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Nr. 101. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnrr-tag, den 24. August 1911. Seite 9. Bahnhof der Welt zu werden verspricht. Bei der Ver- Pachtung gab ein Leipziger Restaurateur, der auch den Zuschlag erhielt, das Höchstgebot von 140 000 Mark ab. Der Betrieb in dem neuen Restaurant soll zum Teil bereits in diesem Jahre ausgenommen werden. * Vsrmlscbtes. * (UeberflüssigeGummireifen.) Ein Rechen- genie hat auSgetüftelr, daß die Automobilbesitzer in über- mäßiger Vorsicht durch Herumschleppen unnötiger Extra gummireisen ein Vermögen verschleudern. Gr nimmt an, daß LOO 000 Automobile in den Vereinigten Staaten je einen solchen Extra-Gummireifen Herumschleppen, dessen Preis sich im Durchschnitt auf 47 Dollar stellt. ES würde demnach ein Kapital von 23 LOO 000 Dollar auf diese Weise sestgelegt sein, und wenn man ferner annimmt, daß vor der wirklichen Verwendung dieses Reisens besten Wert sich um die Hälfte vermindert hat, so würde sich ein Ver lust von 11760000 Dollar ergeben. Bet der Annahme eine» Durchschnittsgewichtes von 25 Pfund ergibt sich ferner eine unnötige Belastung von zusammen 12600000 Pfund und bei der ferneren Annahme einer Fahrzeit von 500 Stunden im Jahr bei 20 Meilen die Stunde ergibt sich eine Verschwendung von 4 337 000 Pferdekrästen für Herumschleppen der überflüssigen Reifen. — Schade, daß diese» Rechengenie offenbar noch niemals eine Automobil- tour unternommen hat, denn sonst müßte der Rechen künstler misten, daß es gar nicht so unnötig ist, Reserve- reifen mit sich herumzuschleppen. Denn noch immer haben die Pneu- die verdammte Angewohnheit, irgend wann und irgendwo zu platzen. Und wehe, wenn kein Extrareifen gerade zur Hand ist! * (Kriminalbeamte als Liebespärchen.) .Spanner" und „Lauscher" treiben wie alljährlich abends in dem bewaldeten Teil der Hasenheide bei Berlin wieder ärger als je ihr Unwesen und verüben an Liebespärchen Erpressungen. Da wegen des starken Unterholzes in der Hasenheide den gefährlichen Burschen schwer beizukom men ist, verfielen zwei Rixdorfer Kriminalbeamte auf den Gedanken, in der Maske eine- Liebespaare- den Erpres sern auf die Spur zu kommen. Es dauerte nicht lange, da kam in langen Sätzen ein „Spanner" au» dem Ge- büsch herau»gesprungen, stellte da» Pärchen und forderte e» auf, ihm nach der Wache zu folgen. Unbeschreiblich aber war sein Gesicht, als sich die Beamten zu erkennen gaben, ihn am Kragen nahmen und abführten. Auf der Wache wurde der Verhaftete als der Händler Weigelt aus der Jahnstraße festgestellt und dem Untersuchung«, richter vorgesührt. Die Bezeichnung „Schafskopf" ist keine erhebliche Beleidigung im Sinne der Gewerbeordnung. 5. vresdeu, 22. August. Ein interessanter Rechtsfall wurde jetzt vom Dresdener Gewerbegericht in einem Streitfälle zwischen einem Fleischermeister und dessen Gehilfen entschieden. Zwischen dem Fleischermeister Barth in Dresden und dessen Gehilfen Fehr mann waren Differenzen ausgebrochen. Es kam zwischen beiden zu einer lebhaften Auseinandersetzung, in deren Verlauf sowohl der Meister als auch der Geselle Ausdrücke wie Schafskopf und ähnliche Kosenamen gebrauchte. Der Geselle insbesondere fühlte sich durch die Bezeichnung „Schafskopf" in seiner Ehre gekränkt. Er erklärte seinem Meister, nicht weiter arbeiten zu wollen und legte sogleich die Arbeit nieder. Der Meister machte vergeblich den Versuch, den erregten Gehilfen zu beruhigen, obgleich er erklärte, daß der Geselle die Arbeit fortsetzen möchte und die Streitigkeit vergessen solle. Dieser aber weigerte sich, seine Arbeit wieder auf zunehmen. Er verlangte vielmehr