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202 Mislmte Zeitung für die Jugend. s18i8. Umsonst versucht' er, zu entkommen — Gefangen ward er bald genommen. Der Ein' ergriff den armen Tropf Beim Flügel, und der And're gar beim Kopf; Beim Leibe nahm ein Dritter ihn — So viel braucht's wahrlich nicht, ihn ganz entzwei zu zieh'n! „Ha, sprach das Heimchen, ich bin nicht mehr böse! Gibt's in der großen Welt so harte Stöße? Die stille Wohnung will ich herzlich lieben, Denn wer verborgen lebt, den wird auch nichts betrüben." lNach Florian.) Die schwarze Suppe. Es schlug Zehn, Angelica und Roman setzten sich zu ihrem Lehrer an den Tisch, denn ihr Unterricht sollte beginnen, und Angelica sagte: „Heute also wirst du uns die Geschichte von der schwarzen Suppe, wie sie die alten Spartaner aßen, erzählen? Ich freue mich darauf." „Und wir werden auch die schwarze Suppe essen, sügte Roman, vergnügt die Hände reibend, hinzu; hast du sie denn aber auch schon bestellt?" „Ich komme soeben aus der Küche, erwiderte der Lehrer, wo ich die Anweisung gegeben habe zur Be reitung der Speise; sie soll uns in wenigen Minuten gebracht werden." „Das wird ein großes Vergnügen geben", rief Roman jauchzend. „Aber ich fürchte, die Suppe wird schlecht schme cken", sprach der Lehrer. „Das fürchte ich auch, sagte Angelica; ich werde gar nicht den Muth haben, sie zu kosten." „Dagegen werde ich sie mit Vergnügen verzehren, rief der Knabe; ich versichere, wenn sic auch unter aller Würde schmecken sollte, ich will keine sauere Miene machen." „Ei, ei, drohete der Lehrer, wer weiß, ob deine Schwester dich nicht beschämen wird." „Das besorge ich nicht, versicherte Roman aber mals; wenn die Spartaner die Suppe genießen konn ten, so werbe ich es auch können; Angelica ist nur ein Naschkätzchen und liebt die Süßigkeiten so sehr." „Nun wir wollen sehen, sagte der Lehrer lächelnd; jetzt laßt uns zur Geschichte schreiten. Roman, wer waren die Spartaner, von denen du sprachst?" „Ein griechisches Volk, das im Peloponnes wohnte", erwiderte der Knabe. „Wer will wiederholen, was ich in der letzten Stunde von diesem Volke erzählt habe?" sragte der Lehrer. „Ich! ich will cs thun!" riefen die Kinder beide. „Angelica, als die Aelterc, soll mir heute erzäh len, sprach der Lehrer, und Roman das nächste Mal." * „In Sparta — nahm das kleine Mädchen das Wort — herrschten immer zwei Könige zugleich; da bei kam es unter dem Volke oft zu Streitigkeiten, und einmal wurde bei solchem Streite einer der Kö nige getödtct. Sein ältester Sohn folgte ihm in der Negierung, er starb aber bald. Lykurg, dessen Bru der, wollte nicht König werden, er entsagte dem Throne zu Gunsten seines Neffen, der noch Kind war und den er zu erziehen wünschte. Der arme Lykurg wurde aber bei dem Volke verleumdet und er verließ Grie chenland für mehre Jahre. Als er zurückkehrte gab er den Spartanern neue Gesetze." „So ist's, sagte der Lehrer, nachdem Angelica geendet, Lykurg halte seine Abwesenheit benutzt, um die Gebräuche anderer Nationen kennen zu lernen, er hatte in Kreta die weisen Gesetze bewundert und für Sparta umgcarbeitet. Er war ein echter Volks- sreund, das heißt, cr empfand es tief, daß man, um die Menschen glücklich zu machen, erst danach streben müsse, ihre Gesinnung zu veredeln. Um ein tüchtiges Volk, kräftig an Geist und Körper, zu bilden, fing er seine Arbeit von der untersten Stufe an, bei den Kindern nämlich. Die Kinder sind im Volke Das, was die Wurzel am Baume ist; wenn der Baum krank ist, muß man die Wurzel pflegen; wird diese sorgsam gehütet vor Allem, was äußerlich verderblich auf sie einwirken könnte, wird sie zu rechter Zeit be gossen, beschnitten, so gewinnt der Baum Kraft, seine Blätter und Zweige herrlich zu entfalten. Ebenso ist's mit den Menschen; wird den Kindern eine gute Erziehung gegeben, werden sie vor Eindrücken gehütet, die verderblich auf ihr Gemüth wirken könnten, so gewinnen sie als Männer dereinst Kraft, sich herrlich zu entfalten wie der Baum, dieser in Blättern und Zweigen, die Männer in Wort und That. Die spartanischen Knaben wurden auf Lykurg's Nath in öffentlicher Anstalt erzogen; mit dem siebenten Jahre wurden sic aus dem Vaterhause entfernt, da hatte keine schwache Mutter Gelegenheit, ihr eigensinniges Söhnchen zu verziehen. Kein Knabe wurde wcicklick gehalten und in bequemen Betten, wie wir sie haben, durfte keiner seine Glieder ausruhen, alle schliefen aus harten Nohrlagcrn; aber sie schliefen dennoch reckt gut, denn den Tag über mußten sic fleißig arbeiten und fick durch zweckmäßige Leibesübungen Bewegung machen, da waren sie Abends ermüdet und wenn mau müde ist, schläft man auch auf dem härtesten Lager herrlich. Die Knaben mußten Schmerzen aller Art ertragen lernen, sic wurden vor den Altären ge schlagen und es gereichte ihnen zum Ruhme, wenn sic keinen Klagclaut hören ließen. Alle hielten mit den Männern vereint ihre Mahlzeiten, aber es war ihrc Aufgabe, sich bei Tische bescheiden und still zu ver halten, denn sie waren den Erwachsenen die größte Achtung schuldig und durften in ihrer Gegenwart nur dann reden, wenn sie von diesen gefragt wurden. Bei diesen Mahlzeiten genossen sie die sogenannte schwarze Suppe, die aus Blut bereitet war und nicht wohl schmeckte." So weit hatte der Lehrer erzählt, da wurde die Thüre des Zimmers geöffnet und ein Diener brachte zwei kleine Teller, auf welchen die besprochene Speise angerichtet war. Roman jubelte laut und ergriff beherzt seinen Löffel, schöpfte ihn voll und führte ihn in den Mund. Angelica dagegen tauchte zaghaft die Spitze des Löffels ein und berührte damit nur die Lippen. Einen Augenblick später aber änderte sick der Auftritt, Roman wurde roth, schob seinen Löffel