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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 27.08.1920
- Erscheinungsdatum
- 1920-08-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-192008274
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19200827
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19200827
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-08
- Tag 1920-08-27
-
Monat
1920-08
-
Jahr
1920
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 27.08.1920
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fi« auch sein mögen, rücksicht»lo» und obne Gnade verfolgen werde. Alle diejenigen, dir den Frie den und die allgemeine Ordnung stören, revölu. tionäxe Komplott« versuchen, offen oder heimlich zum Widerstand gegen die Verwaltung aufhetzen, sollten aufs strengste bestraft werden. Der Zustand, in dem sich heute das Land be findet, steht mit dieser Kundgebung in Wider- spruch. Er widerspricht aber auch dem Vertrag von Versailles, nach dessen Bestimmungen die interalliierte Kommission die, Pflicht hat, das Land zu schützen, die Ordnung aufrechtzuerhalten und die Bewohner vor Schaden an Leben und Eigen tum zu bewahren. Wiederholt hat die deutsche Regierung die Aufmerksamkeit der interalliierten Kommission und der verbündeten Hauptmächte aus die Bewaffnung der polnischen Vereine gelenkt. Sie hat durch authentische Dokumente den Nachweis erbracht, daß von pol nischer Seite, offenbar um die Abstimmung zu vereiteln, eine gewaltsame Erhebung vorbereitet wurde. Sie bedauert, seststellen zu müssen, daß ihre Wahrnehmungen unbeachtet blieben und so die augenblicklichen Zustände ermöglicht wurden. Die Erregung der Bevölkerung, die sich dem Terror einer bewaffneten Minderheit preisgegeben sieht, wächst und kann zu Folgen von unabseh- barer Tragweite führen. Tie Möglichkeiten zur Einwirkung sind für die deutsche Regierung ge- ring, da ihr der unmittelbare Verkehr mit dem Abstimmungsgebiet versagt wird. Von den ihr gebliebenen beschränkten Möglichkeiten macht sie Gebrauch, um eindringlich zur Ruhe und zur Besonnenheit zu mahnen. Ihre Mahnungen wer- den aber aus die Dauer nur dann Erfolg ha- ben, wenn in der Bevölkerung das Vertrauen auf Recht und Gerechtigkeit wiederhergestellt ist. Dazu ist erforderlich, daß die einheimischen Insurgenten vollständig entwaffnet und die über die Grenze eingedrungencn Un- ruhestifter des Landes verwiesen werden, die Sicherheit?Pclizei wieder in ihre Rechte ein gesetzt und ' die Verwaltung der insurgierten Kreise und Orte den gesetzmäßigen Behörden zurückgegeben wird. Rasches Zugreifen ist nötig. Auch kommt cs darauf an, daß die Anordnungen der obersten Stelle von allen Organen gewissenhaft befolgt werden. Wirksame Maßnahmen gegen eine Wie derholung der sich jetzt abspielenden Ereignisse sind unerläßlich. Die alliierten Mächte werden dem deutschen Volke nicht zumuten wollen, schweigend mit an zusehen, wie die Deutschen in Oberschlesien ver- gewaltlgt werden. Das Recht und die Pflicht der deutschen Regierung ist es, sich zum Spre cher des verletzten Volksempfindens zu machen und darauf zu bestehen, daß das eng mit dem übrigen Reiche verwachsene Land im Einklang mit den bestehenden Verträgen behandelt und ver waltet wird. SIMM d« VorwarWr. Die Polen haben die Linie Bialystok—Osso- wicze—Grajewo erreicht. Ihnen stehen die Reste der 4. und 15. russischen Armee gegenüber. Im Rücken der polnischen Linien finden noch heftige Kämpfe mit russischen Armeeteilen, die D u r ch -> bruchs versuche machen, statt. So