die sofortige Herausgabe seiner Papiere. Der Meister gab jedoch diese nicht heraus, verlangte vielmehr unverzügliche Wiederaufnahme der Arbeit, da die zwischen ihm und dem Gesellen gewesene Differenz kein Grund gewesen sei, die Arbeit aufzugeben. Da nun der Geselle, ohne im Besitze seiner Papiere zu sein, keine anderweite Arbeit fand, klagte er gegen seinen Meister auf 46 Mark Lohnentschädigung und machte vor dem Dresdener Gewerbegericht geltend, daß er seine Arbeit nieder gelegt habe, weil ihn sein Meister „Schafskopf" genannt. Das Zum dsutscd-russiscben Abkommen. Die deutsche und die russische Re- gierung haben am 19. August ein wichtiges politisches Abkommen ge troffen. Die deutsche Reichsregierung hat darin feierlich erklärt, daß sie nicht die Absicht habe, nördlich einer Linie, die von Kars-i-Schirin über Isfahan und Jesd zur Grenze Af ghanistans führt, für sich selbst oder für Privatgesellschaften Eisenbahn-, Wegebau- oder Telegraphenkonzessio nen zu erwerben. Ruhland dagegen verpflichtet sich, bei der Erschließung der so abgegrenzten russischen In- teressensphäre in Nordpersien die In- teressen Deutschlands zu berücksichti gen. Die russische Regierung will von der persischen die Konzession zu einer Bahnlinie erlangen, die von Teheran ausgehen und in Chanykin an die Zweigstrecke Sadidjeh—Chany kin der im Bau begriffenen Bagdad bahn anschließen soll- So wird denn die deutsche Bagdadbahn mit dem ausgedehnten Eisenbahnnetz verbun den werden, das Ruhland in Nord persien schaffen will. Auf den Linien Teheran—Chanykin und Chanykin— Bagdad wollen sowohl die russische als auch die deutsche Regierung da für sorgen, daß der internationale Verkehr sich ungehindert von Durch gangszöllen und Differenzierungen entwickeln kann. — d Gewerbegericht stellte sich jedoch auf die Seite des Meisters un erklärte, dah nach Ansicht des Gerichts in der Bezeichnung „Schafs- köpf" keine erhebliche Beleidigung im Sinne der Gewerbeordnung zu erblicken sei. Es müsse berücksichtigt werden, dah auch der Ge- selle seinen Meister mit ähnlichen Ausdrücken bedacht habe und er keineswegs die Antwort schuldig geblieben sei. Er sei zur Nie- Verlegung der Arbeit nicht berechtigt gewesen. Das zwischen ihm und dem Meister geschlossene Vertragsverhältnis sei keineswegs ge- löst worden. Es habe vielmehr festbestanden und infolgedessen sei auch der Meister berechtigt gewesen, die Herausgabe der Papiere zu verweigern. Irgend welche Rechte könne der Geselle daraus, dah der Meister die Papiere zurückbehalten habe, Dicht geltend machen. Die Klage des Gesellen hatte somit keinen Mrfolg. verkner Produktenbörse. An der heutigen Getreidebörse war in Uebereinstim mung mit matteren amerikanischen Berichten und auf die Meldung von Regenfällen in der Provinz eine zu- nächst etwa- schwächere Tendenz hervorgetreten. Da sich aber weiterhin etwa- mehr Nachfrage bemerkbar machte und auch aus Liverpool festere Berichte eingetroffen wa- ren, so wurde ein Teil der Abschwächung wieder ringe- holt. Etwa- lebhafter und fester war speziell Hafer, da russische- Angebot fehlte. Schwächer tendierte nur Rüböl. Wettervorhersage der Kgl. S Landeswetterwarte zu Dresden. Freitag, den 26. August: Schwache Nordostwinde, wolkig, kühl, kein erheblicher Niederschlag. Magdeburger Wettervorhersage. Freitag, den 25. August: Zeitweise noch wolkiges, vielfach heiteres, meist trockenes, nachts ziemlich kühles, am Tage etwas wärmeres Wetter. Mrcksn-Nacbrlcdton. Pulsnitz Sonnabend, den 26. August, j Uhr Betstunde. Pastor Resch. Sonntag, den 27. August 11. nach TrinitatiS: 8 Uhr Beichte > Pastor V»9 , predigt (Apostelgesch. (0, 25-32) j Resch. V,2 „ Rindergottesdienst (Apostelgesch. 