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Pulsnitzer McdenbiaN Donnerstag, 23. November 1911. Beilage zu Nr. 140. 63. Jahrgang. Mas Stingl die NeichrmWrnngsoldnung? Von Landesversicherungsassessor Seelmann in Oldenburg. Ul. Unsall-Versicherirnx. Die Unfallversicherung ist derjenige Teil der Reich«- versicherungSordnung, der von dem bisherigen Recht am wenigsten abweicht. Die Unfallversicherungspflicht ist au«, gedehnt aus da« Dekorateurgewerbe, die Gerbereibetriebe, die Binnenfischerei, die Fischzucht, die Teichwirtschaft, die Eisgewinnung, den Fährbetrieb, zu dem auch da« ge» wer!-mäßige Einfahren fremder Pferde gehört, den Reit- tter- und StallhaltungSbetrieb, wenn sie gewerbsmäßig betrieben werden, das Halten von Reittieren und solchen Fahrzeugen, die durch elementare oder tierische Kraft be. wegt werden. Die Unfallversicherungspflicht der Lager» arbeiten in kaufmännischen Betrieben ist erweitert worden. Es wird eine besondere Berufsgenoffenschaft für den De tailhandel errichtet. BetriebSbeamte sollen in Zukunst der Unfallversiche- rung solange unterliegen, als ihr Jahresarbeitsverdienst den Betrag von 5000 M nicht übersteigt. Soweit der Arbeitsverdienst den Betrag von 1800 M übersteigt, wird er bei der Berechnung der Unfallrente nur zu einem Drit tel angerechnet (bisher 1500 M). Neu eingeführt ist die Bestimmung, daß verbotswid rige« Handeln die Annahme eine» Betriebsunfalles nicht ausschließe. Dies galt auch schon bisher nach der Recht sprechung de« ReichSverstcherungSamteS. Auch Fahrlässig keit selbst gröbster Art soll die Entschädigungsansprüche nicht ausscheteßrn. Unfälle, die auf dem Wege zur Arbeit und von der Arbeit sich ereignen, sollen auch in Zukunft nicht al» Betriebsunfälle gelten. Auch die Einbeziehung der Berufskrankheiten in die Unfallversicherung ist nicht erfolgt, doch ist dem Bundesrat das Recht verliehen, die Unfallversicherung aus bestimmte gewerbliche Beruf-krank- heiten auSzudehnen und für die Durchführung dieser Be stimmung besondere Vorschriften zu erlassen. Wenn ein Versicherter durch Betriebsunfall zu Tode kommt, haben seine Witwe und seine Kinder Anspruch auf Hinterbliebenenrente. AIS Kinder in diesem Sinne galten bisher nur die ehelichen Kinder. Die ReichSver- sicherung-ordnung hat diesen Anspruch auf Hinterbliebe, nenrente auch den unehelichen Kindern zugebilligt, jedoch nur, wenn der Verstorbene ihnen nach Gesetz Unterhalt gewährt hatte. Da» Recht der Ausländer aus Bezug der Rente ruht, solange sich der berechtigte Ausländer freiwillig gewöhn lich im AuSlande aufhält oder solange der berechtigte Ausländer wegen Verurteilung in einem Strafverfahren aus dem Reichsgebiete ausgewiesen ist. Das Gleiche gilt für den berechtigten Ausländer, der aus Anlaß der Ver urteilung in einem Strafverfahren aus dem Gebiete einer Bundesstaates ausgewiesen ist, solange er sich nicht in einem anderen Bundesstaate aushält. Der Bundesrat kann da- Ruhen der Rente für ausländische Grenzgebiete oder Angehörige solcher ausländischer Staaten auSschließen, deren Gesetzgebung den Deutschen eine entsprechende Für- sorge gewährleistet. Die Rechtsverhältnisse und die allgemeinen Anstell- ungSbedtngungen der GenoffenschaftSbeamten sind von der GenoffenschaftSversammlung angemessen durch eine Dienstordnung zu regeln, die ebenso wie die Abänderungen der Genehmigung der ReichSverstcherungSamteS bedarf. Da» Gesetz führt genau auf, welche Bestimmungen die Dienstordnung enthalten muß. Die Bestimmungen der bisherigen Gesetze über die Unfallverhütung sind nicht unwesentlich ausgebaut wor den. In Ausbildung des bestehenden Rechte» stellt die Reichsversicherungsordnung zum Zwecke der Besserung der Unfallverhütung den Grundsatz