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Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 09.09.1919
- Erscheinungsdatum
- 1919-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841177954-191909097
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841177954-19190909
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841177954-19190909
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger
-
Jahr
1919
-
Monat
1919-09
- Tag 1919-09-09
-
Monat
1919-09
-
Jahr
1919
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger : 09.09.1919
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Don fünfzig Jahren an einem Blutsturz. Dr. Lohmanns Name war in aller Munde, als er im Jahre 1916 das Handels-U-Boot „Deutsch land" nach Amerika schickte. Der unwiderruflich feststehende Verlust des zweiten Handels-U-Boo- tes „Bremen" lähmte seine Tätigkeit aus diesem Gebiete. Gin kosttarer Fund bet dem ungarischen Diktator Szamuely. Die „Neue Freie Presse" meldet aus Buda pest, daß eine Haussuchung in der Wohnung des durch Selbstmord geendeten kommunistischen Dik tators Szamuely ein sensationelles Ergebnis zei tigte. Man fand drei große eisenbeschlagene Ki sten, deren eine vollgesüllt war mit den verschie densten Kostbarkeiten, wie Diademe, goldene Uhren und Ketten, Brillantringe, Brillantohrge hänge usw., deren Wert von Sachverständigen auf 8 bis 10 Millionen Kronen geschätzt wird. Die beiden anderen Kisten enthielten eine Mil lion blaue Scheine der österreichisch-ungarischen Bank. Pole« will Litauen annektieren. Das „Litauische Pressebureau" meldet aus Wilna, daß Pilsudski bei einem Besuch in den von Polen besetzten Gebieten Litauens in einer Ansprache an die Soldaten erklärt hat: Wir wer den das Land nicht räumen, weil wir es als von Polen annektiert betrachten. Diese in Ge genwart vieler Litauer.gemachte Erklärung hat eine große Erregung unter der Bevölkerung her vorgerufen. GS wird protestiert, aber unterzeichnet. Die deutsch-österreichische Nationalversamm lung nahm nach längerer Debatte den vom Hauptausschuß vorgeschlagenen Beschlußantrag, wonach gegen die Verletzung des Selbstbcstim- mungsrechtes Deutsch-Oesterreichs durch den Frie- densvsrtrag protestiert und der Staatskanzler be auftragt wird, den Friedensvertrag zu unterzeich nen, an. Der Protest wurde einstimmig und der Auftrag an den Staatskanzler, den Friedensver trag zu unterzeichnen, mit 97 gegen 23 Stimmen angenommen. m MMt«. Die französische Kammer setzte am Freitag die Erörterung über den Friedensvertrag fort. Bedouze, radikaler Sozialist, betonte die zwin gende Notwendigkeit, die finanzielle Solidarität der Verbündeten für die Liquidation nach den» Kriege zu verwirklichen. Er stellte fest, daß die sich aus dem Kriege ergebenden Lasten Deutsch lands geringer seien als die Frankreichs, und erklärte unter einmütiger Zustimmung der Kam- mer und Clemenceaus, daß Frankreich sich ge genwärtig in einer schlimmen Lage befinde, daß es alles geopfert und fich in die Notwendigkeit versetzt sehe, nationalen Tribut zu zahlen. Es sei Pflicht des Völkerbundes, Frankreich das Gleichgelvicht seines Wechselkurses und die Sicher- heit seiner Transporte zu verschaffen. Finanz- m i n i st e r Klotz verlas die Artikel des Frie- densvcrtrages, die die Lasten für perfönliche Wiedergutmachungen Deutschland lind seinen Ver bündeten aufbürden. Er schätzt die gesamten Kricgsausgaben auf etwas über 190 Milliarden, von denen zwei Drittel auf die Alliierten ent fallen. Der Frankreich zufallendc Teil sei ver hältnismäßig viel kleiner, als der Englands und Amerikas. Frankreich erhalte die Bezahlung der Wiedergutmachung der Schäden in der Form der Wiederherstellung und