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Pulsnitzer Wochenblatt Donnerstag, 8. Juni 1911. Beilage zu Ur. 68. 63. Jahrgang. Regierung und Luerbestuttnug. 82K. Dresden, 6. Juni. Die 37. Plenarversammlung des König!. Landesmedizinalkollegiums beschäftigte sich u. a. auch mit dem Sächsischen Gesetze über die Feuer bestattung, indem folgende Anträge der Aerztekammer Bautzen zur Verhandlung standen: Unter Bezugnahme auf Z 3 Ziffer 3 und 7 des Gesetzes über die Feuer bestattung vom 29. Mai 1906, ärztliche und amtsärzt liche Zeugnisse betreffend wird beantragt, a) die Einstig- rung der obligathorischen ärztlichen Leichenschau im König- reich Sachsen zu empfehlen, b) die Zeugnisse zweier praktischen Aerzte als genügend gelten zu lassen oder c) wenigsten den Begriff „beamteter Arzt" so auszulegen, daß auch Gerichtsassistentenärzte, Polizeiärzte, Oberärzte an Krankenhäusern, Leichenschauärzte u. ä. zur gültigen Ausstellung der Zeugnisse befugt sind. Der Vertreter der Regierung, Reg.-Rat Zobel, erklärte hierauf, das Ministerium des Innern habe schon selbst anerkennen müssen, daß die Vorschriften des Feuerbestattungsgesetzes über den Aach weis der Todesursache in der Praxis zu Schwierigkeiten geführt haben, die ohne Gefährdung öffentlicher Interessen bi- zu einem gewissen Grade behoben werden könnten. Da- Ministerium der Innern habe sich deshalb wegen der hierfür erforderlichen Maßnahmen bereits mit den mitbeteiligten Ministerien des Kultus und der Justiz in» Vernehmen gesetzt. Die Verhandlungen seien noch nicht abgeschlossen, augenblicklich sei dar Lande-medizinal- kollegium mit der Sache zur Abgabe eines Gutachten» nochmals befaßt worden. WaS die Anträge unter öb und c anlange, so sei wohl nicht damit zu rechnen, daß die Zeugnisse zweier praktischer Aerzte al» genügend an- Zusehen, also auf die Zeugnisse beamteter Aerzte ganz Verzicht geleistet werden könnte. Dagegen könne in Frage kommen, ob die Vorschrift in Z 7 Abs. 2 de- Feuer- bestattungSgesetzeS nicht dahin abgeändert werden könnte, daß auch in diesen Fällen nur das Zeugnis eines beamteten und einer praktischen Arzte» verlangt werde. Für die gewünschte Ausdehnung deS Begriffes „beamteter Arzt" ist es zunächst fraglich, ob sie im Wege der Verordnung oder nur der Gefetzändernng erfolgen könnte. Hierüber würden noch Verhandlungen gepflogen. Allerdings sei es sehr zweifelhaft, ob eine Ausdehnung diese- Begriffe im Umfange des Anträge» möglich sein werde. Soweit da» Ministerium des Innern unterrichtet sei, lasse Areußen al» „beamtete Aerzte" im Sinne seine- Feuerbestattung», gesetzes nur die Krei,är,te und die Gericht-ärzte zu. — Hierauf wurde vom Hofrat Dr. Haenel-Dr-.d-n folaender Antrag gestellt: „Da» Königliche Ministerium de« Innern wird ersucht, dahin zu wirken, daß der Schlußsatz des 8 7 de» Gesetzes betr. die Feuerbestattung dahin abge- ändert werde: Ist der Verstorbene in der letzten Zeit nicht von einem Arzt behandelt worden, so sind zwei Aerzte zur Mitwirkung zu berufen, von denen der eine ein beamteter Arzt sein muß." Dieser Antrag wurde an. genommen und der Antrag zu e abgelehnt. Da nach alledem die Anträge zu a und b aussichtslos erschienen, wurden dieselben zurückgezogen. ttus aller Berlin. (Berlin vergrößert sich.) Der Ma gistrat von Berlin hat beschlossen, die etwa 12 Hektar große Hälfte des Exerzierplatzes an der Schönhauser Allee vom preußischen MilttärftSkuS zum Preise von 6^/, Millionen Mark zu erwerben. Die Verhandlungen waren schon seit längerer Zeit eingeleitet worden. Berlin, 6. Juni. (Schnellzugunfallauf der Strecke Dresden —Berlin.) D:r Schnellzug 63, Bodenbach—Berlin, erlitt heute mittag in der Nähe der der Station Neudorf einen Unfall. Die drei letzten Wagen deS Zuges, die