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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 25.06.1920
- Erscheinungsdatum
- 1920-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-192006252
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19200625
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19200625
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-06
- Tag 1920-06-25
-
Monat
1920-06
-
Jahr
1920
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 25.06.1920
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auch für dt« Bergarbeiter ein» veränderte Wirt- schaftltch, Grundlage geschaffen. Nun haben ja die organisierten Bergarbeiter im deutschen Berg« bau schon verschiedene Forderungen gestellt, ohne daß diese bis jetzt ihre gesetzlich« Erledigung ge funden hätten; ich erinnere dabei nur an die Schaffung eines Reichsberggesetzes, so wie an die Zusammenfassung und Zentralisation der in die Hunderte gehenden vorhandenen ein- z«Inen Knappschaftskrankenkassen und dergl. mehr. Ich für meinen Teil erkenne sehr wohl, daß siir alle hierzu nötigen Vor arbeiten ein etwas längerer Zeitraum erforderlich ist, als in Arbeiterkreisen im allgemeinen ange nommen wird. Haben nun also verschiedene die ser eingereichten Forderungen eine gesetzliche Re gelung noch nicht gefunden, fo kann uns das aber nicht abhalten, neu auftauchende Wünsche und Forderungen der Bergarbeiter hier vorzu bringen und diesen aus gesetzlichem Wege zur Durchführung zu verhelfen. Eine solche Forde- rung ist auch die heute zur Beratung stehende, die eine Anstellung von Beiräten bei dem Berg- amt und den Berginfpektionen verlangt. Genau dieselbe Forderung ist schon im vorigen Jahre von den preußischen Bergarbeitern in der ver fassunggebenden preußischen Landesversammlung gestellt und dort auch am 14. November 1919 mit Mehrheit angenommen worden. Ja, wenn ich recht unterrichtet bin, hat selbst der große bergbautreibende Staat England diese Einrich tung bereits getroffen. Wir in Sachsen können also nicht sagen, daß wir auf diesem Gebiete die ersten sind, umsomehr müssen wir deshalb ver suchen, so schnell als möglich den anderen Län dern zu folgen. Während der .Etatberatung der letzten Tage ist wiederholt auch die Frage der Kchlenförderung gestreift worden. Alle Redner betonten, daß nur eine gesteigerte Kohlenproduk- tion uns aus der schwierigen Situation, in der wir uns befinden, retten könne, einmal wegen der Belieferung unseres eigenen Landes, zum anderen durch die Abgabe an das Ausland. Wenn wir nun alle davon überzeugt sind, daß wir auf Jahre hinaus mit der jetzt betriebenen Planwirtschaft unserer Kchlenverteilung zu rech nen haben, so müssen wir Wohl auch weitere Mittel und Wege suchen, unsere Kohlenprodukttim zu steigern. Ein solches Mittel erblicken wir, durch die An- stellung von Beträten beim Bergamt und den Berginspektionen. Gerade diese Männer wären berufen, nach Kräften mitzuwirken, all diefe M i ß st ä n d e mit zu beseitigen, die einer ge steigerten Kohlenprodutlion bisher noch im Wege standen. In Bergarbeiterkrcisen begegnet man vielfach der Auffassung, daß noch manches getan werden könne, um eine gesteigerte Kohlensörde- rung zu erzielen. Es brauche nur eine bessere Kontrolle und eine etwas schärfere Beobachtung der auf den verschiedenen Werken betriebenen Ab- baumethoden, sowie der hier und da klar erkenn baren Sabotage der Bergwerk-Unternehmer in Anwendung gebracht zu werden. Nun weiß ich sehr wohl, daß man uns von verschiedenen Seiten entgegnen wird, daß eine derartige Kon trolle auch heute schon durchgefiihrt werden könne, da doch auf den Werken Betriebsräte, Arbcitcr- auSschüsse und