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Nr. 11. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den 26. Januar 1911. Seite 6. gewerbetreibende der Tabakfabrikation 760 bis 800 Bei tragswochen, 3. als Hausgewerbetreibende derTextilindustrte mit Versicherungspflicht vom Jahre 1894 654 bis 694 LeitragSwochen, 4. als Hausgewerbetreibende der Textil industrie mit Versicherungspflicht vom Jahre 1896 600 bis 640 Beitragswochen und 5. als Lehrer, Lehrerinnen, Erzieherinnen, Gesellschafterinnen, sonstige Angestellte, deren dienstliche Beschäftigung ihren Hauptberuf bildet, 440 bis 480 Beitragswochen. — Der Landesverband evangelischer Arbeitervereine im Königreich Sachsen, der über 18 000 Mitglieder zählt, wird seine diesjährige Hauptversammlung am 19. März in Lug au abhalten. Die Versammlung wird sich u. a. auch mit einigen so zialen Anträgen und den bevorstehenden Reichstagswahlen beschäftigen. In Verbindung mit der Hauptversammlung des Landesverbandes tagen auch die Krankenkasse und die Slerbekasse dieser nationalen Arbeiterorganisation. Herwigsdorf b. Löbau. (Ankauf zu Militär zwecken.) Das sächsische Kriegsministerium beabsichtigt, wie die „Oberl. Ztg." hört, das Rittergut Nieder-HerwigS- dors (Besitze A. Droscha) zu Remontezwecken für die Militärverwaltung anzu kaufen. Vsrmlscbtss. * (Weibliche Borer.) Große Entrüstung war die Folge einer entwürdigenden Schaustellung, die in Tulsa, Oklahoma, vor sich ging. Zwei junge Mädchen namens Bennett und Martin kämpften einen regelrecht arran gierten Preisboxkampf von 6 Runden aus. Am Schluß des Kampfes waren beide in sehr erschöpftem und zer schlagenem Zustande und es sind sofort Schritte unter nommen worden, um gegen die Veranstalter und Zu- schauer gerichtlich vorzugehen. Oklahoma ist ein noch junger Staat und seine Methoden sind primitiv und wild, aber es leben dort genug anständige Leute, die gegen derartige Vorstellungen Widerwillen haben und sich ihnen durch Strafverfolgungen widersetzen. Die beiden Mädchen, deren Gesamtalter nicht einmal 40 Jahre erreicht, sind beide erprobte Athleten in ihren Heimatsorten und haben sich in manch freundschaftlichen Boxkampf, natürlich unter Ausschluß der Oessentlichkeit, gegenübergestanden. Der letzte Kampf war jedoch ein Preisboxen nach strikten QueenSberry-Regeln von sechs 3-Minuten-Runden. Bessie Martin wurde als „Champion von Oklahoma City" und Nellie Brennett als „Champion von Chikago" bezeichnet. Sie kämpten in Kostümen, die selbst von einem Chikagoer Zensor für einen Salometanz nicht zugelossen worden wären. Nahezu 1000 Zuschauer, unter ihnen überwiegend Frauen, nahmen an der Vorstellung teil und ermunterten durch Zurufe die beiden Kämpferinnen. * (Neues von Hagenbeck) Der französische Zoologe V. Cambon, der in diesen Tagen in Hamburg weilte, um den Hagenbeckschen Tierpark zu besichtigen, macht in der Nature einige sehr interessante Mitteilungen über neue Unternehmungen und Erfolge des bekannten deutschen Tierhändlers. Hagenbeck hat mit einer Kreuzung des asiatischen Zebu und der europäischen Kuh einen Ver such gemacht und dabet ein neues Tier gezüchtet, das für die Landwirtschaft von großer Bedeutung werden kann. Das Produkt der Kreuzung übertrifft unsere Kuh an Größe, die Tiere erreichten Gewichte von 1500 Kilogramm. Das wichtigste aber ist, daß diese neue Tierart vom Zebu die Unempfindlichkeit gegen die Rinderkrankheiten geerbt hat. Hagenbeck steht gegenwärtig mit 30 großen