mit PfingstauSflüglern dicht be setzt waren, schoben sich au- noch unaufgeklärter Ursache während der Fahrt plötzlich ineinander, ohne daß der Lokomotivführer von dem Unfall etwa- merkte Erst nachdem in den gefährdeten Wagen von den Zuggästen die Notbremse gezogen worden war, kam der Zug zum Stehen. Die Fenster der drei letzten Wagen waren zer trümmert und mehrere Personen hatten leichte Hautab schürfungen davongetragen. Die Paffagiere mußten auf offenem Felde in die vorderen Wagen des Zuges um- steigen, während die demolierten Wagen bei der Station Neudorf abgrhängt wurden. Der Unfall hatte eine halb- stündige Zugverspätung zur Folge. Cuxhaven, 6. Juni. (Pt raren auf der Unter elbe) Gestern traf hier au» dem am jenseitigen hol steinischen Ufer gelegenen Dorfe Kaiser-Wilhelm»-Koog die telegraphische Meldung ein, daß dort zwei junge Leute ein Fischerfahrzeug gestohlen und den Besitz r, der in einem Motorboot die Verfolgung ausgenommen hatte, erschaffen hätten. Ein StaatSdampfer lief sofort mit bewaffneten Polizisten aus. Dem Dampfer gelang eS nach langem Maaöverteren, da» Fahrzeug so zu stellen, daß sich die beiden Räuber ergeben mußten. Sie wur den gefesselt auf den Dampfer gebracht, der gestern abend noch in Cuxhaven landete. Die beiden Verbrecher wurden hier festgestellt als der 17jährige Fischerknecht Ernst Voigt, in Wilster (Holstein) gebürtig, und der 17jährig« Drogist HanS Tiem aus Wittenburg in Meck- lenburg. Der erschaffene Schiffer Schmoener aus Kaiser- Wilhelm--Koog hat von den beiden Burschen eine Schrot ladung in den Unterleib erhalten, an der er bald da- rauf starb. Bre»la«, 6. Juni. (Vom Blitz erschlagen.) In Schlesien sind in den letzten Tagen heftige Gewitter niedergegangen, die großen Schaden angerichtet haben. Ein schwere» Unglück wurde in Chrosczutz im Kreise Oppeln durch Blitzschläge hervorgerufen. Dort schlug der Blitz in ein Bauernhaus und tötete den Hausbesitzer. Durch da» vom Blitzschlag verursachte Feuer wurde ein Kind verbrannt und zwei Personen erlitten lebensgefähr liche Verletzungen. Außerdem wurden drei Menschen betäubt. Rom. (Der Findling mit dem Tausend- frankenschein.) Au» Rom wird gemeldet: In einem Walde bet San Vito am Tagliamento fanden Holzfäller unter Gestrüpp ein in feinen Linnen gewickeltes neuge borene» Kind. Am Halse de» Kindes hing eine Börse mit einer 1000-Franknote, auf deren Rand mit verstellter Schrift die Worte geschrieben waren: „Pflegt das Kind sorgsam, Ihr werdet reichen Lohn haben." Man hatte kurz vorher drei Frauen, dir im Automobil herangekom men waren, in der Nähe der Fundstelle gesehen. Saloniki, 6. Juni. (AufderSpur derRäuber vom Olympgebirge.) Heute ist ein ehemaliger Bandenführer von hier nach dem Olympgebirge abge gangen. Er machte sich anheischig, die Räuber aufzu- finden und gibt vor, den Versteck zu kennen, wo Richter gefangengehalten wird. Die Behörden erhielten die Mel dung aus Katerina, daß man seit gestern nachmittag mit Unterbrechungen Schüsse aus dem Gehölz in der Gegend von LLvadia gehört habe. Gendarmen gingen ab, um die Ursache der Schüsse auszukundschaften. Vermisstes. * Alte Liebe rostet nicht) Ein romantischer Scheidungsprozess wurde dieser Tage in Derby (Stadt in der gleichnamigen nordenglischen Grafschaft) zum Ab- schluß gebracht Der Prediger von Weston bei Derby, Reverend William Barnard Watson, heiratete vor neun Jahren eine sehr hübsche junge Dame aus guter Familie. Man hatte ihm nicht verheimlicht, daß seine AuSerwählte bereits die Braut eines Vetters gewesen war, der sich nach Auflösung des Verlöbnisses aus Borneo als Arzt niederließ. Wie man durchblicken ließ, liebten die beiden sich wohl noch, doch wäre nicht zu befürchten, daß l)r. Henry Conntnghan je nach England zurückkeyren