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Nr. 70. Pulsnitzer Wochenblatt. — Dienstag, den 13. Juni 1911. Seite 8. Saloniki, 12. Juui. (Zur Entführung Rich, terr.) Eine Gendarmerie-Patrouille, welche die Umge bung von Livadia abstreifte, fand unter Zweigen ver deckt, den Leichnam des Räuberhauptmann Jant AranttniS, der am Kopf und Brust Schußwunden.aufwies. Der Leichnam dürfte drei bis vier Tage an der Fundstelle gelegen haben. Man nimmt an, daß auch dieser Räu- ber bei der Entführung Richters beteiligt gewesen sei und bei der Verfolgung oder bei einem Streit mir an deren Räubern getötet wurde. Von Richter selbst ist noch keine Spur gesunden worden. TWW des Lundes der Viehhändler ventWnds. 82K. Dresden, 11. Juni. Unter dem Vorsitze des Groß-ViehhändlerS H. Daniel-Diendorf und in Anwesen heit von Vertretern der städtischen Behörden tagte in Dresden der „Bund der Viehhändler Deutschlands", um zu zwei wichtigen Fragen „die Bekämpfung der Tierseuchen durch eine allgemeine RetchSoiehseuchenversicherung" und „die Versorgung des Volkes mit gesundem Vieh und Fleisch" Stellung zu nehmen. Zu der jetzt überaus aktu- ellen Frage: „Können Viehseuchen durch eine allgemeine ReichSvtehseuchenversicherung bekämpft werden?" bemerkte der Vorsitzende, daß die jetzige Bekämpfung der Seuchen in keiner Weise einen Erfolg verspreche, vielmehr die Un sicherheit und enorm großen Schäden nur fördern. ES gäbe nur ein Mittel Mrd das bestände in sofortiger Ab schlachtung der verseuchten Tiere und eine Entschädigung der Besitzer aus einer ReichSolehseuchenversicherung. Früher oder später werde diese ZwangSvtehseuchenversicherung ganz von selber kommen und im Interesse der Allgemein heit, trotz der vermeintlichen Belastung der Viehbesitzer, eine segensreiche Wirkung ausüben. Am schlimmsten wirke die Seuche, wenn die Schweinebestände davon be fallen würden, denn dann ginge immer der Verdienst auf fünf b^s sechs Jahre verloren. Zu verwerfen seien staat liche Schlachtoiehversicherungen, weil die Prämien viel zu hohe und der Spesenaufwand ein zu großer sei. Die radikale Bekämpfung der Seuchen im Entstehen würde unsere Vi hstapel gesund machen. - Syndikus Schulz- Berlin referierte zum zweiten VerhandlungSgegenstand „die Versorgung des Volkes mit gesundem Vieh und Fleisch" und wendete sich zunächst gegen die Verdächtigung der Viehhändler, die man von gewissen Seiten als Fleisch- verteuerer und überflüssige das Fletsch verteuernde Zwischen händler bezeichne. Die Bedeutung des Vtehhandels werde von vielen Seiten verkannt, auch die Behauptung, der Viehhändler trage die Mitschuld an der Verschleppung der seit Monaten herrschenden Maul- u d Klauenseuche, müsse Aviatiker Georg Schindel stürzte mit seinem Aeroplan tödlich in Johannisthal. Der verunglückte deutsche Flieger Georg Schendel, den nach rauschenden Erfolgen wäh rend der nationalen Flugwoche in Berlin-Johannisthal der Tod hinweg gerafft hat, stand erst im 24. Lebens jahre. Er hatte das Examen als Schiffsbauingeneur bestanden, doch zog es ihn zur Aviatik. So wurde er ein Schüler Dorners und errang im Januar dieses Jahres sein Pilo tenzeugnis. Bald darauf war er selbst als Fluglehrer der Dorner-Flugzeug- G. m. b. H. tätig. Er war als Flie ger noch nicht allgemein bekannt, als er sich zur Teilnahme an der Berliner Flugwoche und dem folgenden Deut schen Rundflug meldete. Aber wäh rend der Flugwoche vollbrachte er glänzende Leistungen. Am 6. Juni stieg er ohne Passagier 20lv Meter hoch und stellte so einen neuen deut schen Höhenrekord auf. Am 9. Juni wollte er auch den Weltrekord im Höhenflug mit einem Passagier drü cken und stieg daher mit dem Mecha niker Voß auf. Der Aeroplan er reichte eine Höhe von 1600 Meter. Das bedeutete den Weltrekord und einen neuen Triumph des jungen Fliegers. Aber Schendels und Voß UM"DefekrJn der Steuerung veran laßte den Sturz des Monoplans, und als