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Pulsnitzer MckenblaN 63. Jahrgang. Sonnaömd, 17. Juni 1811. Nus aller Berlin, 15. Juni. AutombilanfalldeS Kron prinzen.) Der Krorprinz kam non Potsdam und be fand sich auf dem Wege zum RetchSkanzlerpalaiS, wo er dem Reichskanzler einen Besuch abstatten wollte. Neben dem Kronprinzen, der den Wagen selbst steuerte saß sein Adjutant, während die beiden Chauffeüre auf den Hinte ren Sitzen Platz genommen hatten. Als das Automobil au« der Döberitzer Heerstraße in den Kaiserdamm einbiegen wollte und sich nahe dem Untergrundbahnhof Reickskanz lerplatz befand, geriet der Wagen plötzlich an der Kurve ins Schleudern und flog gegen die Bordschwelle. Der Anprall war so heftig, daß das rechte Hinterrod brach. Der Wagen wurde gegen einen Laternenpfahl geworfen, wobei eine Tür eingedrückt und zersplittert wurde. Der Kronprinz und sein Adjutant blieben unverletzt. Die beiden Chauffeure wurden aus dem Wagen geschleudert, wobei der eine sich leicht verletzte. Nachdem sich der Kron prinz davon überzeugt hatte, daß nichts Ernstliches ge schehen war, bestieg er mit feinem Adjutanten eine Auto- mobildroschke und fuhr damit nach dem ReichSkanzlerpa- laiS weiter. Berlin, 16. Juni. (Kundgebung für die Freien Studentenschaften!) Eine Kundgebung für die aufgelösten Freien Studentenschaften von Leipzig und Halle bildete die gestern von der Freie« Studenten schaft nach dem „Tiergartenhof" einberufene Nichtinkor- polierten Versammlung. Die Versammlung nahm schließ, lich eine Resolution an, die das Vorgehen der akademi schen Senate gegen die ältesten Freien Studentenschaften Deutschlands bedauert. Die Auflösung bedeute eine schwere Schädigung der Interessen der Nichtintorpotier- tenschast und müsse als Eingriff in die akademische Freiheit aufs schwerste zurückgewiesen werden. Halle, 16. Juni. (Ein P o li z e i w a ch tw ei st e r erschossen. In Engeln bei Halle a. S. wurde in ber Nacht von gestern auf heute der Polizetwachtmeister Haack von einem Unbekannten aus dem Hinterhalt durch Re- voloerschüfse ntedergeschossen. Der Wachtmeister ist schwer verwundet. Die Verfolgung des Täters mit Polizeihun den ist mißglückt. Die Behörde hat 300 Mark für die Namhaftmachung des Täters ausgesetzt. Myslowitz, 16. Juni. (Gräßlicher Unglücks- fall) Der achtjährige Sohn deS Landwirts Zißki be- beaufsichttgte dt« Kühe und band sich dabei den Strick, an dem eine Kuh befestigt war, um den Leib. Plötzlich scheute die Kuh, riß den Knaben zu Boden und schleifte ihn mit, bis er eine unförmliche Leichenmasse war. Rom, 16 Juni. (Unwetter) Auch in Italien haben Stürme schweren Schaden angerich'et. In Neapel ist der obere Teil der Campagnile durch die Gewalt des Sturmes beschädigt worden. Zahlreiche Barken sind untergegangen. In Neapel sind die tiefer gelegenen Stadtteile überschwemmt. Der Trambahndienst mußte unterbrochen werden. In Mailand und Umgegend richtete ein einstündiger heftiger Hagelschlag große Ver wüstungen an. Triest, 15. Jant. (Die Cholera in Venedig erloschen. Der Generaldirektor des österre chtschen Loyd gibt bekannt, daß, nachdem in Venedig die Cholera erlo schen ist, die Vergnügungsfahrten nach Venedig wieder ausgenommen werden. Paris, ;16. Juni. (Unwetter.) Heftige Stürme sind in den letzten 18 Stunden in verschiedenen Teilen Frankreichs ausgetreten und haben großen Schaden angerich tet. In verschiedene Departements sind die Flüsse über die Ufer getreten. Besonders die Garonne ist sehr gestiegen und wenn das jetzige Wetter anhält ist eine Krist? zu erwarten. London, 16. Juni. (EinOmnibuS in den Ab- grund gestürzt.) Ein eigenartiger AutowrbUnnfafl ereignete sich gestern