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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 30.12.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-12-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191912303
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19191230
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19191230
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-12
- Tag 1919-12-30
-
Monat
1919-12
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 30.12.1919
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Rundschau. Die Natio»alversam«l«»g «ud Vle GefkUgene«. Alle Härteren der Nationalversammlung ml. Ausschluß der Nnadhängigen haben eine Eni schließung eingebracht, in der es u. a. heißt: ' Der größte Teil unserer Gesungenen wird in Frankreich festgehalten. England versagt den Be satzungen der in Scapa Flow versenkten deut sehen Kriegsschiffen die Heimkehr. ' Mehr als ein Jahr ist seit Abschluß des Waffenstillstandes, sechs Monate sind verflossen, seit wir die Natisi kation des Friedensvertrages vollzogen haben und noch immer lassen unsere Gegner Hundert tausende von Deutschen in harter Gefangenschaft schmachten, um bek der deutschen Negierung For- derungen durchzusetzen, die über den Friedens vertrag hinausgehen. Die Nationalversammlung wendet sich an die Neutralen und an diejenigen Frauen und Männer in den bisher feindlichen Ländern, die sich ein menschlich fühlendes Herz bewahrt haben, das teilnehmend schlägt für die unsagbaren Leiden, daß sie ihre Stimme erhe ben zu deni Rufe: Gebt den sehnenden Frauen ihre Männer, den Kindern ihre Väter und den gebeugten Eltern ihre Söhne wieder! Aus der Bottskammer. Der unabhängige Abgeordnete Hermann Fleiß ner geht als Sekretär eines Konsumvereins nach Berlin und gibt infolgedessen sein Mandat in der Volkskammer auf. Sein Nachfolger auf der un abhängigen Seite ist der frühere LandtagSabgc- ortnete Schulze-Cossebaude. Rücktrittsgesuch des Reichskohlenkommifsars. Der Reichskohlenkommissar, Geheimrat Stutz, hat um seinen Abschied gebeten. Das Abschieds gesuch dürfte mit den neuen Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung zusammenhängen. So wird aus Düsseldorf, Stuttgart usw. eine Verschärfung der Kohlenkrise gemeldet. Ungeheure Berteueruug VeS DruckpaprerS. Eine Bekanntmachung des Reichswirtschafts ministers vom 23. Dezember 1919 bestätigt die ungeheuerliche Verteuerung des Druckpapiers um 80 Mk. auf 200 Mk. je Doppelzentner. Die „P. P. N." melden ferner, daß die in der Reichs stelle für Druckpapier vertretenen Zeitungsverleger dieser zunächst für den Monat Januar getroffe nen Regelung zugestimmt haben unter gleichzeiti ger Anregung von Maßnahmen zur baldigen Senkung der Holzpreise. Die Erörterungen hier über sind bereits eingeleitct. Große amerikanische FlellLliefeeuuge»- AuS Washington wird italienischen Blättern gemeldet, der Fleischtrust habe die Lieferung von Fleisch für 25 Millionen Dollars nach Deutschland übernommen. Ein Vier tel der Kaufsummc ist sofort zahlbar, der Rest in neun monatlichen Raten unter Ga:mue d-r Deutschen Bank. — Eine neue amerikani sche Hilfsaktion für die deutschen Kinder ist in Ncwhork unter Führung erster Finanzkreise eingeleitet - worden. ES handelt sich um Zusatzrationen für Kinder bis zur Schul- - cntlassung. Der Mörder Eisners. Der Mord an dem bayerischen Ministerprä sidenten Kurt Eisner wird, j wie die „Deutsche Journalpost" mitteilt, ungesühnt bleiben. Der Mörder Eisners, Student und Leutnant Graf Arco-Valley, ist, wie