auf, daß die BerufSge- nossenschaften zum Erlasse von Unfallverhütung-Vorschrif ten verpflichtet sind. Weiter ist auf die wettere Ausge staltung und Ausdehnung der UeberwachungStättgkeit hin- gewirkt worden. Die gewerblichen Berufsgenoffenschaften sind jetzt nicht nur befugt, sondern auf Verlangen der ReichSver- sicherungSamteS auch verpflichtet, durch Anstellung tech- nischer Aufsichtsbeamten die Befolgung der zur Verhütung von Unfällen erlassenen Vorschriften zu überwachen. Als solche Beamte können auch Personen angestellt werden, die früher den versicherten Betrieben als Arbeiter ange hört haben. Die Unternehmer sind ferner für verpflichtet erklärt, den vom ReichSversicherungSamt beauftragten stän digen Mitgliedern des ReichSverstcherungSamteS während der Betriebszeit den Zutritt zu den BetriebSstätten zu ge statten, um die Durchführung und Wirkung der erlasse nen UnfallverhütungSvorschrtsten festzustellen. Zur Er füllung dieser Pflicht kann sie da- ReichSversicherungSamt durch Geldstrafen bis zu 300 M anhalten. Wenn in einem Betriebe 25 fremdsprachliche Arbeiter beschäftigt werden» die die gleiche Muttersprache sprechen, so müssen die Unfalloerhütung-oorschriften in der frem- den Sprache bekannt gegeben werden. Auch die bergpolizeilichen Vorschriften müssen fremd- sprachlichen Arbeitern in ihrer Muttersprache bekannt ge macht werden. Nus aNer wett. Berlin, 22. November. (Die „Schwaben" auf der Heimfahrt.) Das Zeppelinluftschiff „Schwaben ist heute morgen 6 Uhr 50 Min bei günstigem Wetter unter Führung vr. Eckener» zur Fahrt nach Baden-OoS ausgestiegen. Berlin, 22. November. (S ch ü l e r s el b stmo rd e.) Der Obersekundaner Max Heinrich erschoß sich gestern in der Nähe von Sadowa. Mißliche Familienverhältnisse und mangelnder Erfolg in der Schule haben dem jungen Menschen die Waffe in die Hand gedrückt. Die dreizehn jährige Schülerin Margarete Hein aus der Ltebenwalder Straße stürzte sich gestern abend au» Furcht vor Strafe für eine Verfehlung aus der im dritten Stock gelegenen elterlichen Wohnung aus den Hof h.nab und war tot. Köln, 20. November. (Ausgehobene Räuber höhle.') In der Nähe von Borken hat die Poli-et eine 26 Meter lange Höhle, die in einem 36 Quadratmeter großen Raum mündete und einer Anzahl schwerer Ver- brecher als Unterschlupft diente, entdeckt. Al» die Polizei -4 Nus erster GHe. Roman von H. CourthS-Mahler. 12 (Nachdruck verboten.) „Du mußt dir ruhige Bewegungen angewöhnen, Eva, und genau daraus achten, wie wir un» benehmen; damit du keinen Anlaß gibst, daß sich d'e Leute über dich mokieren." Nachdem sie ihren heimlichen Groll auf diese Weise ein wenig entladen haite, fügte sie, ihre« Gatten verftn- stertes Gesicht streifend, liebenswürdig hinzu: „Aber da» wirst du bald alle» lernen E« fehlt dir ja nicht an Vorbildern." Eva war wieder einmal total verzagt und hielt e- für unmöglich, daß sie jemals sich so tadellos benehmen lernen würde wie z. B. Stlvie. — Jutta und Fritz schloffen noch an demselben Tage ein heimliches Schutz- und Trutzbündni», um Eva vor Entgleisungen zu bewahren und ihr das Etnleben auf WolterShetm so leicht al» möglich zu machen. Fritz mochte Eva sehr gern leiden. Ihm und Jutta gegenüber gab sie sich auch ungezwungen, und da machte sie nie einen Fehler Nur unter SilvieS und der Stief- Augen passierte ihr allerlei Unge- schick. Auch dem Vater gegenüber gab sie sich in anmu- tiger Ungezwungenheit; nnd ihre liebevolle zärtliche Art wärmte ihm da» Herz. Schneller, al» man häUe anneh- men sollen, waren zwischen — Vater und Tochter alle Hindernisse gefallen Woltersheim freute sich aber doch, daß Eva schnelle Fortschritte machte i» der Sicherheit de» Benehmen» auch in Gegenwart der anderen