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159, 13. Juli. Nichtamtlicher Theil. 2543 der gänzliche Wegfall des Rechtes der Beschlagnahme. Dadurch, daß wenigstens ganz bestimmte Kategorien von Prcßvergehen im voraus als solche bezeichnet sind, wegen deren allein eine Beschlag nahme ohne richterliche Anordnung vollzogen werden darf, ist wenigstens eine Schranke dem oft allzu willkürlichen bloßen „Poli zeilichen Ermessen" gezogen, die bis jetzt in keinem deutschen Staate bestand. Die sonstigen Garantien gegen zu leichtfertige oder in Bezug auf das wcgzunchmende Object über das Maß des Nothwendigen hinausgehende Beschlagnahmen, welche die HH. 24—28. enthalten, sind gewiß dankbar zu begrüßen. Hoffentlich wird man überhaupt in allen deutschen Staaten von der süßen Gewohnheit des Beschlagnehmeus von Preßcrzcng- uissen immer mehr zurückkommen (wie das z. B. in Sachsen bereits seit lange geschehen ist) und höchstens in allerextremsten Fällen einmal zu diesem selten wirksamen und jederzeit gehässigen Mittel greifen. Ein anderer Fortschritt wenigstens für die meisten deutschen Staaten (das preußische Preßgesetz war merkwürdigerweise fast das einzige, welches diesen Fortschritt schon enthielt) ist die Bestimmung in tz. 22. über die Verjährung der durch die Presse begangenen Verbrechen und Vergehen. Nach dem sächsischen Preßgesetz ver jährten nur preßpolizeiliche Uebertretungen und entfielen nach einer gewissen Frist die in Art. 20. vorgeschriebenen außerordentlichen Strafen — nicht aber die ordentlichen — für Prcßvergehen. Wichtig ist ferner, daß (nach H. 4.) eine Entziehung der Be- fngniß zum selbständigen Betriebe irgend eines Prcßgewerbes oder sonst zur Herausgabe unv zum Vertriebe von Druckschriften künftig auch nicht mehr im richterlichen Wege stattfinden kann, was die Deutsche Gewerbeordnung noch zulicß. Und endlich ist der Berichtigungszwang zwar beinhalten, aber wenigstens etwas anders als in den meisten deutschen Preßgesetzen geregelt, so zwar, daß die Tagespresse mehr als bisher vor Chica- nirung damit geschützt wird. So viel über die Vortheile der neuen Preßgesetzgebung. Von den Punkten des Gesetzes, welche nicht so freisinnig, wie zu wünschen gewesen wäre, ja weniger freisinnig ausgefallen sind, als die entsprechenden Bestimmungen mancher der neuesten deutschen Landesgesetze über die Presse, erwähnen wir nur kurz einige minder bedeutende, so die obligatorische Nennung des Druckers und Ver legers auf jeder Druckschrift (während das sächsische Preßgesetz sich mit der Nennung des einen von beiden begnügte), und die im Reichs gesetze ausgestellten (dem sächsischen Preßgesetze ebenfalls fremden) Vorschriften wegen der Qualification eines verantwortlichen Rc- dacteurs re. Die wegen llebertretung preßpolizeilicher Vorschriften an gedrohten Geld- und Gefängnisstrafen (tz. 18.) sind bedeutend höher als z. B. die im sächsischen Preßgesetze von 1870 normirten; jene gehen bis zu 1000 Mark und sechs Monaten Gefängniß, während diese nicht über 50 Thlr. (150 Mark) und .vier Wochen ansteigen. Selbst das alte sächsische Preßgesetz (von 1851) ging nicht über 100 Thlr. und zwei Monate Gefängniß. Wir haben es zwar als einen Fortschritt bezeichnet, daß das Reichs-Preßgcsetz den Berichtigungszwang wenigstens einigermaßen (besonders durch schärfere Definition dessen, was unter diesem Titel ausgenommen werden muß) beschränke. Dagegen müssen wir cs als einen Mangel rügen, daß dem Redacteur einer Zeitschrift in dem Gesetze gar kein Mittel gegeben ist, um eine zwar als „Berichtigung" auftretende, aber nachweislich unrichtige Darstellung eines That- bestandes zurückzuweisen. Die in Vorschlag gekommene Berufung an ein Gericht (nach dem Vorgänge des badischen Gesetzes) hat man nicht ausgenommen. Nach ß. 19. soll in den Fällen, wo Jemand sich der Aufnahme einer solchen angeblichen