Städten in Verhandlungen, die alle Tierparks nach dem Muster von Stellingen schaffen wollen. Darunter befinden sich sieben deutsche Städte, drei englische, zwei russische, zwei japanische, Peking, Brüssel, Mailand, Mexiko und die Hauptstädte von drei südamertkanischen Republiken. Das Generalprobe des „Rosenkmalim". Dresden, 25. Januar. Am Dienstag abend fand im Dres dener Hoftheater die General probe von Richard Strauß „RosenkavaUer" statt. Anwesend waren zahlreiche Vertreter der in- und ausländischen Presse, sowie viele Freunde des Kom ponisten und seiner Kunst. Ob wohl die Probe kein vollstän diges Bild ergab, machte die Schönheit des Werkes einen großen Eindruck. Nach jedem Akt erfolgte starker Bei'all. Tie Anwesenden beglückwünschten den Komponisten mit warmen Worten für seine ganz groß artige Leistung. VS«« Zur Aufführung der Strnufifchen Oper „Der Nosenkavalier". Richard Strauß verfolgt vom Zuschauerraum des Dresdener Hoftheaters die Probe feines Stücke» Rechts: Generalintendant Graf Seebach. , . mächtigste Projekt ist aber der Plan, den eine große amerikanische Gesellschaft gemeinsam mit einer Reihe amerikanischer Eisenbahnen mit Hagenbeck erörtert. Im Norden von Texas soll auf einem Flächenraum von nicht weniger als 10000 Hektar, in einer Gegend die an Tälern, Bergen und fließenden Gewässern reich ist, ein riesiger Tierpark geschaffen werden, in dem alle Tiere der Welt vereinigt werden sollen. Nach den Entwürfen von Hagen- beck handelt es. sich dabei um ein Objekt von 100 bis 160 Millionen Mark Baukosten. Die Entwürfe sehen den Bau einer besonderen Bahn, Hotels, Kaufläden und das Entstehen einer neuen Stadt vor. Die amerikanischen Kapitalisten verfolgen dabei auch den Zweck, jene weiten, noch nicht urbar gemachten Terrains durch die Anlage dieses gewaltig n Tierparks nutzbar zu machen. * (Ein Herzog als Handlungsgehilfe.) Der Herzog von Vtzeu, der älteste Sohn der portugiesi schen Thronprätendenten Dom Miguel von Braganza, ist der einzige Herzog der in dem Bureau eines Börsenmaklers arbeitet. Zurzeit ist er allerdings auf einer Erholungs reise in Oesterreich fern von allen Mühseligkeiten der Börsen- und Finanzgeschäfte. Eine Zeitlang arbeitete der Herzog in den Bureaus der Firma Basis Montgomery Fitzgerald and Co., einer wohlbekannten City-Firma in der Throgmortre Avenue, und wenn er von seinem Ur laub zurückkehrt, wird er seine Arbeiten wieder aufnehmen. Einer der Inhaber der Firma bemerkte, daß der Herzog die Arbeiten eines gewöhnlichen Handlungsgehilfen ver richte und zur vollsten Zufriedenheit ausführte. Er kommt zu früher Stunde ins Bureau, hat seine bestimmte Lunch- zeti, genau wie die übrigen Angestellten, und verläßt mit diesen zusammen das Bureau. Sein größtes Bestreben ist es, eine genaue Einsicht in sämtliche Börsengeschäfte und finanziellen Unternehmungen zu erhalten. Die Ge mahlin des Herzogs von Vizm ist die frühere Miß Anita Stewart, die Stieftochter des „Silent" Smith, des Chi- kagoer Millionärs. Die Hochzeit fand im September 1909 in Dingwall statt. vsrUnsr Produktenbörse. In Übereinstimmung mit niedrigeren nordameri- knnischen Kursen eröffnete der Weizenmarkt in schwä cherer Haltung. Da jedoch später Kommissionäre als Käufer für Weizen und Naggen anftraten und die argentinischen Offerten etwas erhöht worden waren, so trat für Weizen und Roggen eine leichte Befestigung ein. Auch Hafer war etwas höher gehalten, Mais und Gerste gleichfalls befestigt. Malz und