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Pulsnitzer Wochenblatt Dienstag, 27. Juni 1911. Anlage ;u Ar. 76. 63. Jahrgang. Wie die Weden «der Deutschland denken! 8H<. Dresden, 26. Juni, Bei dem am Sonnabend der türkischen Studtenkommisston von der Stadt Dresden veranstalteten Festmahl sprach sich der Führer der otta- manischen Gäste, Ahmed Ihsan Bei, in bemerken-« werter Weise über Deutschland aus. Aus einen Trinkspruch de» Oberbürgermeisters Beutler, der betonte, daß Deutsch land das Aufwärts- und VorwärtSstreben der jungen Türkei mit der lebhaftesten Sympathie begleite, erwiderte Ahmed Ihsan Bei folgendes: «Der hochgeehrte Herr Ober- bürgermeister von Dresden hat gesagt, daß die Annäherung zwischen Deutschen und Türken für beide Teile nur von Vorteil sein werde, daß vor allem jedoch seine lieben Gäste Nutzen daraus ziehen möchten. Nun, unsere ver ehrten deutschen Gastgeber sollen unS durch den Besuch immer bester kennen lernen, und dann werden sich die kommerziellen und wirtschaftlichen Beziehungen noch mehr verliefen. Es ist in der ganzen Welt bekannt, daß wir ein schönes Land bewohnen, daß unsere Natur hohe Reize besitzt, reiche Schätze birgt, aber sie sind noch nicht er- schlossen. Wir haben aber einen großen Wissensdurst und fortschrittlichen Drang; es ist uns ein Bedürfnis, un» in jeder Beziehung zu ent- wickeln und die Freundschaft mit Deutsch, land soll uns dazu verhelfen. Deshalb danken wir Ihnen, daß Sie un» Gelegenheit geben, zu lernen Und wir bitten auch, wenn Ihre verehrten Landsleute mit ihrem Kapital zu uns kommen, sie mögen auf ihren Vorteil bedacht sein; auch wir werden unseren Vorteil davon haben. Wir sind Ihnen dankbar, wenn Sie unS ehrliche Deutsche schicken, aber wir sind überzeugt, es gibt nur solche. Es ist so üblich, über unS Türken überall Schlimmes zu sagen, Schlimmes zu schreiben, aber daS ist Sage. Ein Land wie Deutschland, daS mit dem mittelalterlichen Aberglauben so gründlich aufgeräumt hat, wird auch für un» das rechte Verständnis haben. Sie haben aufrichtig zu uns gesprochen und das erfüllt uns mit Freude. In dieser Beziehung sind wir Ihnen zu großem Danke verpflichtet; denn Sie tragen dazu bei, mit diesem ungerechten Gerücht über die Türken aufzu- räumen. ES ist selbstverständlich, daß wir besondere Liebe zu denen hegen, die mit uns gerechte und ehrliche Geschäfte machen wollen ur d in diesem Sinne fasten wir alles auf, wa» Sie uns sagen und was Sie an Wohl taten uns erwiesen. Mit einem Volke, da» es fertig ge bracht habe, in allerkürzester Zeit nicht nur alle Nationen einzuholen, sondern alle anderen Staaten aus jedem Ge biete zu übertreffen, müssen wir sympathisieren. Deutsch, land ist nicht nur eine militärische Macht, mit der zu rechnen ist, sondern eine große wirtschaftliche Macht mit kolossalen kommerziellen Werten; mit einer solchen Macht wollen wir freundschaftliche Beziehungen higen." OerMcdos unv Sücbfifcbss. — 8. ll. K. (Die Folgen des Zigaretten- rauchens) schildert sehr treffend folgende aus der Bundeswarte der eo. Männer- und JünglingSvereine entnommene Szene aus dem Sprechzimmer eines ArzteS: „Sie rauchen täglich 20—30 Zigaretten?