würde. Der Vater des jungen Mädchens hatte die Heirat nicht zugeben wollen, als er erkannte, daß sein Neffe keine Religion besaß. Bis zum Jahre 1909 lebte das Ehe paar, dem drei Kinder geboren wurden, auch sehr glück lich, da starb der Vater der jungen Frau, und sie erbte nahezu 140 000 Mark. Nach dem Begräbnis bat MrS. Watson ihren Gatten, ob sie ihren in England weilenden Vetter Or. Conningham sehen dürfe. Der vertrauen-- selige Ehemann hatte nichts dagegen, war aber sehr be- stürzt, als seine Frau bei der Rückkehr von dem Besuch bei dem Verwandten ein durchaus verändertes Wesen zur Schau trug. Sie ließ sich von ihrem Ehemann nicht küssen und vermied jedes Alleinsein mit ihm. Dann er krankte sie schwer und verlangte in eine Klinik gebracht zu werden, wo sie von Or. Conningham behandelt wurde. Nach der Genesung ließ sie durch ihre Schwester ihre Garderobe aus dem Hause ihres Mannes holen, und zwei Tage später erhielt Reverend Watson ein Schreiben, in dem seine Frau ihm erklärte, nicht mehr mit ihm leben zu können. Alle Versuche des Gatten, die Mutter seiner Kinder zurückzugewinnen, blieben erfolglos. Die Scheidung wurde nun ausgesprochen und dem verlassenen Ehemann ein Schmerzensgeld von 20 000 Mark zuer kannt, zu besten Zahlung das Gericht Or. Conningham verurteilte. Neue voftlmmungsn über Solvatsn als Lrntsdslksr. Ueber den Urlaub, den Soldaten zur Zeit der Ernte al» Erntehelfer bekommen können, sind, wie der Korre- spondenz „Heer und Politik" von militärischer Seite mit- geteilt wird, einige neue Bestimmungen getroffen worden, Der Erbe von Nemrom. Roman von B. von der Lancken. 10 (Nachdruck verboten.) Sie hatte den Kopf gestützt, ihre Augen wurden durch die Hand fast verdlckt; er sah,i« aber trotzdem, wie langsam Trän« auf Träne au» denselben h«,vorquoll und über ihr« Wangen rann. Von seinem Gefühl üb«ma«mGst,nd er auf und trat an ihr, sein, Brust hob sich rascher, sem Antlitz zuckt«, er ergriff ihr« h,rabhäng,nd« Hand und ri«f mit mühsam unter« drückte» «nrgung: Meinen vi« nicht, Charlotte, ich kann fie nicht leide« sehen." War es Glück, war e» Schmerz, wa, st, «beben macht«» — e» war b«ide» zugleich» — Sie mußt« e, s.lbft nicht, sie ließ ihm willenlo» ihr« Hand, die er küßte. — Beide fanden nicht den Mut, mehr zu sagen, st« fanden auch nicht d«n Mut zum Scheid«», ihr« Hände ruhten mit tn»i» g«m Druck ineinander, sekundenlang begegn«»»» st- ihre Augen und jedrr la» in denen de» andern, wa» ihr« Lippen nie vir« raten hätten. Plötzlich erhob sich Eharlott« mit einer raschen, fast stolzen Bewegung, «ine tief« Röte überzog ihr schöne» Antlitz und ste ^suchte ihre Finger au» den seinen zu lösen — er gab, ohn« Versuch fi, halte», dieselben frei und trat eine» kl«inen Schritt,u,üA. -34 gehr, Charlotte, Gott schütze Sie e» ist ein „Lebewohl- sgr immer." Einen Moment neigte ste da» Haupt und ihre Lippen zuckten schmerzlich. „Für immer»* wiederholte fie halblaut. „Vielleicht nur für Jahre." Charlotte war mit der ihr eigenen Willenskraft Herrin ihrer Gefühle geworden; voll schlug fi« di« schönen klar«» Augen, in denen noch die Tränen funkelten, zu ihm auf, und mit einer frei«» unbefangenen Bewegung streckte fie ihm die warme Hand Entgegen. .Wie Gott e» will, Peter; aber wann Sie auch kommen möge», vir werden mich treu finden in Erfüllung de« Ver ¬ sprechen», daß ich Paul Ulrich »ine Stütze sein will, soweit meine Kräfte r«i-en. Leb»» Sie wohl." Ohn« «in Wort der Entgegnung drückte er die schmale weiß« Hand an seine Brust; dann wandte «r sich mit rascher Emschloffenhrit und schritt der Türe zu. Charlotte blieb auf« recht stehen — da »och «inmal schaut, er zurück, noch einmal ein leidooll innige« Grüß«« von Lug ,« Aug — di« Tür fi«l i»« Schloß. Jetzt war aber