eine nochmalige ärztliche Untersuchung ergeben hat, dauernd verhandlungs unfähig, so daß gegen ihn kein Verfahren statt finden kann. Die Staatsanwaltschaft am Land» gericht I München hat bereits durch ihren Ver treter, ten Ersten Staatsanwalt Hahn, mitteilen lassen, daß drei ärztliche Gutachten stber deys gegenwärtigen Gesundheitszustand des Grafen an- gefcrdert worden seien. Alle drei Gutachten ha ben nuil übereinstimmend ergeben, daß eine Ver- handlrmg gegen den Grafen eine unmittelbare Lebensgefährdung bedeuten würde, da eine der Kugeln, die dem Grafen nach der.Hat von dem das Landtagsgebäude bewachenden Posten nach gesandt wurden, lose im Gehirn sitzt und hier fortwährend neue Eiterungen hervyrruft. Belgiern gegen eine neue RemralitSt. Der belgische Minister für auswärtige Ange legenheiten Hymans hat in der letzten Kammer sitzung Erklärungen über die auswärtige Politik Belgiens abgegeben. Tie Frage über die Sicher heit und Verteidigung des Landes könne nicht so leicht gelöst werden. Die Verhandlungen könn ten Belgien jedoch niemals dazu führen, noch mals eine Garantie der Neutralität anzunehmen. Belgien sei das historische Einfallstor der Ger manen. An dein Tage, an dem Belgien aiitzc- griffen werde, seien Frankreich und England in Gefahr. Es sei deshalb nur natürlrch, daß zur Stabilität der Verhältnisse in Europa die drei Länder die Maßnahmen treffen würden, die die Sicherheit ihrer Grenzen verlangen. — Wie „Ec lair" mitteilt, soll der liberale Abgeordnete Cricg in der Kammer erklärt haben, in der belgischen Armee gebe es kein Kommando mehr und fast keine Disziplin. - - Schlucht Mischer, Este« «n» Bolschewisten. Aus Helsingfors wird gemeldet: Zwischen den Esten und den Bolschewisten ist eine heftige Schlacht im Gange. Auf der estnischen Front liegt schweres Artillerieseuer der Bolschewisten. Die Rote Armee soll die estnische Front durch stoßen habkn, was die Lage der Esten noch ernst licher gestalten und den Fall von Narwa ermög lichen werde. Die Verluste auf beiden Seiten übersteigen angeblich 20 000 Mann. — Demnach scheinen die Dorpater Friedcnsverhandlungen kei nen besonders glücklichen Fortgang zu nehmen. — Nach einer Londoner Meldung haben Lett land und Litauen beschlossen, den .-Kampf gegen den Bolschewismus sortzusetzcn. Verirrtem- de; SöWchei Lehreriereii;. Ter Sächsische Lehrcrvercin hält in Dresden gegenwärtig eine Vcrtreterversammlung ab. Ueber die wirtschaftliche Lage der Lehrerschaft berich tete Winkler- Chemnitz: Eine tiefe Erregung gehe durch die Lehrerschaft, deren Hoffnung auf eine gerechte Entlohnung mit dem „Bremscrlaß" vom 8. Dezember durch die Negierung zerschla gen sei. Die Berechtigung der Einreihungssor- j derung der Lehrer lasse sich aus Gründen des s Rechts nicht von dee Hand weisen. Nach lebhafter Aussprache nahm die Vertre terversammlung einstimmig -ege» de» Bremserlaß folgende Entschließung an: „Am 8. Dezember 1919 haben das Finanz- ministernlm, das Ministerium des Innern und das Ministerium des Kultus! und öffentlichen Unterrichts eine Verordnung «klassen, die in den Gemeinden als Verbot wirkt,, d a^ End - gehaltder Volksschullehrer höher als 4200 M kt zu bemessen. Die Re gierung beruft sich für ihre Maßnahme auf eine Verpflichtung dem Reiche gegenüber. Diese Be rufung erfolgt zu Unrecht, denn es liegt kein bürdender Beschluß einer entscheidenden Stelle des Reiches vor. Der Reichsrat hat sogar den Erlaß einer Sperrgesetzes ausdrücklich abgelehnt. Die Regierung gebt mit ihrer Maßnahme aber auch über ihre Befugnisse hinaus: Die