Lieferung von Arbeits kräften. In der Goldentschädignng sei Belgien die Priorität zugestandcn worden. Sodann führte Klotz die durch den Friedensvertrag zu tragen den Lasten auf, soweit sie sich auf Bezahlung in Waren, Schiffen, Kohlen usw. vor März 1921 beziehen. Diese würden vielleicht die durch den Friedensvertrag vorgesehenen 20 Milliarden über steigen. Deutschland werde insgesamt 375 Milliarden bezahlen und sich feiner Schulden in einem Zeitraum von 36 Jahren entledigen können. Die von Deutschland an Frankreich zu zahlende Total summe wird sich nach 36 Jahren auf 463 Milliarden belarifen. Das bedarf, so erklärte Klotz, gegenüber Deutschland einer tatkräftigen politischen Führung. Immer hin wird sie ihm behilflich sein, seine Erzeu gungsmittel zu entfalten, um ihm die Möglich keit zu geben, seine Schuld abzutragen. Der Redner schloß unter dem Beifall der Kammer nnd beantragte, daß die Kammer den Vertrag gutheißen möge. Der RWn» Seiselmrd vor Stricht. In der fortgesetzten Beweisaufnahme iiber die Zustände im Gciselkeller werden alle die Per sonen vernommen, die ebenfalls als Gcifcln ver haftet waren, die es jedoch irgendeinem Glücks zufall verdanken, daß sie nicht ebenfalls erschos sen worden sind. So bekundet der Hauptlehrer Bund, daß er eines Nachts aus dem Bette geholt, verhaftet und auch gleich mit Erschießen bedroht worden sei. Auf der Polizeidirektion wurde ihm von einem Soldaten, der ihm das Seitengewehr vorhielt, erklärt: „Ihr Bande seid nicht mehr wert, als daß man euch das Messer in den Ranzen rennt. Es ist nur schade, daß es so kurz ist und hinten nicht wieder heraus- kommt." lieber die Erschießung der beiden Hu saren gibt der Zeuge au, daß er den Eindruck hatte, es sei auf die beiden ohne ein Kommando geschossen worden. Es war ungefähr so, wie wenn man einen Hühnerstall ausmacht und dann die Hühner herausflattern, als Haußmann die Tür zur Wachtstube aufriß, worauf gleich 10—12 Mann heransstürmten und in unregelmäßigen Abständen ans die Husaren schossen. Der greise Professor Berger habe sich selbständig einer der zum Abmarsch bereiten Gruppen angeschlossen, offenbar in der Meinung, daß cs zu einer Ver nehmung gehe. Er wurde dann mit fortgefchlcppt und ebenfalls erschossen. Der frühere Unteroffi zier Don erbau er wurde auf offener Straße verhaftet, weil er an seiner Uniform noch die Unteroffizierstressen trug. Nach feiner Einliefe rung im Gymnasium hat er gesehen, daß Hessel mann die Namen der Geiseln auf einen Block schrieb. Diese Notizen hat Haußmann dann mit einem roten Stift angestrichen und Hesselmann hat hinter jeden einzelnen Namen geschrieben: „Erschießen!" Donerbauer, der wiederholt vom Vorsitzenden darauf aufmerksam gemacht wird, daß Hesselmann jedes Verschnlden in Abrede gestellt habe, bleibt dabei, daß dieser in der an- gegebenen Weise tätig gewesen sei. Er habe hin ter ihm gestanden und ihn, während der Nieder schrift über die Schulter gefeheu. Das Wort „Erschießen" habe er mehrmals deutlich gelesen. Der Zeuge wurde vor dem Tode:'Mir dadurch gerettet, daß er unmittelbar vor der Abführung der Geiseln hörte, Ivie man zu ihnen sagte: „Ihr seid Plünderer, jetzt geht es mit Ench zu Ende." Tä habe er gerufen: „Ich bin doch gar kein Plünderer. Ich bin doch nur verhaftet, weil ich noch die Tressen trug." Eiu weiterer Zeuge Schwarzmeyer war unter dem Vorwand festgenommcn worden, daß er mit der weißen Garde telegraphiert und telephoniert habe. Im Polizeipräsidium wurde ihm erklärt: „Weun du nicht gestehst, dann kommst dn ins Luitpold-Gym- nasinm. Da hast dn in einer Stunde nichts mehr mit der Sache zu tun." Als der Zenge dann tatsächlich in das Gymnasium gebracht wurde, kam gerade Haußmaun