Tagebuch Yro n. Dieser leidenschaftliche Phantasie-Poet ist ein Gat tungsvertreter geworden: er und seine Geistesverwandten stellen sich dem Materialismus des 19. Jahrhunderts scharf, ja feindselig gegenüber. Von Goethes „Werther", von Rousseau und Ossian geht diese Stimmung aus. Sie äußert sich in Chateaubriands „Atala", in Muffet, in Lamartine; unser Hölderlin („Lyperion") gehört in diese Wellenschwingung; die Romantik, Jean Paul und schließlich der „Weltschmerz" (Lermontoff, Puschkin, Leopardi) sind Äußerungen der empfindlich getroffenen tieferen Seele der Mensch heit — die sich in solchen Erscheinungen vergebens vor der Wucht ihrer praktischen, industriellen, politischen, technischen Aufgaben sträubt. Diese Poeten — als ihr größter der Normanne Byron, dessen Mutter eine Schottin war — wollen ihre Zeit überfliegen, das Land der Schönheit mit der Seele suchend. Chateaubriand und der größere Teil der Romantik rettet sich in die katholischen Formen des Christentums. Byron verblutet einsam im aufständischen Hellas als Führer einer Suliotentruppe. Er ist der Erfüller dessen, was Hölderlins „Lyperion" mit ganz erstaunlichem Instinkt vorausgeahnt: er kämpft für ein ört liches Lellas, meint aber das Land der Schönheit und Freiheit über- Haupt — er zieht das Schwert und stirbt im Fieber, da er mit geistigen Waffen sein unbarmherzig nach andrer Seite wuchtendes Zeitalter nicht umstimmen kann. Lier eine Zwischenbemerkung: Wir müssen uns endlich entschließen, mit unseren bloß „deutschen Literatukgeschichten" zu brechen. Besonders die Neuzeit — vom friederizianischen Zeitalter ab — verlangt eine ver gleichende Literaturgeschichte, in die sich die deutsche eingliedert. Höl derlin z. B. ist ohne die gesamt-europäische Stimmung nicht begreiflich.