wurde auf der Linie Kolokalo—Lcmshn unter beidersei tig erheblichen Einsätzen gekämpft, doch dürste den Russen der Durchbruch kaum gelingen. Im -allgemeinen scheint der polnische Vormarsch nicht weitcrgetragen werden zu können. — Das polnische Pressebureau meldet: Die Offensive gegen die Bolschewisten wird von den polnisch-ukrainischen und südrussischen Truppen gemeinsam geführt Der Vormarsch er- folgt nach einem einheitlich ausgearbeiteten Plan. Vie Verbindungen der gegenseitigen HeereSlei- tungeu sind hergestellt. Französische Offiziere be finden sich im Hauptquartier Pilsudrkis und Wrangel». Falsche Berichte? Kamenew hat in London eine Anzahl Tele gramme von Tschitscherin erhalten, in denen die ser u. a. erklärt, daß die polnischen und fran zösischen drahtlosen- Berichte falsch seien. Die russischen Streitkräfte seien intakt. Zwar seien während des Rückzuges Gefangene gemeldet werden, doch war dies unvermeidlich und ihre Anzahl war nicht groß. Der russische Vormarsch erfolgte mit einer Schnelligkeit, wie sie in der Geschichte ohnegleichen ist. Dadurch wurden die Flanken nur ungenügend geschützt. Eine Flankenbewegung der Polen zwang die Ar mee zum Rückzug. Dieser erfolgte in vollster Ordnung. Tie russische ukrainische Armee sei zu einem neuen Vormarsch bereit, sobald die Um- stände dies erlauben. Die polnischen drahtlosen Berichte über einen großen Sieg seien Phan - tasiegebilde. — Kamenew und Krassin sind inzwischen von London abgereist. Gegen den Weitere» Vormarsch. Der „Matin" schreibt: Laut einer Meldung der „Deutschen Tagesztg.": Millerand habe der polnischen Regierung mitgeteilt, die französische Regierung lege großen Wert darauf, daß der Frieden zwischen Sowjetrußland und Polen zu stande kommt. Frankreich, so sagt das Blatt weiter, bietet alles aus, um die Polen zur Mä- ßigung in ihren Bedingungen zu veranlassen. Die Pariser Ausgabe des „Newyork Herald" meldet aus London: Die englische Regierung hat soeben in einer Note an die polnische Staats regierung diese wissen lassen, daß sie jede Unter stützung verweigern müsse, wenn die polnischen Armeen in ihrer gegenwärtigen Offensive die ur sprünglich russisch-Polnische Grenze überschreiten. Die Heeresberichte. Nach einem Moskauer Funkspruch haben die Roten Truppen Galizien und den Fluß Zlota- Lipa erreicht. In der Krim und im Bezirk von Chersson auf dem linken Ufer des Tnjestr sind für die Bolschewisten günstige Kämpfe im Gange. — Tie Polen melden weitere Erfolge. Der „Ma- tin" erfährt aus Warschau, daß Abteilungen der zweiten polnischen Gardedivision Grodno einge nommen haben. — Im „Temps" wird das an die Pclen gelieferte Kriegsmaterial auf mehr als 400 Geschütze schweren Kalibers angegeben. — Havas meldet: Die polnische Armee steht' zwei Tagesmärsche vcr Pinsk. Kowel wird von den Polen beschossen. An der Südsront sind große Truppenverstärkungen von Warschau abgegangcn. Mit der Vorbereitung einer großen Offensive ist zu rechnen. — Der „Matin" meldet, daß die Truppen des Generals Wrangel in die Vorstädte von Odessa eingedrungen seien. Rundschau. Gegen die Diktatur der Eisenbahner. Gegen die Preisgabe der Staatsautorilät wcu- j dct sich jetzt der allgemeine Eiscnbahncrvcrband, der zu den Verhandlungen über die Kontrolle der Waffcntransporte nicht zugczogen war, in einer längeren Entschließung, in der eS u. a. heißt, den Eisenbahnern sei bekanntgegeben, daß der Aufruf, der gemeinsam von den freien Ge werkschaften und den sozialistischen Parteien er- lassen werden ist, zu Unrecht die Unterschrift des