Volltext Seite (XML)
IV. Dom Dorstellungsleben der Seele. Wenn wir uns an einen längs verstorbenen Derwandten zurückerinnern, so behaupten wir öfters, wir Fönnten ihn uns noch recht gut „vorstellen", wie er aussah, wie er ging und stand, wie er sich zu tragen oder wie er zu reden pflegte. Zicht feiten auch haben wir uns aus Alitteilungen, die uns gemacht wurden, ober aus Sebensäuszerungen einer Persönlichkeit eine „Dorfteilung von ihr gebildet“, ehe wir fie non Aluge zu Aluge kennen lernten. Xlicht alle Pfychologen halten den gewöhnlichen Sprach- gebrauch feft. Diele haben bas Wort gan allgemein gleich- finnig mit „Bewusztseinsinhalt" genommen, verleitet durch bas vorzugsweise von Engländern verwendete Wort „dee“ (idea), bas fie am besten mit „Dorstellung" 311 übersetzen glaubten. Andere verstehen barunter alle psychischen Dorgänge, bie sich auf einen Gegenstand beziehen; fie unterscheiden sinnliche Dahr- nehmungsvorstellungen und Phantasievorstellungen. Hier f ollen weder bie Bewusztseinsinhalte überhaupt noch im besonderen bie Sinneswahrnehmungen mit zur Darstellung gelangen, son- bern nur Dorstellungen, als solche psvchische Dorgänge, bie um freie Gedächtnise ober irgend wie freiere Phantasiebilder 311m 3nhalte haben. Dergleicht man treue Gedächtnisbilder mit freieren Phantasiebildern, fo erhellt, daß auch bie Dorfteilungen sich aus einfacheren pfvchischen Cätigkeiten zusammenbilden; benn jedes Phantasiebild setzt sich aus Ceilgliedern verschiedener Gedächtnisbilder zusammen. Der Pegasus, bas Ros mit den klügeln, bie Chimäre, bas Untier mit Eöwenkopf, Biegenleib und Schlangenschweif, unb eine ganze Rotte von anderen Fabel- wesen wie Sirenen, Hippogryphen, Satyrisken, sind bie viel« berufenen Beispiele für bie allgemeinere Beobachtung, daß bis jetzt durch feine Kunst unb Phantasie ein Gebilde erfunden mürbe, dessen Ceile nicht irgenb einmal früher sinnlich wahr- genommen unb bann bei ber Entstehung des fabelwesens wieder erinnert wurden. Ulan durchgehe bie phantastische Kunst aller Dölfer unb Seiten, vergleiche bie Xatur, in ber bie Dichter unb 2Taler lebten, ober auch bie Literatur unb bie Dorbilber, von benen fie abhängig fein konnten; unb man wird über bie lnfähigkeit ber menschlichen Phantasie zur selbständigen Er- zeugung von Bildern staunen. Jhre Grosztaten bestehen nicht im Erschaffen des 2Taterials, sondern im Ergreifen unb in ber