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Postverlagsort: Bad Liebenwerda Monatsschrift für Garten- und Blumenkunde Vereinigt mit den Veröffentlichungen der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft Schriftleitung: Dr. Robert Zander, Berlin 86. Jahrgang November 1957 Heft 11 Merkwürdigkeiten über Orchideen (Hierzu unser Titelbild — Aus dem Archiv des Botanischen Museums in Dahlem) Bei der reichen Ausgestaltung der Orchideen- blüte in Form und Färbung ist es nicht schwer, bei vielen Arten in der Blüte Ähnlichkeiten mit den verschiedensten Dingen zu entdecken. Solche Ähnlichkeiten, besonders mit Tier- oder Menschen- körpern oder -körperteilen, sind schon im 16. Jahr hundert aufgefallen und öfter in den wissenschaft lichen oder volkstümlichen Namen zum Ausdruck gebracht worden. So zeigen phrys-Arten bekannt lich in Lippe und Säule mehr oder weniger deut- lichIInsektengestalten (O.apifera, von apis = Biene; O. muscffera, von musca = Fliege, usw.); bei ceras und einigen Orchis vergleicht man die Lippe mit einem Menschen oder Affen (Äceras anthro- pöphora, von anthropos = Mensch; Örchis simia, von simia = Affe). Von tropischen Orchideen seien nur Peristeria eläta (peristera = Taube), Oncidium papilio (ppilio = Schmetterling) und Cycnches (kyknos = Schwan) in diesem Zusammenhangerwähnt. Unsere Abbildung zeigt eine Probe aus einer Samm lung übertriebener Darstel lungen solcher Fälle, die der königlich polnische Leibarzt Martin Bernhard von Berniz zusammengetragen und in den Miscellanea curiosa (Dekade 1, Jahrg. 2, 1688), der Zeitschrift der Deutschen Akademie der Naturforscher, veröffentlicht hat. Die dar gestellte Pflanze war im königlichen Garten in War schau ans einer aus Rom erhaltenen Knolle gezogen worden. Bei Athanasius Kircher (De mundo subterraneo, 1678) findet sich ein Versuch, diese Ähnlichkeiten zu erklären. Kircher nimmt an, die Orchi deen entständen aus tieri sch em Zeugungsstoff, der beim Tod der Tiere oder bei der Begattung zufällig in die Erde gelange, oder es bestände eine Beziehung zu den Insekten, die (nach damaliger Anschauung) gewöhnlich aus Tierleichen hervorgingen. Die Blüten wären eben den Tieren ähnlich, aus deren Zeugungsstoffen die Pflanze jeweils entstanden sei. Eine ähnliche Angabe findet sich schon hundert fünfzig Jahre früher in dem Kräuterbuch des Hieronymus Bock, der die Orchideen aus Aus scheidungen von Drosseln und Amseln entstehen läßt. Ob diese Auffassung noch weiter zurück- geht, ist mir nicht bekannt. Auch in dem 1750 herausgegebenen Werk von Rumpf über die Pflan= zen von Ambon (Herbarium amboinense), das vor 1700 geschrieben wurde, wird im Anschluß an Kircher Grammatophyllum scriptum, eine der größ ten epiphytischen Orchideen, auf Tauben zurück geführt. Solche Vorstellungen waren nur möglich, solange man über die Keimung der Orchideen nichts wußte. Die bekannt- lieh sehr kleinenKeimpflanzen von Orchideen hat Salisbury 1802 zuerst beschrieben und abgebildet. Bei einigen Orchideen hat, worauf in diesem Zusammen hang noch kurz hingewiesen werden muß, die zufällig entstandene Insektenähnlich keit der Blüte für das Leben der Pflanze Bedeutung ge wonnen. FürArten vonöphrys im Mittelmeergebiet und von Cryptostylis in Australien haben Pouyanne (1917) und Frau E. Coleman (1927) fest gestellt, daß die Blüten von gewissen Insekten besucht werden, die mit den Blüten eine in manchen Fällen aber nur geringe Ähnlichkeit zei gen, und zwar nur von den Männchen. Die von anderer