heraus, gefolgt von den Angeklagten Gsell und Hesselmann, und sagte zu ihnen: „Jetzt gibl's a G'schäst, jetzt werdens derschosscn." Der Zeuge hat auch ge hört, wie der Priuz von Thnrn und Taris Sei del noch einmal um sein Leben anslehte und da bei n. a. sagte: „Ja, glauben Sie denn, daß ein Neichsfürst mit einem zerrissenen Aermel umherläuft? Ich bin doch nur der Prinz Thurn nnd Taxis." Der Unglückliche wurde aber kurz abgcsertigt und war wenige Minuten später eine Leiche. — Der Hotelier Aumüller kam nach seiner Verhaftung auf der Polizeidirektiou mit den Mitgliedern der Thule-Gesellschaft zufauuneu. Bei der Vernehmuug der Leute wurde weder von Lebensmittelschiebungen, noch von Plünde rungen gesprochen. -Es ging ganz kurz und bün dig her; wer nicht eingestand, wurde von Egl- hofer und einem Kunstmaler Seiler ins Gym nasium geschickt. Den Geiseln wurde gesagt, wer unterwegs fliehe, würde niedergefchossen werden. Der Zeuge blieb mehrere Tage im Geiselkeller und gibt erschütternde Einzelheiten bekannt, wie die Geiseln mehr und mehr abstarbcn und fich in Nervenschocks und Krämpfen wanden. Der Obersekretär Daumenlang, der schwerverletzt Ivar und blutete, wurde von Seidel jedesmal, wenn er sich bei ihm beschweren wollte, mit dem Re volver bedroht und aufgesordert, das Manl zu halten. Die Gräfin Westarp versuchte vergeblich, bei Seidel eine Besserung ihrer traurigen Lage zu erreichen. Auch ihr hielt Seidel den Revolver vor das Gesicht und, als sie trotzdem weitcr- sprach, entsicherte er die Waffe. Ein Protokoll wurde überhaupt nicht ausgenommen. Seidel selbst schrieb die Namen auf und sagte in außer ordentlich zynischer Weise: „In den Ketter mit üen Schweinen!" Die Vernehmung des früheren Vorsitzenden des Revolutions-Tribunals Gronauer erfolgt nunmehr. Er bekundet: In München Ivar da mals eine Verhaftungsmanie eingerissen, die ein Seitenstück nnr in der von 1914 hatte, als jeder Mensch als Spion galt. Jeden Tag wurden l5 bis 20 Personen, ost direkt von der Straße vor geführt und in vielen Füllen von den Rotgar disten für Leute, die iu ihren Reden unvorsich-- tig gewesen waren, einfach die Todesstrafe ver langt. „Er gchott an die Wand gestellt", mit diesen Worten wurde mancher in den Sitzungs saal geschoben. Trotz aller Gerüchte sei niemals ein Todesurteil von dem Tribunal gefällt wor den. Die höchste Strafe waren einmal zwei Jahre Gefängnis. Das Paßte natürlich den Ra dikalen vom Schlage Seidels und Haußmanns nicht in den Kram und man drängte den Zeu gen dazu, endlich einmal ein Tode s- urteil zu verhängen. Einmal mußte der Zeuge Stunden lang auf die Arbeiter einreden, doch vernünftig zu sein. Früher hätten sic sich immer über die Justizirrtümer beschwert. Jetzt, Ivo sie am Ruder seien-, sollten sie doch nicht in den gleichen Fehler verfallen, Ivie das alte Regime. Der Zeuge ist schließlich selbst ver haftet worden, weil er eine Verhandlung wegen Hochverrats unterbrach, um sich Direktiven seiner vorgesetzten Stelle zu holen. Während der Zeit gelang es einem Radikalen, die Betriebsräte zu alarmieren, mit der Behauptung, daß Gronauer ein Konterrevolutionär sei und zu den Bürger lichen stehe. Er müsse erschossen werden. Nur dadurch, daß die Wache des Justizpalastes sich gegen seine Verhaftung sträubte, kam der Zeuge wieder frei. Zum Schluß der Sounabcndsitzung k wird dann noch der russische Untertan Zrobel, ! ein junger Manie von 18 Jahren, der nur ge- ; krochen Deutsch spricht uud demonstrativ ein ro tes Band im Knopfloch trägt, vernommen. Er bezeichnet Seidel als einen aufrichtigen Genosfen, unermüdlichen Arbeiter nnd zuvorkommenden Menschen. Dtlltsch-EMzelWr Kirchentag vsz. D r e s d c n , 5. Sept. Am heutigen letzten