„ — „Jo, durch schnittlich." — „Glauben Sie nicht, daß daS an Ihrem elenden Zustand schuld ist?" — „Nicht im geringsten." Der Arzt schüttelte den Kopf. Er lächelte eigentümlich, dann nahm er au« einem Glase einen Blutegel. „Ich will Ihnen etwas zeigen", sagte er, „entblößen Sie Ihren Arm." Der Zigarettenraucher tat so an seinem bleichen Arm, und der andere setzte den dünnen, schwarzen Blut- egel darauf. Sofort sing der Blutegel an zu saugen. Er wurde dicker; dann kam plötzlich ein krampfhaftes Zucken über ihn, er fiel ab — tot! — „DaS hat Ihr Blut an dem Blutegel bewirkt," sagt« der Arzt. Er nahm den kleinen Körper zwischen Daumen und Finger: „Sehen Sie, ganz tot," sagte er, „Sie haben ihn ver- giftet." — „Ich vermute, daß es kein gesunder Blutegel war", sagte der Raucher mürrisch. — „Kein gesunder? — Nun gut, wir versuchen es noch einmal." Der Arzt setzte zwei andere Blutegel auf des Jünglings mageren Arm. „Wenn diese beiden auch sterben," sagte der Pa tient, „dann rauche ich nicht mehr." Während der letzten Worte zuckte der kleinere und fiel ab auf seine Knie, tot; und einen Augenblick später fiel auch der andere neben den ersten. „Wie abscheulich!" sagte der junge Mann, „ich bin ja für Blutegel schlimmer al» die Pest." — „DaS ist die Wirkung eines Giftes in Ihrem Blute, daS sich bei allen Zigarettenrauchern findet," sagte der Arzt. „Herr Doktor," erwiderte der Raucher, indem er die drei Egel nachdenklich betrachtete, „ich glaube halb, Sie haben recht!" — (Die GeschüftSergebnisse der etwa 280 sächsischen Krankenkassen) nach den Ver öffentlichungen de» Kaiserlich Statistischen Amte» in Berlin bringen eine Bestätigung der günstigen Gestaltung de» ArbettSmarkteS in Sachsen. Nach diesen Zusammen- stellungen haben die sächsischen Krankenkassen stm April dieses Jahre» eine Zunahme von 18 740 männlichen und 4335 weiblichen versicherung-pflichtigen Mitgliedern ge- habt, während die Zahl der erwerbsunfähigen Kranken um etwa 1100 abgenommen hat. — (Das Wachsen der Konsumvereine.) Der Bericht der Tagung de- Zentralverbavde» der Deutschen Konsumvereine weist eine außerordentliche Zu- nähme der KonsumvereinS-Bewegung im letzten Jahrzehnt auf. Sie umfaßt im ganzen zurzeit 2300 Vereine mit l°/t Millionen Mitglieder. Während der „Zentralverband* 1902 erst 480 000 Mitglieder in 500 Vereinen zählte und einen Umsatz von 113 Millionen Mark erzielte, lauten für 1910 die Ziffern: 1 171 763 Mitglieder, 1103 Vereine und 334 387 245 Mark Umsatz. Die Rückvergütung an die Genoffenschastsmitglteder ist von 12,4 Millionen Mark (1902) auf 20,2 Millionen Mark im letzten Jahre gestiegen. Der Verband nahm letzthin die eigene Produktion von Waren, wie Zigarren und Seifen, in Angriff. Zigarren- fabriken bestehen in Frankenberg (Sa.), Hamburg und Hockenheim (Baden), die im letzten Jahr schon mehr al« 30 Millionen Stück anfertigten. Die Seifenfabrik in Gröba-Riesa lieferte 2,9 Millionen Kilo Seifenprodukte aller A t. Der Verband hat einen Gesamtretngewinn von 1015 757 Mark aufzuweisen. — (Sollte hier nicht für den Hansabund eine dankenswerte Ausgabe gegeben sein, um den gewerblichen Mittelstand vor unberechtigter Konkurrenz zu schützen? Bei einem derartigen Bestreben würde er ja überdies auf die Hilse der rechtsstehenden Parteien rechnen können, die sich bisher bereit» vielfach auf diesem Gebiete zugunsten de» Mittelstände» bemüht haben!) 