in dem Londoner Vororte Seven Oaks. Ein Motoromnibus, in dem eine Theatergesell schaft sich zu einer Vorstellung begeben wollte fuhr einen abschüssigen Weg hinab; dabei zerbrach die Bremse. Jen seits einer Hecke war ein 21 Fuß tiefer Abgrund, in den nun der Omnibus mit einem Riesenschwung hinabsauste, wobei da? Verdeck sich ganz löste und mitsamt den dar auf befindlichen Passagieren in die Tiefe fiel. Wunder- barerweiss wurde von den dreißig Insassen nicht ein ein ziger getötet, jedoch haben fast alle mehr oder minder schwere Verletzungen erlitten. Saloniki, 1g Juni. (Zur Entführung des Ingenieurs Richter.) Die- Räuber des Ingenieurs Richter ließen in das Gerichtsgebäude von Clasone zwei Briefe werfen, von denen einer an die Gerichtsbehörden, der andere an die deutsche Behörde gerichtet war. Sie fordern 50 000 Pfund Lösegeld und verschiedene Wertge gegenstände. Konstantinopel, den 16. Juni. Die deutsche Bot- schäft unternahm neue Schritte bei der Pforte, um die Befreiung Richters zu beschleunigen oder wenigstens Gewißheit über sein Schicksal zu erlangen. Antwerpen, 16. Juni. (Zum Seemanns streik.) Die Lage der Ausständigen hat sich nicht geändert. Hier herrscht vollkommene Ruhe. DaS englische Segel- schiff „Taridon" hat heute morgen seine Bemannung anmustern können, jedoch nur für die Uebersahrt Ant werpen-London. Außerdem hat man den Matrosen eine Gehaltszulage bewilligen müssen, um das Schiff aus dem Becken herauszubringen. In SeemannSkreisen ist man sehr unzufrieden über die deutsche Organisation, welche sich nicht am Streik beteiligt und sogar die Ein schiffung von Gelben nicht verhindert Newvork, 15. Juni. (Derinternationale See ma n n S st r e i k.) 20000 hießige Seeleute stellten ein Streitultimatum mit eintägiger Bedenkzeit. Neuwyork, 16. Juni. (Dreister Ueberfall in New York.) Ein dreister EinbruchSdtebstahl wurde in einem Hotel aus dem Broadway verübt. Acht bewaffnete Männer drangen in das Bureau des Hotels ein, hielten dem dort anwesenden Angestellten einen. Revolver unter die Nase und zwangen ihn, sich ruhig zu verhalt m. Wäh- renddessen raubten die anderen den Geldschrank aus. Alle acht entfernten sich dann fluchtartig. Die zu Hilfe geru fene Polizei, der sich eine große Menschenmenge anschloß, verfolgte die Räuber. Sowohl die Polizisten wie die Räu ber gaben mehrere Schüsse ab; durch dis Kugeln der Po lizisten wurden aber nicht die Räuber getroffen, sondern nur einige Personen aus dem Publikum. In dem völli gen Wirrwarr gelang es sechs von den Räubern zu ent kommen, während zwei verhaftet werden konnten. OertNcbss unv Sücdslscbss. — (In den Lausitzer Flußgebieten) wur den in der 1. Dekade (1.—10.) des Juni folgende Nieder schlagsmengen m mm oder Litern pro Quadratmetern gemessen: Spree 19 (normal 24), Löbauer Wasser 18 (24), Mandau 20 (27), Neiße 18 (25), Schwarze Elster 16 (23), Pulsnitz 15 (23). — In ganz Sachsen fielen nur unter normale Niederschläge. Dresden, 16. Juni. (Sächsischer Heimatschutz.) Der LandeSverein „Sächsischer Heimatschutz" veranstaltete gestern abend hier im Künstlerhause im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern und der GeschäftSlei- tuna des gegenwärtig in Leipzig tagenden Kongresses für Wohnungsreform eine Aussprache darüber, wie dem Er fordernis einer zusammenfassenden Vereinigung aller in Sachsen bestehenden Bestrebungen aus Wohnungssürsorge am besten entsprochen werden könne. Nach verschiedenen Vorträgen und längerer Aussprache wurde einstimmig eine Resolution angenommen, die die Gründung einer sächsischen Zentralstelle zur Förderung des Wohnungs wesens für notwendig erklärt. — (Se. Majestät der König) wird Sonntag, den 