9, 26—H2). Pfarrer Schulze. 5 „ Beichte und heiliges Abendmahl für die Mit glieder des Rönigl. Sächs. Militärpereins Puls nitz und deren Angehörige. Pfarrer Schulze. 8 „ Iungfrauenverein. Amts woche: Pfarrer Schulze. Donnerstag, den 3(. August, abends '/,Y Uhr Bibel stunde in der Schule zu Friedersdorf. Nach einer Stund« etwa erhob fi« sich, entfernte dir Spure» der Tränen und klingelt« ihrer Dienerin. Sie gab den Befehl- alle» zur Abreise zu rüsten. Ruhig traf fie dir Anordnungen. E» sollt« all«» v«rmied«n wird«», wa» irg«ndwi« Aufs«h«n er» rrgen könnt«. Am anderen Morgen saßen sich die beiden Gatte noch ei«, mal Krim Frühstück gegenüber. Sie sprachen ruhig und klar miteinander — nicht al» ob fie im Begriff ständen, sich für immer zu trennen. Han» Rochu« fragte, ob er Ruth bi« zum Hause ihre» Va« ter« begleiten sollte. Sie dankte. E» hieß« di« Qual verlängrr». So begleitete «r fi« nur bi« zum Wag«n. Sorglich erwieß er ihr noch ein letzte« Mal all di« kl«in«n Artigkeiten. Dabei sah er sehr blaß und elend au«. Mühsam zwangen fie sich noch zu einigen förmlichen Wort«». J«d«r war mit stimm eigene» Schmerz beschäftigt und achtete de« anderen nicht. Al« er Ruth in den Wagen hineinhob, übermannt« ihn bi« Errrgung. „Muß r« sei», Ruth — mußt du gehen?" fragte er mit heiserer Stimme. Sie sah ihn an, sonst hätte ih, der schmerzvolle, brennend« Blick verrat«», wa« ihm der Abschied galt. ,E« muß sein," erwiderte fie ruhig. Sie glaubte, er hab« nur der Form halber gefragt. Im Herze» fühlte er sich nach ihrer Anficht wie befreit von einer schweren Qual. Noch einmal zog er ihre Hand an die Lippi». Dann schloß er den Wagenschlag und trat zurück. Starr sah er dem Wagen »ach. Ruth entschwand seine» Blicke». Sie wandte sich nicht m»hr zurück, sonst hätte er fi« seh«» müssen und gleichzeitig, wie di« br«nnrnd«n Tränen über ihre blaffen Wangen herabfiele». — Hau« Rochu» suchte sein Zimmer auf und warf fich in sei, nen Sessel. Lang« saß «r wi« vrrst«in«rt im Schmerz. Dann richtrt« «r fich auf und »ahm au« «in«m Fach« srin«« Schreib, tisch,« zwei Bücher : Han» Volkmar» Werke. Er preßt« sie an fich, al» wären fie rin Teil von ihr, und vertieft« sich in ihrrm Inhalt. Al« spräche fie fi« selbst ,« ihm — so war ihm zumute. Und dabei sah er fie vor fich wi, gestern, al» di, untergehend« Sonn« ihr« Strahlen auf fie warf, al» fie mit erregtem Gesicht und ängstlich bittenden Augen vor ihm gestanden hatte. War da» möglich, daß er fie ganz und für immer verloren hatte? Konnte fie nicht» zurückbringen in sein verlassene» Hau», in s«i««_ sehnend a«»gestreckten Arm«? Vorbei — vorbei — «» war zu Ende. Nicht« al« diese zwei Bücher waren von ihr geblieben. Fräulein Hebenstreit war vor Schrecken und Bestürzung außer fich, al« ihr Ruth erklärt«, daß fie beabsichtige, fich von ihre« Manne zu trennen. Da« war der alten treuen Seel« ungeheuerlich, unfaßbar. Sie starrte Ruth an, al« zweifle fie an ihrem Verstand. Für fi« galt da« Bibklwort: Wa« Gott zusammenfügt, da« soll der Mensch nicht scheiden l E« drängt« sich ihr auch auf di« Lippe«. Al« fie aber sah, wie elend und blaß Ruth aulsah, und wie fie so bestimmt und unerschütterlich bei ihrem Entschluß blieb, abzureisen und fich irg«»dwo ei« neue« Leben aufzubauen — da schwieg fie still und schüttelte nur immer wieder verwundert den Kopf. Ruth fragt« fi«, ob fi« mit ihr gehen wolle, öd«, ob sie allein gehe» müsse. Da wurde da« alte F-Sulen ganz zornig. „Aber, wo werde ich denn — Fräulein Ruth — wollte sage», Frau Gräfin. Wo werde ich Sie denn allein gehen lassen ? Wa« soll ich denn mit meinem bißchen Lebe» anfange», wr»« ich