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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.07.1920
- Erscheinungsdatum
- 1920-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-192007236
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19200723
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19200723
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-07
- Tag 1920-07-23
-
Monat
1920-07
-
Jahr
1920
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 23.07.1920
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lönnte. Bet der Gesamtbeurteilung der Sachlage wird man sich eine gewisse Verbesserung gegen über den Bedingungen de» FriedentvertrageS vor Augen halten müssen. Die Ziffer von 3,3 ist auf 2 Millionen Tennen monatlich herabge setzt, ferner sind nicht unwesentliche Zugeständ- nisse geldlicher Natur mit Rücksicht auf die E r- nährung nicht nur der Bergarbeiterschaft, fondern auch der ganzen deutschen Bevölkerung gemacht werden. Ferner ist immerhin eine ge wisse Etappe aus dem Wege zur Besserung der Beziehungen zwischen Deutschland und den Alliierten erreicht. Die Mehrheit der Regierung steht mit mir auf dem Standpunkt: Das Kohlenabkom men in Spa stellt eine vielfach fast unerträg liche Belastung des deutschenWirt- schaftslebens dar. Es wird voraussicht lich nicht vermieden werden können, der deut- schen Industrie neue Beschränkungen aufzuerle gen. Die Folgen für unser gesamtes Wirtschafts leben müssen zweierlei Art fein: Der Vertrag von Spa kann nur erfüllt werden, einmal durch eine außerordentlich starke Vergrößerung unserer Kchlenproduktion, sodann leider durch Entziehung der Kohle aus der deutschen Volkswirtschaft. Die Mehrsörderung der Kohle kann nur geleistet wer den, wenn unsere Arbeiterschaft mit festem Wil len an sie herantritt. Die Erfüllung des Ab kommens in Spa ist in erster Linie eine A r - beiterfrage. Es wird notwendig sein, defi Arbeitern alle irgendwie möglichen Erleichterun gen zu schaffen. Eine möglichst sofortige und starke Besserung der Ernährungsverhältnisse im Bergbaugebiet muß sofort eintreten. Ich richte aber auch die dringende Bitte und den Appell an die deutsche Landwirtschaft, aus diesem Grunde alles zu tun und auf eine schnelle und restlose Ablieferung der landwirtschaftlichen Be stände hinzuarbeiten. Nur dann werden wir in der Lage fein, wirklich wirksam die Verbesserung der Ernährungsverhältnisse der Arbeiterschast durchzuführen. Auf dem Wege der stärkeren Sie- delung müssen wir rm Bergbaugebiet gleichfalls vorgehen. Im übrigen müssen wir die Berg arbeiter dringend bitten, durch Verstärkung der Arbeit zur Erfüllung der drückenden Verpflich tungen Deutschlands den Alliierten gegenüber bei zutragen. Auf dem Verhandlungswege muß der gute Wille der Arbeiter zur Leistung von Ueberschichten wieder aufgerufen werden. Durch Erweiterung der Braunkohlenbergbaues müssen wir uns eine Erleichterung unserer Lage und unserer Ver pflichtungen schaffen. Das dlbkommen ist getros- fen und muß gehalten werden. Sodann nahm Reichsarbettsminister Brau» das Wort und führte aus: Die Bergarbeiter hör- ten von den hohen Forderungen der Entente und von der Art, wie sie diktatorisch durchgesctzt wer- den würden. Da lag für sie der ängstliche Ge danke nahe: Das geht auf unsere Kosten, ans Kosten unserer Arbeitskraft, auf Kosten der Ge sundheit des Kohlenbergmannes. Die deutschen Bergarbeiter fürchten, daß durch die hohen For derungen der Entente Deutschlands Industrie in weitgehendem Matze stillgclegt werden wird und die Arbeitslosigkeit kommt. Dazu befürchten die Bergleute, datz