18. Juni, früh 7 Uhr 15 Min. in München zum Besuch des Prinzregenten eintreffen, dem er noch nach träglich zu seinem 90. Geburtstage gratulieren will. Prinz Ludwig, der Thronfolger, wird den König am Hauptbahn hofe abholen. Der Generalkapitän der Leibgarde der Hartschiere Graf Bothmer und der Kommandeur des In- fanterie-LeibregimentS in München Oberst v. Hartz haben Ehrendienst beim König, dem zu Ehren der Prinzregent am Sonntag nachmittag eine Familientafel in der Rest- denz gibt. Den Abend verbringt der König beim sächst- schen Gesandten in München Freiherrn von Friesen. Dresden, 16. Juni. (Vom Nationalliberalen Deutschen Reichsverein) zu Dresden wird uns mttgeteilt: Die Vertreter der nationalliberalen Organi sationen im 4. ReichstagSwah kreise haben am Dienstag, den 13. d. M, eine Sitzung abgehalten. Sie beschlossen im Hinblick aus die politische Situation die fortschrittliche Kandidatur Kloeppel schon im ersten Wahlgange zu un terstützen, wenn die Fortschrittliche VolkSpartei in Dres den-Altstadt gleichfalls schon im ersten Wahlgange die nationalliberale Kandidatur l)r. Heinze unterstützt. Diese Voraussetzung ist gegeben. Radeberg. (Anleihe.) Zu der elektrischen Strom- zuführung, die die Stadtgemeinde auf eigene Kosten un- ternimmt, macht sich die Anleihe von 150 000 M nötig, wovon 100000 M die Sparkasse zu Großröhrsdorf und 50 000 M der Landwirtschaftliche Kreditverein leiht. Grimma, 15. Juni (Der Sächsische Landes- verband Gabelsberger) tagte vom 10. bis 12. Juni Der Erbe von Nemeroio. Roman von B. von der Lancken. IS (Nachdruck verboten.) „Dumme Frage I" antwortete er kurz, ging hinaus und warf die Tür hm»«- sich »u, Charlotte weinte heiß« Tränen. W-nn nur de, Großvater Helsen könnte, wenn Peter hier, wenn die alte Frau oben we nigsten« noch zurechnungsfähig wär». Ab« so r Sie wußte eil gut genug in diesem Augenblick — eS ging bergab. Von jetzt an mied Paul fast ängstlich jede» Alleinsein mit seinem Weibe, aber eß entging ihr nicht, wie er von Tag ,« Tag mißgestimmter uud unruhiger wurde. Abends fuhr ,r meist fort oder ging unter dem Vorwand, die Wirtschaftsbücher »einmal ordentlich revidieren" zu wollen, in sein Zimmer. Jede Frage seiner Gattin, die nur auf die pekuniäre Lag, der Dinge ««zielte, wies er schroff zurück, und daS »-eben de« jungen Akibe, gestaltete sich von Woche zu Woche trostloser. Ihr, Azig, Erholung waren die Besuche bei den Großeltern in Tuchen; «ber auch diese hörten bald auf, ihr eine Freude zu Au« Rückficht für die alt« gebrechlich- Frau schwieg sie über d» Sorg,», die an ihr nagten, und versuchte sogar Heuer ju iem, ab« allmählich gebrach e> ihr auch hierzu an Kraft, und statt erfrischt und getröstet kam fie nur seelisch noch elender von Tuche» »urtick. Frau Sophia leb», «n,schach auf ihrem Zimmer; fie zeigte wenig Interesse und noch weniger Verständni« für da«» jenige, waS um fit he« geschah; nur wurde fie oft von einer kür ihr, Umgebung beängstig,«de« Unruhe erfaßt. Dann schlurft« st« an ihrem stock durch da« Zimmer, bi« fie vor Er» schöpsung nicht mehr weiter g«h«n konnte, oder fie zupft« in nervöser Hast an der Decke, di« über ihr« Knie gebreitet war, starrte vor sich hi, und flüsterte immer wieder, langsam mit b«m Kopf« nickend; »Ei war Sünde — freilich Sünde — alle« — alle«. Der Haß, der sehr groß, Haß und da« Testament und alle» — alles . . .» So war Mitle November gekommen, als Paul Ulrich eine» Tage« erklärte, er müße s,f„t nach Berlin reisen. Mit zagen« dem Herzen ließ Charlotte ihn ziehen; Angst und Sorge mehrten sich während seine« Abwesenheit, Massen von Rechnungen liefen «in, Wechsel waren fällig und mußten prolongiert werden; e« waren