Berichtigung „im guten Glauben" geweigert hat, demselben zwar keine Strafe angesonnen, allein dennoch die nachträgliche Aufnahme angeordnet werden. Damit treten alle die Ncbelstände wieder in den Vordergrund, welche der Berichtigungszwang erfahrungsmäßig insofern hat, als es mittelst desselben Jedermann möglich wird, auch die bestbegrün- dctcn Mittheilungen wenigstens für den Augenblick zu entkräften, indem er in der Form einer „Berichtigung" sic einfach für falsch erklärt, womit er, auch wenn nachträglich die angebliche „Berich tigung" als selbst wahrheitswidrig erwiesen wird, doch oft seinen Zweck erreicht hat, z. B. den der Beeinflussung einer Wahl. Der Bericht der vorjährigen Reichstagscommission hat sich darüber des Weitern verbreitet, und die damalige Commission hatte deshalb auch den Bcrichtigungszwang überhaupt mit großer Mehrheit ver worfen. Ein weiterer Mangel des Gesetzes ist es, daß cs das so wichtige Mittel der Verbreitung von Druckschriften, das Placatwescn, gar nicht allgcmcingültig regelt, vielmehr die Bestimmungen darüber der Landesgesetzgebung überläßt. Der Grund davon ist darin zu suchen, daß man die sehr strengen Normen der preußischen Preßgesetzgebung (wonach eigentlich politische Placate gar nicht gestattet sind) ebenso wenig aus andere Bundesstaaten, wo in dieser Beziehung bereits eine größere Freiheit besteht (z. B. Sachsen, Thüringen), anzuwen den sich getraute, als umgekehrt die Preußische Regierung von jenen Normen für den Bereich ihres Staatsgebietes etwas Nachlassen wollte. Einer der Cardinalpunktc jedes Preßgesetzcs ist bekanntlich die Frage wegen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der bei Herstel lung und Verbreitung eines Prcßerzeugnisscs Betheiligten. Wir können mit der Fassung, welche dieser Punkt im Reichstage erhalten hat, nicht einverstanden sein. Der Vorschlag der Regierungen, der mit dem Vorschläge der vorjährigen Commission des Reichstages fast identisch war, hätte uns mehr befriedigt, und zwar aus dem Grunde, weil dadurch jeder chicanösen Untersuchung wegen der Theilnehmer- schaft vorgebeugt worden wäre, während doch auch den Anforderun gen der Strafjustiz genügt wurde. Denn danach war jedesmal Einer da, der dem Gerichte hastete, entweder der genannte Verfasser, oder Derjenige, der freiwillig an dessen Stelle die Verantwortung auf sich nahm, alle Andern aber gingen vollkommen frei aus und konnten nicht einmal in Untersuchung genommen werden. Damit konnten beide Theile, der Staat als Wächter des Gesetzes und die Presse, zu frieden sein. Nach der jetzigen Fassung dagegen ist das ganze System der strafrechtlichen Haftung, welches sie aufstellt, ein äußerst complicirtes und darum zu mancherlei Rcchtsunsichcrhciten und folglich auch (wenn man darauf ausgeht, die Presse zu chicaniren, was ebenso gut einmal wieder Vorkommen kann, wie es früher vorgekommen ist) zu mancherlei Vexationen Anlaß gebendes. Da wird zuerst der Verfasser ausgemittelt. Auch wenn dieser genannt und vor einem deutschen Gerichte bclangbar ist, soll gleichwohl in der Regel auch der Redacteur (bei einer periodischen Schrift) ebenso hart wie der Verfasser selbst („als Thätcr") bestraft werden, während nach allen uns bekannten Preßgesetzen er nur als Theilnehmer bestraft wird. Nur „besondere Umstände" sollen „die Annahme seiner Thäterschaft ausschließeu". Welches diese sind, ist nicht gesagt; wir fürchten, es wird sich darüber manche Controverse entspinnen.*) Dazu kommen dann noch die aus den Landes-Preßgesetzen her- *) lieber diese und andere nicht ganz klare Punkte in dem Gesetze wird hoffentlich der Commentar Ausschluß geben, welcher dazu in nächster Zeit aus dem Verlag von Palm L Enke in Erlangen zu erwarten ist von Seiten eines namhaften juristischen Mitgliedes der Reichstagscom mission, des königlich sächsischen Generalstaatsanwalts Or. Schwarze. 340*