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10886 Börsenblatt f. b. Dtschu. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. Debatten riefen die Anträge des Vorsitzenden, einen besoldeten Geschäftsführer zu bestellen, sowie die Schaffung eines eigenen Publikationsorgans hervor. Elfterer wurde als Notwendigkeit er kannt und zum Beschluß erhoben; für das eigene Publikations- organ hielt man allgemein die Zeit noch nicht gekommen, so daß dieser Punkt auf sich beruhen blieb. Allseitige Zustimmung der Sortimenter und Verleger fand der Antrag, an Stelle des vom Vorsitzenden gewünschten Publikationskataloges den un- gemein wichtigeren »HinrichS des Kunsthandels« zu schaffen*). Lebhaft begrüßt wurden die vielen neuen Anmeldungen zur Mit- gliedschast. Die Anträge der Warenhäuser Tietz, Düsseldorf, und Wroncker, Frankfurt, wurden einstimmig abgelehnt, da man grundsätzlich Warenhäuser nicht in die Gilde ausnehmen will. Umso sympathischer wurden die Anmeldungen großer Velegerfirmen, wie Photographische Gesellschaft, Berlin, und Bruckmann, München, begrüßt. Wird doch hiermit, was in der ganzen Versammlung so angenehm zu tage trat, und was auch Herr Schultze in seiner fein durchdachten Rede nachdrücklich betonte, unerschütterlich zum Ausdruck gebracht, daß, wenn Verleger und Sortimenter zunächst auch getrennt marschieren müssen, sie letzten Endes doch einem gemeinsamen schönen Ziele -ustreben: der Hebung und Gesurr- düng des ganzen Standes. In diesem Sinne ist auch in den Diskussionen noch manche wichtige Berufsfrage erörtert und der korporative Zusammenschluß der Kunsthändler als eine dringende Notwendigkeit erkannt worden, an der nicht mehr ge rüttelt werden darf. V7. Pers onalnachrichten. A»»zelch»»»g. — Se. Majestät der Deutsche Kaiser hat Herrn Verlagsbuchhändler Georg Thieme, Inhaber der Firma seines Namens in Leipzig, den Roten Adlerorden 4. Klasse verliehen. Gestorben: am 4. September in Heidelberg Herr Privatmann Eduard Witter im Alter von 88 Jahren. Groß wird die Zahl der Buchhändler sein, die beim Lesen dieser Todesnachricht aufrichtige Wehmut und tiefe Trauer im Ge denken an diesen alten guten Freund ergreift. Es gab eine Zeit — vor 20—40 Jahren —, wo der liebe »alte Witter« neben Adolf Kröner einer der bestgekannten, ja populärsten Männer des deutschen Buchhandels war. Eine Ostermesse ohne Witter konnten sich die regelmäßigen Besucher der Leipziger Messe ebenso- wenig denken wie jetzt ohne Freund Petters. Nicht durch erfolgreiche Arbeit zum Besten des Buchhandels und des Börsenvereins wie Kröner, auch nicht durch hingebendes Wirken auf humanitärem Gebiete, wie Petters, hat sich Witter die Herzen aller seiner Kollegen erobert, sondern allein durch den Zauber seiner Persönlichkeit. Er war ein hervorragend tüchtiger Buchhändler gewesen und verstand es, den vielen Geschäfts freunden seiner blühenden Buchhandlung noch in späteren Jahren, als er seine Tätigkeit noch edlerem Stoff als der geistigen Ware den vorzüglichen Weinen der sonnigen Pfalz, zugewandt hatte, sich einen großen Kreis ständiger Abnehmer und guter Freunde hinzuzuerwerben. Alle, alte und neue Freunde, ehrten und liebten in ihm den feurigen Patrioten,denMannvonungewöhnlich glücklicher Veranlagung des Geiste- und des Herzens, freuten sich an seiner Gewandtheit und Schlagfertigkeit im geselligen Leben, an seinem echten, unverwüstlichen Humor, bewunderten seine ihm bis ins hohe Alter eigene Jugendfrische und den innerlichen Ernst seines Gemüts, das sich gern Freunden offenbarte. Am LS. März 1863 hatte unser Witter (geb. am 6. Sep tember 1824 zu Seidingstadt bei Hildburghausen) als junger tatenfroher und im Geschäft bereits bewährter Mann die Ostern 1828 in Neustadt a. d. Haardt gegründete Buchhandlung von Aug. Herm. Gottschick, der 1848 gestorben war, übernommen« *) Ehe Stellung zu diesem Unternehmen genommen werden kann, wird abgewartet werden müssen, ob damit eine Ergänzung zu den vom Börsenverein herausgegebenen »Neuigkeiten des deut- schen Kunsthandels« geboten werden soll oder ein Konkurrenzunter nehmen beabsichtigt ist. Red. Das Geschäft hatte sich inzwischen im Besitz der verwitweten Frau Josephine