8. Dresden, 26. Juni. (WallotS 70. Geburt»- t a g.) Anläßlich seine» heutigen 70. Geburtstages haben die städtischen Kollegien zu Dresden dem Geh. Hoftat Professor Dr. Wallot wegen seiner Verdienste um da» Aufblühen der deutschen Architektur die goldene Ehren denkmünze der Stadt Dresden verliehen. Leipzig. (Zusammenkunft der China- und Afrika.Krieger Sachsens.) Das Programm ist erschienen und man muß dem sestgebenden Kgl. Sächs. Militärverein „Ch:na- und Afrika-Krieger" für Leipzig u. Umg. da» Verdienst lassen, daß er weder Kosten noch Mühe gescheut hat, die Veranstaltungen glänzend zu gestalten. Hoffentlich wird ihm der Dank durch allseitige Beteilig, ung zuteil. Recht erfreulich ist die überaus zahlreich« Beteiligung des Offtzterkorps. Ist hier doch die beste Ge- legenheit, nach langer Zeit wieder einmal mit alten KriegS- gefährten zusammenzutreffen und die im Felde erprobte Kameradschaft aufzuftischen. Unter anderen Herren mit klang, und bedeutungsvollen Namen hat auch Se. Lxzel- lenz General der Inf. z. D. Herr von Trotha, der ver- dieastvolle Führer unserer tapferen Truppen in China und Südwestaftika seine Teilnahme zugesagt. Tie Fest Der Erbt von Nemerow. Roman von B. von der Lancken. 18 (Nachdruck verboten.) »Ich w«d« fragen, aber ich glaub«, die Antwort wird dieselbe sei» wie bisher," antwortete Lott« und schickt« sich an, «ach oben ,« geh,». "Ein Eisenkopf, di, Alte, «in ganz verdammt hart«« Eisen« köpf," bemerkte H-rr vo» Werthern. „Meine Lotte hat ja auch waS weg vom Eigensinn, wie all, A,fingen«, aber — —" „Da« Unglück hat Sophia verbittert," sag«« P««„ ,^t- schuldigend. „Verbittert, ja, da« geb« ich zu, aber al« sie auch »och mitten im Glück saß, Awa« Verwandtschaftliche« mit Herrn Beelzebub hat st« immer an fich gehabt, und man hätte damal« so gut wie heute da« Scheunentor mit ihrem Dickkopf einrennen können." In Frau Sophia von Loc wett« Z mmer brannte «in lustige« Feuer im Ofen; die Vorhänge an den Fenstern war«« herab, ««lassen, «in« Hängelampe verbreitet« freundliche Hell«; die Tür »ach der Schlafstube zu war leicht angrlehnt, und hier saß mit *in«r Handarbeit die Wärterin, eine ältere Person. Frau von Locwett schlich, auf ihren Stab gestützt, langsam in lhrem ««mach auf und ab; da« schwarze Trauer kleid und Ak schwär,, Krepphaube ließen ihr magere», blasse« Antlitz noch bleicher erschein,». Al« Charlotte eintrat, hob st« kaum merklich de» Kopf und richtet, die großen Augen fest auf ihre Schwieger» tochter. Mutter i' sagt, di, junge Fra», sich ihr nähernd. „Wa, willst du?- „Peter reist fort — „ möchte e« nicht, ohne dich —" Abwehrend streckte fich der rechte Arm der Sprecherin ent» «'««», Haß und Zorn entstellten ihr, Züge, aber kaum sekunden» dann breitete fich «in Autdruck steinerner Ruh, darüber. -Komm näher!" sagte sie. „Komm näher!" ,,.-Vo« g«h«m«n Grauen gefaßt, trat Lotte auf sie zu; mit id» legte fich di« Hand Sophia« auf ihren Arm, und i,re Stimm« zum Flüsterton dämpfend, fuhr ste fort: " "b« ihm, h,ut« könnt« ich ihn nicht seh«», ab«r wenn er wiederkommt, dann will ich ihn empfangen, glänzend empfange», al« den Erben von Nemerow — und nun — geh!" Zu de» geplante» Abreise kam r« nicht; «in Brief am nächsten Morgen meldete da« Eintreffen de« Rechttanwalt«« au« Berlin, und da« Ordnen der »ach jeder Richtung hi» zerfahre««» Verhältnisse und derangierten Geldangelegenheiten macht« Peter« Gegenwart dann noch für Wochen hinau« in Nemerow nötig. Den Renvstall löst« «r auf und dir schön«« Pferde wurden verkauft, brachten fir doch eine ganz hübsch, Summe, die zur Deckung von Schulde« mit verwandt werden konnte; auch machte die Zuhilfenahme dr« Reste« von Peter« in Papieren angelegtem Vermögen e« möglich, da« Gut noch zu halten. Allerdings mußte» in der Häuslichkeit Einschränkung«» statlfiade», Dienstboten entlassen und der ganze Zuschnitt rin einfacherer werden, Herr von Werther», der ein anerkannt tüchtiger Landmann war, machte Piter den Vorschlag, die Oberleitung der Bewirt schaftung ,» übernehmen. Er fiedelte während der Zeit