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Fritz Kallenbach: Schlafende Blumen — Vom pulsenden Pflanzenherz. Wie bei den Menschen das Licht helle und freudige, die Dämmerung und Dunkelheit verdüsternde und einschläfernde Wirkungen auslöst, so beobachten wir ähnliche Vorgänge bei den Pflanzen und Blumen. Wald und Wiese, jeder Garten und schließlich auch unsere Blumenveranden und Balkone bieten hierzu reichlich Gelegenheit. Morgens, wenn das Tagesgestirn seine Strahlen emporschickt, öffnet die Blüte ihren Kelch und wendet sich der hellsten Beleuchtung zu, im Lauf des Tages folgt sie dann der Sonnenbahn, so daß die geöffnete Blüte in der Mittagszeit nach Süden, gegen Abend nach Westen gerichtet ist. Viele Blumen zeigen überhaupt ein regelmäßiges Schlafbedürfnis — das Einschlafen in der Abendzeit und das Er= wachen am Morgen — sehr deutlich. Ein Beispiel einfachster Art, das leichte Beobachtung bietet, ist unser bescheidenes Gänseblümchen im Rasen,- auch der Löwenzahn schläft und öffnet seine gelben Blumen sehr pünktlich und vollständig. Bei den Blüten des Immergrüns und ganz besonders bei den Blüten der verschiedenen Windenarten können wir diese Erscheinungen in auffälligster Weise wahr» nehmen. An trüben und regnerischen Tagen schlafen manche Blumen sogar tagsüber weiter, ohne ein Erwachen zu zeigen. Wenn die Gebirgswiesen und Hänge mit den schönen blauen Blumen des Enzians übersät sind, stehen bei Sonnenschein die Kelche alle weit offen, bei Regenwetter oder naßkalter Witterung bleiben die Blüten oft tagelang vollkommen geschlossen. Die Pflanzenphysiologie hat sich mit den Rätseln des Pflanzen» und Blumenschlafs vielfach ein» gehend beschäftigt. Interessant sind die Fragen, ob die Veränderungen etwa durch die herrschende Temperatur oder allein durch die Lichtstärke herbeigeführt werden. Zum Teil stellen die Erscheinungen auch einfache Abwehrmaßnahmen dar, womit sich die Blumen gegen die Einwirkung von Kälte und Nässe schützen, indem die Blätter der Blüten die mit dem Sonnenuntergang verbundene Abkühlung durch das Zuklappen bzw. Zudecken der inneren Organe fernhalten. Die wunderbaren Eigenschaften der „Rose von Jericho“, deren zusammengerollte Blätterknäuel wie abgestorben scheinen und im Wasser wieder vollkommen aufleben, gehören gleichfalls mit zu diesen interessanten Pflanzenwundern. Auch einige moosartigen Selaginellaarten aus Peru und Mexiko und eine Mesembrianthemumart, die „Rose von Kandia", besitzen ähnliche Eigenschaften,- der Volks» münd bezeichnet diese Gruppe von sonderbaren Gewächsen vielfach mit dem Namen „Auferstehungs» pflanzen“. Die „Rose von Jericho“ stammt aus dem Norden Afrikas, auch in Kleinasien und in Palästina ist sie beheimatet. Wie ein Wunder staunt man noch heute diese Pflanzen an, die schon die Pilger und Ritter der Kreuzzüge im 11. —13. Jahrhundert kannten und teilweise als Wappenzeichen führten. Durch Wissenschaft und Technik ist man vielseitig bemüht, die Lebensvorgänge in der Pflanze zu klären, das Seelenleben zu erforschen, Den Anfang des Ergründens der Pflanzenrätsel bildet die Klärung der Säftebewegung. Das Herz der Pflanze ist nicht ein Muskel, sondern ein Säftestrangsystem, welches durch alle Teile des Aufbaues geht, — ein pulsierendes Organ, das ähnlich dem Herzen bei Mensch und Tier in pulsierenden Schlägen den Saft durch die inneren Teile treibt. Jagadis Chandra Bose, ein indischer Forscher, hat sich bemüht, das Herz der Pflanze — die im Pflanzenkörper enthaltenen elektrischen Ströme und ihre Bewegungen — zu messen und erfand hierzu einen besonderen Apparat, den Crescograph, welcher die elektrischen Vorgänge im Pflanzen» körper, vielfach vergrößert, dem menschlichen Auge sichtbar macht,- durch seine Hilfsmittel hat er fest» gestellt, daß die Pflanzenzelle in einem gewissen Rhythmus pulsiert, soweit lebende Teile der Pflanzen damit untersucht wurden. In toten, abgestorbenen Teilen zeigt der Apparat keinerlei Reaktion. Holz» gewebe und Oberhaut sind ohne Lebenstätigkeit, dagegen arbeitet die Rindenschicht, das weitere Zellen» System, in der Art, daß alle vierzehn Sekunden die Zelle sich einmal ausdehnt und wieder zusammen» zieht, Wasser von der nächstliegenden Zelle aufnimmt und während der Zusammenziehung wieder abgibt. Die Lebenstätigkeit wird beeinflußt durch Wärme und Kälte, Licht und Dunkelheit, in beschleunigter oder verlangsamter Art. Die Erfolge oder Nichterfolge der bisher angewandten Vorbehandlung der Pflanzen bei den ver» schiedenen Treibverfahren und Zurückhalten von Vegetationstrieben durch Wärme und Kälte, Bäder,