Volks kammer hat die Entscheidung über die Ein- rcihnngsforderung der Volksschullehrer bis zum Erlaß der Besoldungsordnung hinausgeschoben. Die Negierung aber greift mit der jeder Gerech tigkeit und Billigkeit hohnsprechenden Festsetzung der Höchstgrenze auf 4200 Mk. der Entscheidung vor. Tas muß die Lehrerschaft aufs äußerste empören. Die Negierung ist offenbar dem Ein fluß der Kreise erlegen, die seit Jahren eine ge rechte Entlohnung der Volksschullehrer mit allen Mitteln bekämpfen. Cs ist- tief bedauerlich, daß es einer Regierung des Volksstaates Sachsen Vorbehalten blieb, ^ine die Hoffnungen eines ganzen Standes vernichtende Maßregel zu tref fen. Die Vertreterversammlung des Sächsischen Lehrervcreins fordert die unverzügliche Zurück nahme der Verordnung vom 8. Dezember 1919." Die Vertreterversammlung erklärte sich dann für folgende Forderung les Deutschen Lehrer vereins zur staatlichen Besoldungsrcform: „Die Einheitlichkeit des künftigen Lehreritandes for dert gleiche Besoldung für alle Lehrer. Bis zur Durchführung dieses Grundsatzes sind die Volks schullehrer entsprechend ihrer Vorbildung nnd ihrer Arbeit, die als freie, geistige Arbeit von der der akademisch gebildeten Lehrer in ihrem Wesen nicht verschieden ist, in die Gehaltsklassen einzuordnen, die der Besoldungsklasse für Be amte und Lehrer mit voller akademischer Bil dung unmittelbar vorausgeht." Die Lage -er LMwirischaft. Tie nach einer vorübergehenden Tauwetter- periodc wieder neu ausgetretenen Schneefälle und Fröste haben die Hoffnungeiri auf restlose Erledi gung der für die nächstjährige Getreideernte so wichtigen Herbstbestellungsarbeiten zunichte gemacht. Zur Erzeugung des für die Boltsernährung dringend benötigten ein heimischen Brotkorns ist es deshalb unbedingt notwendig, daß die mancherorts bis zu 50 Pro zent unbestellt liege» gebliebenen Wintergetreide schläge nunmehr im Frühjahr mit Sommer getreidc bestellt werden. Es ist deshalb schon mit Rücksicht darauf, daß die Rentabilität des SommerfruchtanbaucS in manchen Gegenden in Föage gestellt ist, von Rcichswcgcn für eine reichlichere und geregeltere Düngemittel- zufu h r, sowie von feiten der Kommunalver bände für rechtzeitige und genügende Zuweisung von gesundem Saatgut zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. Wie groß der Verlust infolge Frostschädigung tatsächlich ist, kann noch nicht endgültig festgestellt werden. Durchschnittlich hat der Frost -den empfindlichsten Schaden an Rüben u n d K a r t o s f « l n angerichtet. Teil weise hat der Frost auch erheblichen Schaden in den Mieten verursacht. Einschneidende Wirkun gen hat der frühzeitige Winter auch in der Si cherstellung der Ernährung der landwirtschaft lichen Nutz- und Zuchttiere gezeitigt. Durch das Einwintern von Kraut und Rüben, welche ohne Einfeuerung nicht mehr zu verwerten sind, ist die Ernährung der Tiere in erhöhtem Matze aus Heu nnd Stroh angewiesen und ein Zurückgehen der Milchertrage u n v «xm e i d l i ch. Der Mehrcrtrag an Rauhsutter gegenüber dem Vorjahre wird nicht den Ausfall decken, der durch ten Frost entstanden ist. Infolge des zeitigen Schnees ,hat die Trockensütterung drei Wochen früher einsetzen müssen, wodurch der Milchertrag sehr zurückgegangen ist, zumal auch sehr viel Weide hat unbenutzt liegen bleiben müssen. Mit dem D u r ch h a l t e n unserer Viehbe stände sieht es deshalb trübeaus. AMi-nta- M Kehln- fördern-. Von einem auswärtigen Mitarbeiter wird uns geschrieben: In der Presse wird häufig die Ansicht ge äußert, daß die Einführung des