft sind allein die pekuniären Vorteile Ausschlag gebend, die sog. Pensionen sind meist nur Kost- Häuser und keine eigentlichen ErztehungSstätten. Daß hieraus schlimme Folgen entstehen können, ist klar. Den Eltern werden auch größere mit den Schulen verbundene Pensionate, sog. Internate oder Alumnate, al» geeignet zur Aufnahme ihre» Sohnes genannt, empfohlen sehr oft von Leuten, die gar nicht die Kenntnisse haben, ein Ur teil hierüber zu fällen. Die Eltern müssen selbst mit offenen Augen solche Internate anschauen, müssen ihr Augenmerk daraus richten, daß der Leiter nicht pekuniär davon abhängig ist, daß in den Internaten die körper- liche und sittliche Gesundheit nicht Gefahr läuft, daß eben genügend Aufsicht, die deshalb durchaus nicht zu drücken braucht, vorhanden ist. Die Eltern muffen sich von den verschiedenen Internaten Prospekte schicken lassen, müssen vergleichen und durch Besuch sich überzeugen, dabei mögen sie des Freimaurer-Institut», öffentliche Realschule, Lehr- und Erziehungsanstalt zu Dresden- Striesen sich erinnern; sie werden dort eine Erziehung finden, wie sie kurz oben geschildert ist. Dresden. (Stiftung.) Die Erben des verstorbe- nen Geh. Kommerzienrat» Vogel, de» Seniorchefs der Schokoladen - Fabriken Hartwig 6- Vogel, A.-G., haben 75 OOO M zugunsten der Beamten und Arbeiter der Firma gestiftet. — (Folgen des Streiks.) Der soeben be endete Streik in der Schokoladen-Jndustrie hat für eine große Anzahl Beteiligter einen sehr betrüblichen AuSgang genommen, denn 700—800 Arbeiter und Arbeiterinnen sanden ihr« Plätze bereits besetzt und sind brotlos geworden. VreWniMN W MrMo-Nntra-. Röln, 4. November. „Die Kölnische Zeitung" schreibt zu dem Abschluh des deutsch-französischen Vertrages: In ihrer Ma- rokkopolitik hatte die deutsche Reichsregie^ung von vornherein jeden Gedanken an die Erwerbung eines Teiles des cherifischen Staates abgelehnt und ihre Bemühungen nur auf das Ziel hingerichtet, unserem Handel- und Gewerbefleiß vollständige Bewegungsfreiheit und Gleichberechtigung mit allen anderen Staaten zu sichern, für / . den Fall, daß Frankreich die Schutzherrschaft über Marokko er langen sollte. Man mag über die Berechtigung dieser Selbstbe schränkung denken wie man will und wird doch anerkennen müssen, dah der jetzt vorliegende Vertrag folgerichtig aus ihr hervorge- gangen ist und dabei den Stempel des eifrigsten Bemühens trägt, dem Grundsatz der offenen Tür wirklichen Bestand zu verschaffen Unsere Diplomatie habe ihr Augenmerk darauf gerichtet, für die Zukunft freies Feld für unseren Handel und die Arbeit unseres Kapitals zu gewinnen und daher einen Vertrag abgeschlossen, der in der Genauigkeit der Einzelbestimmung wenig Gegenstücke haben wird. Ebensowenig wie der Wert der von Frankreich gemachten Zugeständnisse in Marokko läßt sich letzt schon feststellen, ob die Entschädigung im Kongogebiet, die Deutschland erhält, emen ent- sprechenden Ausgleich für den Machtzuwachs bildet, den die fran zösische Republik durch das Protektorat über Marokko erwirbt. Vor allem muß Klarheit darüber geschaffen werden, wie es mit den Konzessionsgesellschaften in dem neuerworbenen Gebiet steht. Wir können nicht annehmen, daß Deutschland verpflichtet ist, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Diese Sorge muß Frankreich zufallen, denn die finanzielle Belastung, die uns damit erwachsen würde, ist so groß, daß der Nutzen, den wir aus dem neugewon nenen Kolonialbesitz ziehen können, in keiner Weise entspricht. Wir warten ab, wie es damit steht Ebenso wird in der Einzelerörterung, die jetzt beginnt, nach allen Richtungen hin die Bestimmung der Grenzverschiebungen dargelegt werden müssen, um zu einem end- giltigen Urteil zu gelangen. Wien, 