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Nr. 20. Pulsnitzer Wochenblatt. — Donnerstag, den 16. Februar 1911. Seite 6. folgende ergötzliche Episode: Manches der venezianischen Feste bedeutete zeitweise eine direkte Gefährdung der öffentlichen Ordnung, nie jene berühmte „Fefta delle Marie", die bis zum End- des 14. Jahrhunderts zugleich den wichtigsten Entschluß im privaten Leben des Vene zianers bezeichnete. In den Uranfängen der Republik pflegre man nämlich wie die Taufen auch die Hochzeiten nur einmal im Jahre un Mariä Reinigung zu vollziehen. Die jungen Bräute versammeln sich an dem Tage aus irgend einem Platze, um danach in S Maria Mormosa allesamt ihren Gatten angetraut zu werden. Diese fried liche Zeremonie hatte aber einmal eine recht empfindliche Störung erfahren, denn an dem Hochzeitstag im Jahre 944 waren plötzlich Lriestinische Piraten nach Venedig genommen und hatten gewaltsam die jungen Bräute entführt, noch ehe sich die verdutzten Venezianer zur Wehr setzen konnten. Kaum aber hatte man sich von dem ersten Schrecken erholt, da stürzten auch schon die ent setzten Ehemänner mit dem Dogen Candian III. zur Rache. Die frechen Räuber wurden eingeholt, niedergemetzelt, und im Triumph führten die jungen Venezianer ihre geraubten Frauen heim, um das schönste Hochzeitsfest zu begehen, das vielleicht je die Republik erlebt hat. Zur Erinnerung an diesen Tag wurde eines jener prachtvollen Volksfeste inszeniert, das fortan alljährlich acht Tage hin durch die Venezianer in Atem hielt. Aus den sechs Stadtquartieren wurden je zwei der schönsten Mädchen feierlich vom Dogen selbst ihren Gatten angetraut, und die reichsten Familien der Stadt sahen es dabei als Ehrenpflicht an, jene glücklichen Vertreterinnen ihres Quartiers mit Geld und Geschenken auszustatten. Die achttägige Volksfeter aber, die sich der öffentlichen Zere monie anschloß, artete alsbald in ein allgemeines Liebes- fest aus, das selbst antike Vorbilder in den Schatten stellen konnte. Vergeblich suchten Doge und Signoria durch strenge Dekrete der tollen Ausgelassenheit zu steuern. Eine schwere KriegeSnot im letzten Viertel des 14. Jahr- Hunderts vermochte die alte Tradition zu brechen, von der fortan nichts als die große feierliche Prozession der Dogen nach Santa Maria Formosa an dem Tage von Mariä Reinigung übrigblteb. Kus Sem Serledtssaals. 8 Berlin, 13. Februar. (Die moralische Ohr feige.) Unter dem Titel „Harden und seine Freunde moralisch geohrfeigt" war seinerzeit ein Artikel in der „Wahrheit" erschienen. Dieser gab Anlaß zu einer Pri vatklage, die heute vor der 145. Abteilung des Schöffen- gecichts unter dem Vorsitz des AmtSgerichtSratS Wollner verhandelt wurde. Prioatkläger war der Verleger des „Hannoverschen Courters" Dr. W. Jänicke, angeklagt war der Redakteur der „Wahrheit", Otto Weber. In dem in- kriminierten Artikel war die Behauptung aufgestellt wor den, daß der Privatkläger, der Reserveoffizier war, durch seine Beziehungen zu dem Schriftsteller Maximilian Harden seine Ehre als Offizier verletzt habe und deshalb durch den Obersten Engelbrecht veranlaßt worden sei, seinen Abschied einzureichen. Aus Grund dieses Artikels hat Dr. Jänicke die Prtvatklage angestrengt. Da». Urteil ^-0000190 1V S Der neue Qsutscbs kunQsrtmarkscksin ist dieser Tage in Verkehr ge setzt worden. Die neuen ReichZ- banknoten unterscheiden sich sehr wesentlich von den bis herigen. Sie sind zwar ebenso hoch, nämlich 10,2 