Sicherhcitsmänncr bestehen, die dar Vertrauen der Belegschaften besitzen. TaS mag zu einem Teile zutreffend sein, nicht aber in allen Punkten. All diese Funktionäre mögen noch so gewissenhaft ihre Aufgaben zu lösen suchen, ihnen fehlt immer die gesetzliche Hand habe und die Machtbefugnis. Aus diesem Grunde verlangen wir, daß endlich einmal einige B c- amte angestellt werden, die vom Staate zu besolden sind, die berechtigte Beschwerden cnt- gegennehmen und auf deren Beseitigung anch einmal mit gesetzlichen Mitteln Hinwirten kön nen, ohne daß den dabei beteiligten Arbeitern irgendein Nachteil erwächst. Wenn nun der Abg. Lckardt Sinw,ndung»n ,»-en unseren Antrag er hoben hat, ind»m »r meinte, daß die Räte der Arbeiter vorzüglich bei den politischen Gemein den abgewirtschaftet hätten, daß er weiter fich keine nutzbringenden Arbeiten von den geforder ten Beiräten verspreche, daß serner auch jetzt schon das Hauptsächlichste von der bisher be stehenden Arbeitsgemeinschaft geregelt werde, so beweist das zur Genüge die Haltung, die Sie, meine Herren aus der Rechten, unserem Antrag entgegenbringen. Wir haben von Ihnen auch gar nichts anderes erwartet, denn für uns war eS schon im voraus klar, daß Sie sich dagegen wenden würden. Genau derselbe Standpunkt, den Sie im Jahre 1910 bei Beratung des Antrages „Drescher und Gen. über die Einführung von Sicherheitsmännern im Bergbau" eingenommen haben, ist es, den Sie auch heute verfolgen. Sie wollen eben nicht zugeben, daß aus Arbeiter kreisen befähigte Männer vom Staate angestellt und besoldet werden und begründen es damit, daß dadurch das Mißtrauen der Arbeiter gegen die Behörden nur noch erhöht werde. Wir stehen auf einem entgegengesetzten Standpunkt und ver- suchen die Wünsche unserer Arbeiterschaft z»r Durchführung zu bringen. Ich kann die anwe senden Herren mir bitten, unserem Antrag zu zustimmen. Der Antrag wird dem tzaushaltausschuß A überwiesen. — Es folgen Eisenbahnpeti tionen. Gesuche des Stadtgemeinderates zu Wildenfels um Erbauung einer Eisenbahn von Wilkau nach Neu-OelSnitz erhielt die Regierung zur Berücksichtigung. Nächste Sitzung: 30. Juni- Rundschau. Zur Amtsblattfrage hat der Nechtsausschuß der sächsischen Volkskam mer beschlossen, daß in Zukunft die bisherigen Amtsblätter den Titel „Amtsblatt" mcht mehr zu führen haben, ihnen, aber die amtlichen Bekannt machungen weiter zugehen werden. Die Entwaffnungsnote an Deutschland. Die Antwort der Alliierten auf die deutsche Note betreffeird Aufrechterhaltung einer Armee von 200 000 Mann ist am Mittwoch dem deut schen Geschäftsträger in Paris übergeben worden. Laut „Times" soll die in der Entwaffnungsfrage an Deutschland gerichtete Note den deutschen Empfindungen insofern Rechnung tragen, als sie die Erhöhung der Polizeitruppe von 80 000 auf 150 000 Mann gestattet. — In zwei weiteren Ncten wird die VclkScntwaffnung nnd Abliefe rung des Luftschiffmatcrials verlangt. Die Landwirtschaft gegen die Zwangs wirtschaft. Die ständige Kommission der deutschen Land- wirtschaftSkammcr hält die Vorschläge des Rcichs- ernährungsministeriums betreffend eine anderwei tige Regelung der Schlachtviehfragc für unan nehmbar, da sie auf eine weitere Beivehaltnng der Zwangswirischaft hinauslanfen. Die Kom mission erklärt, daß die gesamte Landwirtschaft nicht mehr bereit iit, sich der Zwangs wirtschaft in Schlachtvieh z rr s ü - g e n. Die Landwirtschaft wird bereit sein, einen noch näher fcstznstellenden Mindestbedarf an Lchlachtfchweinen auf dem Wege der Lieferungs- Verträge unter der Vrrausfetzung sicher zu stel len, daß die zur Einfuhr vorgesehenen Mais, mengen den Mästcrn zu einem angemessenen Preise und in ausreichender Menge zur