Gottschick befunden, die Eduard Witter die Hand zum zweiten glücklichen Ehebund reichte. Mit unermüdlichem Eifer suchte er dem Geschäft eine größere Ausdehnung zu geben. Er war einer der ersten, wenn nicht überhaupt der erste Provinz- Sortimenter, der sich des Kolportagevertriebs und Reisegeschäfts in großem Umfange annahm. Seine Erfolge, die er beispiels- weise mit dem Absatz von Meyers Konversations-Lexikon und anderen bändereichen Werken des ihm durch Verwandt- schaft nahestehenden Hildburghausener und Leipziger »Biblio- graphischen Instituts (Meyer)« erzielte, waren bedeutend und er regten Aufsehen und Nacheiferung. So hat Witter in erfolgreicher Weise als Bahnbrecher für einen neuen, damals vielfach kühl auf genommenen, gewinnreichen Geschäftszweig gewirkt und damit zugleich seinen Kundenkreis bedeutend vergrößert. Als in der Folge der noch seinem Vorbild überall aufgenommene Wettbewerb seinen Vertrieb schwieriger machte, sann er auf eine noch bessere Erwerbsquelle und fand eine recht ergiebige in der Pflege und dem Verkauf der köstlichen und mit Recht berühmten Hardt- und Pfälzer Weine. »Und weil der Geist nicht lebt allein in goldnem Bücherflitter, versandt in alle Welt den Wein der Rheinpfalz Eduard Witter«, so besang V. von Scheffel diese eigenartige dualistische »geistige Produktenhandlung«. Ein Weingut, das er erwarb, Kellereien, die er anlegte und mit dem edlen Naß füllte, Sachkunde und strenge Grundsätze trugen zum Aufblühen des Weingeschäfts bei. 1891 zog er sich von der persönlichen Leitung der Buchhandlung, in der er schon seit Jahren zuvor von seinen Söhnen und Teil habern Heinrich Gottschick -j- und Ludwig Witter unterstützt worden war, zurück. Später übergab er auch das zu namhafter Bedeutung erwachsene Weingeschäft, im deutschen Buchhandel als Lieferant des »Kantateweins« rühmlichst bekannt, seinem Sohne Ludwig Witter und siedelte nach Heidelberg über, wo er in beschaulicher Muße, immer noch regen Geistes seine alte, große Freundschaft pflegend, einen heiteren Lebensabend genoß, der nur in den letzten Jahren durch das Nachlassen der Kräfte ge trübt war. Wer das Glück hatte, Eduard Witter, der gern Freundschaft mit offenen, freimütigen und humorvollen »Brüdern der Maku latur« schloß, nahe zu treten, wird seiner prachtvollen, echtdeutschen Kraftgestalt mit dem »Kernhumor und dem trutzfreudigen Durst« ein getreues Gedenken bewahren. Eine starke gegenseitige An ziehungskraft hat auch stets zwischen ihm und den Männern der Feder gewaltet; so ist es zu erklären, daß vielleicht kein deutscher Buchhändler so viel von Dichtermund besungen worden ist, wie Eduard Witter. Einen Teil dieser Lieder hat der Verein jüngerer Buchhändler »Perkeo« in Heidelberg gesammelt und in einem schö nen Quartheft der Nachwelt überliefert. (Heidelberg 1895.) Darin ist neben launigen Versen von Buchhändlern mancher bekannte und berühmte Mann vertreten: Ludwig Eichrodt, Georg Scherer, Adolf Grimminger und vor allem Viktor von Scheffel. Von seinem Freunde Scheffel erzählte Witter sehr gern, und 1895 hat er auch seine »Scheffelerinnerungen« zum Druck gebracht. Daß in dem Verstorbenen selbst dichterisches Empfinden glühte, wird jeder empfunden haben, der seine berühmt gewordenen Anprei sungen seiner trefflichen Pfalzweine gelesen und sich am Schwünge seiner Lobeserhebungen über dieses oder jenes edel geratene Gewächs erfreut hat. Mit Eduard Witter ist ein gut Stück alten Buchhandels da hingeschieden, eine Persönlichkeit, die, weit über den Buchhandel hinaus bekannt, überall geachtet und in uneingeschränktem Maße beliebt, unserem Stande zur Ehre gereichte. Nikolaus Müller — In Berlin ist der außerordentliche Professor der Theologie und Direktor der christlich.archäologischen Sammlungen an der Berliner Universität v. Nikolaus Müller im 66. Lebensjahre gestorben. Die Forscherarbeit des Dahin geschiedenen erstreckte sich hauptsächlich auf christliche Archäologie und auf neuere Kirchengeschichte seit der Reformationszeit. Auch der Persönlichkeit und dem Wirken Philipp Melanchthons hat er mehrere Schriften gewidmet; von der kritischen Gesamtausgabe der Werke Martin Luthers bearbeitete er den 8. und 9. Band.