aus dein Wege über das Spa- Abkommen die Frage der normal e n S ch i ch t d a u e r in einem für sie ungünstigen Sinne gelöst wird. Sie verlangen, datz die Frage der Schichtdauer unter Beteiligung der Arbeiterschaft der ganzen Welt gelöst wird. Wir hoffen zuversichtlich, datz dennoch die Bcrgarbei- terschaft nicht aus der Erregung des Augenblicks heraus endgültige Beschlüsse fassen wird. Tic monatliche Kohlenförderung im Ruhrgebiet be trug im Januar 1920 6 886 742 Tonnen und Ende Mai 1920 7 931 190 Tonnen. Den An teil der Ueberschichten und Nebenschichten kann man aus folgende» Zahlen erkennen: Im Juni 1919 wurden an Nebenschichten und Ueberschich- ten verfahren 271 910 Stunden, im Januar 1920 312 007 Stunden und im Mai 1 723 768 Stun den. Angesicht» der Gesamtlage des Wirtschasts. leben» ist diese» Ergebnis überaus an- erkennenswert. Leider wird es im lau fenden Monat nicht zu verzeichnen fein. Die Be teiligung an Ueberfchichten ist im Abflauen, und ferner besteht in Bergarbeiterkreisen die Absicht, das U e b e r s ch i ch t e n a b k o m m e n zu kündigen. Hauptgründe dafür sind die un geheure Sommerhitze, unter der die Bergarbeiter schwer gelitten haben, und das schlechte Brot. Das Arbeitsministerium hat deshalb neue Ver handlungen auf neuer Grundlage für ein besseres Abkommen vorbereitet. Eine Voraussetzung ist, datz der Bergbau auch nach der technischen Seile hin gehoben wird. Ich rufe den Bergarbeitern und dem ganzen deutschen Volke zu, datz Opfer und Hingabe im Interesse und im Dienste des sozialen Fortschritts notwendig sind. Zum Schluß sprach Reichseruährungsminister Hermes. Im Verlauf der Spa-Konserenz ist auf fei ten der Alliierten unverkennbar der Wunsch her vorgetreten, dem deutschen Volke in seiner schwie rigen Ernährungslage zu helfen. Auch beim Kohlcnabkommen ist von gegnerischer Seite die Bedeutung der Ernährungsfrage klar erkannt wo» den. Ich darf auch meine Neberzeugung zum Ausdruck bringen, daß die Verbesserung des Brotes in allernächster Zeit möglich sein wird. Wir verfügen bereits wieder über 80 000 Tonnen Auslandsgetreide und haben ge stern an Jnlandsgetreide 6000 Tonnen erhalte», während wir bisher täglich nur mit 2—3000 Tonnen rechnen konnten. Auch die Zufuhr aus dem Auslande stellt sich täglich auf 4—5000 Tonnen. Es besteht also die Möglichkeit, dem Wunsche nach Verbesserung des Brotes zu ent sprechen. Die Landwirtschaft darf in diesem Augenblick nicht versage» und muh bereit sein zur Uebernahme von Unbequemlichkeiten, die notwendig sind, um ihrerseits Höchstleistungen zur Minderung der Wirtschaftslage zu erzielen. Die 30 Millicne» Goldmark auf Grund von Ar tikel 2 reichen zu der notwendigen Verbesserung der Lebenshaltung der Bergarbeiter nicht aus. Grundsätzlich kann festgcstellt werden: Das Spa-Abkommen gibt uns die Möglichkeit einer wesentlichen Erleichterung der Ernährung. Nicht nur durch die Erleichterung des Einkaufs, sondern auch noch durch eine Senkung der Preise für die cingeführten Lebensmittel. Es wird ein einheitlicher Plan für die Ernährungs- wirtschaft des künftige» Jahres zurzeit ausge- arbcitet. Er ballt sich auf den eigeuen Devisen auf, auf die Vorschüsse, die 5-Goldmartprämie der Entente. Wesentlich für uns ist, datz der Einkaus durch uns getätigt wird. Die, Enteilte stellt uns die Vorschüsse zur Verfügung. Alles übrige ist unsere Sache. Mit Hilfe der Vorschüsse werde» wir »icht nur die Einfuhr von- Lcchcns- mittelu betreibe», solider» mich die Einfuhr von Rohphosphaten für die Düngung und von Fut- tcrgetreide für de» Wiederaufbau unserer Vieh bestände. Die Erleichterung der