cm, aber viel länger, nämlich 20,7 cm. Dem Beschauer fällt zunächst ein weißes Feld ins Auge, das leer erscheint, aber wenn man eS gegen das Licht hält, das Brustbild Kaiser Wilhelms I. erkennen läßt. Ferner gibt es eine andere wichtrge Neuerung. Außer der Kaiserkrone, dem Zepter, Schwert und Reichs apfel und dem Adler, die auf der Note die Macht des Reiches repräsentieren, und den Sinn bildern des Handels, der In dustrie und der Landwirtschaft — dem Merkurstab, Waren ballen, Amboß, Hammer, Zahn rad und Pflug — zeigt der neue Hundertmaikschein zum ersten Male das Meer und drei in voller Fahrt befindliche Kriegsschiffe. So ist auch die deutsche Flotte durch eine sym bolische Zeichnung aus der Reichsbanknote repräsentiert. Die Vorderseite ist mit einem Kopf des Merkur und der Ceres geschmückt, auf der Rückseite sieht man eine Germania mit Krone, Schwert und wappengeschmücktem Schild, hinter der zwei starke Eichenbäume emporragen. Die Nummer der Note ist auf der Vorderseite zweimal, auf der Rückseite dreimal zu sehen. Das Ganze besteht aus geschöpftem Papier; der Druck ist meist bläulicher Kupferdruck. Nur einzelne Zahlen und der Stempel sind rot. lautet auf 900 Mark Geldstrafe und Publikation. Die Verurteilung erfolgte w'gen formaler Beleidigung und weil das Gericht der Ueberzeugung ist, daß von allen Behauptungen der „Wahrheit" lediglich die Tatsache er wiesen sei, daß Dr. Jänicke im Anschluß an die Unter redung mit dem Obersten Engelbrecht seinen Abschied ein gereicht habe. Alles andere sei unwahr. 8 Posen, 14. Februar. (54 ooo M k. Geldstraf e.) Die Strafkammer in Gnesen verurteilte den Kaufmann Gobelick wegen Doppel- und Ueberverstcherung seines Geschäfts zu 54 000 Mark Geldstrafe. Der Staatsan walt hatte 114 000 Mk. Geldstrafe beantragt. 8 Ei -- e B e sti m m u n g S z e n s ur fochten am 3. De- zember vergangenen Jahres zwei Leipziger aktive Korps studenten gegeneinander aus, der 8iuck. jur. Kaiser aus Bautzen und der stuck, jur. Arno Hesse, der erstere Ange höriger des Korps Budtssa, Hesse aktiv beim Korps Thuringa. Hesse wurde abgestochen, er hatte "eine so erhebliche Ab fuhr über den Kopf bekommen, daß die Mensur damit zu Ende war. Bis zum 9. Dezember hatte Hesse keine besonderen Beschwerden von dem Schmisse, dann aber verschlimmerte sich der Zustand der Wunde derrnaß n, daß er sich in das Krankenhaus ausnehmen ließ, wo er drei Tage darauf starb und zwar an Blutvergiftung. Als Kaiser von diesem AuSgang hörte, machte er sofort bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen sich. Er hatte sich gestern vor der Strafkammer des Landgerichts wegen Zweikampfs mit tödlichen Waffen zu verantworten. Dr Langbein, Assistenzarzt am Krankenhaus, der Hesse be handelt hat, erklärte, daß Blutvergiftung die Todesursache gewesen sei, man könne aber nicht bestimmt sagen, ob die Blutvergiftung mit der Mensurveiletzung im ursäch lichen Zusammenhang stehe. Der Angeklagte wurde zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. verNnsr Sstrsidsbörss. Die mildere Witterung hatte Verkäufe in Weizen und Rog gen im Gefolge und waren die Kurse daher etwas schwächer. Ha fer behauptet, Gerste fest, Mais vernachlässigt und Ruböl ziem- lieh fest. Wettervorhersage der Kgl. S Landeswetterwarte z» Dresden. Freitag, den 17. Februar 1911. Süd-West Winde, wolkig mild, kein erheblicher Niederschlag. Magdeburger Wettervorhersage. Freitag, den 17. Februar 1911. Wechselnd bewölkter, teilweise heiteres Frostwetter, im Norden vereinzelt etwas Schnee, sonst verwiegend trocken. MrcLrNÄrs Nackricktsn. Pulsnitz. Sonnabend, den 18. Februar, 1 Uhr Betstunde. Pastor Resch. Sonntag, den 19. Februar, Sexagesima: r/,9 Uhr Beichte l Pfarrer 9 „ Predigt (Marc. 6, 14—29) j Schulze. r/,2 „ MtssionSstunde. Pastor Resch. 