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Pulsnitzer Wochenblatt Donnerstag, 26. Januar 1911. Beilage zu Ar. 11. 83. Jahrgang. Ium Murmage Zr. Maj. Kaiser Wilhelm« II. Der Freudentag, der Katsertag, Grüßt wieder deutsche Lande, Schlägt auch der Winter Hain und Hag Noch kalt in srostge Bande, — Uns glüht das Herz, uns pulst das Blut Und Freude, sonder Fehle, Höht uns in tiefster Brust den Mut Und füllt uns froh die Seele. Horcht hin: geht nicht ein Rauschen heut Durch alle deutschen Gaue? Die Wimpel wehn und Festgeläut Durchklingt die Luft, die rauhe, Vom WaSgenwald zum Baltenmeer, Vom Frtesenland zum Süden Singt heut ein Lied gar hoch und Heer: Vom Kaiser und vom Frieden! Drum stehn wir Deutschs in der Welt Bewundert und geachtet, Daß aller Neid an uns zerschellt, Der uns zu stürzen trachtet, So danken wir'S nächst Gott dem Herrn Dem Kaiser, der geschaffen, Vom Kampf und Sturm der Zeiten fern, Ein Reich in Wehr und Waffen! Ein Reich, ein Volk, das stets bestrebt In seinem Daseinsringen, DaS vorwärts eilt, sich aufwärts hebt Mit seines Geistes Schwingen, Ein Volk, das seiner Hände Kraft Erkennt, die nie ermüden, — Ein Reich, das seine Zukunft schafft In Arbeit und in Frieden! Und diesem Volk und diesem Reich Gabst du ein Vorbild: weiser Wie keiner vor Dir ohnegleich Du Wil elm, unser Kaiser! In ernster Zucht, mit starker Hand, Die doch voll Mild' und Gnade, Hast Du gewiesen deutschem Land Der Zukunft Friedenspfade! Wir stehen fest, mag auch so sehr Die Tücke um uns branden, — Wir sind der Fels im wilden Meer, Wo sonst die Schiffe stranden! Du aber bist uns Stern und Hort, Denn Dich umgibt der Schimmer Des starken Friedens immerfort! Heil Kaiser, heut und immer! OsrtUcbes und Sücdslscdes. — Die TageSdauer hat jetzt wieder nicht un erheblich zugenommen, „Wenn die Tage langen, kommt der Winter gegangen", sagt ein alter Bauernfpruch. Und wir befinden uns nun mitten in dieser Zeit. Das ist KeHehtes Wild. Roman von E. von Winterfeld-Warnow. 9 (Nachdruck verboten.) * In dieser unvergeßlichen Minute ward da» Bild der andern für immer au» seinem Herzen verdrängt. .Fall mir nicht, Kind", mahnte der Senator. „Bleib dicht hinter mir!" — Ein leiser Druck der Hand dankte Trssow. Dann folgte sie langsam und vorsichtig dem vo.anschreitenden Vater. Der Fährmann, dem Lolo den ganzen Inhalt ihre« Geld- täschchtN« in die Hand geschüttet hatte, starrte ihr dankend und .Griffen nach. Für so viel Geld konnte er ja eine ganze Menge Leben», und Stärkungrmittel für Re alte Großmutter und für di- kranke Nachbarin erstehen! Gottlob - für den Augenblick war ihnen geholfen. Gleich am andern Morgen wollt« er dw alte Frau und die Kranke in fernem Boot »ur Stadt schaffen. Da» würde schwer halten; aber er würde sich Hufe au« der Nachbarschaft holen. Die gemeinsame Not machte ja auch hier dir Menschen hilfreich. Al« die kleine Gesellschaft den Wagen erreicht hatte, ver. abschiidet, sich der Senator mit unleugbar herzlichem Au«druck in sUnen Worten von dem Leutnant, indem er ihn gleichzeitig einlud, seinen Besuch recht bald zu wiederholen. Teffow warf «jn,n fragenden Blick auf Lolo. Wie würde sie ditft Einladung aufnehmen? Hatte sie ihm die Vernach lässigung nach dem Eislauf vergeben? Hatte er vergeffen, daß er sie meiden wollte? Ja! Beiden versank alle« in dem Bewußtsein ihrer auf. keimenden Liebe, und «es, tief tauchten ihre Blicke beim Abschied ineinander. Man tanzt« für die Uederschwemmten. Der große, schöne de« Künstlerverein« war gedrängt voll. Damit aber die Sache doch