Achtstunden tages an- dem Rückgang der Kohlenförderung schüld sei. Dies ist nach Ansicht des Reichs- wirtschaftsministeriums nur zum geringen Teil ZlltrßIe'nt. Nicht minder schuld an der wenig befri'edigetzden' Kohlenförderung ist auch die psychische "Erschlaffung der Arbeiter, die durch die lairge Kriegsdauer und ihre Begleiterschei nungen, namentlich die Unterernährung, verur sacht würde. Es trifft zu, daß die Arbeitszeit unter- Tage'Hegen die vorrevolutionäre Zeit um mehr als 20 Prozent verringert worden ist. Die ser Ausfall ließ sich' auch bei voller Leistungs fähigkeit des einzelnen Bergmannes selbst dann kaum wieder einholen-, wenn die technischen Ein richtungen der Bergwerke einer größeren Inten sität des Betriebes, die eine höhere Förderung in der Zeiteinheit bezweckt, angepatzt werden könnten. Daß dieses Ziel bisher noch nicht er- reicht Hmrde, ist allgemein bekannt. Eine weitere Vorbedingung, um die alte För derung wieder zu erreichen, wäre eine wesent liche Erhöhung der Belegschaft, insbesondere der unter Tage arbeitenden Mannschaften, die auf 20 bis 30 Prozent geschätzt wird. Bisher konn ten die Belegschaften an der Ruhr nur etwa um 9 Prozent gegenüber dem Durchschnitt des Jah res 1913' vennehrt werden, und zwar erstreckt sich diele Vermehrung haupisächlich auf die Ueber- tagearbeiter. Zur unerläßlichen Vorbedingung hat die erstrebte Erhöhung der Belegschaften, wie allgemein bekannt sein dürfte, eine durchgreifende Lösung des Wohnungsproblems. ' In den beiden großen Steinkohlenrevieren Ruhr und Oberschlesien betrug im Monat Okto ber 1919 die Gcsamtförderung 72 Prozent der durchschnittlichen Monatsfördcnmg des Jahres 1913 »NV 80 Prozent der Oktoberförderung 1918. Der Durchschnitt des ersten Halbjahres 1919 batte in beiden Revieren nur 55 Prozent der durchschnittlichen Monatsförderung von 1913 be tragen. Eine erhebliche Besserung ist also bereits erzielt worden. Die quantitativ stündliche Lei stung der Untertagearbeiter hat in der letzten Zeit —- trotz der herabgesetzten körperlichen Leistungs fähigkeit — den Friedens st and nahe zu tv i e d e r erreicht. Rechnet inan nur Die Kollmanns. Von E. K r i ck c b e r g. 1. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Sie war sittlich entrüstet — einfach empört. Man mutete ihr zu, eine halbe Stunde lang im Sonnenbraud die staubige Dorfstratzc entlang zu geben, müde und abgespannt, wie sie war? — Es fehlte nicht viel, so hätte sie geweint vor Aergcr, am liebsten wäre sie wieder umgekehrt. Aber da blieb nun nichts weiter übrig, als sich mit zusammengebissencn Zähnen in das Un vermeidliche zu fügen. Hatte sie A gesagt, mußte sie auch B sagen. — Unzweifelhaft würde sie unterwegs zusammcnsinken, vielleicht am Hitz- schlag sterben . . . aber was schadete das? Was bedeutet ein Menschenleben im Kosmos . . .! Sie philosophierte sich in eine gründlich pessi mistische Stimmung hinein, während sie langsam neben dem den beladenen Karren schiebenden Mann berschritt. Es Ivar ihr gerade recht, daß sie diese schlimme Erfahrung gleich bei der Ankunft machte. Warum hatte sie sich vom Sanitätsrat übertölpeln lassen, das ibr von Anfang an so wenig verlockend erscheinende Anerbieten anzuneh men! Hatte sie nicht das Geld dazu, die schönste Sommerfrische in den Schweizer Bergen zu be zahlen? — Was mußten das für unliebenswür dige Menschen sein, die ibr anstatt eines anstän- diaen Wagens diesen unsauberen Tagelöhner mit seinem Karren entgegcnschicktcn. — Daß sie das ja auch nicht einmal hätten zu tun brauchen nnd es immerhin eine