3 „ GotteSdienst in der Schulr zu Ohorn (Marc. 2,1). Pfarrer Schulze. 8 „ Jünglings- und Männerverein. AmtSwoche: Pastor Resch. Mittwoch, den 22. Februar, abends 8 Uhr Bibel stunde im Konstrmandenzimmer (Jak. 5, 16—20). Pastor Resch. Donnerstag, den 23. Februar, abends 8 Uhr Bibel stunde in der Schule zu FciederSdorf. SrotznaunDork. Freitag, den 17. Februar, abends 8 Uhr, Bibelstunde im Psarrhause. Leutnant von Teffow war ein guter Fußgänger. E» interes sierte ihn, jetzt den Weg zu Fuß zu gehen, den er damals im Winter unter erschwerenden Umständen im Kahn durch die Fluten de» Hochwasser« zurückgelegt hatte. Auch di, Wafferfahrt mit Lolo stand während der Wanderung lebhaft vor seiner Keele. Seit dem Sommer hatte er sie nicht gesehen. Sie war im Seebade gewesen und erst vor kurzem zurückgekehrt, Die Wmtersaison stand vor der Tür. Er hoffte, daß er sie Wieder sehen würde, bald und oft. Da winkte von weitem da« neue Hau«, die Dachbalken standen, bald sollte ein Kranz seinen Giebel zieren. Er schritt rascher au«. Die Gäste schienen bereit« vollzählich versammelt; wenigsten« sah man deutlich eine Anzahl städtisch gekleideter Menschen neben der Truppe der Bauhandwerker, die zum Teil ihr Arbeitszeug trugen. Man schien nur auf ihn zu warten. Alle» stand vor dem Hause und betrachtete die an allen Bäumen sichtbaren Merkmale der Flut. So hoch also hatte da« Wasser gestanden! Eine junge Dame war dabei, die Teffow den Rücken zukehrte. Die Gestalt war ihm bekannt, aber e« war doch nicht möglich, daß die« Lolo Lüning sein konnte. Und doch! Jetzt wandte sie ihm da» Profil zu. Wirklich, sie war e» l Selten glücklich begegneten sich Wirklichkeit und Wunsch. Fast wäre er gelaufen wie rin Junge, aber man hätte ihn sehen können, und da« Laufen stand doch eigentlich einem Leutnant nicht an. Irgendwie mußte er aber seinen Jubel Luft machen. Da nahm er einen Graben im Sprung. Trineli knickste glückselig, al« er vor dem Hause anlangte. Selbst der Alte knurrte etwa«, da« wie eine freundliche Be grüßung klang. Er konnte die anderen nur kurz begrüßen, da die Feierlichkeit sofort nach seinem Erscheinen ihren Anfang nahm. Zunächst wurde der Kranz hinaufg,zogen auf de« Dache« Tiebel. Bunte Bänder flatterten lustig daran im Winde. Der Baumeister sprach einen kurzen SegrnSipruch. E» wurde: „Nun danket alle Gott" gesungen und dann der Einweihung«trunk gereicht. Da di« Anwesenden all« wußten, wie da« alte Hau« zugrunde gegangen war, machte die Feier einen tiefen Eindruck Alle Herzen vereinigten sich in dem Wunsch, in der Hoffnung auf Sötte« Hilfe, damit da» Hau» fortan gesichert stünde in Not und Gefahr. 