einen etwa« Wohltätigkeit«, fähtgen Anstrich haben sollte, gingen Aufführungen vorau«. Lolo Lüning war unter den Mitwirkenden. die Zeit wachsender Hoffnung und steigender Erwartung auf die Wunder des nahenden Lenzes. Denn dieses Längerwerden der TageSdauer macht sich schon recht deut lich bemerkbar. Seit dem Tiefstände der Sonne zur WtnteranfangSzeit wird es morgens eine Viertelstunde früher Tag und abends gar eine gute halbe Stunde später Nacht. Eine derartige Lichtverlängerung ist im Haushalte der Natur immerhin bemerkenswert, denn sie kommt nicht allein den Menschen, sondern allem Lebewe- sen, die Ltchthungrig und Sonnensreudig sind, zu Gute. Wenn die Tage länger werden, dann gibt das Licht schärfere Konturen. Kräftiger heben sich alle Linien ab, greller kontrastieren die Farben, die fast ausschließlich auf schwarz und weiß eingestellt sind. Das Tierleben schlummert freilich noch immer. Todesstarre hält noch immer das Leben umfangen. Wir wissen, daß das alles nur Schein ist und daß geheimnisvolle Kräfte unter schützen der Hülle fortweben und fortwirken. Aber Auge und Ohr vermögen davon nichts zu vernehmen. Die mensch lichen Sinne sind zu stumpf, als daß sie alle Feinheiten und Tönungen im wechselnden Werdegang der Natur aufzunehmen vermöchten. Wenn die Sonne an Macht und Kraft gewinnt, dann wird des Winters Wüten nicht gar allzuarg mehr empfunden. Wir pflegen uns meist damit zu trösten, daß die uns noch bevorstehenden win terlichen Wochen überwunden werden müssen und daß uns schon das zunehmende Licht genügt, froh und hoffnungsreich in die nächste Zukunft zu ffchauen Und so kommt es, daß die schönen Dichterworte an der Neige des Januarmonats recht behalten, die da lauten: Nun wächst der Tag, nun steigt das Licht Und mächtig fügt sich Stund' an Stunde, — Fügt sich auch noch der Winter nicht, ES stehn doch Lenz und Licht im Bunde! — Die Unsitte, die Zensier der Eisenbahn wagen mit den Vorhängen abzuwischen, mußte ein Reisender mit 6 Mark büßen. Der Reisende, der wieder holt das Zensier mit den Vorhängen abwischte, wurde von einem Bahnbeamten, der im Zivilanzug im gleichen Abteil saß, pflichtschuldigst zur Anzeige gebracht, vielleicht trägt dieser Hinweis auf die Strafbarkeit dazu bei, daß die Unsitte des Zensterwischens unterlassen wird. — Heut vor 125 Jahren am 26 Januar 1786 starb einer der verdienstvollsten Generäle Friedrichs des Großen, der zu Wustrau bet Ruppin geborene HanS Joachim von Zielen. Nicht seiner Heldentaten wollen wir heut gedenken, denn was er bet Hohenfriedberg, in der Schacht bei Prag, bet Leuthen, Liegnttz, Torgau leistete, ist ja zur Genüge bekannt Heut wollen wir nur an eine kleine Episode aus seinem Leben erinnern, d.nn sie charakterisiert am besten den alten Zieten. Als Friedrich der Große ihn an einem Karfreitage zur Tafel geladen hatte, sagte er ab, weil er gewohnt war, an diesem Tage das heilige Abendmahl zu nehmen und den Rest des Tages in Andacht zu verbringen. Als wenige Tage spä ter Zieten eine neue Einladung erhielt und dieser Folge leistete, frug ihn Friedrich der Große: „Nun Zieten, wie ist Ihm das Abendmahl bekommen, hat Er den wahren Leib und das wahre Blut Christi auch ordentlich ver- E» wurden di« beidrn ersten Aufzüge de« „Faust' aufge- führt, mit der Musik de« Fürsten Radziwill. Professor Bulthaupt, der bekannte Dichter, hatte da« Ganze arrangiert; er selbst spielte den Faust mit bekannter Meister schaft. Man beneidet« all« die, dir zur Teilnahme aufgefordert worden waren, und auf diese Weise in den Proben