Verhandlungstage wurde die Aussprache über die Vorlage auf Erkaltung des evangelischen Religionsunterrichtes in den Schulen fortgesetzt. Das Ergebnis der umfang reichen Aussprache bestand in einer Einigung auf unwesentliche Abänderungsanträge und einem Antrag, nach welchem der Deutsche Evangelische Kirchentag alle evangelischen Erziehungsberech tigten auffvrdert, mit glaubensmutiger Entschlos senheit nm der heranivachsenden Jngend nullen für bestehende öffentliche evangelische Schulen gegen die religionslose Schule zu arbeiten. Nach dem ein Antrag aus Fortbestehen! einer beso n- deren Seelsorge in der Reichs- w ehrmacht, zu welchem Reichsrcgieruug und Nationalversammlung die erforderlichen Geldmit tel zu gewähren hat, dem Kircheuausschuß zur weiteren Behandlung übergeben worden war, gab der Kirchentag einmütig seiner Zustimmung zum Erlasse von K undgebunge n „An das deutsche Volk, gegen die Aburteilnng des deut schen Kaisers durch die feindliche» Mächte, fiir die deutschen Gefangenen, an die evangelischen Gemeinden in den abzutretendcn Gebieten nnd für die Deutsche evangelische Heidenmission". Den ersten Gegenstand der Nachmittagsver- handlnng bildete die Wahl von 15 außerordent lichen Mitgliedern zum deutschen Evangelischen Kirchenausschuß. Der Deutsche Evangelische Kir- chenansschuß soll ersucht werden, einen ständigen, von Zeit zu Zeit nen zu wählenden Ausschuß für soziale Angelegenheiten zu ernennen. Hier auf gelangte die Vorlage über Lockerung des Parochialzwanges und der Minderheiten znr Be sprechung. Wie die Vorlage betont, erfordert das religiöse und kirchliche Interesse die Aus hebung des Parochialzwanges, jedoch soll der Begriff der Ortsgcmeinde, für welche der zn- ständige Pfarrer verantwortlich ist, bestehen bleiben. Jedes Gemeindeglied hat nach der Vor lage das Recht, sich zur Vollziehung einer Amts handlung eines anderen als des zuständigen Geistlichen zn bedienen, dem jedoch davon Mit teilung zn machen ist. Zur Bildung von Mm- dcrheitSgemeinden sagt die Vorlage, daß die Aufrechterhaltung der Einheit der Landeskirche und die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses ihrer Mitglieder den gesetzlichen Schutz der Min derheiten erfordert. Wie dieser Schutz zu bc- schaffen ist, richtet sich nach den Bedürfnissen der einzelnen Landeskirchen, insbesondere aber nach den örtlichen Verhältnissen, vor allem auch nach den Verschiedenheiten von Stadt und Land. Wie die Vorlage vorschlägt, kann danach etwa in Flage kommen geistliche Versorgung durch einen eigenen Pfarrer, durch einen Nachbarpfar rer, vielleicht ausnahmsweise auch durch Bildung von Personalgemeinde» oder auch »ach Art der Diaspora-Versorgung. Nach längerer Aussprache wurde der Vorlage zugeslimmt. Mit den üblichen Schlußreden sand der erste Kirchentag seinen Abschluß. Die Kundgebung an das deutsche Volk hat u. a. folgende» Wortlaut: „Der Deutsche Evau gotische Kirchentag ist zu seiner ersten Tagung veilammclt. Zahlreiche Mäuuer und Frauen haben fick) zu seiner Gründung aus alle» Gaue» »»serös Vaterlandes als Vertreter des evangeli- schon Deutschland in Dresden zusammeugesun- de». Zu neuem starken Bunde «vollen sich die deutschen evangelischen Landeskirchen, unbescha det ihrer Selbständigkeit in Bekenntnis und Ver waltung, die Hand reichen. Organ dieses Bun des soll der Dentsche Evangelische Kirchentag werde». Er ist gewillt, an seinem Teile das kirchliche und religiöse Leben des evangelischen Deutschland zu fördern nnd zu vertiefen. Die sittlichen und religiösen Kräfte der Reformation will er geltend machen. Allenthalben in der Welt will er deutsche evangelische Interessen ver treten, sein Wort soll das Wort des gesamten evangelischen Deulschland werden. Evangelische Männer und Frauen, legt mit uns glaubens stark, opferwillig und zielbewußt die Haud ans Werk!" Weiler enthält die Kundgebung Auslas - sungen über die Kraft des Evangeliums und fordert zum Schluß auf, lebensvolle Gemeinden znr Pflege einer soziale» Gesimnmg zu schasse», i» de»e» sich alle Stände heimisch fühlen. 