4. November. Bei Besprechung des Marokkoüberein kommens schreibt die „Neue Freie Presse" u. a. folgendes: Die Franzosen müssen heute den Eindruck haben, daß sich mit Deutsch land leben läßt. Sie müssen sehen, daß sie einen der größten Fortschritte in ihrer Kolonialpolitik dem Einvernehmen mit Deutsch land zu danken haben, denn vom heutigen Tage angefangen, ist Marokko tatsächlich französisch, und die Republik wird den Ruhni haben, eines der schönsten Gebiete von Afrika ihrem Kolonialreich mit Zustimmung von Deutschland ohne jeden Kampf und ohne jede Gefahr einverleiben zu können. Oesterreich-Ungarn kann mit diesem Ergebnis, das mit seiner friedlichen Politik und mit seiner bundesfreundlichen Gesinnung so vollständig übereinstimmt, nur zufrieden sein. Jede Tatsache, die ein ruhiges Zusammen leben zwischen Deutschland und Frankreich erleichtert, wird in Oesterreich-Ungarn mit Vergnügen ausgenommen, jede Befriedigung, welche Deutschland mit seiner Kolonialpolitik durchzusetzen vermag, ist zugleich ein Gewinn für das kulturverwandte Oesterreich. London, 4. November. Die englische Presse sowohl wie die französischen Morgenblätter widmen dem deutsch-französischen Abkommen spaltenlange Artikel. Die englische Presse tut sich viel darauf zu gute, daß die englische Diplomatie durch ihre Ent schlossenheit und durch ihre Unterstützung, welche England Frank reich sowohl als Deutschland zugesichert hat, dazu beigetragen habe, daß der europäische Friede auf diesem Gebiete wenigstens nicht gestört worden ist. Der „Daily Graphic" sagt: Herr von Nus erster GHe. 4— Roman von H. CourthS-Mahler. 5 (Nachdruck verboten.) Sie schreibt mir, daß Eva in der letzten Zeit sehr nieder gedrückt und traurig sei und chr nun gesagt hab«, daß sie fitz unsagbar danach sehne, wie andere Kinder Vater und Mutter zu besitzen. Sie habe furchtbar geweint und ihr gestanden, daß sie sich seh, unglücklich und elend fühle, weil sie keine» Menschen habe, dem sie angihöre. Liehst du, mein lieber Fritz, — da» hat mich mit einem Male au» meiner egoistischen Bequemlichkeit aufgerüttelt. Ich laus« hirum, wie ei» Mensch, der eine schwer« Schuld auf dem Gewissen hat. — Klariffa» Schreiben lag rin Brieschen von Goa bei, — hier lies ihn einmal durch; da» er« spart mir alle» weitere. Ich muß einmal mit einem Menschen über die ganze Sacht sprechen. Helene ist mir zuviel Partei. Also bitte - lies I" Er entnahm seiner Brusttasche einen schmale» Brief und reichte ihn Fritz. Der entfaltet« ihn und la»: „Mein lieber Vater! Dir zur Nachricht, daß ich gesund bi». Tante Klariffa ist in letzter Zeit sehr leidend und muß lest langen Tagen da« Bett hüten. Da komme ,ch sehr wenig heran., denn ich kann Tante natürlich nicht allein lassen. w'«» ich so stm an ihr«« Bette fitze und sie schläft, - ach, mein li«b«r Vater, dann hab« ich ost - eine große, groß« mit d«m ich sprechen kann, odn nach ei««« Gesicht, daß mich freundlich ansteht. Und da wage ich e« »un, Dir einen großen, i»nig<n Wunsch au»,»sprechen, den ich schon lange, lange Ml Herzen trage. Abe, HI«, sei nicht Jutta schicken? J4 muß sovrel an sie d«nk«», «eil sie doch ei, gentlich zu mir gehört und weil ich doch sonst keinen Menschen hab«. Ich li,be sie so sehr, obwohl ich fie nicht kenne; und „ tut mir sehr weh, daß ich mir fie gar nicht vorstelle» kan». — Sei Mi, NU, Hilt, nicht böse, wenn ich unbescheiden bin. Ich hätte e» immer' noch nicht gewagt, aber Tante Klar'ffa sagte, ich solle e» nu, ,u«. Du würdest ganz gewiß nicht zürnen. Vielen Dank sü. Deinen letzten Brief. Und weiter hab« ich k«ine Wünsch«. Nur da« Btld von meinrr Schwestrr Jutta möcht« ich grrn b«fitze» und würde Dir sehr dankbar sein. Mit hrrzlichen Grüßrn Deine Dich liebende Tochter Eva." Fitz