Einfuhr mutz organisch und planmäßig fortgeführi werde». Auf Antrag Wissclls werden dami die Ver- handlungeii vertagt, um de» Gruppen Gelegen- hcit zur Stellungnahme zu gebe». Nächste Sitzung: Sonnabend. * Die Spaltung der Sachverständigen. Tic deutsche» Sachvqrständigen haben sich bei der Entscheidung über die Zustimmung oder Ab lehnung zu dem Kohlenabkominen gespalten. Tic Vertreter der Industrie und der Gewerkschaften, also Stinnes und Hue, erklärte» die Annahme des Ultimatums der Eutente für unmöglich, die Finanzsachverständige» dagegen, Melchior, Rathe nau und Dernburg, riete» der Regierung znm Nachgebem PMS Mdll-M wird durch den unaufhaltsame» Vormarsch der Russen besiegelt, der, Nachrichten au» Mitau zu folge, jetzt auf allen Frcnten in ein entfcheiden- des Stadium treten soll. Die Polen ziehen sich denn auch weiterhin zurück, sie stehen an der deutschen Grenze. Kowno in Bolschewistenhänden. Laut „Berlingske Tidende" meldet der Funk- spruch aus Riga die Einnahme von Kowno durch die Bolschewistenarmee. — Kownc liegt keine 65 Kilometer von der vstpreutzischen Grenze entfernt. Er ist der letzte befestigte Platz vor der deut schen Grenze. Kein Uebergang auf deutsche» Gebiet. „Berlingske Tidende" verbreitet einen Mos- kaller Funkspruch, wonach der Große Sowjet be schloß, daß die bolschewistischen Truppe» deut sche Gebiete nicht betreten sollen. Ter Sowjetvcrtreter in Berlin, Herr Kopp, er hielt den funkentelegraphischen Auftrag, der deut schen Negierung diesen Beschluß zur Kenntnis zu bringen mit der Forderung strengster Neutralität gegenüber Truppentransporten der Alliierten für Polen. Die umfassenden in Ostpreußen getroffenen Sicherheitsmaßnahmen gegen die Bolschcwisten- anmarschbewegung lassen die Provinz Ostpreußen seit gestern in Gefahrzustand erscheinen. Alle Neichswehrformationen sind in Alarmbereitschaft. Die Auflösung bezw. Umwandlung der Sicher heitswehren in Ostpreußen rst mit Rücksicht aus den Ernst der Lage vorläufig eingestellt worden. Grund zu irgendwelchen ernsten Befürchtun gen ist, da es sich nur um Vorbeugungsmaß nahmen handelt, nicht gegeben. 6WW VMlMmr. Dresden, 22. Juli. Allf der Tagesordnung stehen Haushaltkapi- tel. Bei Kapitel 56, Medizinal- und Veterinär polizei, sind die Einnahmen mit 1 340 465 Mk. eingesetzt, bei der staatlichen Schlachtviehversiche rung die Einnahme» mit 6 Mk. und dis Aus gabe» mit 924 120 Mk. Vizepräsident Lipinski (Unabh.): Ter Präsident hat am Mittwoch eine Abstimmung über den Antrag auf Uebernahme von landwirt schaftlichen und industriellen Unternehnlunge» durch den Staat ausgesetzt. Der Kammervorstand hat beschlossen, die Abstimmung überhaupt nicht vornehmen zu lassen. Tas ist eine illoyale Hand lungsweise des Präsidenten, und außerdem gibt damit eine Fraktion ihre» eigene» Antrag preis. Wir beantrage», daß morgc» über den Aiürag abgestimmt wird. Präsident F r ä ß d o r s verwahrt sich gegen den Vorwurf einer illoyale» Ha»dlu»gweise und erklärt, daß über den Antrag »ach Wicdcrzusam- meiltri'.t der Kammer abgcstimmt werde» solle. Die Befragung der Kammer ergibt eine Mehr heit für die Abstimmung nm Freitag. Tie HauS- haltkapitel finde» darauf Ammhme. Bei Kapitel Laildesanslaltc» sind die Ein- nahuum init 7 157 400 Mk. und die Ausgabe» mit 28 294 448 Mk. eingestellt. Sie wurde» be willigt. Zu der Vorlage über dre Vermehrung der Aussichts- und Wachtbcamte» bei den Lan desstrafanstalten und über Maßnahmen zur Be seitigung der Wohnungsnot sür diese Beamte», w»rdc deren Annahme beantragt mit dem Er suche» a» die Regierung, auf eine möglichst bal dige Vereinheitlichung der