3. PfassenberM. s .Hohenstein-Ernstthal, 8. Sept Ei» geselliges Beisammensein in der Halle des Tucnerbundes eröffnete au: Sonnabend abend das 3. Psaffenbergfest, zn dem wieder viele Turner aus naher und weiter Umgebung hcrbeigeströmt waren. Die Mitglieder der beiden veranstaltenden Vereine, Turnerbund und Tv. v. 1856, sowie Gäste hatten sich in großer Zahl ZZergmanns Töchterlein. Roman von Martin Förster. 28 DaS ganze Richter-Kollegium war versammelt. Ein wohlbekannter Bainnwvllenspinnereibesttzer führte den Vorsitz. Rechts und links von ihm sa ßen drei oder vier Kollegen, Bergwerksbesitzer, Baumeister, Brauer und Krämer. Alle trugen dunkle, festliche Kleidung und bemühten sich, so nnüdevoll als möglich drenizuschauen. Sie saßen sämtlich auf einer etwas erhöhten Estrade. Rechts unten an dem mit grünem Tuch überzogenen Tisch hatte der Gerichtsschreiber sei nen Platz, links befand sich der Sitz für die Zeugen, ihnen gegenüber in geringer Entfernung war die Anklagebank, und nicht weit von dieser saßen sie ben oder acht Polizeibeamte, unter ihnen der In spektor Kahle und der Gerichtsdiener, welcher De- gowS Verhaftung ausgesührt hatte; die übrigen Bänke standen dem zahlreichen Publikum zurBe» sugmig. Unter den letzteren bemerkte man iy der Nähe der Anklagebank den Unteraiisseher Sachse mit sei ner Tochter. Beide sahen bleich und erregt anS und folgten der Verhandlung mit gespanntester Aufmerksamkeit. Zunächst kamen ein paar unbedeutende Sachen zur Erledigung. Daun wurde der Name Franz Dcgow laut ausgerufen, und der Träger desselben trat ein. Er sah bleich, aber gefaßt aus. Es lag eine gewisse Würde in seiner Haltung, und seine glänzenden, schwarzen Augen blickten kalt und ruhig. Ein kleiner, untersetzter Mann mit granein Haupt und Bart, welcher neben dem Inspektor Kable saß, erhob sich mit einer Hand voll Akten und fing nach einem einleitenden Räuspern leise, aber klar und geläuftg zn sprechen an. Erst nach dem er begonnen hatte, traten der Minenbesitzer uud sein Nrfse ein. Der erstere nahm seinen Platz unter de» Friedensrichtern ei», und der andere setzte sich hinter den Rechtsanwalt, welcher eben sprach. Der letztere trug mit großer Umständlichkeit die näheren Umstände des vorliegenden Falles vor. Er berichtete zunächst über den Naubansall selbst uud sodann über die Gefangennahme des Angeklagten nebst derHanssnchnng nnd alles, was vorging. Zugleich wurde die betreffende Banknote '"vorgezeigt und ihre Nummer lautcherleseii. Sodanu wurden die Zeugen vernommen. Her mann Diedrich, der Neffe des Mincnbesitzers, trat vor. Auch er sah nugewönlich blaß aus, nnd zeigte in seinem Auftreten ein Selbstbewnßtsein, welches nicht ganz natürlich erschien. Nach den üblichen einleiienden Fragen und Antworten be gann er seinen Bericht: „Wegen der Abwesenheit des erkrankten Herrn Vilmar,des damaligen Kassie rers, m ußte ich nach P. fahren, um das Geld für die Aus löhuung zu holen. Ich präsentierte beider Bank meines Onkels die Anweisung, empfing zwei tausend Mark in Gold, achthundert in Silber nnd den Rest in zwei Hundertmarkscheinen. Dann fuhr ich zurück, und in der einsamen Dorfstraße von Langenau fragte mich ein achtbar aussehender Mann nach dem Wege zum Herrenhanse. Ich zeigte ihm denselben, als ich plötzlich von hinten ergriffen und durch Chloroform betäubt wurde, und als ich mich