Hauptbetricbsrates der Eisenbahner trägt. Ter Hauptbetricbsrat hat sich mit dieser Frage über ¬ haupt noch nicht b,schästiht. Wenn sein Vor- sitzender dieses Amt parteipolitisch mißbraucht hat, so sind von den unserem Verbände angehö. rigen Mitgliedern des Hauptbetriebsrate» die notwendigen Schritte deswegen eingeleitet wor den. Unsere Mitglieder haben sich kemerlei Wei sungen von anderen Stellen erteilen zu lassen. Zugleich sehen wir uns veranlaßt, unserem leb- Haftesten Bedauern über das Verhal- ten der Neichsregierung Ausdruck zu geben. Sie hat nicht nur unserer seinerzeitigen Aufforderung, klare Richtlinien für die Haltung der Eisenbahner gegenüber den Transporten auf zustellen, nicht entsprochen, sondern sie hat nach her auch einseitig nur mit den Kreisen verhan delt, die in verfassungS- und gesetzwidriger Weise in den Eisenbahnbetrieb eingegriffcn haben und dadurch die anderen Eisenbahnerorganisationen nutzlos dem Terror dieser Kreise preisgegeben. Krieg mit — Danzig?! Wenn es nicht gar so traurig, sc tief beschä- inend, so schmerzlich bezeichnend für unsere er bärmliche Knechtschaft wäre — es wäre zum Lachen! Eine bekannte Berliner Korrespondenz drahtet: „Die Regierung des Freistaates Danzig gibt heute bekannt, daß der Freistaat Danzig im polnisch-russischen Kriege als nicht neutral anzu sehen ist." — Teutschland versichert feierlich seine strengste Neutralität — Danzig ergreift Partei. Für wen? Für die Polen natürlich. Tenn Dan zig ist England und Herr Lloyd George, der wahrscheinlich Herrn Reginald Tower abberufen hat, weil er sich einigermaßen gerecht und kor rekt verhielt, Lloyd George baut auf die Dank barkeit der Polen, denen über Danzig Kriegs material zugeführt werden soll. Deshalb zwingt man Danzig, sich gegen das übrige Deutschland zu erklären. Gesetzt ten nahen Fall, daß Dan- zig also in dem Ostkrieg als Partei erscheint, so kann es schnell dahin kommen, daß bei der Wan delbarkeit alles Kriegsglücks, bei der Ansamm lung voii Russen auf deutschem Boden Danzig in Konflikt mit dein neutralen Deutschland ge rät. Tas Deutsche Reich iin Krieg mit Danzig! Vielleicht braucht die Ironie der Weltgeschichte diesen Gipfel der Enteniepolitik! Und das nennt sich Selbstbestimmung der Völker. Wie lange darf es das noch? „Daily News" melden: Ter englische Kom missar in Danzig, Sir Reginald Lower, ist abberufen worden. Berechnung der Kurzarbeiter- Unterstützung. Zur Behebung von Zweifeln, die bei der Berechnung der Kurzarbeiter-Unterstützung ausge treten sind, verordnet das sächsische Arbeilsmini- fterium aus Grund einer ausdrücklichen Anwei sung des Neichsarbeitsministers, daß diese Be rechnung insbesondere stattfindcn muh beim re- gelmähigcn Wochcnschichtwechscl, also in dem Falle, daß eine Feierschicht nicht länger als eine Woche dauert. Dauert eine Feierschicht länger als eine Woche, so ist die Kurzarbeiter-Unter stützung zulässig, wenn sowohl in der Arbeits woche, die der zweiwöchigen Feierschicht vorher- gebt, oder auch in der ihr nachfolgenden Kalen derwoche wenigstens teilweise so gearbeitet wird. Es kann (nicht mutz) die erste Feierwochc mit der vorhergehenden, die zweite mit der nachfol genden Arbeitswoche unter Berechnung der Kurz arbeiter-Unterstützung mit der Doppclwoche zu- sammcngefatzt werden. Scfcrn aber die volle Erwerbslosenunterslützung in Frage kommt, ist nicht nur die Bedürftigkeit zu berücksichtigen, son dern auch die Arbeitsbercilschast zu fordern. In den Fällen, in denen während zweier aufcinan- derfolgcnder Wcchcn, sowohl in der einen