von PeterS Aufenthalt nach Nemerow über, um denselben bei alle» Vorkommnissen mit s,in«m Rat zur Seite zu stehrn; und durch dir Gegenwart de» alten liebe»»würdig,n Herr» gestaltete fich auch der persönliche Verkehr zwischen Lotte und dem Schwager angenehmer und leichter. Der Herr Inspektor mit de» Hohr», glänzenden Stuspstiefeln und dem aufgewichsten Bart wurde durch rin« wirklich tüchtig« Kraft ersetzt. Pet« srlbst wollt« bi« Ostern nach Bon» zurück» Irhrr» und «st zum Frühjahr für imm«r nach Nemerow zurück, kommen. Ex dacht« hierbei besonder« an di« b«id«n Witw«», den«» Zeit blieb, sich in Ruh« für einen anderen Aufenthalt zu entscheiden, d«nn Frau Sophia hatte in wilder Err«gung erklärt, nicht in Nemerow bleiben zu wolle», sobald der verhaßte Stief» sohn al« rechtmäßig« H«, und Erbe von demselben Besitz «eh» men und seinen Wohnfitz dorthin verlegen würde. Peter« edler Natur lag e« fern, die Frau, di« ihm »war vi«l Bittrrr« »»gefügt, vom Schicksal nun aber so schwer heim» gesucht wurde, «och tiefer ,u demütigen und zu kränk««. So war e« drnn beschlossen, daß Frau Sophia und Lotte den Winter über »och in Nemerow blieben; halb und halb hatte man für später ihr Wohn,» j» der kleinen Landstadt in Aussicht grnommen. Den Vorschlag d«S alten Großvater», Lott« sollte zu ihm «ach Tuch«» kommen, und für Fra« Sophia wollte man eine ältere, sehr gut empfohlene Pfleg«i« engagiere», lehnte sie ab. „Sie ist di« Mutt« meine« Manne« und der Hilfe und Nachsicht jetzt bedürftiger denn je," erklärt« fi«. Al« di« FrühlingSstürme üb« di« Erd« braust««, hatte Charlotte «iaen schwere« einsame« Wiut« hint« fich. Zu ihrem und der Mutter Aufenthalt hatte «an «u» doch di« klein« Landstadt gewählt und eine niedlich« Wohnung gemietet. D« größt« T«il d« Möb«l war schon dorthin -«schafft, mir Fra« Sophia« Z mm« standrn noch unberührt. Mit Zähigkeit schi«n fit an ihrem Versprechen fest,»halte», eh« fi« Nemerow fü, im» m« vrrließ, «rst Peter »och dort al« Erben zu begrüße»; um fie nicht zu erregen, ließ man sie gewähre«. A» einem der Tage aukgang« April meldete ein Tel«» gramm, daß Pet« gegen 6 Uhr abend» «intreffen würde. He« von Werther» holte ihn von der Bahn ab und begleitet« ih« «ach Neuurow. Peter sah sei«« Ankunft und überhaupt sein« Ueberfied«» lung nach dem Bute »ich, ohne eine gewisse Aufregung entgegen; d« Gedanke an Charlotte» Gegenwart und spät« der jedenfall» häufigere Verkihr mit ihr hatte »h» die ganz« Zeit hindurch b«» schästigt, und jetzt, wo fie frei, wo dieser Bedanke kein Unrecht mehr war, hatte er fich demselben, wir auch dem Gefühl d«r Liebe rückhaltlos hingegrben, jetzt fing da« Leben noch einmal an, Rei, und Wert für ihn zu haben. Er hatte während de« Winter« zuweilen mit Lotte ko««» spondi«rt; fie hatte ihm gewissenhafte» Bericht üb« alle« er stattet, wa» sich i» Nemerow zutrug und wie «» mit d« Wirt schaft ging, auch daß die Mutter wohl« wäre, ab« »ie ein« Silbe, di« über da» verwandschastlich grbotene Maß von Freund« lichkeit hinaugging, während ihm doch hi« und da ei« Wort, eine Redewendung au» der F«d« floß, die ihr verrate» ko»»te, wie r» um ihn stand, bi» « durch fi« gelernt hatte, seine Brief« in derselben knappen Form abzufaffm. Wie oft drängte fich ihm die Frage auf, ob nur pietätvolle Rücksicht für de« B«» storbenen die Ursache ihr« Reserve, oder ob da», wa» einst au» ihre« Augen zu ihm gesprochen, für immer gestorben und über haupt nicht» ander«» g«w«sen wäre, al« eine kurz« H«^n»v«. irrung, «in «twa« wärm««» J«t«effk, da fi« b«i ihm «in «in-