die entsetzten Zuschauer herbeieil ten. kam alle Hilfe zu spät. (S. des. Art.) Kus aller Welt. — (Der Protestantismus in Belgien. Bis 1837 gab es in Belgien so gut wie keinen Protestan tismus mehr. Seitdem lebt er wieder auf. Die belgische Misstonskirche be steht aus 36 Gemeinden mit etwa 12 000 Mitgliedern, die meist Berg arbeiterfamilien angehören. Daneben besteht eine evangelisch-protestantische Kirche in Belgien mit 18000 Seelen. Seine stärkste Stütze hat Rom in den deutschen Vlamen, während dem Pro testantismus die Sympathien der französischen Wallonen gehören. energisch als gänzlich unbegründet zurückgewiesen werden. Der Händler sei im Gegenteil eifrig bemüht, die Seuche zu bekämpfen, worin er nicht einmal von den Landwirten überboten w.rde. Die Händler seien die besten Freunde der Landwirtschaft, nie aber würden sie einstimmen, daß immer nur die Interessen der Landwirtschaft allen anderen vorausgesetzt werden. Es könne noch ein Jahr vergehen, ehe der Höhepunkt der Seuchenausbreitung erreicht wäre, es wäre deshalb Zeit, daß drakonische Maßregeln gegen die Opposition ergriffen würden, damit man der Seuche Herr werde. Trotzdem sei eS nur nötig, immer das be treffende Gehöft, nötigenfalls auch daS Dorf zu sperren, aber was darüber htnauSgehe, sei vom Uebel. Krankes Vieh müsse lokalisiert werden und dürfe nicht in den Handel gebracht werden, trotzdem gebe eS gewissenlose Landwirte, die sich über die Gesetzesbestimmungen hin- wegsetzen und krankes Vieh verkauften. Hiergegen könne nur eine starke Stallkontrolle helfen, die trotz der 5 bis 6 Millionen Kosten noch billiger sei, als die enormen Schäden. Der Händler habe daS eigenste Interesse, nur gesundes Vieh zu kaufen, solange man aber nicht die Seuchen, sondern die Händler bekämpfe, sei eine Aenderung nicht zu erwarten. — Die Tagung schloß mit der Kon- stituierung des Verbandes der Viehhändler im Königreich Sachsen. Ist ein Testament ungültig, wenn die Grtsbejeichnung fehlt und ein Zeuge die Hand bei der Unterschrift geführt hat. j. K. So begreiflich es ist, daß Privattestamente zuweilen nicht in der gesetzlichen Form errichtet werden, so unbegreiflich ist es, daß von Notaren oft die wesentlichen Erfordernisse eines vor ihnen errichteten Testamentes übersehen werden. Die Rechtsprechung sucht dennoch den Willen des Erblassers durchzusetzen und vor allem hat das Reichsgericht oft Testamente aufrecht erhalten, die scharfer Prüfung nicht zu bestehen vermocht hätten. So hatte ein Notar in das Protokoll den Ort der Verhandlung nicht ausge nommen; außerdem sollte die Erblasserin nicht eigenhändig unter schrieben haben. Sie hatte den Beklagten zum alleinigen Erben eingesetzt Die Klägerin focht das Testament wegen Mangel der Ortsanaabe und der eigenhändigen Unterschrift an. Das Land gericht Wiesbaden verurteilte den Beklagten zur Herausgabe des Nachlasses: das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. wies die Be- rufung zurück; das Reichsgericht hob das Urteil auf und führt aus: ^,Auf der Stempelmarke und dem Umschlag des Testamentes steht zwar die Ortsbezeichnung Wiesbaden nicht. Allein im Texte des Protokolls steht, „der Notar H. zu Wiesbaden habe sich in die Wohnung der Erblasserin hier begeben und habe sie dort vor gefunden". Jedem Leser ist klar, daß nirgends anders als m Wiesbaden verhandelt worden ist. Ferner stellt der Verufungs- richter fest: Die Erblasserin habe, dabei die Feder in ihrer Hand haltend, ihre Namensunterschrift „C. W." unter dem Testamente selbst niederaeschrieben, die Zeugin M. habe ihr dabei von oben die Hand umfaßt, um ihr auf Aufforderung des Notars beim Schreiben behiflich zu sein, die Erblasserin und sie hatten nun beide zusammen die gleichen Schriftbewegungen gemacht, d h. die Erblasserin Hube geschrieben und die M. habe daher mitgeschrie ben, eine selbständige Unterschrift liege nicht vor. Abgesehen da- owi, „„„ g