wie in der anderen nur teitweis» gearbeitet wird, kommt nach den gesetzlichen Bestimmungen ein» Berechnung der Kurzarbeiter-Unterstützung nach der Doppelwoche nicht in Frag«. Die Unter stützung ist vielmehr für jede Woche besonders zu errechnen. — Es steht eine Neuregelung der Versicherung Erwerbsloser bevor. Kleine Nachrichten. In Westgalizien ist ein Aufstand der Ukrainer gegen die Polen ausgebrochen. — Reichsminister Dr. Simons ist wieder in Ber lin eingetroffen. — Die Litauer haben Wilna, das angeblich vcn den Russen ziemlich ausge plündert worden ist, wieder besetzt. — Nahezu 400 Heimkehrer aus Ostafrika befinden sich nach einer Rotterdamer Privaimeldung auf der Rückreise nach Deutschland. — Die engli - schen Grubenarbeiter haben sich ent gegen den übrigen Gewerkschaften für den Streik ausgesprochen. — In Erfurt schlossen sich sämt liche Beamten des Eisenbahndircsitwnsbezirks zu einer Fachgewerkschaft zusammen. Die Organisation für den ganzen Bereich der deut schen Staatsbahnen erfolgt am 1. September in Berlin. — Dem Vcrbandspräsidenten des Ruhr kohlensiedlungsverbandes sind aus den vor kur zem vom Reich bewilligten 300 Millionen Mark 7für Wohnungsbauten 150 500 000 Mk. zur Er richtung von Berga r beite rwohnungen zur Verfügung gestellt worden. — In Sprem- berg haben Eisenbahner einen Munitions transport für die Reichswehr angehalten. Auch aus Mannheim wird das Anhalten von Munitionstransporten für die Reichswehr durch die Eisenbahner gemeldet. OerINch«» und GSchfifcheS Steuer-Erklärungen zum Reichsnotopfer. sz. Das Landesfinanzamt schreibt uns: Zur Behebung entstandener Zweifel wird darauf hin gewiesen, daß jeder verpflichtet ist, eine Steuer- erklärung für das Reichsnotopser einzureichen, der am 31. Dezember 1919 allein cder gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Vermögen von minde- st e n s 5000 M k. besessen hat. Für Minder jährige, .Entmündigte oder sonst in der Wahr nehmung ihrer Angelegenheiten Behinderte hat der Vertreter die Erklärung einzureichen. Für Gesellschaften, Vereine, Stiftungen und sonstige Vermögensmassen ini weitesten Sinne besteht «ine Erklärungspflicht ohne Rücksicht auf die Höhe des Vermögens (also auch bei weniger als 5000 Mark). Eine besondere Aufforderung wird zwar vielen Steuerpflichtigen noch zngehen. Doch gibt ihr Ausbleiben niemanden das Recht, die Ein reichung der Erklärung zu unterlassen. Vielmehr haben alle gesetzlich dazu verpflichteten Personen die Steuererklärung auch ohne besondere Aufforderung einzureichen. Tie Nichtein reichung kann zur Folge haben, daß Zuschläge zu dem Reichsnotopser festgesetzt werden. Ver möge n, das bei der Veranlagung zum Reichs- notopfer verschwiegen wird, verfällt zugunsten des Reiches- Die Frist zur Einrei chung der Erklärung läuft am 30. September ab. Es kann nur anglelegentlichst empfohlen wer den, sich beizeiten die erforderlichen Vordrucke zu beschaffen, die bei den Gemeindebehörden und den Finanzämtern (Bezirksstcuercinnabmen) er hältlich sind. * — M i l i-t ä r v c r s o r g u u g s g e b ü h r- uisse für den Mcnat September werden durch die Postaustalten bereits morgen Sonnabend irus- gezahlt. * — 12,50 M k. „V e t e r a n c n b e i - Hilfe" — und davor', noch 10 Prozent Steuer- Kokdecse. Romsn von E Marlttt »» Fortsetzung (Nachdruck »erboten.) Ter letzte Akkord war verklungen. An Hele nes Wimpern hingen zwei schwere Tränen, die Blässe ihres Gesichts war fast geisterhaft gewor den. Sie blickte nach ihrem Bruder, aber er hatte das Gesicht abgewrndet und sah hinaus