Rüböl zu ver ändertem Kurse vernachlässigt. Wettervorhersage der Kgl. S Landcswettcrwartc zn Dresden Freitag, den 27. Januar 1911. Süd-West-Wind,- aufheiternd, etwas kälter, kein erhebt. Niederschlag. Magdeburger Wettervorhersage. F eita?, den 27. Januar 1911. Zunächst trocken, teilweise heiter, etwa- kälter. Nachher wieder Irüb und wi'der, im nUeht auch etwas Niederschläge. Pulsnitz. Sonnabend, den 28. Januar, 1 Uhr Betstunde. Pastor Resch. Sonntag, den 29. Januar, 4. nach Epipha» : V-9 Uhr Beichte I R-sch 9 „ Predigt (Luc. 4, 16-30) j V-10 „ Gat'eSdienst in der Schule zu Ohorn. Pfarrer Schulze. r/z2 „ Ktndergottesdtcnst (Matth. 8, 23—27) Pfarrer Schulze. Amts mache: Pastor Resch. Mittwoch, den 1. Februar, abends 8 Uhr Bibelstunde im Konsirmandenzimmer (Jak. 4,9—17) Pastor Resch. Frau Konsul Grabenhorst meinte zu Flau Senator Lüning : „Eure Lolo ist wirklich die reizendste von allen, Amalie l Und wie sie tanzt! Wer hätte daß von dem Mädchen gedacht I" „Na,- meinte dir Mutter rin bißchen verdrießlich: „Proben hat'« ja genug gegeben. Und eigentlich kann ich doch nicht sagen, daß ich da« schrecklich gern mag, wenn jeder fie so anflarren und sich mit dem Operngla» zu Gemüt führen kann.- „Aber Amalie, der gute Zweck! Aber nun sieh 'mal den Leutnant von Trssow an, der da an der Wand links lehnt! Der verschlingt sie ja rein mit den Augen. Ich meine, da muß man nun ebenfalls dir Augen offen halten." „Pst!" Drr letzte Streich der Fiedel verklang. Zum letzten Male drehten dir Burschen ihre Mädchen mit einem jauchzenden Ton um sich selbst, dann gruppierten sie sich unter der Linde und sahen nun ihrerseits hinein in da» Menschenmeer da unten. Ueber Lolo» au»drucl»volle Züge glitt ein Helle» Lächeln, und ein Gruß der Augen flog hinüber zu dem, aus den soeben ihre Mutter in einer nicht eben vorteilhaften Weise aufmerksam ge macht worden war, Und Leutnant von Teffow? War er ernstlich bei der Sache? Nein, auch für ihn war nur die Tanzs,en« der Höhe punkt aller persönlichen Anteilnahme an der künstlerischen Dar bietung de» Abend» gewesen. Nun schlugen seine Pulse dem Augenblick entgegen, wp er mit Lolo im Arm durch den Saal fliegen würde. Wa» kümmerte ihn noch jene» Weib, da» ihm einst nahe- gestanden ! Er war jung, ihm stand die Welt offen. Ihn lockte die Jugend und die Liebe zu dem süßen, jungen Geschöpf. Alle» andere warf er hinter sich. Alle Gedanken an einst, alle quälen den Selbstvorwürfe, alle Fragen, wa» au« ihr geworden sein könne, Hatte fie ihn geliebt? Liebe er sie? Ja, damal», da mal» ! Doch da» Leben war lang; er konnte e» doch nicht ewig in Eelbstvorwürfen vertrauern. Auf denn: Heute, hier, winkten ihm da» Glück und die Lieb«. Heute strahlt« «» ihm entgegen au» den süßesten, blauen Augen. E» lacht« au» dem Lächeln, da« ihm zug,flogen war, au» dem Gruß der Geister, die sich suchten. 8» lag in jeder Biegung de» jungfräulichen Körper«, in jedem Wiegen und Schweb«» im Tanz. Ihm galt da» alle«, ihn sucht« fi« mit drn Blicken, da« wußte, da« fühlte er. Und wenn fie auf der Bühne auch neben einem andern saß, wenn sie sich dort auch di« Hände faßten und hielten, so dachte sie doch dabei nur an ihn. Im Geiste fühlte auch sie so, und auch für sie war ver Höhepunkt de» heutigen Abend» erst gekommen, sobald sie da» bunte, phan tastische Kostüm abgelegt und in ihrer eigentlichen Balltoilette, von seinem Arm gehalten, durch den Saal flog. O großer Goethe! So warst du für zwei kleine Menschlein