Versü- gung gestellt werden. — Ter Zentralverband deutscher B ä ck c r - I n n u n g c n, der 70 000 Bäckermeister umfaßt, trat iu Berlin zu einem außerordentlichen Verbandstag zusammen, bei dcni sich sämtliche Redner entschieden gegen die jetzige Zwangsbewirtschastung des Getreides aus sprachen. Derirrtellrmg eine» Reichstag»' abgeordneten. Das Reichsgericht in Leipzig verurteilte Milt- woch den kürzlich in den Reichstag gewählten Redakteur der unabhängigen Königsberger „Frei heit" HanS Mittwoch wegen versuchten Landes verrats und Beleidigung zu zwei Jahren Fe- stung. Der Angeklagte hatte im Oktober vorigen Jahres in seiner Zeitung ein ihm zugesandtes, seinem ganzen Inhalte nach gefälschtes, von ihm für wahr angesehenes Protokoll iiber eine Sitzung des Auswärtigen Amtes vom 3. Juni 1919 ver öffentlicht, in der Oberst Hesse und Reichswehr- minister Noske, sowie Vertreter des Auswärtigen Slmtes bekundet haben sollten, daß die Regierung amtliche Dokumente für die Schuld Deutschlands am Kriege verbrannt hätte. Ferner sollten in dieser Sitzung Pläne der Regierung für ein ireues, in erster Linie gegen Polen gerichtetes kriegerisches Vorgeben Deutschlands erörtert wor den sein. Das Reichsgericht erblickte in dieser Veröffentlichung des angeblichen Protokolls eine schwere Verunglimpsung der deutschen Negierung, die in hohem Maße geeignet sei, dem Wohle des Reiches Abbruch zu tun. — Die Fraktion der N.S.P. hat in einem Telegramm den Reichs kanzler aufgefordert, sofort Berufung gegen das Urteil einzulegen. Die Lebensmittelunruhen in Ulm haben sich am Mittwoch fortgesetzt. Wie- der zogen Demonstranten gegen das Rathaus und die Geschäfte der inneren Stadt. Eine An zahl Geschäfte wurden zerstört, die meisten hat ten ihre Preise bis zu 50 Prozent herabgesetzt. Die Polizei zerstreute die Demonstranten. Bei den schweren Zusammenstößen am Dienstag hat cs nach den neuesten amtlichen Feststellungen 6 Tote und 36 Verwundete gegeben, darunter 6 Schwerverletzte. — Auch in Bremen kam es zu L e b e n s m i t t e l u u r u h e n, in deren Verlauf Schuhwarcnlädcn und Warenhäuser zu festgesetzten Preisen von der Menge ausverkauft wurden. —In Köln wurden über 10 0 Ztr. Kirschen auf dem Markte von der Staats anwaltschaft beschlagnahmt und zum Preise von 1,80 Mk. je Pfund verkauft. Die Verkäufer wur den dem Wuchergcricht zur Bestrafung zugeführt, da sie 4—5 Mk. verlangt hatten. Die Sperrung Ungarns fast vollständig. Aus Budapest wird gemeldet, daß die Spcr rung Ungarns fast vollständig ist, sogar Schmug gel ist unmöglich. Eine Abordnung Budapester Industrieller hat von der Negierung Verhand lungen mit dem internationalen Gcwerkschafts- bnnd verlangt, da die industrielle Tätigkeit stark zurückgeworfen wird. Die Industriellen haben die Vermittelung der ungarischen Sozialdemo kratie angerufcn. Zwischenfälle überall. In der gestrigen Sitzung des Prager Senats machte Ministerpräsident Tussar Mitteilungen iiber die blutigen Zwischenfälle, die sich in Jglau er- eigneten. Die deutschen Vereine in Jglau hiel ten in der Nacht zum 23. Juni eine Sonnwcnd- seier ab. Bei der Rückkehr in die Stadt sollen sie laru „Heil" gerufen und vor der Kaserne auf reizende Lieder gesungen haben. Es kam zwi schen der ausgerückten Mannschaft und Festteil nehmern zu einem Zusammenstoß, in dessen Verlauf beide Teile von den Schußwaffen Ge orauch machten. Eine Schießerei entspann sich. Nach den letzten Nachrichten find zwei Soldaten getötet und 26 Zivilisten verwundet worden. Kleine Nachrichten. Aus N u ß l a u d kommen wieder einmal Ge rüchte über die Umbildung der Regierung in ge mäßigtem Sinne. — Die preußische Regierung plant Maßnahmen gegen die Erhöhung der L