in den Garten. Als er sich endlich umdrehtc, waren feine Züge ruhig wie immer, nur eine leichte Röte färbte seine Stirn, die Zigarre war feinen Fingern entglitten und lag auf dem Boden. Er sagte Elisabeth, die sich inzwischen erhoben hatte, nicht ein Wort über ihr Spiel. Helene, der das Schweigen sichtbar peinlich wurde, erschöpfte sich in Lobeserhebungen, um dem jungen Mädchen die Kälte und Gleichgültigkeit ihres Bruders we niger fühlbar zu machen. „War das wieder einmal genial!" ries sic. „Die Leute in B. hatten sicher keine Ahnung von dem gcldenHi Liedcrquell in Eischens Brust, sonst hätten sie Wohl das liebe Mädchen nicht in die Thüringer Wälder auswandern lassen." „Sie haben bis jetzt in B. gelebt?" fragte Herr von Walde, das Auge auf Elisabeth rich tend; sie sah einen Augenblick hinein, das Eis war geschmclzen, ein seltsamer Schimmer tauchte dafür auf. „Ja," antwortete sie einfach. „Aus einer großen, schönen Stadt, die alle erdenklichen Genüsse und Annehmlichkeiten bietet, plötzlich in den stillen Wald, auf einen einsamen Berg versetzt zu werden, das ist ein unliebsamer Lausch . . . Sie waren natürlich untröstlich über diese Veränderung?" „Ich betrachte sie als verdientes Glück," Ivar die unbefangene Antwort. „Wie? ... Sonderbar . - . Ich meine, man greift nicht nach der Distel, wenn man die Rose haben kann." „Heber Ihre Meinungen habe ich begreifli cherweise kein Urteil." „Ganz recht, weil Sie mich nicht kennen . . jene Ansicht ist jedoch eine ganz allgemeine." „In ihrer Anwendung ist sie einseitig." „Nun denn, ich will Ihre Geschmacksrichtung, mu der Sie unter Ihren Altersgenossinnen wohl schwerlich eine gleichgesinnte Seele finden dürs ten, nicht weiter anfechten . . . In Ihrem In teresse will ich jedoch glauben, daß es Ihnen nicht ebenso leicht geworden ist, Ihre Freunde zu verlassen." „Sehr leicht sogar, denn — ich hatte keine." „Ist das möglich?" rief Fräulein von Walde. „Sie hatten mit niemand Verkehr?" „O ja; aber das waren Leute, die mich bezahlten." „Sic gaben Unterricht?" fragte Herr von Walde. „Ja." „Aber hatten Sie nie das Bedürfnis, eine Freundin zu besitzen?" rief Helene lebhaft. „Niemals, denn ich habe eine Mutter," er- widerte Elisabeth mit einein Tone tiefen Gefühls. „Glückliches Kind!" murmelte jene und senkte den Kopf. Elisabeth fühlte, daß sic hier eine wunde Srclle in Helenens Herzen berührt hatte. Es tat ihr leid, und sic wünschte lebhaft den Eindruck zu verwischen. Herr von Walde schien diese Ge danken auf ihrem Gesicht zu lesen; denn ohne auf Helenens Verstimmung zu achten, frug er: „Und war es der Thüringer Wald ganz beson ders, wo Sie zu leben wünschten?" „^a. „Und warum?" „Weil mir schon in meiner frühesten Kind heit erzählt wurde, daß wir aus den Thüringer Bergen stammen." „Ah, aus dem Geschlecht der Gnadewitze?" „So hieß friiher meine Mutter — ich bin eine Ferber," antwortete Elisabeth bestimmt. „Sie sagen das mit einem solchen Nachdrucke, als ob Sic Gott dankten, daß Sie jenen Namen nicht zu führen brauchen?" „Ich bin auch frch darüber." „Hm ... er hat ja femerzeit bedeutenden Klang gehabt." „Aber keinen reinen." „Ei, Ivas wollen Sie? . . . An allen Höfen hat er so gut gegolten wie unvcrsälschtcS Gold; denn er war sehr alt, und vorzüglich die letzten seiner Träger sind deshalb stets mit den höch sten Würden überhäuft worden." „Verzeihen Sie, aber dafür habe ich ganz und gar kein Verständnis, daß . . -" Sie hielt er rötend inne. „Nun? . . . Sie haben den Satz angefangen, und ich bestehe darauf, auch sein Ende wissen zu