schwere, schwere Zeiten . . . Rechnend, Einnahmen und Ausgaben vergleichend, so viel ihr die« ohne di« Hauptwirtschaftsbücher möglich war, saß daS arme W«ib eine« Abend« bi« spät in di« Nacht, al« plötzlich ein Posthorn erklang und eine Extrapost vor dem Hause hielt. Er schrocken sprang Charlotte auf, aber al« fie noch horchend vor- gebeugt am Tische stand, öffnete fich die Stubentür und ihr Gatte trat in« Zimmer. »Paul Ulrich — du? — und mit Extrapost?' rief fie, »wa« ist geschehen?" Er sah bleich und verstört au», trotzdem faßte er fich und rief gezwungen lachend: »Nicht«, Liebchen, garnich!«, al« daß ich vergessen, den Wagen an di« Bahn ,u b«strll«n, und im Wirtshause zu über nachten, hatte ich keine Lust. Aber wa« machst du denn da? Du rechnest? Gute« Weibchen.- Ex zog fie neben fich auf» Sofa, und in fieberhafter Hast, die er nur schlecht hinter Scherz und Neckerei zu verberge» strebt«, flüstert, er: .Zählst wohl dein« «rspartrn Schätz«, kl«in« Fra«, wa« ? Ah — und hirr ist der Schlüssel, der die geheim» Schatzkammer öffnet, ja?» Spielend löst« «r eine schwarze Schnur, di« fich um ihr«» Hal« schlang; fi« hi,!; fi« mit dru Hände» f«st und sagt« ernst: Paul Ulrich, ich bitte dich, wa« sollen diese Scherze? Sprich offen, wa« willst du von mir? Bist du in Verlegenheit? Brauchst du Geld?» Er kaute wieder an den Enden seine« Barte« und schien mit einem Entschluß ,u kämpfen; endlich sprang er auf und rief mit heiserer, vor Erregung und Unruhe bebender Stimme: .Ja denn, ich brauche Geld — viel Geld!» .Sofort?' .Sofort — e« kommt nur darauf an, wie viel ,« ist und ob,« reicht." Mit zitternde« Händen löste di« junge Fra« de« Schlüffe! von ihrem Hals« und trat an ihr«« Schrribtisch, »ähr«nd Paul Ulrich ihr unruhig folgte und mit fliegendem Atem und weit geöffnete» Augen über ihre Schulter sah. Sie entnahm einem geheimen Fach rin Paket Wertpapiere, die fie stumm vor ihr«» Gatte» auf de» Tisch legte. .Wie viel?' fragte er, mit bebenden Händen die Papiere au»einanderfaltend. .Achthundert Taler," erwiderte fi«, angstvoll zu ihm auf- schauend. Er zuckt« verächtlich die Achseln. .Nicht die Hälfte genug, aber immerhin etwa«." »Richt die Hälfte genug — um Gott«» will««, Paul, wozu hast du da« viel« G«ld jetzt so plötzlich nötig?" Sie klammert« sich an sein«, Arm. »Sprich, r«d« ein einzige» Wort!" flehte fie, mit starren «nts«tzen»vollen Augen in sein totenbleiche» Antlitz blickend - .Gespielt?" .Ja!" kam e» da keuchend über seine Lippen und wie geistetabwesrnd ruhten seine Blicke dabei auf der zarten bebenden Gestalt vor ihm. Ihre Hände sanken schlaff herab, fie wankte, taumelte daun einige Schritte zurück und mußte fich an der Tischkante fest halten, um nicht umzufinken. .Gespielt I" flüsterte fie tonlo». .Gespielt — o mein Sott, wieder " .Bitte, mache jetzt keine Szenen und halte dich nicht mit Sentimentalitäten auf l" rief er heftig. »E» ist keine Zeit dazu," Er raffte die Papier« zusammen und verbarg fie in feiner Brieftasche. .Wa» hast du noch an Geld?" fragte er weiter. »Nicht«, al« wa« ich für die laufenden Au«gaben brauche; aber hier, hirr habe ich noch etwa»." Sie eilte an ihren Schrribtisch zurück und ergriff da» Schmucketui, welche» fie ihm einhävdigte. Einen Augenblick zögerte er; e« malte fich etwa« wie Beschämung in seinen Züge«. .Deinen Brautschmuck, Lotte, da« einzige Erbteil deiner Mutter —" »Gleichviel, Paul Ulrich, e« gilt deine Ehre! Ich bitte dich, behalte, verkaufe ihn. E« find wertvolle Steine, vielleicht reicht der Erlö» hin, deine Verpflichtungen zu decke«. Bi« wann m«ßt d« Men?" »Bi« morgen nachmittag sich« Uhr." »So muH d« denn bestimmt morgen mit de« Frühesten wieder reisen."