Verwaltung des Straf vollzuges Hinzuwirten. Abg. M üller - Zwickau (Scz.) tritt dabei sür eine 48slündigc WochenarbcitSzcit der Sloas- anstaltsbcamlen ein. Abg. Kruspe (Dein.) zollt den Anstalts geistlichen Hobes Lob für ihre aufopfernde Tä tigkeit. Abg. Dr. Wulffen (Dem.): Ehe man die Vorlage vcragschiedcte, hätte die Frage der Vereinheitlichung des Strafvollzug» geregelt wer den müssen. Aus diesem Grunde bedeutet der Antrag de» Ausschusses eine letzte Mahnung an die Negierung, ihre Pflicht zu tun. Wir haben Zeit gehabt, die Kirche vom Staate zu trennen, aber den Strafvollzug von der Verwaltung zu trennen, dazu hat eS uns an Zeit gefehlt. Das Fehlen des Strafvollzugs nimmt der Justiz ihre Achtung. Wenn wir keinen Krieg hätten, wäre die Kriminalität geringer, so aber ist es eine Kulturaufgabe der Negierung, die Justizpflege in einheitliche Bahnen zu lenken. — Damit schloß die Aussprache. Die Anträge des Ausschusses wurden angenommen. Für den Hqushaltplan des staatlichen Elek trizitätsunternehmens für das Jahr 1920 sind in, ordentlichen Etat 33 390 000 Mk. Einnah men und die gleiche Summe als Ausgabe ein gesetzt, im außerordentlichen Etat die Ausgaben mit 85 700 000 Mk. eingestellt. Die Kammer bewilligte die Ausgaben. Nächste Sitzung: 23. Juli. Sie ErnS-kWSlW. Bei den Dresdner Lebensmitteldemonstratio nen war beschlossen worden, eine Abordnung an das Neichsernährungsamt zu schicken, die die traurige Ernährungslage in Sachsen und beson ders in Dresden schildern und Hilfe fordern sollte. Die Abordnung hatte Gelegenheit, die Forderungen eingehend zu begründen. Darauf wurde ihr die tatsächliche Ernährungslage im ganzen Reich dargelegt und aus die bevorstehende gute Ernte hingewiesen. Der Abordnung wurde erklärt, daß die Forderung auf radikale Preisherabsetzung unmöglich zu erfüllen sei. Der Druck der Behörden auf den Handel wegen der freiwilligen Herabsetzung der Preise sei weniger erfolgversprechend als der Druck der Verhältnisse selbst. Für die zentralbewirtschafteten Lebens mittel könne die im Kriege eingehaltene Kcnsu- mentenpolitik nicht fortgesetzt werden. Die Reichs- rcgierung hofft, daß auf Grund der in Verbm- dung mit dem Kohlenabkommen von Spa von der Entente zu leistenden Vorschüsse die auslän dischen Einfuhren an Lebensmitteln den Ver brauchern verbilligt abgegeben werden können. In weiterer Folge erwartet man auch eine Sen kung der Preise infolge der Konkurrenz. Auf den von einem Teil der Abordnung gescrderten Preisausglcich, wonach die Minderbemit telte» die Lebensmittel billiger als die Bes- serbemitlelten erhalten sollen, kann das Reick, auf Grund mehrfach gemachter Erfahrungen nicht e i n g e h e n. In der Flcischvcrsorgung ist eine Verbesserung zu erwarten, weil in Zu- kunft Sachsen nicht wie bisher nur aus Bay ern, sondern auch aus Württemberg, Oldenburg und Teilen von Preußen Vieh erhalten soll. Außerdem sind Vorbereitungen auf Herabsetzung der Schlachtviehpreise vom 1. August 1920 an getroffen. Die besonderen Schwierigkeiten der B r o t v c r s o r g u n g wurden von den Ver tretern der NeichSbehördcn anerkannt. Die NeichS- steklc» wollen die von den städtischen Landcs- behörden vorgcbrachten Klagen berücksichtigen und zeitweise Sachsen sogar vor dem Rnhrrevicr de» Vorzug geben. Im übrigen glaubt man, die Krise in der Brotvcrsorgung für überwnnde» mischen zu können. Für den Anfang der näch sten Woche ist für Sachsen mit Zufuhren von Roggcnmehl aus der neuen Ernte zu rechnen. Damit wird dann selbstverständlich die Beschaf fenheit des Brotes sich besser». Die vo» de» Vertreter» der Arbeitslosen geforderten, von