Rücksichtnahme bedeutete, er wog sic gar nicht. Nun, nach diesem Empfang würde sie sich weiter keine Illusionen über diese Leute machen. Sie erwartele keine Freundlichkeiten mehr von ibnen, aber sie würde desto energischer auf ihrem Recht bestehen, für ibre Zahlungen entsprechende Leistungen fordern — Auge um Auge, Zab» um Zahn. Der Weg war natürlich nicht nur eine halbe Stunde, sondern fast doppelt so lang —' wer hätte schon je eine richtige Ausknnit auf Zcit- fragen dieser Art erhalten! Für Eva schien er sich überhaupt endlos auszudehnen. Aber sie sank nicht ermattet zusammen, verspürte auch keinen herannahenden Hitzschlag, dazu war sie viel zu sehr innerlich erregt. Sie wunderte sich selber, daß sie bei ihrem leidenden Zustand noch so viel Kraft zum Äerger besaß. Daheim hätte sie die sicher nicht aufzubringen vermocht. Da würde sic im verdunkelten Zimmer auf dem Divan liegen und die Leute, die ihr eine solche Strapaze zu- muten könnten, einfach für wahnsinnig erklären. lind hier stand ihr noch am Schluß des We ges eine neue Anstrengung bevor. Der Gutshos lag über dem Dorf am Rande eines Höhen- zugcs. Es galt noch einen Berg hinanzuklettern, ehe sie am Ziel ihrer Wanderung'angelangt war. Todmüde, erhitzt und verstaubt, wie in ihrem Leben noch nie, traf Eva auf dem Gutshof ein. Er bildete ein großes Quadrat und war rings- ! um von Gebäuden umschlossen. Tas Wohnhaus, ! dessen grellweis; getünchte Wände ihr schon von weitem die Augen geölendet hatten, zeigte sich als ein langgestrecktes zweistöckiges Bauwerk mit ! rotem Ziegeldach und verhältnismäßig wenigen t Fenstern in dicken Mauern — offenbar ein sehr > altes Gebäude. Einige Stuckfriese zierten die Wände, sonst war es völlig schmucklos und kahl. Kein freundlicher Balkon, kein Erker unterbrach stimmungsvoll die eintönige Fassade, aber durch leine Größe nnd Massigkeit wirkte das Haus imposant, und die vornehme Freitreppe vor dem Eingang ins Innere gehörte als würdiger Ab schluß zu diesem alten Herrenhause. Hof- und Stattgebäudc ringsum glänzten vor Sauberkeit. Das ganze Anwesen machte einen imponierend stattlichen Eindruck. Es zeugte von Gediegenheit und Wohlhabenheit seiner Besitzer und hatte so etwas Gastliches, Vertrauener-- wcckendes. Eva batte in diesem Augenblick nicht Sinn für etwas anderes, als für ihren Aerger. Sie blickte sich um auf dem stillen, von flimmernder Sonnenglut überfluteten Höfe. Kein lebendiges Mesen war zu sehen, selbst die Hühner und Tau ben halten sich vor der Hitze in den Schatten ihrer Ställe geflüchtet. Die Tür zum Hause war fest verschlossen, hinter den ^Fenstern waren die Vorhänge herabgelassen. Wie auSgestorben oder verwunschen lag der Hof vou ihr. Kam denn keiner, sie zu begrüßen? Ratlos blickte sich Eva um. Jetzt standen wirklich Trä nen in ihren Augen. Ibr Begleiter setzte seinen Karren ab, schnaufte, wischte sich mit seinem bunten Taschcn- tum umständlich die Stirn und wollte sich in einer wortreichen Beschreibung der Hitze ergehen, aber Eva schnitt ihn; kurz das Wort ab. „Rufen Sie jemand von den Leuten herbei." „Nu," meinte er gemütlich, „die Frau Holl mann werd' schunn kuuuua! Sie iS itzt in der Mittichzeit alleene dabeema und de kranke Kub werd'r Woll zu schoasfa macha. — diu ja . i . doa iS sic ja allcwcil!" Von den Ställen her kam raschen, entschlosse nen Schrittes eine große, robuste Frau mit sehr gerader Körperhaltung. Ter reine Kürassier, dachte Eva. Der Kopf auf den breiten Schul tern der Frau erschien merkwürdig klein, aber die Züge waren von derbem, festem Schnitt