nicht bei Ihnen bleibe. So eine schön« jung« Frau braucht «inen Schutz — und ich will den sehen, der Ihnen ,« nah, kommt, wrnn ich bei ihnen bi». Ich g,h, M Ihne» — meinet, wegen bi« auf de» Mond." Trotz ihren guten Willen« war e« nicht so leicht, da» alte Fräulein für di« Abr«is« flott zu machen. Sie war in ihrem Lrben nie au» ihrer Vaterstadt hi»au»g«kommrn. Und nun sollt« «» so w«it fortg«h«n. Da« alt« Fräulein sah recht ängst, lich au«, und r« wa, s,hr wahrscheinlich, da« Ruth ihr gegen, über vielmehr die Beschützerin al» die Beschützte sein würde. E« war für Fräulein Hrbenstrit nicht viel ander», al» wenn ander« Leut« «in« R«is« nach dem Mond« «ntrrnrhmin. Aber schließlich war fie doch fertig geworden und wenn r» nun in di, schreck lichst« Ei«vd, oder WKS«««i gegangen wär« — fi« hätte Ruth nicht allein gelaff«». Und wie notwendig die junge Frau einen Menschen braucht«, der ihr treu ergeben wa«, da» merkt« fi« «rst »ach «i»ig«n Wochen, al» fie mit dem alte» Fräulein bereit» ein hübsche» kleine» ^«d» häulchen in der Näh« «ine« rh«inischen Stadt b«woh»t«. Gel«, grntlich «lnrr Rhrinriise halt« Ruth da» Häutchen gesehen, und da r» len stand, sofort gemietet. Sie lebt, dort still für fich. D«r schön, groß, Garte», der da» Häu»ch«n umgab, hattr e» ihr angetan. Fräulein He, b«nstr«it engagiert« ein« Di«n«rin, und d«r alt« Gärtnir, der da» Häutchen bilh« für di« Erbt« s«ine» verstorben«« H«rrn verwaltrt hatte, blieb in seine, Wohnung im Erdgeschoß und hielt den Garten in Ordnung. Sein, Frau ging Fräulein He benstreit mit an der Hand und ließ sich von ihr erzählen, welch «in arg vornehme Frau ihre Frau Gräfin sei. Ruth hatte in den ersten Woche» nicht Rast und Ruh« g«, funden, und Fräulein Hebenstreit seufet« manchmal beklomm«« au', wenn i« imm«r weit«, ging von Ort zu Ort. Nun waren fi« «ndlich zur Ruhe g«komm«N, und da» alt« Fräulein fühlt« fich bald bihaglich in d«m hübsch«» klrin«» Häu»chen. — Abe, Ruth mrrktr «rst jetzt in d«r Still«, dir fi« umgab, wie unglücklich fie war. Lie versucht« zu schreiben, aber Befriedigung und Befreiung brachte "ihr da» nicht. Auch fühlte fie sich, schon seit fie Roch», berg verlaffen hatte, sehr nnwohl. Zuerst schob fi« da» auf di« Nachwirkung ihre» Kummer». Schließlich, al« e« nicht besser werde» wollte, folgte fie aber doch Fräulen Hebenstreit« herzlicher Bitte und ließ de« Arzt kommen au« dem nahen Städtchen. Dieser brauchte nicht lauge um Ruth« Zustand zu erkennen. Nach einer ernste» Unterredung fuhr er mit lächelndem Gesicht« wieder fort. Ruth saß wie erstarrt, al« «r fi' gelassen. Sie fürchte fich, daran zu denken, wa» ihr der Arzt gesagt hatt«. Langsam vermochte fie erst zu fasse«, daß fi,, ,h, der nächste Frühling in« Land >og. Mutt« sein würde. Wie diese Eröffnung auf fie einwirkt,, ,rfuh, kein Mensch. Die Gewohnheit strenger Selbstbeherrschung verließ fie auch Zunächst «ar fie in tiefster Seele erschrocken. - Jetzt sollte fi« Mutter werde«, jetzt, da fi, fich von d«m Vatrr ihr,« Kind,« getrennt hatte. Wenn ihr Kind auf dir Welt kam, hatt« » kein«» Vater mehr. Dürft, denn da» sei«? Mußte fie Han» Rochu« nicht so. fort Nachricht geben? Lockend sah fie rin leuchtende« Ziel vor fich auffirigrn. — Wenn rr e» erfuhr — mußt« «r fi« dann nicht zurückholrn — mußten fie dann nicht bri«inand«r bleiben schon de« Kind«, wegen? Und wenn sie ihm dann «in lirbe» kleine« Kind in bi, Arme legt« — ob «r ihr dann eine« Tage, «ich» srin H«, zu. wendr» würde? Band st« di«si» Kind nicht mit u»lö«lichrn Banden? Ob nicht di« «einen zarten Kinderhände eine Brücke bauen konnten, auf der fich Vater und Mutte, begegneten? (Fortsetzung folgt.)