QQ.a r-i» stwnanoig»:, sondern die eigenhändige Unterschrift des Erblassers fordert, so scheinen auch die eigenen Feststellungen des Berufungsrichters weit eher den Schluß zu recht fertigen, daß es sich auf Seiten der Zeugin in der Tat bloß um eine unterstützende Tätigkeit gehandelt habe. Denn auch hiernach sind die eigentlich maßgebenden, auf Leistung ihrer Namensunter- schrift abzielenden Schreibbewegungen von der das Schreibwerkzeug in ihrer eigenen Hand haltenden Erblasserin ausgeführt worden. Selbst wenn man aber gelten lassen wollte, daß die Zeugin „mit bestimmend" an der Herstellung der Unterschrift mitgewirkt habe, so bliebe doch bestehen, daß auch die Erblasserin eigenhändig und so wie sie selbst wollte, das Testament unterschrieben hat. Das Testament entbehrt daher der eigenhändigen Unterschrift der Erb lasserin nicht. (Urteil des R.-G. IV 387/10.) Wettervorhersage der Kgl. S. Landeswetterwarte zu Dresden. Mittwoch, den 14. Juni 1911. Nordwestwind, Bewölkung, veränderlich, kühl, zeitweise Regen, Gewitterneigung. Magdeburger Wettervorhersage. Mittwoch, den 14. Juni 1911. Vielfach heiter, etwas wärmer, stellenweise Gewitter. Berühmte Trainer wurden engagiert, kostbare Pferd« gekauft, Wette« proponiert und oft verloren, kurz, statt eine» tüchtigen Landwirte« war er ein vielgenannter Sportsmann und, was noch noch schlimmer, ein in den Klubkreise», wo hoch gespielt wurde, oft gesehener Bast geworden. Frau Sophia war, wie schon gesagt, von einem Schlagan fall heimgesucht worden, der besonder« nachteilig auf da» Gehirn gewirkt hatte; sie war nicht mehr imstande, sich um die Wirt schaft zu kümmern, wi, in früheren Zeiten, Lotte aber, di« Mutter und Sohn von einem tieferen Einblick in die Verhältnisse mög lichst ferngehalten hatte, stand nun allem ratlo« gegenüber. Panl Ulrich mied di« Nähe seiner Gattin, deren ernste Lugen ihn so vorwurs«voll anschaute», er ärgert« sich übrr fi« — ja, e« gab Momente, wo er sie haßte. Gleichmäßig einförmig zogen die Tage, die Wochen an Charlotte vorüber, man verkthrte mit den Nachbarn, wenn auch seltener al« sonst; die ältere» Herren waren vttletzt durch Paul Ulrich übermütige« Auftreten, und d-e Frauen konnten r« Char. lott« nicht verzeihen, daß sie da« Elend ihrer Ehe, da« doch kein Geheimni« mehr war, nicht offen zur Schau trug, daß man fi« brmitl«id«n durste, fi«, die man vor fünf Jahren noch to viel beneidet hatte um die glänzende Heirat. Zwischen den Gatten war nach und naiü «ine vollständige Entsnmdung eingetrrten. Charlotte litt wahrhaftig sLm«r,l>ch darum«, und versucht« immrr au'« neue, dieselb« zu beseitigen; mit starker Srlbstverl-uanung überwand sie die stolz« Unnadbar» k«it, die in ihrem Cwrakter lag, entschuldigte de« Galten Schwäche« und war in Güte bemüht, ihn zu seinen Pfl chien zurückzusühren. Umsonst. Paul war seit seiner letzten Rückkehr von dem Rennen in Baden-Baden sehr ve-st mmt und übellaunig, lehnt« aber jede Frage Charlotte« nach Gründen kurz und un freundlich ab. Er hatte auf seiner Reise viel grspirlt und bedeutende Ver lust« grhobt, nur für unverhältnitmäß'gr Z ns«n war «« ihm g«lung«n, da« G«ld aufzutrr«ben, b>« auf ein« Summ« von fi-bzehntaus«ad Mark, dir er T-m»ly schuld«»«, dir sich indessen bereit erklärt hatte, da« Geld noch «mige Zeit anstehen »u lassen. J'tzt aber war auch diese Frist abgilaufen, und da Paul Ulrich statt der erhofften Gewinne nur immer neue Verluste er» litten, befand er sich in einer bedrückenden, trostlosen Lag«. Wenn rr fich nun bi«her nie gefragt, wohin di«« Leben führen sollte, allmählich drängte fich ihm diese Frage doch von selbst auf. Die Ernte war schlecht au«gekallrn, auf da« Tut lieh ihm niemand mehr, die Einnahmen deckle» schon seit einem Jahre nicht mehr die Zinsen, die Mutier geistig und kö'perlich unfähig, einzugrrife», i« zu unselbständig, um fich »u helfen, und zu trotzig, um seinem Weib« zu