den übrigen Mitgliedern der Abordnung aber abge lehnte sofortige völlige Aufhebung der Zwangs wirtschaft mußte vom Reiche abgelehnt werden. Solange der Bedarf an Waren das Angebot nocb übersteigt, würde eine gewaltige Preissteigerung entstehe», unter der große Teile der Bevölkerung zu leiden hätten. Roman von E. MarIitt 4 Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) „Sei Tu nur ruhig, mein Herzchen," sagte Elsbeth lachend, „ich finde schon meinen Platz auf den, Wagen, und wenn nicht, nun, so weißt Du, ich bin mutig wie ein Soldat und kann laufen wie ein Hase. Als Kompaß habe ich die Sehnsucht nach dem grüne» Walde bei mir, die schon, als ich noch ein ganz, ganz kleines Kind war, einen großen Winkel in »reiner Seele eingenommen hat. Sc geht cs tapfer und be- scherdenllich vorwärts auf meinen zwei eigenen Füßen, und was will dann Papa machen, wenn eines Abends ein armer, müder Wanderer mit zerrissenen Schuhen und leerer Tasche vor dem alten Schloßtore erscheint und Einlaß begehrt?" „Freilich müßten wir aufmachen," rief lächelnd der Vater, „wenn wir nicht der Rache aller gu ten Geistor, die ein mutiges Herz beschützen, aus unser morsches Dach herabbeschwören wollten! . . . Uebrigens wirst Du wohl an dem alten Schlosse vorllberziehen und an irgend eine ein same Bauernhütte im Walde anklopsen müssen, wenn Du uns finden willst; denn in dem Trüm merhaufen wird sich schwerlich ein Obdach für uns einrichten lassen." „Das fürchte ich auch," meinte die Mutter. „Wir arbeiten uns mühsam durch Hecken und Gestrüpp, wie ehemals Dornröschens unglückliche Befreier, und finden endlich —" „Die Poesie!" rief Elisabeth. „Ach, dann wäre ja schon der erste Duft von unserem Waldleben abgestreift, wenn wir nicht im alten Schlosse wohnen könnten! Vier feste Mauern und eine guterhaltene Zimmerdecke werden doch wahrhaf tig noch in einem Turme oder dergleichen zu finde» sein, und das übrige läßt sich mit Nach denke» und willigen rüstigen Hände» leicht be schaffen .... Wir stopfen Moos in etwaige Mauerritze», nagel» Bretter über unbequeme Tür bogen, die keinen Flügel mehr haben, und tape zieren unsere vier Wände selbst. Aus den zer bröckelten Estrichfußbodcn legen wir eigenhändig geflochtene Strohmatten, erklären den kleinen vier füßigen Leckermäulern in grauen Samtröckcheii, die unseren Speiscschrank plündern, ernstlich de» Krieg und gehe» mit dH» Kehrbesen tapfer ans die großen Spinnen lcs, die über unseren Köp fen hängend, in aller Ruhe überlegen, ob sic sich nicht häuslich darauf niederlassen sollen." Mit verklärten Augen, ganz versunken in ihre Träumcrcien von dem demnächstigen Lebe» im frischen, grünen Walde, trat sie dann ans Kla vier und schlug den Deckel zurück. Es war ein altes, ausgespieltes Instrument, dessen schwache, heisere Töne vollkommen harmonierten mit dem herabgekommcncn Aeußcren; allein das Mendels- söhnsche Lied: „Durch de» Wald, den dunkeln, geht usw." klang trotzdem hinreißend unter Eli sabeths Fingern. Die Eltern saßen lauschend auf dein Sosa. Ter kleine Erlist war eingeschlafcn. Draußen hatte das Toben des Sturmes aufgchört; aber an un- verhüllten Fenstern vorüber sank in wirbelnden Flocken massenhaft und lautlos der Schnee. Tie gegenüberliegenden Schornsteine, die nicht mehr dampften, setzten langsam eine dicke, weiße Nacht mütze auf und blickten steif und kalt, wie das verdrießliche Alter, hinüber in die kleine Dach stube, die mitten im Schneegestöber Hellen Früh- lingSjubel in sich schloß. 