Backeulnochcm und Kinn energisch ausgebildet. Ter Teint zeigte das fleckige, Braun, das er an nimmt, wenn das Gesicht o!t uubcschützt jeder Art von Wetter prcisgegcben wird. Diese Haut- sarbe allein wäre ein Honorar für Eva gewesen. Wasserblaue Augen blickten scharfprüfend unter der schmalen Stirn und sich, wenig markierenden blonden Augenbrauen hervor, und das braune Haar lag glatt und fest gescheitelt um den Kopf. Eiiw Schönheit war die Frau Hollmann ganz gewiß nicht, sie hatte auch nichts hervorstechend Bemerkenswertes an sich — eine ländliche Guts besitzerin wie unendlich viele. Der erste Ein druck, den man von ihr empfing, war der einer kerngesunden, aufrechten Person, die auf festen Füszcn stand und wußte, was sie wollte. Lie trug ein praktisches Leinenkleid und um die Hüften, eine große blaue Schürze, aber trotz dem sie aus den Ställen kam, erschien sie von Kopf bis zu den Füßen, penibel sguber. Ohne eine Spur- von Verlegenheit oder Unbeholfen heit, aber auch ohne Neugier und Zudringlich keit reichte sic Eva ungekünstelt vertraulich dic Hand, als ob sie eine Nachbarin begrüßte. „Fräulein Gerhardt, nicht wahr? Seien Sie mir willkommen. — Ich hoffe, eS wird Ihnen nicht zu ländlich und einsam bei uns sein!" Keine Bitte um Entschuldigung wegen des ungastlichen Empfanges, keine höfliche Redensart, daß man sich freue und dergleichen, was dem Gesellschaftsmenschen so in .Fleisch und Blut liegt, daß es ihm ganz von.'selber über die Lip pen fließt. Eva gab sich desto förmlicher. „Ich habe zunächst nur das Bedürfnis nach einem kühlen Trank und einem erfrischenden Bade. Der Weg vom Bahnhof hierher war ent setzlich, ich werde ihn lange Zeit nicht aus den Gliedern bringen." Das klang sehr vorwurfs voll. „Ich kann doch beides haben?" Tic Hellen Augen der Frau Hollmann sahen ruhigksreündlich in däs verärgerte Gesicht ihres lungen' Gastes. Um ihre Lippen zuckte es wie von verstecktem Humor, „Ein Bab — leider nein, mein Fräulein! Einen kühlen Trank — eimerweiö, wenn Sie es wünschen. Wir haben einen vorzüglichen Brunnen." „Mein Fräulein!" — Wie die Dienstmädchen dabeim von den Kaufleuten genannt wurden. Nicht einmal anständige Umgangsformen besaß diese robuste Frau. „Aber Sie werden doch auch manchmal das Bedürfnis haben, zu baden. — Besitzen Sie denn keine Einrichtung dazu? . . . das wäre ja gräßlich." Jetzt zuckte auch aus den Augen der Frau Hollmann der Humor. „Sie werden noch mehr Enttäuschüngen bei uns erleben, Fräulein Ger hardt! — Wir haben freilich auch manchmal das Bedürfnis zu baden wie andere Menschen, und auch eine Einrichtung dazu, aber in der Ernte können wir uns die Extravaganzen eines war men Bades nur Sonntag morgens leisten — dafür liegt drüben im Gehölz der Bachsee, der sich ganz vorzüglich zum Baden eignet." „Gott sei Tank!" entfuhr cs Eva. „Jetzt frei lich bin ich zu müde, nach dem See zu gehen. Lassen Sie mir, bitte, reichlich.Wasser auf mein Zimmer bringen und eine Zitronenlimonade na turell,. wenn ich bitten darf." „Wässer finden Sie vor. Falls es nicht reichdN sollte, muh ich Sie leider bitten, sich allein zu behelfen. Ich habe leinen dienstbaren Geist im -Haus. Sollten Sie einmal außer der Zeit Wasser wünschen, so brauchen Sie nur um die Hauseckc in den Garten zu gehen, da fließt ein wunderschöner, klarer Quell. — Bringe das Gepäck hinauf, Bartel-Gustcl, und zeig' dem Fräulein den Weg ' . . dieselbe Wohnung, die der. Herr, Sanitätsrat immer innehat — du weißt schön." ' (Fortsetzung folgt.)
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