offenbar«». Wal hätte fi« auch helfen können? Ihr kleine« Kapital, auf die schlichtest« Hypothek eingrtrag«», war ja längst verloren; e« überkam ihn ein« Rat- und Mutlosigkeit, wi« «r fi« bi« dah n nie gekannt — und an einem Sonnabend-Nachmtttag im Spätherbst« irrt« «r wi« ein Verzweifelter in den Gartrnanlagen auf und ab, alle Möglichkeiten eraägen">, woher er die« Geld und noch manche« andere, wa« er braucht«, nrhmen sollt«. Da p'ötzl'ch kam ihm rin« rettrnd« Ide«, und «in zufrir- denk« Lächeln spielt« um s«inen Mund — di« Mühle und die Zirgrlri mit den dazu gehörigen A'ckein und Wiesen — Ran dow hatte längst gewünscht be-de« zu »werben, vielleicht auch noch da« schöne Siück W«s-nland da« an da« Nachbargut gren,tr; freilich, wa« wü de Lotte dazusagen? Ec zuckie unge duldig di« Schultern; immerhin lieber Grund und Boden opsern, al« die Ehr», und Zeit gewonnen, Alle« gewonnen, wen «sten« wurde d.r Katast-opd«, deren He'embrechrn er trotz seine« Leicht» sinn« al« unabwendbar betrochteie, doch noch hmaußgeschoben. Er war bi« zu einem kleinen Hügel gekommen, auf dem «io« Lmde stand und von dem vsr vier Jihren Charlotte und T m«'y herabgeschaut hatten auf da» fruchtbare Siück Feld, da» der Baron damal« für so aee'gnet gehalten hatte ,«r Anlage e-ner Manege. Da stand sie ja nun, und daneben standen die S'älle für dir P »de, unirr »hnen zwei kostbare R-nnrr, dr«n Pfl gr und Erhaltung Hunde,tr verschlungen hatte, auf die er im letzten Hürdenreitrn Tausende gewettet, die bei dim «in»« aber nur gewonnen und dann verspielt worden waren. Er knirscht» mit de» Zähnen in ohnmächtiger Wut. Wenn er noch »inen Menschen gehabt, mtt dem er fich hätte autzsprechen können; aber er fand niemand, so oft er auch den K»i» keiner Freund« durchdachte. Und — harte er denn überhaupt Freunde, wahre, ehrliche Freund,? Sein« Mutter? Der Arzt hattr befohlen, jedr Erregung von ihr fernzuhalten; außerdem war fi« gtistig schwach und kaum imstande, da» Furchtbare zu begreifen. Seine Frau? Nein im Eingestehe» der eigenen Schwächen und Fehler sah er nur einen Triumph für sie, die ihn so oft gewarnt, eine Demütigung seiner selbst, und dies« wollte er fich ersparen so lange wie möglich, Peirr? — Wie kam e» doch, daß er in diesem Moment grade auch seiner gedenken mußt«? Wie kam «» doch, daß plötzlich riesengroß die V«raatwortung vor ihm stand, die er so gern sortgeleugnet hätte? Pe'er war von R«cht» wegen der Herr hier, sein der Grund und Boden, und nur au» Pietät gegen den Heimgegangenen Vater hatte er fich schweigend den Bestimmungen de» Testament» gefügt, ohne N«id und Mißgunst. Wie aber hatte er — Paul — da» herrliche Gut verwaltet? So ltickifianig rr auch gehandelt, die Stund« war da, die sria Te- w ff«» wach nrf, und wie all« schwach«», haltlos«» Charaktere überließ » fich w derstandllo« der Verzweiflung. Er setzt« fich aus di« Bank untrr dem alt«» Lind«nbaum, stützt« d«n Kopf in die Hand und starrt« vor fich »»«der; tief« Sorg«nfalten gruben fich i» sein« Stirn und die eine Fußspitz« klopfte in nervöser Unruhe den Boden. „Rettung — Hilf«!' schelt 's in ihm — aber wo war sie, wo? — Und in di«s«m Moment de» Verlafftnsein» sehnte er fich unbeschreiblich nach dem Bruder — nach seinem Weibe. Warum war Peter nie wieder nach Nemerow gekommen, warum war Lotte so kalt gegen ihn? — Agit s — nein, er to» «he Unrecht, fi- war e» nicht; hi« vor fich selbst, sucht« -- nach kein« Entschuldigung. E,, « hatt« fi« durch srin« V-rnach. läsfigung tausendmal bitter gekränkt, hatte ihr« freundlichen B tt«» kurz ih,, ernsten Warnungen schroff,u,ackg«w>esen. hall« ihr fein empfindende» Fauengemüt verletzt wenn er lm Wein» rausch heimgekchrt war, oder wenn er seine Bekannten zu lärmen- dm Gelagtu um fich versammelt hatte. Ein leise» Rascheln der welken Blätter am Boden ließ ihn aussehen; in «in dunkle« Tuch gehüllt kam Charlotte den Weg entlang. (Fortsetzung folgt!)