e- b e u s m i t t e l p r c i s e. — Die Alliierten ha ben, wie verlautet, auf der Konferenz zu Bou l»-n« d«n Befchluß -»saßt, dt» Sosvjet»«- publik unter keinen Umständen anzuerkennen — Ler Landarbeit»! streik im Regie rungsbezirk Köslin umfaßt jetzt ungefähr 1LO dis 200 Güter. — Im Freistaat Braun- schweig wurde eine reinsozialistische Regierung von den Unabhängigen und MehrheitSsozialisten gebildet. Ministerpräsident wurde der Unabhän gige Sepp Oerter. — Die Jahresversammlung der englischen Arbeiterpartei forderte di« Revist»» des Versailler Vertrages. VrrtlicheS und SSchflsche». *— Keine Portosreiheit mehr. Vom 1. Juli an sind, wie schon gemeldet, alle auf Grund des Portofreiheitsgesetzes von 1869 bestehenden Gebührenfreiheiten und Vergünstigun gen aufgehoben. Dazu gehören auch die Ver günstigungen für Sendungen an Angehörige de» Soldatenstandes und der Marine, die künftig den »ollen Gebührensätzen unterliegen. * Hohenstein-Ernstthal, 25. Juni. Nach alter, schöner Sitte gedachte man gestern am Johannistag der lieben Tahingeschiedenen und schmückte ihre Ruhestätten mit Blumen, die uns der Nosenmonat jetzt in reicher Fülle darbietet. Viele gingen hinaM auf die Friedhöfe, die ge rade jetzt mit iWn blühenden Rosensträuchern einen starken Reiz auszuüben vermögen, und ver weilten an den Gräbern ihrer lieben Toten. Aus dem alten Friedhof hatten sich abends ^8 Uhr die Mitglieder des Kirchenchores eingcsunden, um einige Lieder zu singen. Um 8 Uhr fand die Johannisfeier ihre Fortsetzung auf dem neuen Friedhof. Herr Pastor Polster sprach in «ur- dringlichen Worten über die Bedeutung des Jo hannistages, den Tag des tiefen Wehs. Rings um blühendes, schaffendes Leben und doch Son nenwende, Anfang vom Ende, Mahnung an den Tod! Und grad auf dem Friedhof ruft uns jedes Grab entgegen: Gewesen, gewesen! Die Liebe aber, die nimmer aufhört, hört noch ein anderes Wort: Vergißmeinnicht! Und sie ant wortet: Wie könnt ich dein vergessen. Nein, auf Wiedersehen droben im Licht. Und die Gewiß heit dazu erlangt sie durch das zweite Vergiß meinnicht, das vom offenen Grabe im Garten Josephs von Arimathia hcrüberklingt, das uns nicht nur in Weinen und Klagen, sondern auch mit dem Osterjubel an die Gräber treten läßt: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt; der Tod ist verschlungen iu den Sieg! Nun ist der Tod nicht Moder und Verwesung, sondern Heimgang ins Vaterhaus. Nun ist uns jeder Grabhügel und jedes Kreuz ein ragender Finger, der über Zeit und Vergänglichkeit hinaus in die Ewigkeit weist. Aber wenn wir zur Gewißheit solch seli ger Hoffnung kommen wollen, dann dürfen wir das dritte Vergißmeinnicht nicht vergessen, das uns unserer Seele zuruft: Was Hülse es dem Menschen, so er die ganze Welt gewänne und nehme doch Schaden an seiner Seele? Darum schickt das Herze dahinein, wo ihr ewig wünscht zn sein. Ohne diesen Glauben ist unser Leben sinnlos, zwecklos und trostlos, umsomehr mag die Sonnenwende uns mahnen, es zu halten mit dem treuen, glaubensstarken, mahnenden Vergiß- meinnicht. Choralblasen vom Posaunenchor be schloß die eindrucksvolle Gedenkfeier, zn der sich viele Andächtige eingefundcn hatten. * — G c i st l i ch e M u s i k a u f f ü h r u n g Nm denen, diy bei der geistlichen Musikauffüh rung am Montag infolge Andranges keinen Zu tritt erhalten konnten, Gelegenheit zu geben, der Aufführung „Die Glocke" von Romberg beiwoh nen zu können, soll eine zweite Aufführung näch- sten Mittwoch stattfindcn, vorausgesetzt, wenn sich genügend Teilnehmer finden. Es wird deshalb gebeten, sich bis spätestens Montag abend Ein trittskarten zn versorgen, damit die Leitung über sehen kann, ob die Aufführung, du mit beträcht lichen Kosteil »erblinden ist, stattfinden kann. Air find allzumal Sünder. Von E. Krickcbcrg. 