3. mel über uns lacht. Ein Wort, dessen Klang selbst inner der härtesten Eiskruste des Egois mus, unter dem Schnee des Alters und in dein Herzen, das in Leid und Kummer erstarrt ist, noch ein Echo von Lenzeslust erwecken kann. Pfingsten ist vor der Tür. Ein weiches Lüst chen flattert über die Thüringer Berge und streift von ihrem Scheitel die letzten Schncercste. ?ie wirbeln dampfend empor und verlassen als lev.1- tende Frühlingswöllchen die alte Lagerstätte, die cs sich m-q.-egen sein läßr, ihre gefurch e Sinn mit einem Geflechte von jungen Brombeerranlcn und rötlich blühend ein Heidelbcerkraut zu schmücken Drunten braust jauchzend der kühle Forellenbach niis dem Waldesdunkcl quer über die buntgc- sprenkelten Talwiesen. Die einsame Schneide mühle klappert wieder lustig und ans ihr niedri ges, graues, geflicktes Schindeldach streuen die Obstbänme ihre Blütenflocke». Vor dcir Hüttcnfenstern der einsame» Holz- Hacker und der Dorfbewohner singen, im engen Käfig, die gelehrigen Gimpel, die während der Winterszeit in der heißen, dunstigen Stube eine» Lehrkursus der böhcrcn Gesangskunst durchgc- macht haben, ihre künstlerischen Weisen. Und die drüben im Walddickicht jubeln ungeschult, aber unendlich süßer und herzergreifender — sic baden ja die kleine Sängerbrust im goldcncu Strome der Freiheit. Wo noch vor wenig Wochen die gewaltigen ^chneewasscr im selbstgeschaffenen Bette herab- schäumten, da weben jetzt die Moose ungestört ihren buntgesleckten Teppich und legen ihn weich und schonend um die narbenvolle Brätst des Berges, nur hier und da von dem feine», sil- ! i» einer bepackten Postkutsche die Familie Fer ber ihrer neuen Heimat zu. Es war früh am Morgen, eben verkündete das dünn«, scharfe Stimmchen einer kleinen Turmglocke in der Nähe die dritte Stunde. Dejshalb hatteir auch nur der alte verdrießliche Wegweiser an der Straße und ei» Rudel sichtlicher Hirsche, das am Saume des Waldes erschien, den köstlichen Anblick eines jun gen, glücklich lächelnden Mcnschengesichts- Elisabeth hatte sich weit aus dem dumpse» Wagen gebogen und sog mit tiefen Atemzügen die kräftige Waldluft ein, die, wie sie behaup tete, auf der Stelle Lungen und Augen von dem Staube der verlassenen Hauptstadt reingewaschen habe. Ferber saß ihr sinnend gegenüber. Auch er erquickte sich an der Lieblichkeit und Anmut der Gegend; noch mehr aber bewegten ihn die leuchtenden Augen seines Kindes, das den Zau ber einer schönen Natnr so tief empfand, und das so unaussprechlich dankbar Ivar für die neue Gestaltung der Verhältnisse . . . Wie hatte sie fleißig die kleinen Hände gerührt, als endlich das heihersehnte Ernennungsschreiben des Für sten von L. gekommen war! Da gab es tüch- tig zu schaffen. Alle Umzugssorgen der Eltern hatte sie getreulich mit auf ihre Schultern ge nommen. Der Fürst hatte zwar dem neuen Diener ein anständiges Reisegeld bewilligt und auch vom Försteronkel war eine GelLbeisteuer eingclaufcn, allein das wollte trotz der ängstli chen Beckchnung bei weitem nicht reichen, und deshalb beutete Elisabeth auch noch die wenigen Tagesstunden, die für ihre Erholung bestimmt waren, insofern aus, als sie Arbeiten für ein Weißwarengeschäft übernahm; ja manche Nacht, während die Eltern arglos schon daneben im Alkoven schliefe», durchwachte sie bei der Nadel. (Fortsetzung folgt.) Pfingsten! Ein Wort, das seine» Zauber Verne» Geäder durchbrochen, das eine bervm ans das menschliche Gemüt übe» wird, solange sprudelnde Quelle hinabschickt. »och ei» Bam» blüht, eine Lerche schmetternd Ans der Landstraße, die durch einen reizew in die Lüfte steigt und ei» klarer Frühlingshim- den Talgrund des Thüringer Waldes führt, rollte
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