mit dem schwärmerisch verehrten Manne zusammensein konnien. Ein Chor von jungen Damen sang den Ostergesang hinter der Szene. Ein Primaner gab den Wagner, und alle die vielen Personen, die in dem berühmten Osterspaziergang ihre kurzen Lätze zu sprechen haben, wurden von Damen und Herren der Gesellschaft dargestellt. Lolo Lüning beteiligte sich al« eine der Schäferinnen am Reigentanz, Mimi Redlrffien mit ihrer schönen, schlanken Figur stellte eine Patrizierin da*. Sie sah in einem weißen Kleide von weißer Wolle, mit rotem Samt verbrämt, und einem großen, roten Samthut mit vielen wehenden und nickenden Federn wirklich schön und vor nehm au«. Lolo al« Schäferin, wie immer, liebreizenv und harmlo« hingebend, glich mehr einer eben aufgrblühien Knosp«; dabti war fi« lebhaft, beweglich und strahlend vergnügt. Der Ernst jener Wafferfahrt nach den überschwemmten Gehöften schien ihrem Gedächtni« völlig entschwunden zu sein. 8i« war eben eine leicht erregbare, noch gar nicht tief angelegt« Natur. Da« Leben mußt« schon bedeutend stärker anklopfen, ehe «» sie dauernd zum Ernst und zur Ausmerlsamkeit zwang. Sie war aber in ihrer Heiterkeit so bestrickend, daß jede« Auge sich gern an so viel übe, quellender Jugendsrische erfreute. Sie schwamm in einem Meer von Wonne. Trssow mußte sie dann ibenfall« sehen iv ihrem reizenden Kostüm, und dann würde er auch mit ihr tanzen. Diese Aulficht genügte, um sie für viele Tage ge radezu kindlich froh zu machen. Der Festabend kam. Ein voller Saal, erwartungsvolle Menschen, Fächerrauschen, Kleiderrafcheln, strahlende Helle, glänzende Augen und ein Ge- woge von Spitzen und weißen Frauennacken, zu denen die Frack« der Herren eine wirksame Folge abgaben. Ob unter diesen ge- putzten Menschen einer daran dachte, daß die Einnahme den Armen da draußen zugute kommen sollt«, die noch immer halb im Wasser steckten? Da« war auch ein Fluten hier, ein Fluten wie von einem aufgeregten Meer, ein Wellenfluten und Rauschen. baut?" Zieten antwortete darauf mit lauter, fester Stimme: „Ew. Majestät wissen, daß ich im Kriege keine Ge fahr gefürchtet und überall, wo es darauf ankam, ent- schlossen mein Leben für Sie und das Vaterland gewagt habe. Diese Gesinnung beseelt mich auch heute noch und wenn es nützt und Sie befehlen, so lege ich jetzt noch meinen Kopf zu Ihren Füßen aber eS gibr einen über uns, der ist mehr wie Sie und ich, mehr als alle Menschen, das ist der Heiland und Erlöser der Welt, der für Sie gestorben ist und alle mit seinem Blute teuer erkauft hat. Diesen Heiligen lasse ich nicht antasten und verhöhnen, denn auf ihm beruht mein Glaube, mein Trost und meine Hoffnung im Leben und im Sterben. In der Kraft dieses Glaubens hat Ihre Armee mutig ge kämpft und gesiegt; unterminieren Ew. Majestät diesen Glauben, dann unterminieren Sie zugleich die Staats- wohlfahrt. DaS ist gewißlich wahr! Halten zu Gna den!" Die Hofcarchen, die noch kurz zuvor die Worte des Königs bekichert hatten, waren verstummt. Friedrich der Große selbst wurde von diesen Worten seines alten Generals tief ergriffen. Er reichte ihm die Hand und sagte: „Glücklicher Zieten, möchte auch ich es glauben können! Ich habe allen Respekt vor Seinem Glauben; halte Er ihn fest; es soll nicht wieder geschehen!" Män- ner wie Zieten, die selbst einem Könige gegenüber den Mut haben, ihre Ueberzeugung zum Ausdruck zu bringen, sie sind in unserer modernen Zeit leider recht seltene Er- scheinungen geworden. Um so mehr fühlen wir uns aber auch veranlaßt zu gedenken des alten Zieten, der heut