hier heut« nur da» Mittel zum Zweck. Auch ihnen ging ihr bißchen eigene» Wünschen und Hoffen über all die tönenden Worte vom Leid und Glück der menschlichen Auferstehung. Ist'« nicht fast immer so im Leben? Alle» Leben geht weiter; nach j-dem Ausschwung, jeder schönen Erregung fühlt jeder nur von neuem sein Ich al» die Hauplsach« seine» Leben«, sein Glück al» de» Leben» Streben und Inhalt. Der Vorhang rauschte herab. Mit der Szene in Auerbach» Keller schloß die Vorst,llung. Begeisterte Anerkennung belohnte die Darsteller. Den Mephisto» phele» hatte «in Schauspi«ler vom Stadttheater gegeben. E-, sowie vor allem Doktor Bulthavpt, der die S «le de» Ganzen gewesen war, wurden wieder und immer wieder jubelnd ge rufen. Aber schließlich hob sich der Vorhang nicht wilder. Man fing an, mit de» Stühlen zu rücken. Jetzt kam da» Abendessen unten in der Halle. Die Mitwirkenden saßen an einer Tafel zusammen, an welcher Doktor Bulthaupt piäsidierte. Launige und ernste Reden wechselten miteinander ab. Endlich, endlich schlug die ersehnte Stunde. Von der Bühne, auf der inzwischen die Stuhlreihen fortgrräumt worden waren, tönten di« Klänge einer Polonaise in drn Saal. Nun hielt Teffow nicht» mehr zurück. Er trat an den Tisch der Mit wirkenden heran und begrüßte Lolo, um sie zum Tanz zu enga gieren. Auf dem Weg« durch die Treppen und Gänge rechte er ihr den Arm, und rin brfrrilr» Aufatmrn hob ferne Brust. Er drückte ihren Arm sestrr und sagte: „Endlich, gnädige» Fräu lein l Wie lang der Abend war!' „War er?" lachte sie schelmisch. „Da, habe ich nicht ge. sunden. War unsere Aufführung denn nicht schön?' „Schön? Ich weiß nicht! Ich weiß nur, daß ich schon imm«r auf die Klänge dieser Musik gewartet habe." „Ich denk«, Sie tanzen gar nicht so gern. Ich denke, Sie laufen viel lieber Schlittschuh", neckte Lolo wieder. E» war hier fast dunkrl, nur eine Lampe brannte in dem engen Gang. Da beugte er sich zu ihr nieder und flüstert«: „Waren Sie böse auf mich, Fräulein Lolo? Hatten Sie mich erwartet?" Zitternd wandte sie den Kopf ab. Er bog sich noch weiter vor, um ihr in« Gesicht zu sehen. „Lolo, süße Lolo! Waren Sie mir bös«? Ab» nun, nun sind Sie r« nicht mehr? Nun ist mir verziehen?" Vom anderen End« de» Gange» tönten Stimmen. Lolo schrak zusammen und drückt« mit zitternder Hand di« Türklinke nieder. Der Türflügel sprang auf. Sie standen in blendender Htlle. Di« Polonäse löste sich gerade in einen Galopp aus- und rasch schlang Teffow seinen Arm um fie und zog sie hinein i» den Wirbel. Di? Musik ging in einen wiegenden Walzer über, und fast bewußtlo» flog Lolo in seinem Arm dahin. Ihr war, al» ob der ganze Saal rn ernem Nebel verging«, Si« sah nicht» mehr, fie hörte nicht« mehr. Und er preßte sie immer fester an sich. Durstig atmete er den Du t ihre« Haare» «in, dessen seidige Wellen nun zu einem schimmernden Knoten aukg,steckt waren. Nie nie wollt« «r si« wi der von sich lassen! Aber er fühlte, si- wurd« schwerer und schwerer in seine« Arm. Fast sank ihr Kopf auf seine Schult«. „Ich kann nicht mehr", hauchte fie matt. Er erschrak und führt« sie ,u «inem Stuhl gani hinten im Saal Sie mußte mehr getragen al« geführt w«d««- l" schwer hing fie in seinem Arm. „War e« zu viel?" fragte er besorgt. „„ . - Einen Moment schloß sie die Aug«", vt ste wieder und sah ihn mit süßem Lächeln a«, halb verlegen, halb schelm sch. »Ich habe wohl recht schlecht getanzt? Wa« würd« mein Tanzlehrer dazu sagen!" (Fortsetzung folgt.)