1». Fortsetzung und Schluß. (Slachdruck verboten.) „Ihre Nichte, Herr Forstrat, ist meine frü here Braut, die sich von mir lossagte, als ich das Unglück hatte, über ihren Vater zu Gericht sitzen zu müssen, und von der ich nicht lassen kann, obwohl sie sich und mir zugeschworcn hat, mir n e anzngehören." Der Forstrat starrte in vollkommener Verblüf fung verständnislos Martin ins Gesicht. Etwas Mißtrauisches und Drohendes sprach aus seinem Blick: „Herr, wollen Sie sich einen schlechte^ Spaß mit mir erlauben?" Aber Martin begegnete mit festem, ehrlichem Blick den Augen des Alten, und aus seinem Gesicht sprach die Ergriffenheit seines Innern: „Auf mein Ehrenwert, Herr Forstrat!" Da unterbrach ihn der Alte mit einer hastig abwehrenden Handbcwegung, ließ sich schwer auf einen Stuhl lieben dem Tisch fallen, stützte den Kopf auf und gebot: „Erzählen Sie — alles!" Und Martin schüttete ihm rückhaltlos sein Herz aus. Der Forstrat unterbrach ihn mit keinem Wort Sein Gesicht war von seiner Hand beschattet. Eine unwillkürliche Bewegung, ein hastigeres Aufatmen von Zeit zu Zeit waren die einzigen Zeichen seiner Aufmerksamkeit. Martin schloß: „Ich hatte es mir in wildem Schmerz abgerungen, unbeirrt den geraden Weg des Rechts zu gehen, selbst über mein eigenes Lebensglück, und wurde schwerer dafür bestraft als der schlimmste Verbrecher für eine begangene Untat. Da begann ich an mir felber und an der ganzen Welt zu verzweifeln und sah nur noch das Böse, das triumphierte, und das Gntc, das leiden mußte, und das Leben ward mir zur Oual. — Jetzt vermag ich wieder über das Kleine und Kleinliche hinweg den Blick auf das Ganze zu richten, ich sehe wieder mein Ziel vor Augen und schäme mich, wie ein Feigling vor der Welt geflchcn zu sein. Ich werde wieder meinen Platz in ihr aussüllen mit meiner besten Kraft — — aber ob mein Weg im Schatten oder im Sonnenlicht dahin führen wird, das liegt allein — bei Lucie." ckDcr alte Mann nahm langsam die Hand vcn seinem Gesicht. Er sah müde und verfallen aus und spiegelte deutlich den eigenen großen Schmerz, der unter den Worten des Jungen le bendig geworden war. „Wieder ein Lied vom Menschenleid," erwiderte er dumpf. „Den einen macht's mürbe und feig, den anderen stachelt's ! zur Widersetzlichkeit auf. Der eine flieht die Men- ! schen, der andere sucht sie auf, um sich an ihnen ! zn reiben. — — Das liegt am Charakter, im ! Grunde kommt alles auf eins heraus. — Men- ? schenjammer! Der Fluch, der seit Beginn der Welt ans denjenigen Erdcnwürmern haftet, wcl- ! che sich vermessen, Götter sein zu wollen." Er sprach sich warm, es grollte bereits wie- > der in seiner Stimme! Nun stand er auf, und ! mit dein Knöchel hart auf den Tisch klcpfend, j rief er: „Und da haben Sie nicht einmal genug, ' wenn das Schicksal mit Wolkenbrüchen und Ha gelschauern auf Sie niederprasselt. Sie müssen sich noch ihre eigenen kleinen Leiden schaffen. Anstatt rasch nnd fest zuzupacken, wenn das Glück an Ihnen varbeigeht, treiben Sie cs mit Ihren Händen zum Hause hinaus! — Da läuft so ein törichtes Mädchen mit eurem Jammer im Her zen umher, den es sich selber geschaffen hat, nnd kommt sich noch als Märturerin und Heldin vor, und es hat ihm doch lediglich an Mut gefehlt glücklich zu sein." Er ging mit aufgeregten Schritten im Zim mer hu, und her und stieß hier an das Bett und dort an den Schrank mit den schönen Gold lassen und unterbrach sich selber mit dein poltern den Ausruf: „Herrgott, wie kann inan es in so einem Gefängnis aushalten!" Dann ließ »r sich wieder am Tisch nieder, ' streckte die Beine von sich und sagte: „So! — Jetzt werde ich waütcn, bis sic mich suchen kommt. — Sic werden mich nicht lange zu er tragen brauchen, denn ich bin sicher, sie ängstigt sich bereits halbtot um meinen Verbleib." Martin wußte», nicht recht, was er aus dem alten Herrn machen sollte. Er hatte ihm in vollem Vertrauen auf seine gerechte Gesinnung sein Inneres enthüllt und gehasst, wenigstens Verständnis, wenn auch nicht Teilnahme bei ibm zn finden; statt dessen hatte er nur mit allgemei- - neu Redensarten geantwortet und er schien wil- j lens, das Thema überhaupt satten zu lassen, j War das wohl eine Absage? — Mißtraute ihm ! der Forstrat denn noch immer? Trotzdem und alledem? Er wollte sich endlich auch zu einer nichts sagenden Antwort zwingen. Ta reckte der Foich- rat den Hals: „Kommt sic da nicht bereits? — Und im Sturmschritt! Na ja, ich dachte es doch!" Und er sprang auf, trat ans Fenster und riß es auf: „Bitte, mein Fräulein, hier herein!" Lucie trat befangen, zögernd, einen gehetzten Ausdruck im Auge, über die Schwelle und blickte zaghaft von einem Herrn zum anderen. Nicht lange sollte sie zu warten brauchen. Tenn schon gleich begann der Onkel schein bar in seinen, alten Grimm: „Ich bin hier, um ins Gericht zu gehen mit diesem Herrn, der sich untersteht, meiner Nichte im Walde aufzulauern. Er hat mir keine zufriedenstellende Aufklärung iiber sein Verhalten geben können, so werde ich ihm morgen meinen Sekundanten schicken. Komm, Lucie, wir haben nichts mehr mit diesem Manne zn tun!" Er wollte znr Tür schrecken. Aber sie stand ihm im Wege und wich nicht. Ihr Atem ging stürmisch, ihre Glieder flogen, und sie war totenblaß, aber ihr Kopf hob sich energisch. Da sie sich indessen nun klar geworden war über ihren Weg, schrill ßr ihn ohne Zagen und obne Wanken. „Die Aufklärung kann ich Dir geben, Onkel," sagte sic mit fester Stimme. „Nicht der Herr hat mir, sondern ich habe ihn, aufgelauert! — Ich hatte ihn uni etwas, zu bitten und durfte cs mit volle». Vertraue» tun, denn ich bin vor Gctt und ii,einein eigenen Herzen seine Braut — und, Onkel, so furchtbar es mir ist, ich muß Dir sagen, daß ich vor aller Welt aus seine Seite treten werde, selbst gegen Dich, wenn es sein müßte! Aber, Onkel — lieber Onkel, ich hoffe von Deinem gütigen und gerechten Sinn, Du wirst Dich nicht gegen uns wenden, sondern uns helfen, endlich zu uuserem Glück zu gelangen. Wir haben es uns schwer genug erkämpsen müs- sen." Sie streckte Martin beide Hände entgegen und cr zog sie mit einem Jubelruf an sein Herz. Der Forstrat war zum Fenster gegangen und blickte tiefbewegt hinüber nach dem Finkenberg. Dort lag ui,ter Taxus und Zypressen sein eige nes Glück begraben, und cr hatte gemeint, für immer abgeschlossen zu haben mit des Dasein- Freuden. Und nun wurde ihm dcch so eigen froh knp dem Gedanken, daß er sollte helfen dür fen, seiner Lucie ein warmes Nest zu bauen, nnd daß er sich würde sonnen dürfen am Glück der Kinder. Tic Ahnung von einem stillen, friedvollen AuSruhen im Schoße einer geliebten Familie dämmerte im alten Herrn auf und legte sich ivic ein milder Balsam auf sein verbittertes Gemüt. Er würde noch einmal jung werden und gesund, wenn er aufhörte, in de»- alten, unver nünftigen Weise Zündstoff in seinem Körper auf- znliäufen, und er würde auch wieder lernen, sich zn freuen und lachen mit den kleinen Enkel kindern. Und als dann die beiden jungen Leute sich ihm in halb befangener, halb zuversichtlicher Hal- mng, eine flehende Bitte in, Auge, nahten, da überkam den Fcrstrat Helle Rührnng. Mit seinen Armen umschloß cr Lucie und Manin, u, den Augen aber schimmerte ibm eine Träne wehmü tige» Glück-. >
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