erholte, waren die Leute fort und das Geld auch." „Kannten Sie den Mann, der mit Ihnen sprach?" -» „Nein, denn soviel ich weiß, hatte ich ihn nie zuvor gesehen." „Können Sie beschreiben, wie er anssah?" „Kaum. Es war ein ganz gewöhnliches Ge sicht, glaube ich. ES kain alles so schnell, daß ich kaum Zeit hatte, mir die Züge einznprägen." „Sahen Sie die Gesichter der Männer, welche Sie von hinten ««griffen?" „Ich sah sie weder, noch hörte ich sie spre chen." „Sie hatten die Nummern der gestohlenen Banknoten notiert?" „Ja, ich gab sie an demselben Abend dem In spektor und meinem Onkel." „Ich danke Ihnen. Das ist genug. — Inspek tor Kahle!" Der Chef der Polizeistation Langeuan trat in den Zengeiistand nnd sah den Amtsanwalt ru hig an. „Sie sind der Inspektor Kahle und wohnen in Langenau?" „Ja, mein Herr." „Wann kam die Nachricht von dem Raubnn- i fall zn Ihrer Kenntnis?" t „An dem Tage, an welchem er begangen winde. Herr Albert Diedrich kam zuerst kurz nor eiu Uhr, um mir die Sache anzuzeigen, und fpät am Abend erschien Herman» Diedrich zu demsel ben Zivecke. Er gab mir auch die Nummern der ihm gestohlenen Banknoten." „Wie kamen Sie dazu, de» Augeklagten ge fangen zu nehmen?" „Ans ein Gerücht hin, daß er sich einmal in der Kneipe mit Hermann Diedrich veruneinigt und daher einen Haß ans diesen haben sollte. Außer dem war er fremd im Dorfe, und niemand wußte etwas über sein Vorleben." „Durch wen hörten Sie dies sogenannte Ge rücht ?" „Das kann ich nicht sagen. Ich hatte schon mehrfach davon gehört, und da ich der Sachegern auf die Spur kommen wollte, ließ ich es darauf aukommeu, holte mir von Herr» Albert Diedrich eine Vollmacht u»d ging in Degoivs Wohnung." „Was fanden Sie dort?" „Ich sand in rinem Kasten eine verschlossene Geldbüchse nnd darin anher etivas Gold nnd Silbergeld die eben vorgezeigten zwei Hundert markscheine. Ich verglich ihre Nummer» mit den mir am Tage des Raubanfalls übergebenen nnd fand, daß sie dieselbe» waren. Daun verhaftete ich Degow uud führte ihu ins Dorfgefängnis." „Es ist gut," versetzte der Amtsauwalt. Dann wandte er sich an die Richter und sagte : „Ich gebe Euer Gnade» zn bedenke», daß dieser Gefangene erst vor 24 Sluudeu verhaftet wurde. Ma»»hat also noch keine Zeit gehabt, die nötige» Beweise zn sammel». Ich bitte daher um einen Aufschub von acht Tagen." Der grauhaarige Anwalt nahm seinen Sitz wieder ein, als sei die Sache damit abgeschlossen. Die Friedensrichter steckten die Köpfe zusammen und blickten nach ihrem Vorsitzenden, welcher sich . mit de«n Gerichtsschreiber besprach. Ein Gemur mel erfüllte deu Saal, aber eS verstummte so gleich, als die kräftige Gestalt des Rechtsanwalts Willroth sich ausrichlete, uud seine rauhe, volltö nende Stimme hörbar wurde. „Ich vertrete Herrn Franz Degow nnd ver werfe den Antrag auf Aufschub, es sei deim, daß Bürgschaft für ihn angenommen uud der Ange klagte freigelassen würde." Die Worte klangen laut und verständlich durch den »veiten Sitzungssaal, nnd die Blicke aller An wesenden waren auf das unschöne Gesicht des be rühmten Mannes gerichtet. Der Vorsitzende, seine Kollegen und der Schreiber berieten einen Augen blick mit einander, worauf der erstere sagte: „Wir glaube», daß i» diesem Falle wie der vorliegende ein Antrag auf Bürgschaft ein für allemal abge- wiesen werde» muß, da wir es nicht etwa mit einem Diebstahl, sondern mit einem Naubansall zn tun haben." „Außerdem," setzte ein anderer hinzu, „ist der Angeklagte erst vor wenigen Monaten in die Ge gend gekommen, uud es würde schwierig sei», einen Bürgen für jemand z» finden, über dessen Ver- gangenheit man so wenig »M^Mtet ist." 237,18
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