legte de« Brief langsam wieder zusammen. Vein sonst so fröhliche« Gesicht war sehr ernst. Er gab den Brief zurück und stand auf. „Da« arme Kindl" sagt« er halblaut. Woltnlheim trafen diese Worte wie ei« schwerer Borwurf. E« fuhr sich mit der Hand über dir Stirn. „Weiß Gott, — da» habe ich auch gedacht, al« ich ihren Brief la«. Wen» ich gewußt hätte, daß sie darunter so leidet! Da» wollt« ich natürlich nicht. Ich dacht«, fi« ist ganz zufrieden. Aber au» diesem Briefe klingt mehr al« der Wunsch, Jutta« Bild zu besitzen. Ich habe,« ihr sofort geschickt. Nber damit ist e« nicht abgetan.' „Gewiß nicht, lieber Onkel. Ich gest.h«, dieser Brief hat mich seltsam berühr», — «» klingt etwa« zwischen den Zeile«, wie ein großer Schmerz." Wolter«heim nickte. „Den Eindruck hatte ich auch, und ich bi» sehr unruhig. Aber wa« soll ich tun?" „Jedensall« würde ich fit vor allem au» der traurige« Um» gebung nehmen. Sie scheint dort eine wahre Schattenexistenz zu führe». Wi, alt ist fie d«nn eigentlich?' „Neunzehn Jahre." „Und in dem Alter, in dem sich alle jungen Mädchen ihre» Leb«n« freuen, fitzt fi, al« Kranktnpfltgeri» bei ihrer sicher ver drießlichen Tante und sehnt sich »ach ei» bißchen Liebe und Sonnenschein. Bei einem solchen Leben muß sie ja indolent und stumpf werde». Nimm mir meine Offenheit nicht übel, — lieber Onkel, — aber du hättest fi« schon längst nach Wolter«- heim holen müssen. Wo Silvi« rin« Heimat hat, müßt« doch vor allem dein eigene« Ktnd eine finden." Woltn«heim raucht« hastig und nrrvö«. Er schritt einig« Mal« im Zimmer auf und ab und blieb dann vor Fritz stehe». Mit einem nachdenklichen Blick sah «r ihn a». „Du hast recht, Fritz, da« alle« habe ich mir heute auch schon gesagt. Bi«her hab' ich — zu meiner Schande muß ich «« gestehen — sehr wenig für Eva übrig gehabt. Aber heute ist etwa« in mir aufgewacht unter ihren traurigen, schüchterne» Worte« — etwa«, da» mir zeigt, — fie gehört zu mir — kotz allem." „Und du wirst fie nun heimholen — nicht wahr?" sagte Fritz herzlich. Wolter«heim sah i» seine ehrlichen Augen, die eine» sehr warmen Blick hatten, wrnn fie ernst waren „Da« ist nicht so einfach, wie du e« dir denkst. Ma« würde viel darüber reden, wen« Eva plötzlich hier auftauchtr." „Man muß die Menschen nur vor Tatsache« stelle«, dann beruhigen fi« sich schnell." „Ja, ja — aber da ist noch ein Punkt — meine Frau." „Ueberrasche fi« doch «iafach mit Toa« Ankunft." „Nm Gotte« willen, — da« gäbe eine Katastrophe und die könnte alle« verderbt«. Nein, nein — ich muß fie erst vorbe reit«». Soll sie Eva gleich mit Groll empfange»? Du siehst doch ein, daß ich «st mit ihr spreche» muß.' „Gut, bereite sie also vor. »ber wen» ich dir rate« darf, so zögere sicht lange, — de« arme» Kinde« wegen." „Ich werd« gewiß nicht damit zögern. Uebrigrv« muß man auch Jutta «rst vorbereitet». Sie weiß nicht« von Eva« Existe»». Wie sie ditst Eröffnung aufnimmt, darauf bin ich auch sthr gtspaunt." Fritz lachte. „Jutz? Ach, darum mach« dir kn»« Sorgt», — di« wird schon srrtig mit ditser Eröffnung. Gib ihr »ur Eva« Bri«f zu lest», dann ist fit gerührt und geht durch« Feuer für ihr« neu« Schwestrr. Ich müßte unseren wiichherzigen Jutz nicht kenne». Sie kann keine Katze leiden sehe», ohne in Tränen a»«zubrechen, viel weniger einen Menschen. Außerdem ist die ganz« Sach« romantisch, — da« wirkt noch mehr." „Meinst du?" .Ganz g«wiß. Soll ich ihr diese Eröffnung macht»?" „Wrnn du da« tun wollkst? Du enthöbtst mich da «an peinlichen Situation. Und du vnstthst so gut mit Jutta umzu» gtht», da« merk« ich. kotz Eure« ewigen Krieg«,ustand««." Fritz nickte eifrig. „Ich kenne den Jutz," vnficherte n noch einmal mit vn- nünftigem Gtficht. „Gib mir nur de« Brief, de« brauch« ich,