auch de« junge« stolze« Weibe« Kraft zu Sade, «eben dem Tisch sank Charlotte auf die Kaier, legt« ihr Gesicht in di« Hände und schluchzt«. Am Nachmittag fuhren , die alten Herrschaften au« Tu» chen vor. „M,in Gott, m«in b«st«r Herr von Locaett," ri«f Herr v. Werthern, .St« wolle» heute abend schon fort? Sie sagten mir doch letzthin, in ein paar Tagen." »Ich habe meine Pläne geändert, e« ist richtiger, wenn ich nicht länger zögere." .So, so — na, wenn Sie meine». Ich hab« dir fest« Urbnzeugung, wrnv Sie einmal sage«, »« ist so bester, dann ist r» auch beste,. Sie find ein Mann der genau weiß, wa« er w'll." Ma» setzte sich um d«n Kaffeetisch; Eharlott« «twa« blei ch«, al« sonst, machte in ihrer ruhig liebentwürdigen Weise di« Wirtin. Paul Ulrich s«hlt« noch; er trat erst ein, al« die Uebrigen fast serttg war«», sah seh, «,hitzt au« und bat um Entschuldigung, daß er fich gestiefelt und gespornt präsentiere. .Ich bring, ei», Einladung für heute abend an dich, Lott, und Mama," rief er, «eben seiner Frau Platz nehmend, .da« heißt, ablrhuen könnt ihr nicht, denn ich habe schon zugesagt. Ratet mal, wo?" G, sah lachend und erwartungsvoll erst auf die Mutter, dann auf Latte. .Heute abend" — sagt« diese — .da« ist unmöglich, Paul, Peter »«ist ja ab." .Peter reist ab; aber, lieber Schatz, Peter fährt um st,den Uhr, und wir um halb acht, da» hindert doch ein» da« andere nicht." Sharlotte schwieg. „Wer hat Euch denn eingeladenk" fragte Großmama von Werther» in ihrer sanften, freundlichen Weis,. „Tr««k,. Herr «ad Frau von Below haben auch ang«. nommen, wenn somit zwei älter« Shrendamen — Mama und Frau von Below — zugegen find und der alte Herr, kann niemand etwa» darin finden, wenn Lott« mitfährt, zumal ich doch auch dabei bin," erwiderte Paul Ulrich und setzte dann verdrießlich, seine Taffe etwa« heftig beiseite schi«bend, hinzu: „Ich merke ja recht gut, wo da« wieder hinau« soll; ersten« hat Lotte ein ganz unmotivierte« Vorurteil gegen Randow, ob, gleich er mein Freund ist, und zweiten« ist ihr« übertriebene Prüderei im Spiel, weil er keine Frau hat. Peter« Abreise vorzuschieben, ist ihr nur brqurm." Er schob seinen Stuhl zurück und trat an da« Fenster. „Na, na, lieber Locwett," begütigte Herr von Werther», „so schroff müssen Sie die Sache nun nicht gleich avffaffen, man kann ja darüber sprechen. Von allem ander» abgesehen, finde ich di« Form der Einladung von einem jungen, ledigen Mann, Ihrer Frau Mutter und Charlotte gegenüber nicht die richtige. Wenn Damen der guten Kreise einen Jungg«sell«n mir ihrem Besuch beehre« sollen, so hat er fie persönlich oder schriftlich direkt einzuladen. E» ist meiner Ansicht nach siet» eine große Auszeichnung, die auch nur einem Mann« zu Teil werden kann, der in der Gesellschaft sehr gut akkreditiert ist." „Hm — und wa» sagst du dazu, Peter?" wandte fich Paul Ulrich — ziemlich rückficht»lo» dem alten Herrn gegenüber — an den Bruder. „Ich stimme mit Herrn von Werthern überein," antwortete dieser ruh'g. „Und ich auch," bemerkte Frau Sophia. „So halte ich die Sach« für entschieden; wir bleiben heut« zu Hause." „Ich nicht," murmelte Paul Ulrich mit schlecht verhehltem «erger. aber nur Peter hatte die Wort« gehört. Dir alten Herrschaft«» brachen auf und verabschiedete« sich besonder« herzlich von Peter. ,D ch, Töchterchen," wandt« fich Frau von Werther« an die Enkelin, .dürfen wir wohl morgen erwarten ? Schade, daß dein lieber Schwager dich nicht mehr begleiten kann. Nun, Sie kommen bald einmal wieder, Herr von Locwett, nicht wahr?" „Vielleicht, meine gnädigste Frau —" Eine Stunde später hielt der Wagen vor der Tür, der Peter zur Bahn bringen sollt«; man sagte fich Lebewohl und schloß die Wort, .auf Wiedersehen" daran. Paul Ulrich schien