8 Der Feier folgte ein vergnügte» Mahl in der ebensall« neu erbauten, aber schon gedeckten Scheune. Hier stand die Tafel auf dem Scheunenflur, und Trineli machte auf da» ein- ladenvstr die Wirtin. Sie sah Leutnant von Teffow dabei mit so unverhohlener Bewunderung an, daß Lolo bald merkte, wie sehr man ihn hier al« Retter verehrte. Sie wäre kein Weib gewesen, hätte sie sich nicht in dem Gedanken außerordentlich geschmeichelt gefühlt, daß dieser Held und Retter sie liebte. Aber war e« wirklich noch so? Hatte sie ihn nicht damal« mit ihrer Abweisung für immer vertrieben? Er war ihr mit ehrfurchtsvollem Gruß genaht, j hatte sie dann aber scheinbar nur wenig beachtet. Vielleicht liebte er sie gar nicht mehr? Wa» war sie doch damal« für ein törichte«, dumme» Kind grwesen l Sie hatte ihn ganz gewjß beleidigt. Und nun sah sie, wie leicht er e« hatte, die Liebe eine« Mädchen« zu gewin nen, wenn er nur wollte. Lolo wurde e« heiß und kalt. Sie sah verstohlen zu ihm hinüber. Da traf sie gerade einen Bück von ihm, de, suchend zu ihr herüber geflogen war. Und in dem Blick stand olle«! — Nach dem Essen wollte sich der Senator noch gern die neue Kuh ansehen, und Trineli mußte unbedingt der Senatorin di« au« d«r Ueberschwemmung g«r«tt«te Zirgr zeigen. Sie hatte auch Teffow« Schützling, den weißen Hühnerhund, in Pflege ge nommen. Und ihre Hühner mußte sie auch noch heramufen. Der Baumeister sprach mit dem alten Belmg. Die Arbeiter saßen abseit« um ein Faß Bier. „ Wa« blieb da ander« übrig» al« daß Leutnant von Teffow sich Lolo anschloß und mit ihr in den Garten hinau»ging I S,c wanderten durch die geraden Wege, die von Stoch,lbeerbü.chen eingefaßt waren. E« war zwar nur «in einfacher, ländlich«! Obst- und Gtmüsegarlen, d«r sich ohnehin noch nicht von d«n Schäden der Ueberschwemmung erholt hatte. Und Herbst war e« auch, da« Laub war zum Teil schon abgesallen. Und doch schien e« Lolo ein köstlicher Frühlivg«tag zu sein. Am Ende de« Garten» stand eine Laube. Die Bank war neu gezimmert. Selbst hier fehlte die heim lich traute Poesie de« Alter« und der Schönheit. Und doch war noch kein Ort so schön, so traut w>- di«^ Laube, denn hi«, ward Lolo Lüning Alexander von Trssow» Braut! * * „Prosit, Teffow, auf JhrllLohl!" Der lange Leutnant Wrrmtfeld hielt sein Gla» hoch und trank dem Kameraden zu. Man war bei einer Bowle ver sammelt, die Teffow zur Feier seiner Verlobung gab. Die Fidelität war schon auf einen sehr hohen Grad gestiegen. Be sonder« der lange WermSseld stieß in einem fort mit allen an. Auch Trssow war schon ziemlich animiert und ebenso fast alle anderen. Nur Leutnant Mühldö-ffer war noch sehr ruhig. Er blieb sich stet« gleich in seiner «in bißchen ernsthaft dozieren den Art. Eben rief Wermlfeld: „Zum Donnerwetter, Mühldö-ffer. kommen Sie doch endlich auch mal aus Ihre: Barrnruhr herau»! Ist ja langweilig, wenn einer immer so zugeknöpft bleibt!" „Na, Kinder, ihr seid j» mobil genug. Laßt mich man noch den Verstand behalten!" WermSfeld lacht« dröhnend auf. „Verstand? Hab' rch auch schon noch, sollt« ich meinen l Da, unser Gast, Tcffow« zukünftiger Schwager, der fällt bald ganz ab, er zwinkert schon mit ganz kleinen Aeuglein." Er deutete auf Referendar Lüning, der zu der Verlobung«« feier seiner Schwester von Hannover herübergekommen war und der fchon ziemlich müde aussah. Werm«f«ld selbst rückte sich einen zweiten Stuhl heran, legte sein« langen Beine darauf und blik« behaglich kunstvolle Rauchwölkchen in die Lust. „Sagen Sie mal. Tissow," fing er dann wieder an, „wa« sagt denn die schön« B«g zu ihrer BräutigamStolle, äh?* „Die schöne Berg," lachte ein anderer der Herren. „Habe bi« jetzt immer nur gewußt, daß schön« Berg« männlich sind! ' »Falsch gedacht, mein Lieber! Sind st« lang, nicht immer! '« gibt doch 'ne „Jungfrau in der Schweiz und einen, der heißt „Rosa". Smd also weiblich! Und dann gibt e« auch schöne"weibliche Berge da oben in Pommernland." (Fortsetzung folgt.)