wollen." „Nun, daß Sünden belohnt werden, weil sic alt sind," erwiderte sie zögernd. „Gemach, man sagt von mehreren Ahnen der Gnadewitze, daß sie sich tapfer und brav gezeigt haben." „Tas mag sein, aber cS liegt auch ein Un recht in dem Gedanken, daß dies Verdienst noch nach Jahrhunderten ausgebeutct werden darf von solchen, die nicht brav und tapfer sind." „Sollen große Taten nicht fortwirken?" „Gewiß, aber wenn wir es verschmähen, ihnen nachzueifern, dann sind wir auch nicht würdig, ihre guten Folgen zu genießen," gab Elisabeth mit Entschiedenheit zur Antwort. Ein Wagen rollte donnernd in die Einfahrt. Herr von Walde runzelte die Stirn und strich mit der Hand iiber die Augen, als sei er un sanft aus einem Traume geweckt worden- Gleich darauf öffnete sich die Tür und die Baronin trat ein. -Sie hatte gleich Bella, die heute mit dem Anstande einer erwachsenen jungen Dame neben der Mama hcrschritt, Hut und Mantel noch nicht abgelegt. „Da wären Nur glücklich wieder! Ist das eine abscheuliche, Luft heute! Ich habe es zehn mal bereut, mich hinaus gewagt zu haben und werde wahrscheinlich für meine mütterliche Für sorge mit einem tüchtigen Schnupfen büßen müssen . . - Vella möchte gern selbst sehen, wie cS Dir geht, Helenc; ich habe mir deshalb er- laubt, sic mit herein zu nehmen." Die Kleine ging geraden Schrittes auf das Ruhebett los. Sic schien Elisabeth nicht zu De- inerken, die dicht daneben saß, und streifte sie so hart, als sie sich bückte, um Helenes Hand zu küssen, daß ein Knopf ihres Mantel» die leichte Garnierung an Elisabeths Kleid erfaßte und zerriß. Bella Hob den Kopf und schielte seitwärts auf den Schaden, den sie angerichtet, dann drehte sie sich um und ging hinüber zu Herrn von Walde, um ihm die Hand zu geben. „Nun," sagte dieser, indem cr seine Hand zuriick- zog, „hast Du keine Entschädigung für Deine Ungeschicklichkeit?" Sie erwiderte kein Wort und eilte neben die Mama, auf deren Wangen die zwei verhängnis- vcllcn roten Flocken erschienen. Ter Blick, den sie Elisabeth zuwarf, zeigte indes, daß ihr Un wille nicht dem ungezogenen Töchterchen galt. „Nun, Kind, kannst Tu nicht reden?" fragte Herr von Walde nochmals, indem er sich erhob. „Fräulein Ferber saß aber auch so nahe," entschuldigte sich die Baronin an Stelle der hart näckig schweigenden Bella. „In der Tat, ich hätte fortrücken sollen . . . Das Unglück ist ja auch gar nicht so groß," sagte Elisabeth ängstlich und griff mit einem an- mutigen Lächeln nach Bellas Hand. Die Kleine aber tat, als sähe sie diese Bewegung nicht, und steckte beide Hände unter den Mantel. Ohne ein Wort zu sagen, schritt Herr von Walde auf sie zu, faßte sie am Arme und führte sie direkt zur Tür, die er öffnete. „Du gehst jetzt augenblicklich hinüber in Dein Zimmer," ge bot er, „und kommst mir nicht eher wieder vor die Augen, als bis ich cs wünsche." Tie Baronin war innerlich außer sich. Ihre Züge arbeiteten einen Augenblick heftig; aber was konnte sie tun? Sie hatte keinerlei Waffen gegen die Gewalttätigkeit und Barbarei dieses Mannes, der hier Gebieter war und jetzt mit einer so empörenden Ruhe seinen Platz wieder einnahm, als sei er sich ver Grausamkeit seiner .Handlungsweise nicht im entferntestem- bewußt. Endlich siegte die Klugheit der Tame. „Ich hoffe, lieber Rudolf," sagte sic, ihre Stimme bebte eiu wenig, „Du wirst Bella die kleine Unart nicht nachtragen . . . Ich bitte Dich, nimm ein wenig Rücksicht, ihre Erzieherin ist gar zu tölpelhaft." (Fortsetzung folgt.)
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