vor 125 Jahren von hinnen schied. — Heut vor 40 Jahren am 26. Januar 1871 wurden deutscherseits die letzten Geschosse gegen Paris geschleudert. Die verlorene Schlacht am Mont Valerien, die Beschießung von St. Denis hatten den französischen Befehlshabern die Ueberzeugung verschafft, daß eS nutz los sei noch länger Widerstand zu leisten. Die Pariser Bevölkerung nannte die Generäle Verräter, die Mann schaft feige. Der Vorrat an Lebensmitteln ging zu Ende, nur wenige Tage konnte er noch reichen. So entschloß sich denn JuleS Favre nach Versailles zu begeben, um die KapitulationS-Verhandlungen einzuleiten. Am 23. Januar traf er bei BiSmarck ein. Deutscherseits wurde gefordert, Uebergabe sämtlicher Forts, Uebergabe der Stadt St. Denis und die Entwaffnung der Stadtumwallung. Diese Forderung wurde bewilligt und dafür deutscherseits erklärt, daß es gestattet werde, Lebensmittel nach Paris zu schaffen und daß das Feuer der deutschen Geschütze Einstellung erfahren werde. Und gemäß dieser Verein barung krachte denn auch als die Glocke das Ende des 26. Januars zu verkünden begann, auS deutschen Ge schützen der letzte scharfe Schuß gegen die Hauptstadt der neuen französischen Republik. — (Altersrentenanwärter.) Wir machen darauf aufmerksam, daß die im Lause des Jahres 1911 ihr 70. Lebensjahr vollendenden Altersrentenanwürter an Beitragswochen nachzuweisen haben, wenn sie nach Ein tritt in die Versicherung beschäft gt waren 1. als Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Dienstboten, Handlungsgehilfen und Betriebsbeamte 800 bis 840 Beitragswochen, 2. als HauS- Doch dann ertönt« das Klingelzeichen, und tiefe Stille trat rin. E« war «in Magni«, den „Faust' hier von laute, Dilettan ten aufführen zu lassen und zwar den herrlichsten, den gewaltig sten Teil de« ganzen „Faust'. Aber e« gelang meisterhaft. Wenn Bulthaupt «Iwa» arrangierte, dann mußte e« j, gelingen. Der Vorhang hob sich, und Bulthaupt al« „Faust" sprach mit tiefem Verständni«, mit sonorer, warmer Stimme die ewig herrlichen Goetheschen Strophen. Nach atemloser Still« folgte jubelnder Beifall. Doch da« Beste kam noch, da« Ereigni« der Gesellschaft, der Augenblick, in dem man die Töchter, Schwestern, Freundinnen und — Feindinnen auf der Bühne erblicken würde. Dann konnte man genießen, lobe», bewundern und — kritisieren. Die Operngläser, di« Fäch«r ivaren fortwährend in Bewegung, man tuschelte und lacht«. Voll«r Ernst und andächtige Aufmerksamkeit fanden sich aber erst wieder »in, sobald Faust und Wagner auftraten. Faust- Bulthaupt begann: „Vom Eise befreit find Ströme und Bäche Durch de« Frühling« holden, belebenden Blick.' In Wirklichkeit hielt da« Ei« noch draußen di« Welt in starren Bande«. E« fror wieder, und jene weite Wasserfläche war wieder zu einer festen Decke umgrwandelt, unter der nun erst recht alle« Leben erstarb. Bei den armen Ueberschwemmten stellten sich Krankheit und Seuchen ein. Da« sonnig« Bild, da« Faust« Wort« herauf beschworen, paßte besser in diesen Saal, al« jene« Dunkel, da« von weither hrreinblickte. „Juchhe!" klang'«. Und die Fiedel setzt« «in: Der Schäfer putzte sich zum Tanz, Mit bunter Jacke, Band und Kranz, Schmuck war er angezoge». Schon um die Linde war e« voll, Und alle« tanzte schon wie toll. Juchhe! Juchhe! Juchheißa! Heißa! He! So givg der Fiedelbogen. Da waren die reizenden, jungen Mädchen in ihren farben prächtigen Kostümen, Sie wiegten sich im Reigen unk haschten sich mit den jungen Bauern, sie tanzten und lachten. Und Lolo Lüning war unter allen die munterste.