Ihre natürliche Anmut kam ihr dabei zu Hilfe. — — Einige Regentage hatten zur Folge, daß die Fami- lienmitgiieder mehr al» bei schönem Wetter aus einander ausi^iesen waren. Eva weilte nun schon vierzehn Tage in Wollersheim, und die schlimmste Zeit lag hinter ihr. Al» man am Abend beisammen im großen Garten salon saß und nicht recht wußte, wa» ansangen, schlug Jutta vor, man sollte musizieren. „Wir sind nämlich eine sehr musikalische Familie, Eo', da- mußt du wissen. Von meinem, etwa» mangel haften Klavtersptel — will ich in stolzer Bescheidenheit schweigen. Aber Papa pseist den „Hohensrtedberger" nur mit einem Fehler. Fritz spielt „die neunte Symphonie von Beethoven" mit einem Finger, wa» immerhin aner kennenswert ist, — wenn er auch bei der „Tochter au» Elysium" jedesmal daneben greift. Der Star der Fa milie ist jedoch in musikalischer Beziehung Silvie. Sie spielt wirklich meisterhaft K «vier; ich bewundere sie in diesem einen Punkte neidlo " Alle lachten über Juttas Ausführungen. „Silvie, jetzt mußt du uns einen Liszt oder Chopin spielen," sagte Herr von Wollersheim bittend. „Sonst denkt Eoa, dein; Leistungen stehen im Verhältnis zu den unsrigen." Silvie hätte am liebsten gesagt, daß es ihr sehr gleichgültig wäre, wa» Eva dächte. Aber sie bezwang sich und sagte nur lässig: „Verzeihe, Papa; aber ich bin heute wirklich nicht in Stimme ng. Und ohne Stimmung spiele ich nicht; dazu nehme ich die Musik zu ernst." Silvie tat sich etwas aus ihre musikalischen Leistungen zugute und war sehr stolz darauf. „Schade! Ich hätte so gern wieder einmal Musik gehört. Und gerade heute bet dem Regenwetter hätte e« uns gut getan," antwortete der Hausherr. Jutta ärge. te sich, daß Silvie auch daraufhin nur die Achseln zuckte. „Na weißte, — wenn du einmal zur Erheiterung der Familie beitragen könntest, solltest du dir die Gelegen heit nicht entgehen lassen," sagte sie erbost. Und zu ihrem Vater gewendet fuhr sie fort: „Soll ich dir etwa» vorspielen, Papa?" WolterShetm winkte lächelnd ab. „Nein, nein, — du vergaloppierst dich zu oft. Da- für danke ich heute. Silvie hat un» in dieser Beziehung etwa- verwöhnt. Du mußt also aus die Bekanntschaft unsere» musikalischen Stars heute noch verzichten, Lva. Aber da fällt mir ein — du bist ja selbst im Klavier- spiel und Gesang unterrichtet worden. Da könntest du un» mal eine kleine Probe geben." Eoa sah ihren Vater ein wenig verlegen an. „Gern, Papa, — wenn Silvie nicht spielen, will — und Ihr einige Nachsicht mit mir haben wollt. Ich habe noch nie vor so vielen Zuhörern gespielt, — immer nur vor Tante Klariffa und vor meinem Lehrer. „Nun, versuch- nur einmal, wir sind keine strengen Kritiker, nicht wahr, Helene?" sagte WolterShetm, Eoa ermutigend zunicken '. Frau Helene nickte gnädig. Sicher wurde ihr kein Ohrenschmaus geboten. Aber umso Heller würde dann SilvieS Ruhm strahlen. Eoa würde so eine Art Klein- mädchenmuflk mit schülerhaftem Anschlag zum Besten geben. So glaubte sie. „Spiele nur, Kind; wir find ja unter uns," sagte sie lächelnd. Fritz sprang aus und führte Eoa mit Grandezza an den Flügel. „Keine Angst, Eoa. Wenn'- nicht klappt, werfe ich einen Stuhl um; dann merkt er keiner," sagte er leise. Eva lächelte dankbar. „ES wird schon gehen, Fritz," antwortete sie ebenso. Silvie beobachtete die beiden höhnisch und blickte ihre Mutter an, als wollte sie sagen: „War hat er ihr seinen Arm anzubieten?' Die Mutter antwortete ihr mit einem Blick, der sagen wollte: „ES ist ja nur ein harmloser Scherz." Eva suchte am Flügel einige Noten heraus. Fritz begab sich auf seinen Platz zurück. Jutta setzte sich neben ihn. „Du wenn Lv' jetzt besser spielt wie Stlvie, dann freue ich mich kaput," flüsterte sie ihm zu.